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DOI: 10.1055/s-0034-1369111
Radiologie & Recht – Zur Kontrollpflicht des Orthopäden hinsichtlich schriftlicher Befunde des Radiologen
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
18. Juni 2014 (online)
- Einführung
- Sachverhalt
- Gericht sieht Verantwortung beim Radiologen
- Bedeutung der Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztherapie – fachgebunden“
- Haftungsrechtliche Anforderungen an den Radiologen
- Ausblick
Einführung
Die Durchführung und die Befundung einer radiologischen Untersuchungsleistung sind Aufgaben des Radiologen. Für die Ordnungsgemäßheit dieser einheitlichen Leistung ist der Radiologe verantwortlich. Der behandelnde Arzt darf sich daher auf die Ordnungsgemäßheit der radiologischen Leistung in der Regel verlassen.
Das OLG München hat in einem Urteil vom 22.08.2013 (Az.: 1 U 204/12) in Bezug auf MRT-Leistungen entschieden, dass der behandelnde Orthopäde sich auf den schriftlichen Befund des Radiologen zu einer von diesem gefertigten MRT-Aufnahme verlassen darf und den Befund (hier: Teilabriss der Quadrizepssehne) nur dann hinterfragen und in geeigneter Weise verifizieren lassen muss, wenn sich dieser mit den von ihm erhobenen klinischen Befunden nicht oder nur erheblich eingeschränkt vereinbaren lässt.
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Sachverhalt
Ein 56-jähriger Patient war in seiner Wohnung gestürzt und hatte sich am Knie verletzt. In einer orthopädischen Praxis, wurde er von einem angestellten Orthopäden untersucht und geröntgt. Zusätzlich empfahl der Orthopäde die Durchführung einer MRT-Untersuchung.
Diese Untersuchung lies der Patient bei einem Facharzt für diagnostische Radiologie durchführen, der in seiner schriftlichen Beurteilung ausführte: „Distension und Anriss des medialen Kollateralbandes, sowie der Quadrizepssehne“. Diese Beurteilung und die MRT-Aufnahmen nahm der Patient wieder mit in die orthopädische Praxis.
Unstreitig wäre vorliegend, entgegen der Beurteilung des Radiologen, bei fachgerechter Beurteilung der MRT-Aufnahme ein Komplettabriss der Quadrizepssehne zu erkennen gewesen, der zwingend operativ zu behandeln war. In der orthopädischen Praxis verließ sich jedoch der Praxisinhaber auf die Beurteilung des Radiologen ohne sich die MRT-Ausdrucke anzusehen. Es folgte eine konservative Behandlung. Erst bei einer aus anderen Gründen gefertigten weiteren MRT-Untersuchung, als der Kläger schon nicht mehr Patient der orthopädischen Praxis war, wurde nun der Komplettabriss sichtbar.
Durch das Sachverständigengutachten im Berufungsverfahren vor dem OLG München wurde das Vorliegen des Komplettabrisses bestätigt. Der klagende Patient vertrat die Auffassung, dass der Orthopäde sich nicht auf den Befund des Radiologen hätte verlassen dürfen. Der Orthopäde sei verpflichtet gewesen, die mitgebrachten MRT-Aufnahmen selbst zu betrachten und eine Befundauswertung vorzunehmen. Dann hätte er nämlich erkannt, dass ein Komplettabriss vorgelegen hätte, der einer unverzüglichen Operation bedurfte. Durch diesen Fehler habe der Patient nun ein schadhaftes Knie.
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Gericht sieht Verantwortung beim Radiologen
Das Gericht wies die Klage des Patienten gegen den Orthopäden ab. Es begründete dies damit, dass sich der Orthopäde auf den schriftlichen Befund des Radiologen verlassen durfte. Daher musste er dem Patienten nicht zu einer Operation raten.
Dieses Ergebnis begründete das OLG München damit, dass es mittlerweile eine „Vielzahl von Spezialisierungen in Form der diversen Facharztrichtungen“ gebe. Ein Arzt könne schon lange nicht mehr „das gesamte medizinische Wissen überblicken, geschweige denn beherrschen und anwenden.“ Im Rahmen dieser Arbeitsteilung, müsse sich ein Arzt auf die Feststellungen und Befunde eines Spezialisten, zu dem er überwiesen habe, verlassen können. Dies entspricht auch der ständigen BGH-Rechtsprechung.
Das Gericht sieht die Grundsätze des arbeitsteiligen Handelns im Arzthaftungsrecht ausdrücklich im Verhältnis von Orthopäden und Radiologen gegeben. Der Orthopäde könne und dürfe sich im Sinne der horizontalen ärztlichen Arbeitsteilung auf die Arbeitsergebnisse anderer Ärzte (hier des Radiologen) aus deren Facharztgebiet verlassen. Die Entscheidungskompetenz des behandelnden Facharztes über die einzuschlagende Therapie liegt vielmehr gerade in der Natur der Arbeitsteilung zwischen diagnostischer Radiologie und dem Fachgebiet, in das der vom Radiologen festgestellte Befund fällt.
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Bedeutung der Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztherapie – fachgebunden“
Ein Facharzt für Radiologe verfüge im Gegensatz zu einem Facharzt für Orthopädie auch über die Kompetenz, Befunde im Bereich der MRT zu erstellen. Diese mangelnde Kompetenz des Orthopäden sieht das OLG München aus zwei Gründen als gegeben an. Zum einen sei das MRT noch kein flächendeckend eingesetztes Verfahren gewesen, als dem beklagten Orthopäden seine Facharztbezeichnung verliehen worden sei.
Insbesondere aber zeige die Weiterbildungsordnung, dass sich ein Orthopäde in diesem Bereich auch nicht fortzubilden brauche. Diese Fortbildung sei nur im Falle einer zweijährigen Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztherapie – fachgebunden“ gegeben. Nur mit dieser Ausbildung könne der Orthopäde die Befundung von MRT-Bildern abrechnen. Tätigkeiten aus einem anderen Fachgebiet, die nicht vergütet werden dürfen, könnten jedoch von einem Facharzt nicht verlangt werden.
Das Gericht stellt fest, dass zwar eine Vielzahl jüngerer Fachärzte für sich in Anspruch nehmen würde, MRT-Aufnahmen, jedenfalls auf ihrem Spezialgebiet, auch ohne zertifizierte Zusatzqualifikation kompetent auswerten zu können. Dies ändere jedoch nichts daran, dass das ärztliche Berufsrecht eine derartige Fertigkeit dem Facharzt für Orthopädie nach wie vor nicht abverlange. Im Übrigen vertrage sich der Anspruch von Nichtradiologen, MRT-Aufnahmen letztlich auf facharzt- oder facharztnahem Niveau auswerten zu können, nicht so ohne weiteres damit, dass der Facharzt für radiologische Diagnostik rechtlich und tatsächlich institutionalisiert ist.
Damit weist das Gericht die fachliche Kompetenz zur Durchführung und Befundung von MRT-Leistungen primär dem Fachgebiet der Radiologie zu, so dass dem Radiologen auch die Hauptverantwortung für die vollständige und qualitätsgesicherte Erbringung dieser Leistungen zufällt. Nur für den Fall, dass der Orthopäde selbst über die Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztherapie – fachgebunden“ verfügt, ist dieser auch fachlich in der Lage diese Leistung zu erbringen.
Damit erlangt die Zusatzweiterbildung im Bereich der MRT eine zentrale Bedeutung für die Fachgebiete, die diese Methode im Rahmen ihrer Facharztausbildung nicht erlernt haben. MRT-Leistungen gehören damit weiterhin grundsätzlich nicht zum Facharztstandard der nichtradiologischen Fachrichtungen. Nach § 630a BGB hat die Behandlung jedoch „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen“. Führt ein Facharzt für Orthopädie mithin eine MRT-Untersuchung durch, ohne über die erforderliche Zusatzweiterbildung zu verfügen, trägt er gemäß § 630h Abs. 4 BGB zunächst die Beweislast dafür, dass er „für die von ihm vorgenommene Behandlung befähigt“ war. Dieser Nachweis ist einem Facharzt jedoch regelmäßig nur durch die entsprechende Facharztbezeichnung, eine Zusatzweiterbildung oder eine dokumentierte langjährige qualifizierte Tätigkeit auf dem betreffenden Gebiet möglich. Gelingt dem Orthopäden der Nachweis der ausreichenden Qualifikation auf dem Gebiet des MRT nicht, so wird nach § 630h Abs. 4 BGB „vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war.“ Es tritt in diesem Fall eine Beweislastumkehr zu Lasten des Orthopäden, die zur Folge hat, dass nicht der Patient den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden beweisen muss, sondern vermutet wird, dass die mangelnde Befähigung des Arztes Grund für den Schaden war.
Allerdings bleibt zu bemerken, dass die Ausführungen des Arzthaftungssenats des OLG München zur mangelnden Abrechnungsfähigkeit von MRT-Leistungen ohne die Zusatzbezeichnung Magnetresonanztomografie in der Praxis häufig nicht beachtet werden, da die privaten Krankenversicherungen diesem Grundsatz nur wenig Rechnung tragen, denn Abrechnungen von MRT-Untersuchungen durch Orthopäden und andere Facharztgruppen, wie Kardiologen werden kaum daraufhin untersucht, ob der betreffende Orthopäde oder Kardiologe über die Zusatzweiterbildung verfügt.
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Haftungsrechtliche Anforderungen an den Radiologen
Diese Stärkung der fachlichen Kompetenz des Radiologen durch das OLG bringt es andererseits jedoch mit sich, dass dieser auch die fachlichen und qualitativen Anforderungen an die Erbringung von MRT-Leistungen im Einzelfall erfüllen muss. Das bedeutet, dass er sich nicht darauf verlassen darf, dass die überweisenden Fachärzte mögliche Fehldiagnosen korrigieren werden. Vielmehr muss er die größtmögliche Sorgfalt bei der Durchführung der Befundung an den Tag legen. Der Orthopäde muss den schriftlichen radiologischen Befund nur dann hinterfragen und in geeigneter Weise verifizieren lassen, wenn sich dieser mit den von ihm erhobenen klinischen Befunden nicht oder nur erheblich eingeschränkt vereinbaren lässt.
Das OLG weist in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass es gesicherter obergerichtlicher Rechtsprechung entspreche, dass, wenn Ärzte verschiedener Fachrichtungen an der Behandlung eines Patienten beteiligt sind, zwischen diesen Ärzten der Vertrauensgrundsatz gilt, d. h. jeder beteiligte Arzt kann und darf, wenn keine aussagekräftigen gegenteiligen Umstände zu Tage treten, ohne Kontrollmaßnahmen davon ausgehen, dass der Kollege des anderen Fachgebiets seine Aufgaben mit der notwendigen Sorgfalt erfüllt.
Insofern sollte aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten darauf geachtet werden, dass radiologische Untersuchungen, die von einem Radiologen durchgeführt werden, auch von diesem oder einem der nachgeordneten (d. h. weisungsunterworfenen) Ärzte persönlich befundet werden. Das bedeutet, dass die Erbringung radiologischer Leistungen grundsätzlich nur im Rahmen einer sog. vertikalen Arbeitsteilung zulässig ist, die auf einem Hierarchieverhältnis im ärztlichen Bereich, aber auch im Bereich des nachgeordneten Hilfspersonals beruht. Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Erbringung der gesamten radiologischen Leistung liegt hier bei dem weisungsberechtigten Arzt (in der Regel der niedergelassene Arzt oder der Chefarzt im Krankenhaus), der eine Überprüfung der Leistungen der nachgeordneten Ärzte und des Hilfspersonals vorzunehmen hat.
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Ausblick
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Patient nun seine Ansprüche gegen den Radiologen geltend machen wird. Gegenstand dieses Rechtsstreits dürfte insbesondere die Frage sein, ob in der Falschbefundung ein grober Behandlungsfehler des Radiologen liegt, der nach § 630 h Abs. 5 BGB eine Beweislastumkehr auslöst. Da es sich um einen Fehler im Bereich der Diagnostik handelt, kommt es dabei entscheidend darauf an, ob die – letztlich zwar fehlerhafte – Diagnose noch vertretbar war. Allein das Vorliegen einer solchen objektiv unrichtigen Diagnose führt nach der Rechtsprechung nicht zu der Annahme eines Behandlungsfehlers in Form eines Befundauswertungsfehlers, weil dem Radiologen ein eigener Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum in der Diagnostik zugestanden wird. Trotz des Einsatzes technischer Hilfsmittel können Diagnosen eben nicht immer eindeutig gestellt werden. Solange Röntgenbilder durchaus nachvollziehbar gedeutet werden, die Diagnose also nicht völlig abwegig, sondern vertretbar ist und der Krankheitsverlauf keine Besonderheiten aufweist, die Kontrollbefunde indizieren, so liegt kein Behandlungsfehler vor.
Nur bei unvertretbarer Auswertung des Bildmaterials durch den Radiologen liegt ein Behandlungsfehler vor. Wenn die Diagnose des Radiologen unvertretbar war, kommt es zudem darauf an, ob ein einfacher oder ein grober Befundauswertungsfehler vorliegt. Bei ausschließlicher Unvertretbarkeit liegt ein „einfacher“ Diagnosefehler vor. Sollte jedoch die Interpretation des Bildes nicht nur unvertretbar sein, sondern darüber hinaus eine unverständliche Fehlleistung darstellen, welche einem Arzt für Radiologie schlechterdings nicht unterlaufen darf und einen Verstoß gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse offenkundig werden lässt, so liegt ein grober Befundauswertungsfehler mit der Konsequenz der oben beschriebenen Beweislastumkehr vor (vgl. hierzu Fortschr Röntgenstr 10/2007, S. 1086 ff.).
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Lic. iur. can. Urs Fabian Frigger
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Wigge
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