Schlüsselwörter
patellofemorales Gelenk - Patellaluxation - Torsionskorrektur - Fehlstellung - Osteotomie
Key words
patellofemoral joint - patella dislocation - torsional correction - malalignment - osteotomy
Einleitung
Die Patellaluxation stellt ein häufiges Verletzungsmuster mit einer Inzidenz von 30 auf 100 000 dar. Als
Unfallmechanismus bei sportlichen Aktivitäten wird häufig ein Distorsions- und Valgusstress-Mechanismus
angegeben [1]. Obwohl die Verletzung in der täglichen Praxis häufig vorkommt,
stellen die Patellaluxation, die rezidivierende Patellaluxation und Subluxationsphänomene mit vorderem
Knieschmerz den behandelnden Orthopäden und Unfallchirurgen immer wieder vor erhebliche Probleme im
Hinblick auf die Wahl der richtigen Behandlungsstrategie. In einer Umfrage unter deutschen Kliniken
zeigte sich bereits das uneinheitliche Vorgehen [2].
Die Kombination aus unterschiedlichen pathoanatomischen Abweichungen der größtenteils jungen
Patienten/innen mit Patelladysplasie, Ruptur oder Insuffizienz des MPFL (Medial Patellofemoral
Ligament), Trochleadysplasie, Patella alta, Torsionsfehlstellung femoral und/oder tibial, pathologischem
Patella-Tilt, einem pathologischen TT-TG-Abstand (Tuberositas-Tibiae-Trochlea-Grove-Abstand) oder
Q-Winkel [3] (Winkel der Vektoren zwischen der Zugrichtung vom M. quadriceps –
Patella – Tuberositas tibiae) verursachen oft mehr Verwirrung als Klarheit für die mannigfaltigen
Behandlungsoptionen.
Ziel dieser Arbeit ist es, anhand allgemeiner anatomischer Grundsätze des patellofemoralen Gelenks einen
standardisierten diagnostischen Algorithmus und darauf aufbauend eine systematische Behandlungsstrategie
unter spezieller Berücksichtigung der verfügbaren klinischen Ergebnisse unterschiedlicher
Behandlungsansätze aufzuarbeiten.
Material und Methode
Diagnostik
Eine Umfrage unter deutschen Kliniken zeigte, dass eine MRT-Diagnostik in 81 % nach Erstluxation und
85 % bei Reluxation stattfand. Defilée-Aufnahmen der Patella wurden bei 62,5 % nach Reluxationen und
52,5 % bei Erstluxationen durchgeführt. Das CT zur Bestimmung des TT-TG-Abstands wurde in 35 % bei
Reluxationen und in 20 % nach dem Erstereignis eingesetzt. Die Torsion wurde lediglich in 3,5 % nach
Reluxationen bestimmt [2]. Dieses uneinheitliche diagnostische Vorgehen
mit den damit verbundenen unterschiedlichen Behandlungsoptionen kommt dabei deutlich zum
Ausdruck.
Um die pathologischen Zusammenhänge besser zu verstehen und systematische Erfahrungen auf
Studienbasis für verbesserte Vergleichbarkeit zu sammeln, ist eine anerkannte standardisierte
Diagnostik unabdingbar.
Die stabilitätsgefährdeten Bewegungsabschnitte des patellofemoralen Gelenks liegen zwischen 0 und
60°. Nach destabilisierenden Ereignissen resultiert – fast unabhängig von der Ursache – eine
veränderte Druckverteilung und ein verzögertes bzw. verändertes Eintauchen des Patellafirsts in die
Trochlea. Bei ca. 60° Beugung findet die Patella, in der Regel durch die erhöhte Spannung im
Streckapparat und die zunehmende Vertiefung des distalen Anteils der Trochlea (außer bei
hochgradiger Trochleadysplasie), wieder eine knöcherne Führung ([Abb. 1]).
Abb. 1 Patella-Defilée-Aufnahme: Die Bedeutung der Patellazentrierung in der Trochlea in
den ersten 30° Beugung kommt gut zur Darstellung. Ab 60° zentriert die Patella harmonisch.
Bei patellofemoraler Instabilität zeigt sich in den CT-Aufnahmen ein vermehrter Patella-Tilt [4] ([Abb. 2]). Der TT-TG-Abstand ([Abb. 3]) ist häufig erhöht [4]. Dieser
resultiert meist aus einer vermehrten Innentorsion am Femur ([Abb. 4 a])
und/oder Außentorsion der Tibia ([Abb. 4 b]), kombiniert mit einem
vergrößerten mTFA (mechanischen tibiofemoralen Winkel) im Sinne eines Valgus ([Abb. 5]). Ob der Patella-Tilt durch die vermehrte Innentorsion als Folge pathologisch ist
oder durch instabile Strukturen im medialen Kapselbandapparat resultiert, kann aufgrund der
Studienlage nicht eindeutig beantwortet werden. Es konnte gezeigt werden, dass bei einer
Patellaluxation mit gerissenem MPFL der TT-TG-Abstand erhöht ist, eine Patelladysplasie besteht und
eine Patella alta vorliegt [5]. Die pathologischen Veränderungen und die
daraus resultierenden Messergebnisse stehen in einem engen Zusammenhang und beeinflussen sich
gegenseitig. Es genügt daher nicht, ein singuläres Problem zu betrachten und dafür die scheinbar
richtige Therapie zu wählen.
Abb. 2 Patella Tilt: Winkel zwischen transversaler Patellaachse (maximale Ausdehnung) und
Tangente an die posterioren Femurkondylen. Norm 11,1 ± 10,6° [46]
bzw. 10 ± 5,8° [4]
Abb. 3 Tuberositas-tibiae-Trochlea-Groove-Abstand (TT-TG): Es wird eine Schnittebene am
distalen Femur in der axialen Ebene mit gut dargestellten Femurkondylen gewählt und eine axiale
Schnittebene an der proximalen Tibia mit Darstellung der Tuberositas tibiae. Beide Ebenen werden
übereinander projiziert. Anschließend wird eine Senkrechte auf die Tangente der posterioren
Femurkondylen gelegt und mit dem tiefsten Punkt der Trochlea verbunden. Eine weitere Senkrechte
wird mit der Tuberositas tibiae verbunden. Der Abstand beider Senkrechten ist der TT-TG-Abstand.
Die Norm liegt bei 12,7 ± 3,4 mm [4].
Abb. 4 a und b a Torsionsbestimmung des Femurs nach Hernandez et al. [8]. Dazu wird in der axialen Schichtung im CT eine Verbindungslinie
zwischen Hüftkopfzentrum und Schenkelhalszentrum gelegt, und eine Tangente an die dorsalen
Kondylen des distalen Femurs der Winkel beider Linien stellt die Torsion des Femurs dar, meist
als Antetorsion oder Innentorsion bezeichnet. b Torsionsbestimmung des Unterschenkels.
Dazu wird an den proximalen Tibiakopf dorsal eine Tangente angelegt und eine Linie durch das
Zentrum der Fibula und Tibia in der axialen Schicht des distalen Unterschenkels gelegt. Der
Winkel wird in der Regel als Außentorsion der Tibia bezeichnet.
Abb. 5 Achsausmessung in der Frontalebene mithilfe von landmarkenbasierter digitaler
Planungssoftware am Beispiel von mediCAD. Winkelbestimmung erfolgt nach Dror Paley. Die
Bezeichnungen in der Software entsprechen nicht alle denen von Dror Paley. Der Winkel mFA-mTA
entspicht dem mechanischen tibiofemoralen Winkel (mTFA). mLPFA = mechanischer lateraler
proximaler Femurwinkel, AMA = anatomischer-mechanischer Femurwinkel, mLDFA = mechanischer
distaler Femurwinkel, mMPTA oder MPTA = mechanischer medialer proximaler Tibiawinkel, mLDTA =
mechanischer lateraler distaler Tibiawinkel.
Die Suche nach normwertigen Referenzen des patellofemoralen Alignments mit dem Ziel, pathologische
Kombinationen abzugrenzen, ist bisweilen eher verwirrend. Strecker et al. [6] analysierten bspw. mittels CT an 355 Patienten die Torsion des Femurs und der Tibia.
Die mittlere Innentorsion bzw. Anteversion betrug am Femur 24° in der Messmethode nach Waidelich et
al. [7] und die Außentorsion an der Tibia 35° in der Ulmer Methode.
Hingegen konnten Dejour et al. [4] in ihren Untersuchungen feststellen,
dass in ihrer Kontrollgruppe ohne Patellainstabilität eine Innentorsion von 10,8 ± 8,7° und in der
Gruppe mit Patellainstabilität eine Innentorsion von 15,6 ± 9° mit der Methode nach Hernandez et al.
[8] vorlag. Yoshioka et al. [9], [10] bestimmten eine durchschnittliche Antetorsion in der Methode nach
Murphy am Femur von 13°. Die Normwerte hängen demnach von der Methode ab. Darüber hinaus wird die
Patella alta von verschiedenen Autoren als wesentlicher Faktor für die Patellainstabilität
verantwortlich gemacht [11], [12]. Dejour et
al. [4] berichten jedoch, dass dieser Faktor bei 90 % der Patienten auch
bei der asymptomatischen Gegenseite gefunden wird.
Biomechanik des patellofemoralen Gelenks
Feller et al. [13] fassen in ihrer Übersichtsarbeit die biomechanischen
Auswirkungen von Torsion, Beugung, MPFL usw. auf das patellofemorale Gelenk zusammen und konnten
damit einen guten Überblick geben. Der maximale Anpressdruck im patellofemoralen Gelenk tritt bei
90° auf und beträgt das 6,5-fache Körpergewicht. Eine Erhöhung des Q-Winkels um 10° erhöht die
Kontaktkraft bei 20° Beugung bereits um 45 %, und eine Abnahme des Q-Winkels resultiert in einer
Reduktion des Anpressdrucks [14].
Ergebnisse
Nach Erstluxation erfolgte in 69 % der deutschen Kliniken die konservative Therapie mit initialer
Ruhigstellung in einer Schiene und anschließende Physiotherapie. Bei den operativen Therapien wird die
primäre mediale Raffung in 52 % favorisiert. Reluxationen wurden in den Umfragen in 59 % mit einer
MPFL-Plastik behandelt und in 58 % mit einer Tuberositas-Versetzung [2]. Diese
Zahlen geben sicherlich nur einen Hinweis auf die derzeit übliche Vereinfachung des doch meist komplexen
Grundproblems.
Patellaluxation – Erstereignis
Nach Patellaerstluxation erfolgt in den meisten Fällen die spontane Reposition und nur ein Teil der
Patienten trifft mit luxierter Patella in der Klinik ein [15]. In der
primären Diagnostik konnten Stefancin und Parker [16] bei
Patellaerstluxation eine Inzidenz von osteochondralen Frakturen von 24,3 % feststellen. Diese wurden
in 30–40 % im Röntgen nicht erkannt [17]. Die Beobachtung wurde auch von
Seeley et al. [18] bestätigt. In einer MRT-Studie konnte in 79,8 % der
durchgeführten MRTs ein Knorpelschaden nachgewiesen werden [19]. Nach
einer traumatischen Patellaluxation bzw. Primärereignis kommt es in 98,6 % zur Verletzung des MPFL
und in 51,4 % zu einer kompletten Ruptur [5]. Die Führung der Patella kann
dadurch verändert sein und es resultiert eine Destabilisierung. Im Rahmen der flächendeckend
verfügbaren MRT-Diagnostik sollte diese daher standardmäßig erfolgen. Lediglich bei bereits
erkannter osteochondraler Fraktur und OP-Indikation kann auf die weiterführende Diagnostik
verzichtet werden. Es sollte als selbstverständlich gelten, dass das Kniegelenk in einer
Kniefixationsschiene bis zum Abschluss der Diagnostik ruhiggestellt wird. Nicht erkannte
osteochondrale Frakturen mit freien Gelenkkörpern im Knie können durch Einklemmen erhebliche
Gelenkschäden verursachen ([Abb. 6]). Die MRT-Diagnostik ist daher
innerhalb der ersten 2 Wochen nach dem Unfallereignis zu fordern.
Abb. 6 Mediales Kompartiment. Ausgeprägte Knorpelverletzung durch freien osteochondralen
Gelenkkörper nach 2-wöchiger Mobilisation ohne Kniefixationsschiene. F: mediale
Femurkondyle, T: mediales Tibiaplateau, IM: Innenmeniskus.
Nikku et al. [20] konnten lediglich in 33 % der konservativ therapierten
Patienten eine stabile Patella nach 7 Jahren feststellen. Als besondere Problemgruppe machten sie
die weiblichen Patienten unter 15 Jahren bei Erstereignis aus [21].
Mäenpää et al. [15] zeigten, dass bei der konservativen Therapie eine
Ruhigstellung in der Schiene über 2–3 Wochen im Vergleich zu Bandagen oder einem Brace die
Reluxationsrate mindert. Vainionpäa et al. [20] berichteten nach
operativer Therapie über gute Ergebnisse. Camanhoe et al. [22]
bestätigten die guten Ergebnisse nach operativer Therapie. Sie konnten in ihrer Level-II-Studie in
der operativen Gruppe mit Naht des medialen Retinaculums nach 40,4 Monaten keine Luxation
feststellen. Hingegen zeigte sich in der konservativen Gruppe in 8 von 16 Fällen eine Reluxation. In
der Metaanalyse von Smith et al. [23] konnte eine signifikant höhere
Reluxationsrate bei nicht operativer Therapie im Vergleich zur operativen Therapie gefunden
werden.
Anders verhält es sich im Kindes- und Jugendalter. Hier zeigten sich im systematischen Review keine
Vorteile der operativen Therapie im Vergleich zur konservativen Therapie [24]. Bei der konservativen Therapie wurde im Rahmen der Physiotherapie die geschlossene
kinematische Kette zur sicheren Übung empfohlen [25].
Rezidivierende Patellaluxation und Subluxation
In der Metaanalyse von Smith et al. [23] konnte kein signifikanter
Unterschied zwischen der operativen und nicht operativen Therapie nach rezidivierender
Patellaluxation in Bezug auf die Reluxationsrate gefunden werden. Die rezidivierende Patellaluxation
sowie das instabile patellofemorale Gelenk stellen weiter die Problemgruppe dar. In der umfassenden
Übersichtsarbeit von Arendt und Dejour über die unterschiedlichen operativen Techniken kann bis
heute keine einheitliche Indikationsstellung aus einem diagnostischen Algorithmus gefunden werden
[26].
Die isolierte ligamentäre Analyse nach rezidivierender Patellaluxation und operativer Therapie
mittels MPFL-Rekonstruktion zeigte keine ausreichenden Erfolge [27]. Kita
et al. [28] berichteten über ihre Ergebnisse nach MPFL-Plastik mittels
Semitendinosussehne bei rezidivierender Patellaluxation. Eine Reluxation konnte im
Untersuchungszeitraum von 13,2 Monaten nicht festgestellt werden. Es zeigte sich in der
radiologischen Nachuntersuchung, dass der Patella Tilt direkt nach MPFL-Plastik verbessert wurde.
Bei 24 Patienten erfolgte eine Second-Look-Arthroskopie. Dabei wurde bei 16 (24) Patienten eine
erneute Lateralisation diagnostiziert und der Patella Tilt verschlechterte sich wieder. In beiden
Arbeitsgruppen erfolgte keine weitere Diagnostik in Bezug auf die Beinachse und Torsion von Femur
bzw. Tibia. Ob diese Faktoren für das „Versagen“ der MPFL-Plastik bzw. Refixation mit verantwortlich
waren, bleibt letztlich offen. Die Arbeitsgruppe Petri et al. [29]
betrachteten die Problemgruppe genauer und zeigten, dass sie in der Gruppe der Reluxationen eine
signifikant kleinere Trochlea-Facetten-Asymmetrie (23,5 ± 18,8 medial zu lateral) im Vergleich zu
der Gruppe ohne Reluxation (43,1 ± 16,5) in der Methode nach Pfirrmann et al. [30] hatten. Eine Analyse der Torsion erfolgte nicht.
Neben dem Ansatz, die Bandführung zu verändern, kann auch die knöcherne Situation verändert werden.
Gute Ergebnisse werden bei rezidivierender Patellaluxation mit der Elmsli-Trillat-Technik
beschrieben. In den Untersuchungen von Barber et al. [31] konnten nach 98
Monaten bei 43 Patienten in 91,4 % der Patienten stabile Verhältnisse ohne weitere Dislokation der
Patella festgestellt werden. Wenn eine Patella alta besteht, wurde nach Distalisierung der
Tuberositas mit Tenodese der Patellarsehne [32] über gute klinische
Ergebnis berichtet. Die Reluxationsrate betrug zwischen 0 und 4,9 % [32], [33], [34].
Paulos et al. [35] analysierten konsequent ihre Patienten und stellten
einen pathologischen Tuberkel-Sulcus-Winkel bei Außentorsionsabweichung der Tibia fest. In diesen
Fällen führten sie eine Innentorsionskorrektur durch. Um die Pathologie der Valgusstellung in Bezug
auf den Patellazug zu verändern, führten sie eine derotierende Supratubercle high tibial Osteotomy
(D-HTO) durch. Sie verglichen die Ergebnisse mit der traditionellen
Elmslie-Trillat-Fulkerson-Technik. Sie konnten signifikant bessere Ergebnisse in allen Bereichen bei
der D-HTO finden. Die Autoren erklärten sich die guten Resultate mit dem wiederhergestellten
symmetrischen Alignment und physiologischen Gleiten der Patella. Sie unterstreichen damit die
Theorie von Robert Teigte [36], dass es 2 Faktoren gibt, welche die
patellofemorale Pathologie beeinflussen. Zum einen die intrinsischen Faktoren, zu denen er das
Gelenk selbst zählt, und zum anderen die extrinsischen Faktoren, zu denen er die Knochenformen wie
auch Torsionen zählt.
Dickschas et al. [37] berichten über die Ergebnisse der Doppelosteotomie
bei pathologischem Torsionsindex mittels Außentorsionskorrektur am Femur und Innentorsionskorrektur
an der Tibia. Grundsätzlich kommt dieses Vorgehen der Problemstellung schon deutlich näher.
Patienten, die andere Veränderungen hatten, wurden aus der Studie ausgeschlossen. Jedoch zeigten die
publizierten Daten, dass die behandelten Patienten sowohl Varus- als auch Valgusabweichungen hatten.
Letztlich wurde die Messmethode der Varus- bzw. Valgusabweichung nicht ausgeführt. Bei
Torsionsabweichungen kann dies zu erheblichen Abweichungen und Unterschieden führen.
Nichtsdestotrotz wurden sehr gute Ergebnisse berichtet.
Der Begriff „Inwardly Pointing Knee“ wurde von Cooke et al. [38] geprägt
und beschreibt ein besondere Entität: Kombination aus chronischem patellofemoralem Schmerz,
Patelladislokation oder Subluxation, retropatellarer Instabilität und Genu varum et recurvatum.
Diese Kombination stellt nicht das häufigste Patientengut dar. Es werden wesentlich häufiger
Patienten mit Innentorsionsfehlstellung, Genu valgum und Patella alta gesehen. Darüber hinaus
resultiert dieses Krankheitsbild auch bei vermehrter Außentorsion der Tibia [36].
Patellofemorale Arthrose
Die Klassifikation der patellofemoralen Arthrose wurde von der Gruppe um Iwano et al. [39] dargestellt. In einer Metaanalyse von Smith et al. [23] konnte festgestellt werden, dass die operative Therapie der
Patellaluxation mit einem höheren Risiko an patellofemoraler Arthrose verbunden war. Die bisherigen
operativen Strategien scheinen einen Einfluss auf die Entstehung der patellofemoralen Arthrose zu
haben. Bei genauer Betrachtung sind in der Metaanalyse keine Studien enthalten mit den heute
gängigen OP-Methoden wie bspw. die MPFL-Plastik, Torsionskorrektur und Trochleaplastik. Es muss
daher bei der Bewertung berücksichtigt werden, dass die Daten auf älteren OP-Techniken beruhen. Es
bleibt letztlich aus den gesamten Studien unklar, in wieweit der Knorpelschaden bei Erstluxation
einen Einfluss auf das Vorgehen hatte. In der Umfrage unter den deutschen Kliniken entschieden sich
im Durchschnitt 69 % für die konservative Therapie nach Erstluxation und 86 % für die konservative
Therapie, wenn keine Begleitverletzung vorliegt. Das heißt wiederum, dass bei Knorpelschädigung ein
wesentlich größerer Trend zur operativen Therapie bestand [2]. Dieser
systematische Bias bleibt in allen Auswertungen unberücksichtigt. Allerdings werden die
Beobachtungen, dass ein Zusammenhang zwischen Torsion und patellofemoraler Arthrose besteht, von
Kadaveruntersuchungen unterstützt. In den Fällen mit patellofemoraler Arthrose bestand eine
vermehrte Innentorsion des Femurs mit durchschnittlich 22,7°. Bei Patienten mit medial betonter
Gonarthrose zeigte sich hingegen eine Innentorsion von 15,7° und bei lateral betonter Gonarthrose
von 16,3° [40].
Diskussion
Die große Bedeutung des Krankheitsbilds zeigt mitunter die Anzahl der Publikationen in den letzten
Jahren. Trotz der Bemühungen, eine einheitliche Empfehlung zur Diagnostik und Therapie auszusprechen,
ist eine solche bis heute nicht verfügbar. Evidenzbasierte Ergebnisse mit einem Evidenzlevel I oder II
sind kaum vorhanden. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, einen systematischen Behandlungsalgorithmus
aus den Studien abzuleiten.
Grundsätzlich ist das Ziel, vor jeder operativen Therapie die pathologischen Veränderungen zu erkennen.
Daher stützt sich der 1. Pfeiler der Empfehlung auf die konsequente Diagnostik. Der 2. Pfeiler soll in
Abhängigkeit von der durch die Diagnostik gewonnenen Informationen eine Empfehlung zur Behandlung geben.
Das wesentliche Ziel liegt in der Behandlung der Pathologie. Nur damit wird es in Zukunft möglich sein,
die immer noch offenstehenden Fragen zu klären und in Abhängigkeit von Behandlungserfolgen
anzupassen.
Unter Berücksichtigung der häufig jungen Patienten und nicht grundsätzlich bestehenden Reluxation sollte
eine Differenzierung zwischen Erstluxation ([Abb. 7]) und
Reluxation/Subluxationen ([Abb. 8]) erfolgen.
Abb. 7 Schema des therapeutischen Vorgehens nach Erstluxation. ACT = autologe
Chondrozytentransplantation.
Abb. 8 Schema des therapeutischen Vorgehens nach rezidivierender Patellaluxation. CD =
Caton-Deschamp Index, IS = Insall-Salvati Index, BP = Blackburn-Peel Index, TT-TG =
Tuberositas-Tibiae-Trochlea-Groove-Abstand, mTFA = mechanischer tibiofemoraler Winkel, D-HTO =
derotierende High tibial Osteotomy, MPFL= Medial patellofemoral Ligament.
Erstluxation
Bei der Erstluxation müssen durch die Diagnostik osteochondrale Läsionen bzw. freie Gelenkkörper,
Knorpelschäden und eine Verletzung des MPFL erkannt oder ausgeschlossen werden. Dazu ist neben der
Röntgendiagnostik die MRT-Diagnostik erforderlich. Bis zur abschließenden Klärung, ob freie
Gelenkkörper vorliegen, empfehlen wir die konsequente Ruhigstellung in einer Kniefixationsschiene
und Entlastung an Unterarmgehstützen unter Thromboseprophylaxe. Bei Ausschluss von
Begleitverletzungen sehen wir die Indikation zur konservativen Therapie. Zeigen sich bereits in der
konventionellen Röntgendiagnostik freie Gelenkkörper, sehen wir die Indikation zur zeitnahen
Arthroskopie und wenn möglich Refixation des osteochondralen Flakes. Sollte dies nicht möglich sein,
werden der Gelenkkörper entfernt und in Abhängigkeit von der Größe und Lage des Defekts
Knorpelzellen für eine autologe Chondrozytentransplantation entnommen. Dieser Fall stellt sicherlich
die Ausnahme dar. Darüber hinaus erfolgt bei Verletzung des MPFL bzw. medialen Retinaculums die
mediale Raffung in der Technik nach Yamamoto [41]. Anschließend ist die
schmerzadaptierte Vollbelastung erlaubt. Das Bewegungsausmaß wird für 3 Wochen auf 60° und für 3
Wochen auf 90° limitiert. Nach 6 Wochen wird der Bewegungsumfang freigegeben und intensive
Physiotherapie mit Koordinationstraining wird begonnen. Nach ca. 12 Wochen ist die Sportfähigkeit
wieder erreicht. Es bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass ein Teil der Patienten die sportliche
Aktivität nicht mehr auf dem vorherigen Niveau ausüben kann [42].
Reluxation
Das Vorgehen bei Reluxation gestaltet sich bedeutend schwieriger und komplexer. In unserem
vorgeschlagenen Algorithmus ([Abb. 8]) wird ein wesentliches Augenmerk
auf die Torsion gelegt und damit auf die s. g. extrinsischen Faktoren [36]. Die konsequente Analyse ist aufwendig und erfordert vom behandelnden Orthopäden und
Unfallchirurgen ein Grundverständnis für Winkelbestimmungen und Achsen an der unteren Extremität.
Nach Analyse der Parameter, die unserer Ansicht nach stets vom Behandelnden selbst vorgenommen
werden sollte, kann eine Übersicht der pathologischen Veränderungen erstellt werden.
In den meisten Fällen handelt es sich um ein Mischbild aus unterschiedlichen Pathologien der
knöchernen Anatomie und der ligamentären Verletzung. Wir sind der Überzeugung, dass eine alleinige
Therapie der ligamentären Strukturen, ohne Berücksichtigung des Malalignments, auf Dauer keinen
Erfolg haben wird. In den biomechanischen Analysen konnte bereits die Bedeutung des patellofemoralen
Anpressdrucks gezeigt werden [13]. Durch eine über das Normale hinaus
erfolgte Raffung des medialen Führungsapparats kann es zu einer Drucksteigerung kommen. Diese ist
unserer Meinung nach für die Beobachtungen von Smith et al. [23]
verantwortlich, dass bei operativ versorgten Patienten häufiger eine patellofemorale Arthrose
auftritt.
Bei dynamischer Betrachtung des patellofemoralen Gleitlagers bekommen die oben erwähnten Messmethoden
eine wesentliche Bedeutung. Der Q-Winkel beschreibt die Vektorrichtung des Streckapparats zwischen
Ansatz des Lig. patellae – Patella – M. quadriceps. Je größer der Winkel wird, desto mehr Lateralzug
wird erzeugt. Letztlich stellt dieser aber eine Resultierende aus der anatomischen, knöchernen
Situation dar. Zum einen wird die Zugrichtung durch die Beinachsen (valgus/varus) bestimmt, zum
anderen aber auch durch die Torsion. Hier sollte sicherlich bei der diskutierten Problematik keine
Valgusfehlstellung vorliegen bzw. diese in einen leichten Varus mit einem Zielwinkel von mTFA = − 1°
korrigiert werden. Der immer wieder bestimmte TT-TG-Abstand ist ein resultierender Messwert aus der
Torsion von Tibia und Femur ([Abb. 9]). Bei einer vermehrten Innentorsion
des Femurs wird der TT-TG-Abstand größer. Gleiches kann bei vermehrter Außentorsion der Tibia
beobachtet werden ([Abb. 9]). Der TT-TG-Abstand kann auch mittels MRT
erfolgen und zeigt eine hohe Paralleltestreliabilität [43] zur
CT-Bestimmung. Der Nachteil liegt in der alleinigen Bestimmung des TT-TG-Abstandes, die Torsion von
Femur und Tibia kann mit einem MRT zwar bestimmt werden, gilt aber sicherlich noch nicht als
flächendeckende Standardmethode. Somit bleibt die CT-Untersuchung der Goldstandard.
Abb. 9 Zusammenhang Torsion und TT-TG-Abstand. Durch Korrektur der Torsion an Femur
und/oder Tibia kann der TT-TG-Abstand korrigiert werden. Der Betrag der gesamten
Torsionskorrektur ist α.
Um diese Problematik der Torsionsfehlstellung bzw. den TT-TG-Abstand zu korrigieren, ist unserer
Ansicht nach nicht die Tuberositas-Versetzung, unabhängig von der Technik, zu favorisieren, sondern
vielmehr die Pathologie kausal zu therapieren und eine entsprechende Torsionskorrektur
durchzuführen. Dass diese Strategie mit Herstellung des physiologischen Alignments auch klinisch zum
Erfolg führt, konnte in der Arbeit von Paulos et al. [44] dargestellt
werden. Ein Grund für die bisherige geringe Beachtung der Behandlungsstrategie ist in der
historischen Entwicklung der OP-Techniken zu suchen, ohne konsequente Analyse der Fehlstellungen
(fehlendes Torsions-CT), und in Unkenntnis der möglichen Techniken. Wir empfehlen daher bei
vermehrter Innentorsion über 15° am Femur die Torsionskorrektur suprakondylär. Sollte noch
zusätzlich eine Valgusfehlstellung vorliegen, kann durch eine Schrägosteotomie die Korrektur
erfolgen. Bei Torsionsfehlstellung an Tibia sollte die Korrektur mit einer D-HTO, wie sie von Paulos
et al. [44] beschrieben wurde, also proximal der Tuberositas tibiae
durchgeführt werden. In Abhängigkeit von einer Valgusfehlstellung kann der Eingriff auch mit einer
varisierenden suprakondylären Femurosteotomie kombiniert werden. Bei einer nachgewiesenen Patella
alta ist die alleinige Korrektur der Torsion unter Umständen nicht ausreichend. Daher kann hier noch
die Distalisierung der Tuberositas mit Tenodese des Lig. patellae erforderlich sein.
Die Trochleaplastik bei Dysplasie hat sicherlich ihre Berechtigung im Therapieregime. Aus unserer
Sicht aber erst nach Korrektur der anderen Fehlstellungen. Auch wenn Berichte über MPFL-Plastiken
zur Therapie bei Torsionsabweichungen verfügbar sind und gute frühe Ergebnisse berichtet werden
[45], sollte nach Meinung der Autoren die pathologischen
Veränderungen am Ort der Ursache korrigiert und therapiert werden, um die Einstellung der Patella in
der Arthroskopie nach knöchernen Korrektur beurteilen zu können. Eine Hyperkompression kann damit
vermieden werden.
Schlussfolgerung
Zusammenfassend sollte mithilfe der konsequenten Analyse der Pathologie und Dokumentation ein besseres
Bild der Probleme entstehen. Durch Berücksichtigung der erkannten Pathologien versprechen wir uns für
die Zukunft bessere Ergebnisse. Sicherlich können wir unsere Argumente und Empfehlungen nur in
begrenztem Ausmaß durch evidenzbasierte Studienergebnisse stützen, nichtsdestotrotz sehen wir eine
einheitliche Strategie als essenziell an, um unter Studienbedingungen in der Zukunft bessere Information
zur Verfügung zu haben.