Balint Journal 2014; 15(03): 63-72
DOI: 10.1055/s-0033-1361139
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Entwicklung des Schmerzkonzepts bei Viktor von Weizsäcker zu unterschiedlichen Zeiten am Beispiel dreier seiner Werke (1923, 1936 und 1951)

Three Works of Viktor von Weizsäcker Demonstrating the Evolution of his Concept of Pain in Response to Changing Times (Germany 1926, 1936 and 1951)
P. U. Henß
1   Wald-Michelbach
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Publikationsdatum:
15. Oktober 2014 (online)

Zusammenfassung

Der Schmerzbegriff wird in dieser Arbeit anhand dreier aus unterschiedlichen Schaffensperioden stammenden Arbeiten Viktor von Weizsäckers beleuchtet: die Aufsätze „Die Schmerzen“[1] (1926), „Das Missliche am Schmerz“[2] (1951) und „Zur Klinik der Schmerzen“[3] (1936). Schmerz ist ein als polares Phänomen und als Leiden und Tun zugleich.[4] Das Vorhandensein des Schmerzes ist misslich, gleichzeitig wird er als Leistung anerkannt. Dem Unbewussten kommt für das menschliche Verhalten im Schmerz, das immer im sozialen Kontext stattfindet, große Bedeutung zu.

Viktor von Weizsäcker (1886–1957) stellt die körperliche Krankheitswahrnehmung, die subjektive Krankheitserfahrung des Kranken, in den Mittelpunkt seiner Schriften. Subjektiv erlebte körperliche Phänomene wie Schmerz, Übelkeit und Schwindel sind Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Sie lassen sich durch eine ausschließlich objektive Betrachtungsweise nur unzureichend erfassen und verstehen. Die Kommunikation mit dem Patienten, die Beachtung metakommunikativer und verbaler Äußerungen des Pa­tienten und die Erfragung seiner Biografie ermöglichen ein besseres Verständnis dieser Phänomene sowie paradoxer Schmerzzustände, wie Schmerzlosigkeit bei ausgedehntem Gewebsschaden.[5]

Abstract

In this article, the concept of pain shall be examined in light of 3 works of Viktor von Weizäcker (1886–1957) written in Germany during 3 separate periods of its 20th century history:„Die Schmerzen“ (Pain) (1926): „Zur Klinik der Schmerzen“ (On the Symptoms of Pain) (1936); and „Das Mißliche am Schmerz“ (The Awkwardness of Pain) (1951).

Pain is conceived as a polar phenomenon comprising concurrent suffering (passive) and doing (active). The existence of pain is disturbing; its endurance, however, may be recognized as a positive achievement. Befitting significance is given to the influence of the unconscious on human restraint in confronting pain, which appears always to take place in a social context.

Viktor von Weizacker places the patient’s physical perception of his disease and his subjective experience of illness at the midpoint of his writings. Subjectively experienced corporeal phenomena, such as pain, nausea and dizziness, are points of departure for his reflections. Exclusively objective methods of observation, measurement and examination are insufficient for an adequate comprehension and understanding of these phenomena.

A precondition for this understanding is an empathetic communication with the patient, sensitive observation of his metacommunicative expressions (e.g. body language and tortured looks), his verbal descriptions, and, on direct questioning, an appreciation of his personal biography, social history and personality development. This in-depth communication facilitates a better understanding of these phenomena, as well as paradoxical states of pain (such as the abscence of pain perception under conditions of extensive tissue destruction).

1 Die Bearbeitung dieses Aufsatzes stellt eine verkürzte und leicht modifizierte Fassung der Darstellung in meiner Promotionsarbeit „Schmerz als interdisziplinärer Forschungsgegenstand: Der Schmerzbegriff in Viktor von Weizsäckers medizinischer Anthropologie und seine Bedeutung in der medizinischen Praxis“ dar.


2 Die Interpretation dieses Aufsatzes ist Teil meiner Promotion „Schmerz als interdisziplinärer Forschungsgegenstand: Der Schmerzbegriff in Viktor von Weizsäckers Anthropologie und seine Bedeutung in der medizinischen Praxis“ am Karlsruher Institut für Technologie, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften (2012) und bisher unveröffentlicht.


3 Die Interpretation dieses Aufsatzes ist Teil meiner Promotion und bisher unveröffentlicht.


4 Vgl. Wiehl R: Ontologie und pathische Existenz. Zur philosophischen-medizinischen Anthropologie Viktor von Weizsäckers, Zeitschrift für klinische Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie 38, [4] (1990), 263–288


5 Vgl. Kütemeyer 2003, 55 [18].


15 Vgl. Sartre 1938 [9]


 
  • Literatur

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  • 7 Nietzsche F. Also sprach Zarathustra, Goldmanns gelbe Taschenbücher Band 403. München: Goldmann; 1958
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