Rofo 2014; 186(12): 1158-1162
DOI: 10.1055/s-0034-1369391
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Teil 2 – Plausibilitätsprüfungen und Honorarrückforderungen in der Radiologie

(Fortsetzung des Artikels aus der letzten Ausgabe der RöFo)
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Publication Date:
25 November 2014 (online)

 

Kontrastmittel

Die Kontrastmittelgabe wird von der mit der Plausibilitätsprüfung befassten Kassenärztlichen Vereinigung mit den dafür in der Anlage 3 des EBM-Ä vorgesehenen Prüfzeiten angesetzt. Diese belaufen sich auf folgende Zeiten:

  • Ziffer 34 343: 9 min Prüfzeit

  • Ziffer 34 344: 10 min Prüfzeit

  • Ziffer 34 345: 5 min Prüfzeit

  • Ziffer 34 452: 9 min Prüfzeit

Die Kontrastmittelinjektionen sind jedoch in der Regel zulässig an nichtärztliches Hilfspersonal (MTRA) delegiert, sodass für die Erbringung dieser Leistungen eine erhebliche Reduktion in den tatsächlichen Arztzeiten entsteht. Die sich hieraus ergebenden Auswirkungen auf die Reduktion der einzelnen Plausibilitätszeiten sind, soweit sie delegationsfähige Leistungsanteile enthalten, erheblich und führen in der Regel zu einer deutlichen oder sogar vollständigen Entlastung des Tageszeitprofils.

Zudem wird der technische Leistungsanteil in der bildgebenden Diagnostik, wie etwa beim Röntgen und bei der Computertomografie, als delegierbare ärztliche Leistung angesehen, dessen Durchführung der Radiologe nach der Anlage 24 zum BMV-Ä[1] auf entsprechend qualifiziertes nichtärztliches Hilfspersonal übertragen kann. Dies gilt auch unter den obigen Ausführungen zum zulässigen Tätigkeitsumfang von MTRA.

Vor diesem Hintergrund muss festgehalten werden, dass den jeweiligen Kontrastmittelziffern zweifellos ein hoher technischer Anteil innewohnt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Kontrastmittelziffern ohne die jeweilige Hauptleistung, zu der ebenfalls ein hoher technischer Anteil gehört, nicht abgerechnet werden können.

Die Anlage 24 des BMV-Ä stellt seit dem 01.10.2013 klar, was schon zuvor geltendem Recht entsprach. Die Durchführung der Kontrastmittelinjektion ist keine vom Arzt höchstpersönlich zu erbringende Leistung und kann daher delegiert werden[2]. Folglich kann für die delegierten Kontrastmittelinjektionen keine Arztzeit angesetzt werden.

Über welche Qualifikation das technisch mitwirkende Personal verfügen muss und in welchem Umfang dieses durch den Arzt überwacht bzw. beaufsichtigt werden muss, ergibt sich aus den Bestimmungen der Röntgenverordnung (RöV). Die entsprechende Regelung findet sich in § 24 Abs. 2 RöV. Das Gesetz stellt in § 24 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 4 RöV unterschiedliche Anforderungen an die Aufsicht und zwar je nach Qualifikation der zu beaufsichtigenden Person. Dabei ist das Erfordernis einer „ständigen Aufsicht“ nur für den in § 24 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 RöV genannten Personenkreis vorgesehen. (Nur) in Bezug auf diese Personenkreise wird das Erfordernis einer Kompensation der fehlenden Qualifikation der zu beaufsichtigenden Person über die ständige Aufsicht gesehen. Hingegen besteht dieses Erfordernis bei den unter § 24 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 RöV fallenden Personenkreisen nicht, weil es sich um qualifiziertes medizinisch-technisches Fachpersonal handelt.

MTRÁs, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 MTAG, fallen unter die Regelung in § 24 Abs. 2 Nr. 1 RöV, die gerade keine ständige Aufsicht vorsieht. Folglich bedürfen MTRÁs bei Kontrastmittelinjektionen keiner fortlaufenden Beaufsichtigung in direkter räumlicher Nähe des Arztes. In Bezug auf diesen Personenkreis dürfte es keine notwendige, aber jedenfalls ausreichende, Bedingung sein, wenn sich der jeweilige Arzt in den Praxisräumlichkeiten aufhält und er somit zeitlich unmittelbar erreichbar wäre. Die Regelung in § 24 Abs. 2 Nr. 1 RöV trägt im Übrigen der beruflichen Qualifikation von MTRÁs Rechnung, die sich aus der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für technische Assistenten in der Medizin (MTA-APrV) ergibt. Dort ist in der Anlage 2 (zu § 1 Abs. 1 Nr. 2) unter A (Theoretischer und praktischer Unterricht für Medizinisch-technische Radiologieassistenten) Punkt 12.4 geregelt, dass Maßnahmen bei Schockzuständen einschließlich Kontrastmittelzwischenfällen und Wiederbelebung Bestandteil der Ausbildung sind. Weiterhin sind ausweislich der Punkte 17.16 und 17.17 „Kontrastmittel in der bildgebenden Diagnostik“ sowie die „bildgebende Diagnostik in der Anwendung einschließlich der Kontrastmitteluntersuchungen“ Bestandteil der Ausbildung. Würden MTRÁs einer ständigen Aufsicht im Sinne einer direkten räumlichen Nähe zum fachkundigen Arzt unterstellt, wäre dies nicht nur ein Verstoß gegen § 24 Abs. 2 Nr. 1 RöV, sondern auch verfassungsrechtlich mit der Berufsfreiheit der MTRÁs nach Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren.

MFÁs hingegen fallen unter die Regelung in § 24 Abs. 2 Nr. 4 RöV, da sie nicht über eine medizinisch-technische Ausbildung verfügen. Gleichwohl ist es ihnen bei Vorliegen der erforderlichen Kenntnisse im Strahlenschutz möglich, in Bezug auf die technische Durchführung ebenso wie Ärzte und MTRÁs[3] tätig zu werden.

In der Praxis werden Kontrastmittelapplikationen häufig ausschließlich durch MTRÁs nach Anweisung durch den behandelnden Arzt getätigt.

Im Ergebnis lässt sich hinsichtlich der Kontrastmittelziffern festhalten, dass die Ziffern 34 343, 34 344, 34 345 und 34 452 nach obigen Vorgaben für eine Zeitprofilerstellung deutlich herabzusetzen sind. Dies führt nach gutachterlichen individuellen Messungen im Einzelfall zu einer zusätzlichen Arztzeit zwischen 1 und 5 Minuten.


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Überschneidung von Betriebszeiten / Parallelleistungen

Ferner ist zu berücksichtigen, dass es den Ärzten zweifellos möglich ist, parallel mit mehreren MTRÁs an mehreren Geräten zu arbeiten, sodass sich die Betriebszeiten der MRT bzw. CT zeitlich überschneiden. Die Zeiten, die auf die technische Durchführung entfallen (Zeit der MTRA, Betriebszeit des MRT oder CT), dürfen jedoch nicht einfach aufaddiert werden. Das BSG hat bereits 1993[4] hierzu Folgendes ausgeführt:

„Bei der Erstellung von Tagesprofilen ist zudem zu beachten, daß bestimmte Leistungen nebeneinander berechnungsfähig sind, der zu berücksichtigende Zeitaufwand in diesen Fällen also nicht für jede Leistung angesetzt werden darf. Tagesprofile müssen für einen durchgehenden längeren Zeitraum erstellt werden, wobei es angezeigt erscheint, wenigstens ein Abrechnungsquartal heranzuziehen.“

Insoweit ist klargestellt, dass parallele Untersuchungen an mehreren Geräten möglich sind, solange sich die jeweiligen Untersuchungen nicht in der arztindividuellen Zeit überschneiden.

Dies hat auch das LSG NRW festgestellt und formuliert [5]:

„Vor diesem Hintergrund sind Tagesprofile, d. h. die Addition der Behandlungszeiten für Leistungen an einem Behandlungstag, als Beweismittel zum Nachweis einer unrichtigen Abrechnung nur dann geeignet, wenn in die Ermittlung der Gesamtbehandlungszeit nur solche Leistungen einbezogen werden, die ein Tätigwerden des Arztes selbst voraussetzen. Die zugrunde gelegten Zeiten müssen zudem so bemessen sein, dass auch ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann. Ferner ist zu beachten, dass bestimmte Leistungen nach dem EBM-Ä nebeneinander berechnungsfähig sind. Soweit Tagesprofile als einziges Mittel zum Nachweis einer unrichtigen Abrechnung eingesetzt werden, reicht es regelmäßig nicht aus, einzelne Tage herauszugreifen. Vielmehr ist es erforderlich, die Tagesprofile über einen längeren Zeitraum, z. B. ein vollständiges Quartal, zu erstellen.“

Demnach dürfen Leistungen, die zeitgleich oder in zeitlicher Überschneidung erbracht werden, nicht addiert, sondern müssen miteinander verrechnet werden. Üblicherweise findet durch die Kassenärztliche Vereinigung jedoch zumeist eine schlichte Addition der Prüfzeiten der einzelnen Ziffern statt. Somit sind die auf solchen Quartals- und Tageszeitprofilen beruhenden Honorarberichtigungs- und rückforderungsbescheide rechtswidrig und daher aufzuheben, da sie nicht den Beweisanforderungen der sozialgerichtlichen Rechtsprechung genügen.


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Prüfzeiten

Der EBM wird derzeit umfassend inhaltlich überarbeitet, wobei nach dem Zeitplan zum 1.07.2014 die Überprüfung der Kalkulation der Leistungen im EBM abgeschlossen sowie eine neue Vergütungssystematik für technisch gestützte Leistungen eingeführt werden sollte. Da die im Rahmen der Plausibilitätsprüfung herangezogenen Prüfzeiten aus den Kalkulationszeiten abgeleitet werden, stehen Änderungen in der zeitlichen Bewertung der radiologischen und generell der ärztlichen Leistungen an. Dies u. a. deshalb, weil die zeitliche Bewertung ärztlicher Leistungen nicht mehr durchgängig dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik, wie von § 87 Abs. 2 S. 2 SGB V vorgegeben, entspricht. Es werden daher zeitliche Reduzierungen erwartet. Da der technische Fortschritt vor allem im Bereich der gerätebasierten Medizin wie der Radiologie zum Tragen kommt, ist die zutreffende zeitliche Bewertung der radiologischen Leistungen, wie sie derzeit im Anhang 3 des EBM vorgesehen ist, für diese Arztgruppe besonders kritisch zu hinterfragen.

In dem Beschluss des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V, den dieser in seiner 304. Sitzung [6] zur ausgabenneutralen Anhebung des Orientierungswertes nach § 87 Abs. 2e SGB V und zum Angleich von Orientierungswert und kalkulatorischem Punktwert mit Wirkung zum 1. Oktober 2013 getroffen hat, heißt es auf Seite 4 unter Protokollnotiz (Ziffer 2.):

„2. Die Plausibilitätszeiten im Anhang 3 zum EBM werden mit in Kraft treten der EBM-Reform zum 1. Juli 2014 überprüft und an die Neukalkulation der Leistungen im EBM angepasst.“

Diese aktuelle Entwicklung, die in den bisherigen gerichtlichen Entscheidungen des BSG oder von unterinstanzlichen Gerichten noch keine Rolle spielte, stellt gleichzeitig erheblich infrage, ob die Zeitprofile der Plausibilitätsprüfungen derzeit weiterhin den Anforderungen des BSG genügen, um als geeignetes Beweismittel anerkannt zu werden. Wie bereits ausgeführt, ist dafür nach der ständigen Rechtsprechung des BSG[7] erforderlich, dass bestimmte Kriterien bei der Erstellung der Zeitprofile beachtet worden sind. Steht eine zeitliche Anpassung der EBM-Zeiten durch den Bewertungsausschuss kurz bevor, steht die Überarbeitungsbedürftigkeit der Zeitbewertungen ärztlicher Leistungen fest. Zeitprofile, denen überhöhte und daher überarbeitungsbedürftige Zeitbewertungen von GOP zugrunde liegen, sind keine tauglichen Beweismittel für die Unrichtigkeit der Abrechnung, da die Zeitprofile eine solche Schlussfolgerung nicht (mehr) zulassen. Das BSG geht zudem ausdrücklich davon aus, dass den Zeitprofilen nur dann ein indizieller Beweiswert zukommt, wenn die für die einzelnen ärztlichen Leistungen zugrunde zu legenden Durchschnittszeiten so bemessen sind, dass auch ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann[8]. Dieser Anforderung werden die Prüfzeiten des EBM nicht mehr gerecht, da sie zeitlich zu hoch bewertet sind. Aus diesem Grund werden sie, wie auch das Gutachten der IGES Institut GmbH belegt, überarbeitet. Da die Zeitprofile der Kassenärztlichen Vereinigung somit keinen tauglichen Indizienbeweis darstellen, hat sie dem Arzt / MVZ die Unrichtigkeit seiner Abrechnung im Sinne von § 6 AbrechnPr-Richtlinie nicht nachweisen können. Nur bei festgestellter Unrichtigkeit der Abrechnung muss der Arzt / MVZ Umstände zur Erklärung von Abrechnungsauffälligkeiten darlegen. Die Kassenärztliche Vereinigung ist daher in der Regel weiterhin vollumfänglich in der Beweislast für die Unrichtigkeit der jeweiligen Abrechnung.

§ 87 Abs. 2 SGB V bestimmt, dass der EBM in bestimmten Zeitabständen daraufhin zu überprüfen ist, ob die Leistungsbewertungen und die Leistungsbeschreibungen noch dem Erfordernis der Rationalisierung im Rahmen wirtschaftlicher Leistungserbringungen entsprechen. Bei der Leistungsbewertung soll insbesondere der Aspekt der wirtschaftlichen Nutzung der medizinisch-technischen Geräte berücksichtigt werden. Im EBM ist die Bewertung der Leistungen daher unter Berücksichtigung der Besonderheiten einzelner Arztgruppen auf der Grundlage von sachgerechten Stichproben bei vertragsärztlichen Leistungserbringern zu ermitteln. Im derzeitigen EBM-Kalkulationssystem basieren hingegen die entscheidenden Gesichtspunkte nicht auf empirischen Erhebungen, sondern auf normativ festgelegten (z. B. der Zeitbedarf für den ärztlichen oder den technischen Leistungsanteil oder die Auslastungsgrade) Vorgaben. Zur Berechnung der einzelnen EBM-Leistungen verhält sich das Gutachten der IGES Institut GmbH für den GKV-Spitzenverband aus August 2010 mit dem Titel „Plausibilität der Kalkulation des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM)“[9] , insgesamt sehr kritisch.

In dem Gutachten der IGES Institut GmbH wird auf Seite 11 ausgeführt:

„Für jede EBM-Leistung (hier der Kostenträger) wird nunmehr der Zeitaufwand zur Leistungserstellung in den jeweils beteiligten Kostenstellen geschätzt. Anhand dieser Zeitangaben werden dann die ermittelten Praxisaufwendungen auf die jeweiligen EBM-Positionen umgelegt und somit der technische Leistungsanteil einer EBM-Leistung bestimmt. Parallel wird die Zeit, die der Arzt für die rein ärztliche Tätigkeit im Rahmen der Erbringung einer EBM-Leistung benötigt, festgelegt. Mit Hilfe eines kalkulatorischen Arztlohnes und unter Annahme zu Produktivität des Arztes wird die Bewertung einer Arztminute ermittelt. Multipliziert mit dem für den reinen ärztlichen Leistungsanteil geschützten Zeitbedarf ergibt sich somit der ärztliche Leistungsanteil einer EBM-Leistung.“

Das Gutachten stellt im Zwischenfazit ausdrücklich fest (Seite 20):

„So ist die EMB-Kostenkalkulation grundsätzlich zwar zu begrüßen, die konkrete Umsetzung jedoch bei einer Reihe von Aspekten kritisch zu diskutieren. Hervorzuheben sind insbesondere die Vielzahl der normativen Annahmen, d. h. Stellgrößen, die nicht, wie seit dem GKV-WSG gesetzlich vorgegeben, mithilfe von angemessenen Stichproben empirisch ermittelt, sondern vielmehr verhandelt bzw. aus Erfahrungswerten abgeleitet wurden.

Hierunter fallen der kalkulatorische Arztlohn sowie die Jahresarbeitszeit des Arztes und die Annahmen über seine Produktivität. Von besonderer Bedeutung sind zudem die Kalkulationszeiten je EBM-Leistung (Gebührenordnungsposition), d. h. die bei der Kalkulation zur Leistungserbringung zugrunde gelegten Minuten (Produktionszeiten) für den rein ärztlichen Leistungsanteil und für den technischen Leistungsanteil. Beide Zeiten sind weder empirisch erhoben noch aktualisiert, d. h. nicht an ggf. entstandene Produktivitätsverbesserungen angepasst worden.“

Unter Punkt 3.2, Kalkulation des ärztlichen Leistungsanteils, wird sodann auf Seite 29 aufgeführt:

„Um die ärztlichen Kosten einer EBM-Leistung zu ermitteln, benötigt man nun noch eine Zeitdauer in Minuten für die Leistungsdarstellung je Leistung. Diese Zeitdauern umfassen den Zeitbedarf der ärztlichen Leistungserbringung im engeren Sinne, die Vor- und Nachbereitungszeit, Befundzeit sowie bei Operationen auch die Vorbereitungszeit.

Weder diese Zeitdauer in Minuten für die Leistungserstellung noch die Produktivität noch die Jahresarbeitszeit wurden jedoch empirisch ermittelt. Diese für das Kalkulationsergebnis sehr bedeutsamen Zeiten wurden im Rahmen von Expertengesprächen geschätzt und dann sämtlich normativ festgelegt. Systematische Zeiterhebungen wurden hierzu nicht durchgeführt.

Damit wird ersichtlich, dass der ärztliche Leistungsanteil der EBM-Leistungen ausschließlich normativ hergeleitet ist; dies betrifft sowohl den Arztlohn, als auch die Arbeitszeit des Arztes sowie die Kalkulationszeit je Leistung.“

Unter Punkt 4., Empirische Plausibilisierung des EBM, werden auf Seite 54 folgende Ausführungen für die vorliegenden Diskrepanzen gemacht:

„Aufgrund der Methodik des EBM-Kalkulationsverfahrens könnten für diese Diskrepanz folgende Gründe verantwortlich sein:

  1. Die geschätzten Zeiten für den ärztlichen und / oder den technischen Leistungsanteil entsprechen nicht der Realität.

  2. Die Kostendaten im Rahmen des Kalkulationsmodells entsprechen nicht der Realität bzw. die Kostenstruktur entspricht nicht mehr der Kostenstruktur zu deren Erhebungszeitpunkt.

  3. Die Struktur der Praxen (Gemeinschaftspraxen) entspricht nicht der Praxisstruktur zum Erhebungszeitpunkt.“

Unter Punkt 4.2, Geschätzte Leistungszeiten im Rahmen der EBM-Kalkulation, führt das Gutachten auf Seite 57 Folgendes aus:

„Das Institut des Bewertungsausschusses hat hierzu basierend auf realen Abrechnungsdaten Auswertungen durchgeführt (Institut des Bewertungsausschusses 2010). Hierzu wurde zunächst die Arbeitszeit für Praxen geschätzt; die zentralen Annahmen dabei waren, dass eine von einem männlichen Praxisinhaber betriebene Praxis mit einer dem Median bzw. dem 80%-Perzentil der jeweiligen Arztgruppe entsprechenden Fallzahl eine Vollzeitbeschäftigung aufweist und die Behandlungszeit je Fall in der jeweiligen Fachgruppe diesem Durchschnitt entspricht. Für alle Praxen wurde dann systematisch anhand dieser Minuten je Fall, unter Berücksichtigung der praxisindividuellen Fallzahl, ein Zeitbudget berechnet. Hiervon wurden für die alleinig vertragsärztliche Tätigkeit pauschal für alle Arztgruppen 87% angesetzt. Die deutlich unterschiedlichen Leistungsmengen für PKV-Versicherte in Abhängigkeit von der jeweiligen Arztgruppe wurden nicht berücksichtigt. Nicht berücksichtigt wurde des Weiteren der Zeitbedarf für IGEL-Leistungen für GKV-Versicherte, der die maximal für die vertragsärztliche Tätigkeit zur Verfügung stehende Zeit weiter reduzieren würde. Basierend auf diesem, für einzelne Praxen simulierten Zeitbudget je Praxis, wurden die Zeitbedarfe für den ärztlichen Leistungsanteil einzelner EBM-Leistungen anhand einer multiplen linearen Regression geschätzt.

Im Ergebnis zeigte sich, dass die geschätzten Zeitbedarfe für die Leistungen des EBM deutlich geringer ausfielen als die im Rahmen der EBM-Kalkulation angesetzten Zeiten bzw. als die Prüfzeiten des EBM. Im ungewichteten Mittel bestand eine Abweichung von -22%. (...) als Kriterium für einen in Vollzeit tätigen Arzt und den methodischen Problemen der Zeitbedarfsschätzung anhand der Regression, zeigt die Untersuchung dennoch eindrucksvoll, dass die im Rahmen der EBM-Kalkulation verwendeten Zeitangaben für den ärztlichen Leistungsanteil deutlich zu hoch angesetzt sind.“ (Hervorhebungen nicht im Original)

In seinem Fazit kommt das Gutachten der IGES Insitut GmbH auf Seite 75 und Seite 76 unter anderem zu folgenden Ergebnissen:

  1. Das EBM-Kalkulationsmodell basiert auf einer Vielzahl von Annahmen, die die Kalkulationsergebnisse nicht grundsätzlich valide erscheinen lassen.

  2. Die Datengrundlage stammt aus den Jahren 1993 bis 1995 und ist somit hinsichtlich ihrer Struktur und Höhe veraltet.

  3. Schon bei der erstmaligen Kalkulation bestanden systematische Verzerrungen in diesen Grunddaten hinsichtlich der Verteilung nach Merkmalen wie Honorarklassen oder Praxisstruktur.

  4. Veränderungen in der Praxisorganisation (Einzelpraxen / Gemeinschaftspraxen) mit deutlichen Veränderungen der Kostenstrukturen werden nicht berücksichtigt.

  5. Mögliche Veränderungen der Effizienz in der Leistungserstellung werden in der Kalkulation nicht nachvollzogen.

  6. Die Arbeitszeit des Arztes und dessen Produktivität in Höhe von 87,5% hat keine empirische Basis.

  7. Die im Rahmen einer EBM-Kalkulation verwendeten Zeitangaben für die Leistungen (ärztlicher Leistungsanteil) scheinen um durchschnittlich mehr als 30% (Institut des Bewertungsausschusses 2010) von den tatsächlich erbrachten Zeiten abzuweichen.

  8. Eine regelmäßige Neukalkulation, basierend auf einer entsprechend aktualisierten Datenbasis, wurde bisher nicht durchgeführt.

Im Ergebnis belegt das Gutachten eindeutig, dass die für die einzelnen GOP festgelegten Prüfzeiten des EBM zeitlich zu hoch angesetzt sind.

Nach dem Resultat des Gutachtens der IGES Institut GmbH sind die Prüfzeiten für einen durchschnittlich arbeitenden Arzt um ca. 30% abzusenken. Neben dem Umstand, dass dieses Gutachten bereits fast 4 Jahre alt ist, muss auch berücksichtigt werden, dass gerade in den letzten Jahren die Praxisorganisation, beispielsweise durch das Qualitätsmanagement, konsequent ausgebaut wurde. Dies führt dazu, dass die Praxisabläufe kombiniert mit einer in der Radiologie zumeist hochmodernen technischen Ausstattung zu einer erheblichen Zeitersparnis für den behandelnden Radiologen geführt hat.

Aus den nicht erfüllten gesetzlichen Vorgaben einer regelmäßigen Anpassung des EBM, der fehlenden validen Datenbasis bei der Erstellung des geltenden EBM, der erheblich modifizierten und ressourcenschonenden Weiterentwicklung der technischen Leistungsfähigkeit und der hiermit verbundenen Effizienzsteigerung, besonders in radiologischen Praxen, ergibt sich zwangsläufig, dass die EBM-Leistungen zeitlich neu zu bewerten sind.


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Rechtsfolgen

Neben den finanziellen Folgen aus einer unzulässigen oder fehlerhaften Plausibilitätsprüfung sind insbesondere die weiteren Rechtsfolgen für den betroffenen Radiologen mit Gefahren versehen. Nach oder parallel zu einer Plausibilitätsprüfung kommt es sehr oft zu einem gegen den Arzt durchgeführten Disziplinarverfahren. Die hierdurch im Raum stehenden Sanktionen sollten nicht leichtfertig unterschätzt werden. Dies zeigt auch das aktuelle Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW)[10], dass die Anordnung eines Ruhens einer Zulassung von 6 Wochen insgesamt bestätigt, wobei die auffälligen Tage pro Prüfquartal zwischen lediglich 3 Tagen bis zu 32 Tagen oberhalb der Grenze von 12 Stunden lagen. Zwar ist festzustellen, dass ein Ruhen der Zulassung nur in einer kleineren Zahl der Fälle verhängt wird, jedoch muss berücksichtigt werden, dass gerade Radiologen von erheblichen zeitlichen Auffälligkeiten betroffen sein können. Insoweit muss die Plausibilitätsprüfung auch mit Blick auf die dort festgestellten zeitlichen Auffälligkeiten und ihren Auswirkungen auf Folge- bzw. Parallelverfahren kritisch betrachtet werden.


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Checkliste

Nachfolgend stellen wir Ihnen die wichtigsten Punkte, die Sie zur Vermeidung von etwaigen Plausibilitätsverfahren beachten sollten, im Rahmen einer Checkliste zusammen. Die Ratschläge orientieren sich dabei an der restriktiven Handhabungspraxis der Kassenärztlichen Vereinigungen, auch wenn diese zum Teil, wie erläutert, für rechtswidrig erachtet wird.

  • Vermeidung von zeitlichen Auffälligkeiten, auch arztbezogen

  • Regelmäßige, auch arztbezogene Überprüfung des Zeitbedarfs für die abgerechneten GOP (Tageszeit- und Quartalszeitprofile)

  • Kenntnis und Beachtung der den Zeitbedarf im Wesentlichen auslösenden GOP

  • Bei zeitlichen Auffälligkeiten: Detaillierte Patientendokumentation sicherstellen

  • Patientendokumentation: Erfasst werden muss der Zeitbedarf arzt-, patienten-, tages- und GOP-bezogen

  • Hilfspersonal für die Zeitprofile sensibilisieren und regelmäßig die Abrechnung selbst überprüfen

  • Uneingeschränkte Beachtung sämtlicher Abrechnungsvoraussetzungen, insbesondere der persönlichen Leistungserbringung

  • Kritische Überprüfung der Delegations- und Urlaubspraxis

  • Vorausschauendes Case-Management

  • Aufbau eines detaillierten Qualitätsmanagement

Sollten die aufgeführten Maßnahmen zeitliche Auffälligkeiten nicht verhindern können – beispielsweise weil der Workflow der Praxis deutlich überdurchschnittlich ist –, so ist mittels umfangreicher Listen und detailliertem Sach- und Rechtsvortrag, der Leitungsumfang zu plausibilisieren und das Prüfungsmodell der Kassenärztlichen Vereinigung anzugreifen.


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Fazit

Insgesamt muss festgestellt werden, dass die derzeitigen und gehäuft auftretenden Plausibilitätsprüfungen zumeist rechtswidrig durchgeführte Verfahren sein dürften, die aus heutiger Sicht auf Basis zu hoher Arztzeitwerte zu ungerechtfertigten Regressen führen. Die insgesamt notwendigen und rechtlich umfangreichen Darstellungen in den diesbezüglichen Prüfungen lassen die Verfahren insgesamt zu einem komplexen Argumentationswerk werden, dass der Radiologe allein nicht leisten können dürfte. Zuzugestehen ist den Kassenärztlichen Vereinigungen, dass die derzeitige Durchführung von Plausibilitätsprüfungen vor erheblichen strukturellen Problemen steht, nur dürfen diese nicht zulasten der betroffenen Radiologen gelöst werden.

Die Verunsicherung auf der Seite der Radiologen ist groß, dies zeigte auch der Workshop auf dem 95. Röntgenkongress in Hamburg, der sich u. a. mit diesem Thema befasste. Auch dort wurden Lösungswege und Fallstricke in den derzeitigen Plausibilitätsprüfungen ausführlich dargestellt.

Festzuhalten ist weiterhin, dass die technische Verbesserung und die qualifizierte Strukturierung der Ablaufprozesse zwar eine Zeitersparnis in der tatsächlichen Arztzeit mit sich gebracht hat, diese jedoch nur durch deutlich kostenintensivere Technik und mehr Personal erreicht werden kann. Ein Rückschluss für den neu zu gestaltenden EBM, dass die Schonung der ärztlichen Ressourcen in gleicher Weise zu einer Minderung in der Vergütung führen muss, ist daher verfehlt.

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1 Vgl. DÄBl. 2013, A 1757.


2 Vgl. Remmert/Wigge, Die Vereinbarung zur Delegation ärztlicher Leistungen nach Anlage 24 BMV-Ä – Auswirkungen auf die Radiologie, RöFo Dezember 2013, S. 1213-1217.


3 Vgl. ausdrücklich auch die Bezugnahme der Anlage 24 BMV-Ä auf die Berufsgruppe der Medizinischen Fachangestellten und der für sie geltenden Regelung in § 24 Abs. 2 Nr. 4 RöV.


4 BSG, Urteil v. 24.11.1993, Az.: 6 RKa 70/91, BSG, SozR 3-2500 § 95 Nr. 4.


5 LSG NRW, Urteil v. 11.02.2004, Az.: L 11 KA 72/03.


6 Abrufbar unter https://www.gkv-spitzenverband.de, abgerufen am: 12.08.2014.


7 Grundlegend BSG, Urteil vom 24.11.1993, Az.: 6 RKa 70/91.


8 BSG, Urteil vom 24.11.1993, Az.: 6 R Ka 70/91.


9 http://www.iges.de/publikationen/gutachten__berichte/ebm/e10056/infoboxContent10057/IGES_Expertise_EBM_Kalkulation_ger.pdf.


10 LSG NRW, Urteil vom 13.03.2013, Az.: L 11 KA 144/11.