physiopraxis 2013; 11(11/12): 24-28
DOI: 10.1055/s-0033-1363430
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Internationale Studienergebnisse


Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
29 November 2013 (online)

 

Mentales Training – Auch Menschen mit Demenz profitieren

Zoom Image
Abb.: Mediaonela/istockphoto.com

Nicht nur gesunde Senioren profitieren von einem mentalen Trainingsprogramm, das Rechen- und Leseübungen miteinander kombiniert. Auch demenziell erkrankte Menschen können ihre kognitiven Fertigkeiten damit verbessern. Zu diesem Resultat kommt der Neurowissenschaftler Ryuta Kawashima am Smart Ageing International Research Center der Tohoku-Universität in Sendai, Japan.

Sein Forschungsteam untersuchte in zwei randomisierten kontrollierten Studien, wie sich die Lerntherapie auf die kognitiven Leistungen von gesunden und demenziell erkrankten älteren Menschen auswirkt. An der ersten Studie nahmen 32 ältere Menschen mit Alzheimer-Demenz teil, die in einem Seniorenheim lebten. Die zweite Studie bezog 124 selbstständig lebende Senioren mit ein. Jeweils die Hälfte der Teilnehmer durchlief das Therapieangebot, während die andere als Kontrollgruppe diente. Die Senioren der Experimentalgruppen führten sechs Monaten lang an fünf Tagen pro Woche für 15 bis 20 Minuten verschiedene Lese- und Rechenübungen durch. Die Übungsaufgaben besaßen unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und wurden individuell auf die Teilnehmer zugeschnitten. Konnten die Senioren eine Übung nicht selbstständig lösen, erhielten sie Unterstützung von den Mitarbeitern des Lerncenters. Für die selbstständig lebenden Senioren bestand zudem die Möglichkeit, einmal pro Woche an einem Grundschulunterricht teilzunehmen. Die Forscher setzten vor und nach der Intervention sowie sechs Monate später verschiedene neuropsychologische Tests ein, etwa den „Mini-Mental Status Test“ (MMST), die „Frontal Assessment Battery“ (FAB) oder den „Digit Symbol Substitution Test“ (DST).

Die Forscher konnten zeigen, dass sich die Lerntherapie positiv auf die kognitiven Leistungen der Senioren auswirkt und demenzielle Prozesse verzögert. Sie verbessert neben der mentalen Prozessgeschwindigkeit auch exekutive Funktionen, beispielsweise die Denkflexibilität. Die positiven Effekte lassen sich noch sechs Monate nach der Intervention nachweisen.

dawo

J Prev Med Public Health 2013; 46: 22–27

SMART AGEING INTERNATIONAL RESEARCH CENTER (SAIRC)

Das Altern erforschen

Das SAIRC entstand 2009 mit dem Ziel, Problemlösungen für die stark alternde japanische Gesellschaft zu entwickeln. Die Forschungsprojekte sind interdisziplinär und international ausgerichtet und folgen einem positiven Altersbild – dem sogenannten „Smart Ageing View“.

„SMART AGEING VIEW“

Positiv auf das Alter blicken

Zoom Image

http://www2.idac.tohoku.ac.jp/dep/sairc


#

Kraniomandibuläre Dysfunktion – Kieferbehandlung verbessert HWS-Beweglichkeit

Zoom Image
Abb.: ChuckSchugPhotography/istockphoto.com

Dass Kiefergelenk und HWS auch funktionell nahe beieinanderliegen, ist bekannt. Nun wollten die Physiotherapeuten Harry von Piekartz und Toby Hall herausfinden, inwiefern eine manuelle Therapie am Kiefergelenk Einfluss auf die Beweglichkeit der HWS hat.

Ihre Probanden waren Patienten, die seit wenigstens drei Monaten unter Kopfschmerzen mit zervikogener Komponente litten. Alle Teilnehmer mussten wenigstens eines von vier Zeichen einer Kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD) haben:

  • > Gelenkgeräusche

  • > Schmerzen bei passiver Mundöffnung

  • > Deviation des Unterkiefers bei aktiver Mundöffnung

  • > passive Mundöffnung > 53 mm

Die Patienten erhielten sechs manualtherapeutische Behandlungen à 30 Minuten – entweder an HWS und Kiefergelenk oder nur an der HWS. Outcome-Parameter waren die Beweglichkeit der HWS, das Ausmaß des Flexions-Rotations-Tests sowie eine palpatorische Untersuchung der oberen drei HWS-Segmente.

Am Ende der Intervention zeigte sich, dass sich das Bewegungsausmaß der Patienten, die an HWS und Kiefergelenk therapiert worden waren, signifikant gebessert hatte. Die Verbesserungen waren vor allem nach drei Monaten erkennbar, nach sechs Monaten hatte sich die Beweglichkeit nur noch unwesentlich verändert. Überraschend war, dass sich die Probanden, die die Therapeuten ausschließlich an der HWS behandelt hatten, hinsichtlich der Beweglichkeit zu keinem Messzeitpunkt signifikant verbessert hatten.

josc

Man Ther 2013; 18: 345–350


#

Aphasie – Kommunikationshilfen nutzen

Erwachsene mit erworbener Hirnschädigung können ihre Verständigungsmöglichkeiten erweitern, indem sie spezielle Kommunikationshilfen wie Buchstabentafeln, Spracherkennungssoftware oder Videophone nutzen. So lautet das Ergebnis einer Forschungsarbeit aus den Niederlanden.

Die Forscher recherchierten in den elektronischen Datenbanken CINAHL, Embase, PubMed, PsycINFO und ScienceDirect systematisch nach Artikeln aus den Jahren 2006–2012. Anschließend werteten sie 18 Studien aus, die den Nutzen und die Wirkung von physischen Kommunikationshilfen beleuchteten. Die Arbeiten verfügten hauptsächlich über deskriptive Designs und bezogen aphasische Patienten mit Demenz, Apoplexie, Lateralsklerose, Dysarthrie oder Epilepsie mit ein. Zum Einsatz kam ein breites Spektrum an Kommunikationshilfen: von Symbol- und Buchstabentafeln über Kommunikatoren und Multimediasysteme bis hin zu Spracherkennungssoftware, Roboterhunden und Videophone.

Das Ergebnis: Nutzen betroffene Patienten diese Elemente, können sie die Qualität ihrer Kommunikation verbessern und die therapeutische Beziehung intensivieren. Die erweiterten Ausdrucksmöglichkeiten führen zu einer größeren Zufriedenheit und wirken sich positiv auf ihre Lebensqualität, Selbstständigkeit und Teilhabe aus. Die Patienten profitieren von den Kommunikationshilfen vor allem in einem geräuscharmen, familiären Umfeld.

Saja

WtvE 2013; 3: 36–51


#

Stressinkontinenz – OP effektiver als Physiotherapie?

Frauen mit Stressinkontinenz haben Mühe, ihren Urin beim Niesen, Pressen und körperlicher Belastung zu halten. Als erste Intervention bei diesen Beschwerden kommt in der Regel Physiotherapie zum Einsatz. Allerdings schwanken die Angaben in Studien über den subjektiven Erfolg der Therapie von 53–97 % und die über den objektiven von 5–49 %. Bis zu 50 % der betroffenen Frauen unterziehen sich 3–15 Jahre nach der Physiotherapie einer OP. So stellt sich die Frage, ob alle Frauen mit mäßiger bis starker Stressinkontinenz zunächst Physiotherapie erhalten sollten oder ob man sie vielleicht besser gleich operiert.

Zoom Image
Abb.: kongkieat suraka/shutterstock.com

Um diese Frage zu beantworten, führten niederländische Wissenschaftler eine Studie mit 460 Frauen durch, die unter mäßiger oder schwerer Stressinkontinenz litten. Per Zufall verteilten sie die Probandinnen auf zwei Gruppen. Die Frauen der einen Gruppe bekamen neun Einheiten Physiotherapie, die sie innerhalb von 9–18 Wochen absolvierten. Die Therapie orientierte sich an den niederländischen Leitlinien und beinhaltete unter anderem Aufklärung über die Anatomie und Funktion des Beckenbodens sowie Anspannungstraining. Die restlichen Patientinnen erhielten eine minimalinvasive OP, bei der der Harnleiter mit einem Band stabilisiert wurde.

Die Ergebnisse: Nach zwölf Monaten hatten rund 90 % der Patientinnen in der OP-Gruppe subjektiv ein gutes Ergebnis, in der Physiotherapiegruppe waren es lediglich etwas mehr als die Hälfte. Nach objektiven Parametern lag das Verhältnis bei 76 % (OP-Gruppe) gegenüber knapp 60 % (Therapiegruppe). Laut der Autoren sollte daher bei diesen Patientinnen die OP auch als initiale Therapieoption in Erwägung gezogen werden.

josc

N Engl J Med 2013; 369: 1124–1133


#

Gonarthrose – Traktion hilft

Eine Traktion für das Kniegelenk – egal, ob kontinuierlich oder intermittierend – verbessert den Zustand von Menschen mit Gonarthrose. Das fanden türkische Wissenschaftler heraus.

Sie rekrutierten 98 Patienten mit einer radiologisch nachgewiesenen drittgradigen Gonarthrose und randomisierten sie in drei Gruppen. Alle Teilnehmer bekamen einen Wärmepack und Elektrotherapie. Eine Gruppe erhielt zusätzlich intermittierende Traktion, eine andere kontinuierliche Traktion. Der Zug wurde von einem speziellen Traktionsgerät über 15 Minuten appliziert: entweder jeweils fünf Sekunden mit 5 bzw. 15 kg oder permanent mit 15 kg.

Das Ergebnis: Die Patienten, die Traktion erhalten hatten, verbesserten sich hinsichtlich Schmerz und Funktion signifikant mehr als die Kontrollgruppe. Kontinuierliche und intermittierende Traktion unterschieden sich lediglich hinsichtlich der Kniegelenksteifigkeit – hier ging es den Patienten mit kontinuierlicher Therapie besser.

Zoom Image
Abb.: Markuso/shutterstock.com

josc

Clin Rehabil 2013; 27: 347–354

Kommentar

In der Einleitung von Studien finden sich immer mehr oder minder ausführliche Hintergrundinformationen: zum Krankheitsbild, das untersucht wird, den angewendeten Therapieformen und der „Legitimation“ für die Studie. Je nach Fragestellung der Studie ähneln sich diese Hintergrundinfos häufig so sehr, dass man sie teilweise als austauschbar bezeichnen könnte. Nicht so bei dieser. Hier taucht bei der „Legitimation“ ein Punkt auf, den ich beim Thema Kniegelenk und Traktion definitiv noch nie gelesen habe: „Fledermäuse leiden nicht an Gonarthrose, was darin begründet ist, dass sie überkopf hängen, wodurch bei ihnen die Disktraktionskräfte gegenüber den Kompressionskräften überwiegen.“ Ob das der Grund dafür ist, dass Traktion in dieser Studie so erfolgreich war, kann ich nicht beurteilen. Aber bemerkenswert ist diese Hypothese allemal!

Zoom Image

Joachim Schwarz


#
#
#
Zoom Image
Abb.: Mediaonela/istockphoto.com
Zoom Image
Zoom Image
Abb.: ChuckSchugPhotography/istockphoto.com
Zoom Image
Abb.: kongkieat suraka/shutterstock.com
Zoom Image
Abb.: Markuso/shutterstock.com
Zoom Image