Die Zeitschrift „Aktuelle Dermatologie“ hat mit Beginn des Jahres 2004 diese Rubrik
neu geöffnet, um in loser Folge kurze, prägnante und informative Artikel zu publizieren
zu vielen Aspekten der Kulturgeschichte in Beziehung zur Haut. Dies erstreckt sich
auf alle Kulturen und Zeiten, auf die Künste, auf Mythen und Psychologie und natürlich
auch auf medizinische Aspekte.
Unsere Hoffnung, dem geneigten Leser Interessantes zu bieten, den Blick zu weiten
und Freude zu bereiten, hat sich auf das Trefflichste bewährt. Reichlich Zusprüche,
Kommentare, Vorschläge und active Teilnahme haben uns erreicht und erfreut. Dies möge
weiter so gehen. Und so werden auch wir fleißig bemüht bleiben, Sie zu erbauen mit
unserer kleinen Kulturgeschichte der Haut.
Die Sonne spendet Licht und Wärme und sie ist die wesentliche Energiequelle für die
Biosphäre unserer Erde. Dies wurde in allen Kulturen und antiken Religionen erfasst.
Ihr kommt auch ein gewichtiger Symbolwert zu. Neben dem Symbol des Lebens an sich,
ist sie auch ein ganz frühes Symbol für Richtung, für die Ausrichtung in der geordneten
Welt, denn sie geht im Osten auf und im Westen unter. „Wegweiser“ wurde sie genannt.
Die Sonne ist aber auch ein Symbol des Rhythmus, da sie den Takt von Tag und Nacht
angibt als „Teiler der Zeit“.
Die Sonne ist ein männliches Symbol und wird verkörpert, als ein Held, der unermüdlich
und immer wieder gegen die Finsternis ankämpft. In den frühen polytheistischen Religionen
mit Naturgöttern nimmt sie als Obergottheit eine besondere Stellung ein und stellt
ein Leitsymbol patriarchalischer Religionsphasen dar. Diese entsprachen den Sozialstrukturen
der sesshaften Siedler, die als Pflanzer, Sammler und Jäger zwar ausziehen, immer
aber wieder an ihren Stammplatz zurückkehren [1].
Die Sonnenreligionen haben die noch älteren Religionen matriarchalischer Ausrichtung
mit der Muttergöttin Erde oder der ebenfalls weiblichen Mondgöttin abgelöst. Und sie
sind wiederum abgelöst worden von Religionen mit einer Vielzahl von Göttern mit teils
menschlichen, teils idealisierten Eigenschaften, wie die olympische Götterwelt Griechenlands
oder diejenige im alten Rom. So ist Helios als Sohn des Titanen Hyperion nicht von
Zeus’ Geschlecht, welches dasjenige der Titanen beherrschte und ablöste.
Die Sonne ist ein Symbol des aktiven, gegen die Finsternis kämpfenden Menschen, der
im Gegensatz zu den Nomaden, an seinen Sitz zurückkehrt. Sie verkörpert das Besondere
der Wiederkehr, welche die Sesshaftigkeit der Völker und ihrer Götter ausmacht. Am
Morgen geht die Sonne im Osten auf, eine Geburt symbolisierend, und sie wandert ständig
kämpfend über das Firmament, wird von Tieren auf einem Wagen gezogen, um am Abend
im Westen unterzugehen. Damit wird Vergänglichkeit und Tod symbolisiert. In vielen
Religionen wird die Sonne am Abend im Westen von einem großen Tier gefressen. Sie
durchwandert während der Nacht die Unterwelt, das Jenseits oder ein Schattenreich,
um am Morgen im Osten angelangt wieder aufzugehen. Dies bedeute Wiedergeburt, Neugeburt
oder „Auferstehung“. Der rhythmische Sonnenlauf über den Tag und die Nacht wird in
allen Religionen ähnlich geschildert und erscheint auch im Alten Testament der Bibel,
wenn David im Psalm 19 singt: „Dort hat er der Sonne ein Zelt gesetzt, und sie, wie
ein Bräutigam geht sie hervor aus ihrer Kammer, läuft freudig wie ein Held die Bahn.
Sie geht auf an einem Ende des Himmels und geht um bis wieder an das Ende, nichts
bleibt vor ihrer Glut verschont“. [2]
Der Sonnenlauf hat aber noch andere Besonderheiten von großer Symbolkraft und Bedeutung:
die Finsternisse. Die Sonnenreligionen haben in diesen die Begegnung von Sonne und
Mond, also das Aufeinanderprallen des patriarchalischen mit dem matriarchalischen
Prinzip gesehen. Dies kann einerseits eine fruchtbare Begegnung sein und die Befruchtung
oder die Begattung symbolisieren, andererseits aber auch die Dominanz der Sonnenreligionen
darstellen. Es kommt zur Verschmelzung oder Beherrschung der früheren matriarchalischen
Religionen, was für Letztere das Beherrschtwerden, das Aufgefressenwerden und somit
eine Katastrophe bedeutet.
Nur einmal ist es im alten Ägypten von 1364 – 1348 v. Chr. zur kurzen Phase einer
monotheistischen Sonnenreligion gekommen. Der frühere Sonnengott RA, einer von vielen
Göttern, ist wie alle anderen abgelöst worden durch den alleinigen und einzigen Sonnengott
Aton (Lichtberg), der von seinem Priesterkönig Echnaton (Sohn des Aton) verkündet
und verehrt wurde ([Abb. 1]). Ruinen, Symbole und Darstellungen sind in der Amarna-Kultur überliefert.
Abb. 1 Amarna-Kultur in Ägypten (1364 – 1348 v. Chr.). Menschen und Pflanzen empfangen die
Leben spendenden Sonnenstrahlen und der Priester-König Echnaton huldigt dem allein
herrschenden Sonnengott Aton.
In den monotheistischen Erlöserreligionen, im Judentum und besonders im Christentum,
ist die Sonne als Besonderheit nicht verloren gegangen. Sie stellt keinen eigenständigen
Gott mehr dar. Vielmehr wird sie von dem unpersönlichen, nicht sichtbaren und zeitlosen
Gott abgelöst und sie ist, wie fast alles, was das Christentum von früheren Religionen
übernommen hat, in seinen Dienst genommen und zum Lobe Gottes eingesetzt worden. Im
Jahre 311 n. Chr. wurde das Christentum von Kaiser Konstantin I d. Gr. (280 – 337
n. Chr.), der wohl unter dem Einfluss des väterlichen Sonnenkultes im Jahre 310 eine
„Sol-Apollo-Vision“ hatte, toleriert und am Konzil von Nizäa 325 als Staatsreligion
im römischen Reich eingesetzt. Die „allein selig machende“ christliche Kirche etabliert
sich mit dem Papst in der Nachfolge Petri in Rom und strebt, getragen vom Missionsauftrag,
nach globaler Dominanz. Damit wird die Erde zum „auserwählten“ Planeten, zum Mittelpunkt
der damaligen Welt, um welchen sich die Gestirne und auch die Sonne (geozentrisches
System), zu drehen haben.
Die Sonne wird denn auch im Mittelalter wiederholt in den Dienst der Lobpreisung Gottes
gestellt. Franziskus von Assisi, der Gründer des Franziskaner-Ordens, besingt 1224
in seinem Sonnengesang (Cantioco di Frate Sole) den Bruder Sonne und die Schwester Mond und beschwört beide, ihn in der Lobpreisung
Gottes zu unterstützen. Ähnliches hat der Dominikaner-Mönch Tommaso Campanella 1602
ausgedrückt, als er im Gefängnis seinen utopischen Roman „Cittá del Sole“ schrieb und einen idealisierten Sonnenstaat beschrieb.
Im seinem Todesjahr veröffentlicht Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543) auf Grund von
Beobachtungen und Messungen ein „heliozentrisches“ Weltsystem, welches das geozentrische
ptolemäische System ablöste (Kopernikanische Wende). Allerdings wurde die Arbeit zunächst
als Denkmodell abgetan, bis 1632 Galileo Galilei (1564 – 1642) in seiner berühmten
Schrift „Dialog über die beiden Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische“ der heliozentrischen Ansicht zum Durchbruch verhalf. Ursprünglich genehmigt, wurde
das Werk noch im selben Jahr von der katholischen Kirche wieder verboten und Galilei
von der Inquisition 1633 zum Widerruf gezwungen. Doch war die Astronomie und die Erforschung
des Sonnensystems nicht mehr aufzuhalten, obschon die katholische Kirche noch bis
zum ersten Drittel des 18. Jahrhunderts brauchte, um die naturwissenschaftlichen Tatsachen
zu akzeptieren.
Am Übergang zur Neuzeit dient die Sonne noch als Symbol des Absolutismus zur Rechtfertigung
der Herrscher (Ludwig XIV. als Sonnenkönig) und dieselbe Sonne wird von der Internationalen
Arbeiterbewegung als Leitbild und Symbol bemüht, wenn gesungen wird: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder, zum Lichte empor“. Noch immer aber spendet die Sonne Licht und Wärme und ist die wesentliche Energiequelle
für unsere Erde.
Die moderne Wissenschaft bringt es an den Tag. Das Universum entstand vor 15 Milliarden
Jahren, das Sonnensystem vor 5 Milliarden und unsere Erde dann vor 4,5 Milliarden
Jahren. Erste Lebensformen darauf entstanden vor 3,5 Milliarden Jahren und die Darwin’sche
Evolution hatte diese ganze Zeitspanne zur Verfügung zur Artenentwicklung mit der
enormen Vielfalt und hin bis zum Menschen, dem Homo sapiens sapiens, wie wir uns selbstbewusst
nennen. Und nun geht es wieder los, in den USA, speziell in Pennsylvania, wo christliche
Fundamentalisten gegen die Evolutionstheorie Sturm laufen und für eine wörtliche Auslegung
der biblischen Schöpfungsgeschichte plädieren, die vor gerade mal 6000 Jahre ihren
Anfang genommen habe. Der Versuch einer gerichtlichen Klärung erinnert in fataler
Weise an die Inquisitionsbemühung zu Galilei’s Zeiten [3]. „Und sie bewegt sich doch!“, legen die Literaten ihm in den Mund, und sie strahlt
schon 5 Milliarden Jahre, unsere Sonne, sei angefügt.
Eine neue Bedeutung erfährt die Sonne seit 150 Jahren. Befreit von religiösen Inhalten
und ritueller Symbolik steht der Sonnengenuss für eine individuelle, selbst bestimmte
Lebensgestaltung die zuweilen kultischen, ja revolutionären Charakter annimmt. Der
Aufenthalt in frischer Luft und an der Sonne, Sonnenexposition und Sonnengenuss, werden
Ausdruck von Selbstbestimmung, von Gesundheit und Schönheit, und stehen auch für persönliche
Dynamik und Freizeit. Sonnenbaden und gebräunte Haut sind wieder in!
Sonnenfanatiker beschreiben besondere Formen von Sonnenkult. So Arnold Rikli (1823 – 1906),
der im Jahre 1855 im damaligen Veldes im österreichischen Oberkrain (jetzt Bled in
Slowenien) ein Sanatorium für kombinierte Sonnen- und Dampfbad-Therapie einrichtete.
Biologen und Ärzte entdeckten die Effekte der Sonne zur Gesunderhaltung und zur Therapie
von Hautkrankheiten, zur Prophylaxe der Rachitis sowie zur Unterstützung bei chronischen
Infektionen. Die Heliotherapie wurde als Teil der Klimabehandlung im Hochgebirge und
auf den küstennahen Inseln etabliert. 1903 erhielt der dänische Arzt Nils Riedberg
Finsen (1860 – 1904) für die Lichtbehandlung der Hauttuberkulose (Lupus vulgaris)
den Nobelpreis für Medizin. Die Photodermatologie entwickelt sich aus der Lichtbiologie
heraus. Die natürliche Globalstrahlung und deren Imitation durch künstliche Lichtquellen
sowie die Selektion besonders wirksamer Spektralbereiche und deren Kombination mit
anderen Therapien und Verfahren führen zur dermatologischen Phototherapie und ihren
gewaltigen Erfolgen [4].
Der unkontrollierte und unmäßige Sonnengenuss erfolgt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts
in der gewonnenen Freizeit und Freizügigkeit, mächtig gedrängt im Urlaub, und ergreift
fast suchtartig große Teile der hellhäutigen Bevölkerung. Das „Alarmsignal“ des Sonnenbrandes
wird erstaunlich gering eingeschätzt und nur ungenügend berücksichtigt ([Abb. 2]). Und mit Latenzzeiten von ein bis zwei Jahrzehnten haben wir die Bescherung: Der
moderne fast fanatische Sonnenkult führt zur enormen Zunahme von lichtinduzierten
Hautkarzinomen und zur vorzeitigen Hautalterung.
Abb. 2 Generalisierter Sonnenbrand (Lichtentzündung) 24 h nach übermäßiger Sonnenexposition.
Ein oft nicht verstandenes Warnzeichen für die Überdosierung.
Die allermeisten Hautkarzinome erweisen sich als teilweise oder massiv Licht induziert und ihre Inzidenz hat sich
in den vergangenen Jahrzehnten jeweils verdoppelt. Gegenwärtig werden jährlich an
die 200 Patienten mit neu auftretenden Basaliomen und 30 mit neuen Spinaliomen pro
100 000 Menschen gefunden und zudem jährlich 10 – 20 neue Melanome. Und ein Ende dieser
Explosion ist noch keineswegs abzusehen. Therapie, Früherfassung und Prophylaxe sind
vordringliche Programme, doch ist es sehr schwierig, den Sonnenhunger zu dämpfen und
ein vernünftiges, also schadensarmes Sonnenverhalten der Bevölkerung zu erwirken.
Und die vorzeitige Hautalterung ist sichtbar und beeinträchtigt das Schönheitsbewusstsein massiv. Vergröberung der
Hautstruktur, Fältchen und grobe Falten, plumpe Mimik sowie Verfärbungen und trockene
Schuppung sind unverkennbar, auffällig und werden als hässlich, ja diskriminierend
empfunden ([Abb. 3]). Dies schreckt erstaunlicherweise kaum vor Sonnengenuss ab, induziert aber eine
Fülle von kosmetischen und invasiven Maßnahmen mit dem Ziel der Behandlung oder mindestens
der Eindämmung der vorgezogenen und bizarr gestalteten Alterung der Haut. Anti-Aging ist das Schlagwort und betrifft auch alle anderen Organe des Körpers, auch das zentrale
Nervensystem. Nun aber gehen die lichtbedingte Alterung der Haut, die schadensbedingte
Abnützung der Organe und auch die neurodegenerativen Vorgänge alle mit entzündlichen
Reaktionen einher und führen, teilweise wenigstens, zu vermehrt und vorzeitig auftretenden
Tumoren. Es ist nicht unerwartet, dass moderne antientzündliche Wirkstoffe (Prostaglandin-Antagonisten
vom Typ der magenfreundlichen COX-2-Hemmer) sog. Anti-Aging-Effekte aufweisen oder
wenigstens prophylaktische Wirkung zugesprochen bekommen. Allerdings ist der aufkommende
Enthusiasmus, solche Stoffe bald als Medikamente einführen zu können, durch das gehäufte
Auftreten von kardiovaskulären Zwischenfällen während der ausgedehnten klinischen
Prüfungen kräftig gedämpft worden. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, oder wenigstens
zur Zeit noch nicht. Nach wie vor gilt die Schadensmeidung, also kontrolliertes, gedrosseltes
Sonnenverhalten, gesunde Kost, vernünftige Lebensführung als effektives und schadensfreies
„Anti-Aging“. Und Gedächtnis-Training zur Alzheimer-Prophylaxe ist auch Anti-Aging.
Abb. 3 Vorzeitige und lichtbedingte, bizarre Alterung der Haut: grobe Faltung am Handrücken
und Fleckung des Unterarms.