Einleitung
Die Elektrochemotherapie wurde gegen Ende der 1980er-Jahre erstmalig in Frankreich als neue Behandlungsoption beschrieben [1]. Es konnte gezeigt werden, dass durch die Anlage eines elektrischen Spannungsfeldes eine kurzfristige Öffnung der Zellmembran (sog. Elektroporation) erfolgt, wodurch Zellen um ein Vielfaches durchlässiger für Moleküle werden, die ansonsten nicht oder nur in sehr geringem Maße in diese penetrieren können [2]
[3]
[4]. Die Elektrochemotherapie wurde zunächst im Rahmen von präklinischen Studien mit unterschiedlichen Chemotherapeutika an Hautmetastasen erprobt. Hierbei konnte eine bis zu 80-fache Steigerung der anti-tumoralen Wirkung für Cisplatin und eine bis zu 8000-fache Steigerung für Bleomycin nachgewiesen werden [3]
[5]
[6]. Im Anschluss daran wurde die Elektrochemotherapie mit Bleomycin dann erstmals im Jahr 1991 im Rahmen von klinischen Studien an Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der Kopf-Hals-Region durchgeführt. Hierbei zeigten sich Ansprechraten von bis zu 72 % und eine komplette Rückbildung bei mehr als der Hälfte der Tumore [5]. Weitere Folgestudien untersuchten den Einsatz der Elektrochemotherapie bei einer Vielzahl unterschiedlicher Hauttumore und kutaner Metastasen wie Plattenepithelkarzinom der Haut, malignem Melanom ([Abb. 1] und [Abb. 2]) oder kutane Metastasen bei Mammakarzinom [2]. Um den Einsatz der Elektrochemotherapie mit Bleomycin oder Cisplatin bei kutanen und subkutanen Malignom-Metastasen zu standardisieren, wurde 2003 eine internationale Studie (European Standard Operating Procedures of the Electrochemotherapy, ESOPE) durchgeführt und ein einheitliches Behandlungsprotokoll festgelegt [7]. Im Jahre 2008 wurde die Elektrochemotherapie auch in Deutschland eingeführt und wird seither zunehmend als wirkungsvolle und nebenwirkungsarme Behandlungsoption bei kutanen und subkutanen Hautmetastasen verschiedenster Tumorentitäten eingesetzt.
Abb. 1 Ausgedehnte, flächig imponierende kutane Metastasierung des rechten Unterschenkels bei malignem Melanom.
Abb. 2 Deutliche Reduktion der Tumorknoten und Reduktion des tumorbedingten Ödems nach Elektrochemotherapie.
Wirkprinzip der Elektrochemotherapie
Wirkprinzip der Elektrochemotherapie
Mit Hilfe speziell für die Elektrochemotherapie entwickelter Elektroden wird ein elektrisches Feld im Tumorgewebe erzeugt. Hierbei kommt es zu einer vorübergehenden Entwicklung von sogenannten Elektroporen, durch die die Zellmembran um ein Vielfaches durchgängiger für sonst nur schwer oder nicht permeable Moleküle gemacht wird ([Abb. 3]). Zu solchen Molekülen zählen bestimmte Chemotherapeutika wie insbesondere Bleomycin und Cisplatin, die durch diese Poren in erhöhtem Maße in die Tumorzellen penetrieren können [8]
[9]. Über diesen Mechanismus kann im Vergleich zu einer klassischen Chemotherapie mit einer deutlich geringeren Dosierung eine vielfach höhere Wirkung im Tumorgewebe erzielt werden. Für andere Zytostatika wie Doxorubicin, Adriamycin, Melphalan, Methotrexat, Paclitaxel, Vinblasin, Vincristin, 5-Fluorouracil oder Mitomycin C konnte nach Elektroporation in vitro jedoch keine erhöhte Penetration nachgewiesen werden [3]. Als weiterer Effekt der Elektrochemotherapie kommt es zu einer kurzfristigen Reduktion des Blutflusses im Behandlungsareal, die nach der Applikation des elektrischen Impulses bis zu 24 Stunden fortbestehen kann. Somit verbleibt das verwendete Zytostatikum länger am Applikationsort und kann entsprechend länger seine Wirkung entfalten. Weiterhin kommt es im Zuge der verminderten Durchblutung zu einer tumoralen Hypoxie, was wiederum zum Untergang von Tumorzellen führt [10]
[11]. Die Zerstörung der Tumorzellen mit nachfolgender Freisetzung von Tumorantigenen führt zudem zu einer breiten Immunstimulation, die das Gesamtansprechen der Elektrochemotherapie weiter erhöht [2].
Abb. 3 Schematische Darstellung der Elektroporation. Phase 1: Injektion des Zytostatikums (intravenös oder intraläsional). Phase 2: Elektroporation: Das Chemotherapeutikum gelangt in die Tumorzelle (bis zu 10 000-fach höher konzentriert als bei konventioneller intravenöser Gabe). Phase 3: Reversible Poration: Die Zellmembran schließt sich, das Chemotherapeutikum beginnt zu wirken (Quelle: IGEA GmbH, Clinical Biophysics, Frankfurt am Main).
Durchführung der Elektrochemotherapie
Durchführung der Elektrochemotherapie
Die Elektrochemotherapie wird entsprechend dem oben erwähnen Behandlungsprotokoll der ESOPE durchgeführt [7]. Der Eingriff findet in aller Regel in kurzer Intubationsnarkose statt. Bei weniger schwer ausgeprägten Befunden oder Kontraindikationen gegen eine Vollnarkose ist auch der Einsatz in Tumeszenzanästhesie möglich. Primär werden als Chemotherapeutika Bleomycin und Cisplatin verwendet. Bei Einsatz von Bleomycin ist neben einer intravenösen Gabe auch die intraläsionale Applikation möglich. Die Dosierung der Medikation hängt bei der intraläsionalen Applikation vom Tumorvolumen, bei der systemischen Applikation von der Körperoberfläche des Patienten ab. Nach Gabe der Chemotherapie wird in einem Zeitraum von einer Minute nach intraläsionaler bzw. etwa acht Minuten nach intravenöser Gabe die Elektroporation begonnen. Die elektrischen Impulse können je nach Größe und Form des Tumors mittels verschiedener Arten von Elektroden (hexagonal oder linear) verabreicht werden. Diese dringen etwa ein bis drei Zentimeter tief in das Tumorgewebe ein. Die komplette Behandlung sollte innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters von etwa 25 Minuten abgeschlossen sein, da es nachfolgend zu einem kontinuierlichen Wirkungsverlust kommt. Bei sehr ausgedehnten Tumorknoten, Rezidiven oder unvollständiger Rückbildung der Tumore nach Durchführung der Elektrochemotherapie sind weitere Folgesitzungen möglich.
Primäre Indikationen der Elektrochemotherapie
Primäre Indikationen der Elektrochemotherapie
Die Elektrochemotherapie kann prinzipiell bei allen kutanen oder subkutanen Metastasen in Erwägung gezogen werden, die aufgrund der Ausdehnung, Lokalisation oder Vortherapie operativ nicht oder nur schwer behandelt werden können und/oder bei denen systemische Chemotherapien bzw. Bestrahlungstherapien unwirksam waren oder für den Patienten zu belastend sind. Das primäre Einsatzgebiet der Elektrochemotherapie liegt aktuell vor allem in der Therapie von kutanen und subkutanen Melanom- und Mammakarzinom-Metastasen [12]. In zahlreichen Studien und Berichten konnte aber bereits die Wirksamkeit für diverse andere Tumorentitäten aufgezeigt werden. Dazu zählen unter anderem Plattenepithelkarzinome der Haut, Kopf-Hals-Karzinome (z. B. Oro- und Hypopharynxkarzinome), urogenitale Karzinome, kutane Lymphome ([Abb. 4] und [Abb. 5]), Merkelzellkarzinome, Angiosarkome, Kaposi-Sarkome, Speicheldrüsenkarzinome und Sarkome [13].
Abb. 4 Multipel vorbehandeltes kutanes T-Zell-Lymphom vom Typ der Mycosis fungoides im Tumorstadium im Bereich des linken Unterarmes.
Abb. 5 Komplette Abheilung aller Tumorknoten nach Elektrochemotherapie.
Erweiterte Indikationen der Elektrochemotherapie
Erweiterte Indikationen der Elektrochemotherapie
In präklinischen Studien führte die lokale Anwendung von Interleukin-2 zu gesteigerten Remissionsraten, sodass in der Zukunft die Kombination der Elektrochemotherapie mit entsprechenden Immuntherapien denkbar ist [14]
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[17]
[18]. Neben der Kombination mit Immuntherapien sind auch Indikationserweiterungen auf viszerale Tumore und Metastasen wie zum Beispiel Leberfiliae, Hirnfiliae und Knochenmetastasen Gegenstand aktueller Forschung [19]
[20]. Ebenso sind aktuell verschiedene alternative Applikationssonden in Erprobung. Dazu gehört zum einen die sogenannte „long needle“, welche bei Leber- und Knochenmetastasen sowie Weichteilsarkomen erprobt wird [21]. Sinnvoll könnte zudem die Anwendung bei inoperablen hepatozellulären Karzinomen und Cholangiokarzinomen sein [3]. In Irland wurde eine endoluminale Elektrode bei kolorektalen, gastralen und ösophagealen Tumoren erfolgreich angewendet [21]. In Dänemark findet die sogenannte expandierbare, schirmartige (sog. „umbrella“ type) Sonde bei Hirntumoren Anwendung. Diese kann in das Tumorareal eingebracht werden, ohne dass eine Kraniotomie durchgeführt werden muss [22]. Aktuell wird vor allem die Sicherheit von viszeral oder intrakraniell applizierten Sonden geprüft. Auch die Wechselwirkungen der elektrischen Ströme mit dem Reizleitungssystem des Herzmuskels sind bei anatomischer Nähe (z. B. Brustwandtumore) zu beachten. Eine mögliche Option ist die Synchronisation der elektrischen Impulse mit der elektrischen Aktivität des Herzmuskels, sodass Erregungen während der vulnerablen Phase des Erregungszykluses ausgeschlossen werden [23]
[24].
Mögliche Nebenwirkungen unter Elektrochemotherapie
Mögliche Nebenwirkungen unter Elektrochemotherapie
Die häufigsten Nebenwirkungen unter einer Elektrochemotherapie sind muskelkaterartige Beschwerden, die durch die unwillkürlichen Muskelkontraktionen unter der Impulsabgabe hervorgerufen werden [25]. Derartige Muskelschmerzen sind jedoch unter einer entsprechenden Analgesie sehr gut beherrschbar. Des Weiteren kommt es, abgesehen von den sichtbaren Elektroden-Einstichstellen, gehäuft zu Lokalreaktionen in Form von Rötung, Juckreiz, Schwellung, Blasenbildung und Brennen sowie möglicherweise zu Pigmentveränderungen und überschießender Narbenbildung. Auch die Entstehung oberflächlicher bis tiefer Nekrosen im Bereich der behandelten Tumorherde kann auftreten. Derartige Nebenwirkungen weisen jedoch auf ein gutes Therapieansprechen hin und lassen sich unter konsequenter Lokaltherapie zur Abheilung bringen. Da die Elektrochemotherapie ihre Wirkung vor allem auf schnell proliferierende Krebszellen ausübt, sind Nebenwirkungen im Bereich des umgebenden gesunden Gewebes meist nur gering ausgeprägt. Weitere mögliche Nebenwirkungen treten unabhängig von der Elektroporation auf und sind auf das herkömmliche Nebenwirkungsprofil der Chemotherapeutika zurückzuführen. Dazu zählen in seltenen Fällen Fieber, Nausea und Emesis sowie Arthralgien und Myalgien. Ferner können Mukositis, Alopezie und Nagelwachstumsstörungen auftreten. Über einer Gesamtdosis von 300 mg Bleomycin kann es zudem zur Lungenfibrose kommen. Eine nicht seltene, Bleomycin-typische kutane Nebenwirkung ist die Flagellanten-Dermatitis. Diese Chemotherapie-bedingten Nebenwirkungen treten aufgrund der nur geringen Dosierung bei der Elektrochemotherapie in einem deutlich geringeren Anteil als bei einer herkömmlichen Chemotherapie auf.
Anwendungsbeschränkung/Kontraindikationen für die Elektrochemotherapie
Anwendungsbeschränkung/Kontraindikationen für die Elektrochemotherapie
Die im Rahmen der Elektrochemotherapie abgegebenen elektrischen Impulse können bei Patienten mit implantierten Schrittmachern zu Fehlfunktionen und Gewebeschädigungen führen. Weiterhin ist das Einbringen der Elektroden im Bereich implantierter Portsysteme gefährlich, da dies eine Verletzungen von Gefäßen oder des Katheters bedingen kann.
Ausblick
Die derzeitige Indikation zum Einsatz der Elektrochemotherapie umfasst Patienten in palliativer Gesamtsituation oder inoperable Tumore, die durch die Anwendung anderer Verfahren nicht lokal kontrolliert werden konnten. Die aktuelle klinische Forschung erprobt die Erweiterung der Elektrochemotherapie auf viszerale und tiefer liegende inoperable Tumore [26]
[27]. Ob und bei welchen Tumoren die Elektrochemotherapie in Zukunft auch als Verfahren bei kurativer Zielsetzung Anwendung findet und mit anderen Verfahren wie der Radiofrequenzablation oder Chirurgie konkurrieren kann, bleibt unklar. Hierzu fehlen bis dato noch kontrollierte klinische Studien.
Fazit
Die Elektrochemotherapie bietet in Fällen ausgedehnter Hautmetastasen verschiedener solider Tumoren sowie primär kutaner Neoplasien eine hocheffektive, nebenwirkungsarme Behandlungsoption, welche wiederholt auch in vorbehandelten Arealen und ohne wesentliche Einschränkungen im Hinblick auf Anzahl und Lage der Metastasen eingesetzt werden kann. Durch die Reduktion der Tumormasse sowie Minderung von Blutungen und Exsudation kann eine deutliche Besserung der Lebensqualität für die betroffenen Patienten erzielt werden. Der Erfolg der Elektrochemotherapie gibt aktuell Anlass für die Überprüfung der Indikationserweiterung auf viszerale Tumore, Knochenmetastasen und sogar Hirntumore.