pferde spiegel 2014; 17(2): 88-90
DOI: 10.1055/s-0034-1368440
unternehmer tierarzt
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Sportmedizin vs. alternative manuelle Behandlungsmethoden – wer macht was?

Kai Kreling
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Dr. Kai Kreling
Tierärztliche Klinik Binger Wald
Zum Berkwerk 1
55425 Waldalgesheim

Publication History

Publication Date:
16 June 2014 (online)

 

Die Pferdemedizin wird heute nicht alleine vom Tierarzt bestimmt. Mehr denn je sind andere Berufsgruppen in die medizinische Versorgung unserer Pferde integriert. Umso wichtiger, dass der Pferdetierarzt weiß, was die verschiedenen Manualtherapeuten leisten und wie sie in die Therapie einbezogen werden können.

Der Verbraucher, in diesem Fall der Pferdebesitzer, wird durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen in Presse und Internet, allerdings auch durch wenig differenzierte Aussagen der Beteiligten verunsichert. Speziell wenn es um die Frage und vor allem Diagnostik des „lahmen Pferdes“ geht, werden vom Pferdebesitzer gerne unterschiedliche Berufsgruppen mit einbezogen. Dies führt dazu, dass ein lahmes Pferd von Physiotherapeuten, Osteopathen und Chiropraktikern behandelt wurde, bevor es beim Tierarzt vorgestellt wird. Doch wieso in dieser Behandlungsreihenfolge und inwieweit macht dies sachlich-fachlich wirklich Sinn?

Wir Pferdepraktiker müssen uns die Frage stellen, aus welchem Grunde der Pferdebesitzer so vorgeht. Es gibt immer wieder „Trends“, auch in der Medizin, die eine Vorgehensweise beeinflussen. Das alleine reicht aber nicht aus, um die aktuelle Situation ausreichend zu erklären.

Ein Blick über den Tellerrand

Im der Humanmedizin ist die Situation ähnlich. Die Tätigkeit der manuellen Therapie ist dort in der Zeit von 1999–2011 um ca. 50 % angestiegen. Hier wird zum Beispiel die Physiotherapie als Hilfsberuf zur Medizin definiert. Das heißt, dass der Physiotherapeut nach Anweisung des Arztes tätig wird und das Ergebnis ist unter dem Strich sicher sehr gut. Der Arzt, in den meisten Fällen ein Orthopäde oder Sportmediziner, stellt die Diagnose, definiert den Primärschmerz, führt eine Behandlung durch und verweist mit einer entsprechenden Behandlungsempfehlung an den Physiotherapeuten oder Osteopathen. Das heißt, dass der Arzt federführend entsprechend seiner Ausbildung das Krankheits- oder auch das Fitnessgeschehen des Patienten lenkt.

Die Voraussetzung ist, dass der Arzt die Leistungen des Physiotherapeuten bzw. Osteopathen kennt und in Kooperation den Behandlungserfolg überprüft. Nicht nur der orthopädisch Kranke, sondern vor allem der gesunde Sportler wird von seinem Sportmediziner begleitet und der Physiotherapeut ist nach Weisung des Arztes für die begleitende Rekonvaleszenz oder die Erhaltung der Fitness zuständig. In dieser Kooperation funktioniert das System in der Humanmedizin und vor allem in der Sportmedizin sicher sehr effizient. Speziell die Sportmedizin mit einem hohen Anteil an prophylaktischen Maßnahmen zur Fitness unseres Sportlers „Pferd“ lässt viele Parallelen zu.

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© Peter Ettl. Aus: Ettl R. Manuelle Pferdetherapie. Sonntag Verlag; 2013

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Manuelle Behandlungsmethoden in der Pferdemedizin

Eine professionelle Zusammenarbeit hängt davon ab, dass sich alle Beteiligten respektvoll auf Augenhöhe begegnen. Jeder muss vom anderen wissen, welche Aufgaben in sein Fachgebiet gehören. Dazu muss jeder Pferdetierarzt wissen, was Physiotherapeut, Osteopath oder Chiropraktiker leisten können.

Physiotherapie

Physiotherapie (physis = Natur, therapeia = das Dienen, Pflege des Kranken) = Bewegungstherapie und physikalische Therapie = Gesundheitshilfsberuf (im Humanbereich)

Die Grundgedanken der Physiotherapie sind die Verbesserung der Körperfunktionen durch

  • motorisches Training

  • sensomotorisches Training

  • Wahrnehmungstraining

  • Haltungsschulung

  • physikalische Anwendungen (Hitze, Strom, Kälte, Wasser, Tape usw.)

Die biologischen Effekte werden durch manuelle Techniken wie manuelle Therapien, Massagen, aber auch osteopathische Techniken und sensomotorische Aktivierung, Heilgymnastik und physikalische Anwendungen erreicht. Es sind diagnostische, manuelle und pferdespezifische Kompetenzen nötig, um optimale Anwendungseffizienz zu erreichen. Die Diagnostik steht dabei eindeutig nicht im Vordergrund, sondern dient zur Überprüfung der angewandten Methoden. Ziel ist eine Verbesserung der anatomischen und biomechanischen Funktionen. Die Schmerzreduktion resultiert als biologischer Effekt der Funktionsverbesserung.

Leider ist im Gegensatz zur Humanmedizin der Begriff der Physiotherapie in der Pferdemedizin nicht geschützt. Es gibt von der FN eine Zusatzbezeichnung für Humanphysiotherapeuten und Tierärzte, die durch eine Prüfung erlangt werden kann.


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Osteopathie

Osteopathie (osteo = Knochen, pathos = Leiden) = eigenständige Form der Medizin = Alternativmedizin = Befund erhebend und therapierend

Die Grundausrichtung der Osteopathie:

  • Der Körper wird als Funktionseinheit betrachtet.

  • Störungen in einem Bereich wirken sich auf andere Bereiche aus.

  • Der Körper ist grundsätzlich zur Selbstregulierung fähig.

  • Heilung ist nur die Förderung/Aktivierung der Selbstheilungskräfte.

  • Die Funktion bestimmt die Körperstruktur und umgekehrt.

Die Techniken der Osteopathie werden ausschließlich mit den Händen des Therapeuten ausgeführt. Der Therapeut arbeitet an den Gelenken (besonders Kopf und Wirbelsäule), den Muskeln, Sehnen und Faszien.

Ziel der Behandlung ist die Förderung der Selbstheilungskräfte und damit die Heilung von Innen. Durch die perfekte Ausrichtung des muskulo-skelettalen Systems werden Hindernisse in Blut- und Lymphgefäßen eliminiert und somit wird der Patient zu einer optimalen Gesundheit geführt. Der Patient wird in die Lage versetzt, den optimalen Gesundheitszustand selbstständig zu erreichen.

Die Ausbildung in der Humanmedizin dauert 5 Jahre in Verbindung mit einer Heilpraktikerausbildung. Alternativ gibt es eine berufsbegleitende 5-jährige Ausbildung für approbierte Ärzte. In der Pferdemedizin gibt es keine geschützte Ausbildung. Es werden Kurse an privaten Ausbildungsschulen angeboten.


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Chiropraktik

Chiropraktik (cheir = Hand, praxis = Tätigkeit)

Ähnlich wie in der Osteopathie ist die Chiropraktik eine biomechanische Behandlungsform. Sie wird der Alternativmedizin als eine eigenständige Form der Medizin zugeordnet. Auch die Chiropraktik ist Befund erhebend und therapierend.

Ihr Ziel ist

  • nicht nur orthopädische, sondern auch nicht-orthopädische Erkrankungen, wie Herzrhythmusstörungen und Verdauungsprobleme, durch die Behandlung von Fehlstellungen der Wirbelsäule zu therapieren.

  • durch die Korrektur der Fehlstellung der Wirbelsäule Krankheiten zu heilen.

Als Techniken werden Manipulationstechniken mit und ohne Hilfsmittel eingesetzt. Dazu dienen vor allem speziell erlernte Handgriffe, Zugtechniken, Mobilisationen (Gelenkgleiten), Reflextechniken und andere wie die Graston-Technik mit Hilfe von Edelstahlinstrumentarien. Als Einsatzgebiete werden Subluxationen der Wirbelsäule, Gelenkblockaden und durch Blockaden ausgelöste gestörte Körperstrukturen beschrieben. Durch die Behandlungen soll die normale Beweglichkeit von Gelenken, besonders die der Wirbelsäule wieder hergestellt werden. Schmerz soll reduziert und das Zusammenspiel von Muskeln und Gelenken normalisiert werden. Die Verbesserung der nervalen und vaskulären Versorgung sämtlicher Organe ist beschrieben.

Der Chiropraktiker ist in der Regel ein Heilpraktiker, der manuelle Griffe ausführt. Als Chirotherapeut wird der Arzt mit chiropraktischen Kenntnissen bezeichnet. Der Chiropraktor ist eine im Ausland geschützte Berufsbezeichnung. Hier wird in einem mindestens 6-jährigen Studium die Tätigkeit als eigenständiger Heilberuf erlernt. Diesen Studiengang gibt es in Deutschland nicht. Eine Ausbildung als Pferdechiropraktiker wird durch private Schulen berufsbegleitend nur für Tierärzte angeboten.


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Initiator und Koordinator

Alleine aus den Ausbildungsgängen und Definitionen der auszuübenden Tätigkeiten ergeben sich die Arbeitsfelder für die einzelnen Berufsgruppen. Die Ausbildung der einzelnen Berufe im Humanbereich ist deutlich professioneller organisiert. Selbst dort wird die Gesamtsituation vom Arzt/Sportmediziner überblickt und federführend geleitet. So bekommen die Behandlung oder das Training eine klare Ausrichtung und damit auch den höchstmöglichen Therapieerfolg.

Ich denke, dass man in Kooperation mit den manuellen Behandlungstechniken die medizinischen und auch sportlichen Erfolge deutlich steigern kann. Dies zeigen uns die Humansportler jeden Tag. Wir müssen uns nur sehr intensiv mit der Kombination aus klassischer Medizin und manuellen Behandlungsmöglichkeiten beschäftigen. Dazu gehört ein sehr professioneller Umgang mit dem Sportler Pferd und vor allem auch seinem Besitzer.

Wenn wir wieder eindeutig als erster Ansprechpartner für unsere Pferdebesitzer gelten möchten, müssen wir uns auch so positionieren. Dazu gehören neben der fachlichen Kompetenz auch die professionelle Beratung und ein gutes „After-Sale-Management“. Damit ist gemeint, dass wir den Erfolg der Behandlung bzw. die Leistungsfähigkeit unseres Pferdepatienten in Abständen überprüfen und uns gegebenenfalls auch mit anderen Berufsgruppen wie den Manualtherapeuten, aber auch den Hufschmieden und Reitlehrern, abstimmen.

Die Initiative sollte vom Pferdetierarzt ausgehen. Wir sollten koordinieren und auch moderieren. Eine sicher im Einzelfall sehr anspruchsvolle Tätigkeit. Nur so können wir dem Zeitgeist entsprechen und unserem Anspruch in der Pferdemedizin gerecht werden.


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Dr. Kai Kreling
Tierärztliche Klinik Binger Wald
Zum Berkwerk 1
55425 Waldalgesheim

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© Peter Ettl. Aus: Ettl R. Manuelle Pferdetherapie. Sonntag Verlag; 2013