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DOI: 10.1055/s-0034-1366537
Das „Erlanger System“ der offenen Fürsorge: Eine Würdigung Gustav Kolbs (1870–1938)
The “Erlangen System” of Open Care: A Tribute to Gustav Kolb (1870–1938)Publication History
13 August 2013
23 April 2014
Publication Date:
11 July 2014 (online)
Zusammenfassung
Hintergrund: Zum achtzigsten Male jährt sich der erzwungene Rücktritt (1.3.1934) Gustav Kolbs (1870 – 1938). Er gilt als Begründer des „Erlanger Systems“ der offenen Fürsorge. Der nachfolgende Artikel soll Gustav Kolbs „Lebenswerk“ würdigen durch Aufzeigen des Aufbaus, der Blütezeit sowie des Niedergangs seines „Erlanger Systems“ im zeitgeschichtlichen Kontext.
Methode: Relevantes archivarisches Material sowie Sekundärliteratur wurden ausgewertet.
Ergebnisse: An der psychiatrischen Anstalt in Erlangen führte Gustav Kolb als Direktor (1911 – 1934) ab 1914 die Unterbringung psychisch Kranker in ihrer eigenen Familie ein. 1930 unterstanden in einem Fürsorgegebiet von circa 3200 Quadratkilometer 4200 Menschen der insgesamt 770 000 Anwohner der offenen Fürsorge. Das „Erlanger System“ stellte die größte Organisation dieser Art in Deutschland dar. Kolb vertrat zwar eugenische Leitgedanken, widersetzte sich jedoch der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik. Er zog sich 1933 beruflich zurück und verstarb fünf Jahre später.
Diskussion: Im Spannungsfeld der offenen Fürsorge zwischen Hilfsinstitution für und Kontrollinstanz über psychisch kranke Menschen gab es in der Weimarer Zeit noch eine relativ ausgewogene Balance. Später bot Gustav Kolbs organisatorische Gründlichkeit mit dem Anlegen einer Zentralkartei der Erlanger Außenfürsorge reichlich erbbiologisches Informationsmaterial. Tragischerweise wurde dies im Rahmen der Durchführung des nationalsozialistischen Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (14.7.1933) als wichtige Hinweisquelle missbraucht. Mehrere Aspekte trugen dazu bei, dass Kolbs freiheitliches System zu einem Erfassungsinstrument der Nationalsozialisten zweckentfremdet werden konnte.
Schlussbemerkung: Vereinzelte Bemühungen, nach 1945 erneut offene Fürsorge-Einrichtungen zu etablieren, wurden nicht umgesetzt. Erst im Rahmen der sozialpsychiatrischen Bewegung in den 68ern erlebte Kolbs Konzept eine damals unbenannte und unerkannte Renaissance.
Abstract
Background: This year marks the 80th anniversary of the forced retirement (1st March 1934) of Gustav Kolb (1870 – 1938). He is considered the founder of the “Erlangen System” of open care. The following article pays tribute to Gustav Kolb’s “life’s work”, by delineating the formation, active period and the fall of his “Erlangen system” in its historical context.
Method: Relevant archive materials and secondary literature were assessed.
Results: Beginning in 1914, Gustav Kolb, as Director of the Mental Asylum in Erlangen (1911 – 1934) introduced the care of the emotionally ill in their own families. In 1930, 4200 of the 770 000 residents in a catchment area covering about 3200 square kilometers were being treated in open care. The “Erlangen system” was the largest organisation of its kind in Germany. Although Gustav Kolb was inspired by eugenic ideas, he opposed the national-socialist health politics. Kolb withdrew professionally in 1933 and died five years later.
Discussion: The situation in the tense area of open care between helping institutions for and controlling bodies over emotionally ill people was relatively balanced in the Weimar Republic. Later, Gustav Kolb’s organisational thoroughness, with its creation of a central register of people under open care in the Erlangen system, provided considerable biogenetic information. Tragically, this was abused as an important source in carrying out the national-socialist law for prevention of genetically-impaired offspring (14.7.1933). Several aspects contributed to the misfortune that Kolb’s liberal system could be distorted to a recording instrument by the National Socialists.
Final Comment: Individual efforts to reestablish open care facilities after 1945 were not implemented. It was not until during the socio-psychiatric movement of the 1960 s that Kolb’s concept could achieve a renaissance, although it was unnamed and unrecognised at the time.
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