Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2014; 21(01): 10-11
DOI: 10.1055/s-0034-1370742
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zum 200. Geburtstag des Afrikaforschers Dr. David Livingstone – Malariatherapie im 19. Jahrhundert: Rhabarber, Rosinen und Chinin …

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Publication Date:
26 February 2014 (online)

 

„I tried native remedies in order to discover if they possessed any valuable means of cure; but, after being stewed in vapour baths, smoked like a red herring over twigs in hot potsherds, and physicked secundum black artem, I belive our own medicines are more efficacious and saver.“ [ 1 ]

Vor 200 Jahren, am 19. März 1813, wurde der schottische Arzt und Afrikaforscher David Livingstone geboren. Sein Geburtshaus in Blantyre, ein kleiner Ort in der Nähe von Glasgow, ist heute das David Livingstone Centre. Dort lebte die Familie Livingstone in einfachsten Verhältnissen.

Mit Lerneifer und frühen Verdiensten in einer Baumwollweberei gelang es David Livingstone, medizinische und theologische Studien zu absolvieren. Seine robuste Gesundheit und sein energisches Vorwärtsdrängen waren Eigenschaften, die ihn später zu einem der verehrtesten Botschafter des Commonwealth in der Weltöffentlichkeit machten. Er selbst berichtet, dass er bereits im Alter von 10 Jahren tagsüber 14 Stunden in der Baumwollspinnerei arbeitete und nachts eifrig lernte.

Livingstone erstand von seinen ersten Entlohnungen eine lateinische Grammatik, die er auf dem Webstuhl befestigte, um bei der Arbeit lernen zu können. Diese zielgerichtete Zähigkeit blieb kennzeichnend für die weiteren Ereignisse seines Lebens. Bekannt wurde Livingstone dann als der unermüdliche Afrikareisende, der mehrere Expeditionen ins Landesinnere unternahm und dabei geologische, medizinische und meteorologische Studien betrieb.

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Fotografie des Geburtshauses von David Livingstone, publiziert in der Zeitung The Alliance Herald am 20. März 1913.
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David Livingstone mit Ehefrau Mary und Kindern, die ersten Patienten, die er mit seinem Chininrezept behandelte.

Vorbild für interkulturelle Arbeit

Livingstone ging im Jahr 1841 nach Afrika und erkrankte dort erst nach einigen Jahren, 1853, am ‚afrikanischen Fieber‘. Die robuste Gesundheit des Forschers lässt sich an den vielen fieberfreien Jahren ermessen. Das Fieber war der Anlass für die Nutzung der lokalen, eingangs zitierten Therapieversuche. Diese Episode zeigt, welchen Respekt Livingstone der afrikanischen Kultur, den Menschen und ihrem medizinischen Wissen entgegenbrachte. Er war damit weit entfernt vom üblichen Verhalten der Kolonialmächte und richtungsweisend für die interkulturelle Arbeit bis in unsere Zeit.

Die persönlich durchlebte Kur bestärkte Livingstone darin, Wirkstoffe wie Chinin einzusetzen, die er aus einem Bericht der Nigerexpedition 1843 von Dr. James Mc William (1808–1862) kannte [ 2 ]. Livingstone selbst berichtet dann im British Medical Journal vom 29. Juni 1861 unter dem Titel „Fever in the Zambesi“ [ 3 ] über seine Erfahrungen in der Malariatherapie.

Seit 1850 setzte Livingstone zur Behandlung eine Mischung aus Chinin, Rhabarber, Jalap-Rosinen (getrocknete Wurzelstücke der Jalapen-Winde oder Prunkwinde) und Kalomel ein, die mit Kardamomgeist zu Tabletten verarbeitet wurden. Nach dieser Initialdosis wurde mehrmals täglich Chininsulfat eingenommen bis dessen toxische Wirkungen, Ohrgeräusche und eingeschränkte Hörfähigkeit, auftraten. Seine ersten Patienten waren seine Kinder.

Rezept von David Livingstone aus dem British Medical Journal

8 grains Jalap-Rosinen
8 grains Kalomel
4 grains Rhabarber und Chinin (Sulphat)

Das Ganze mischen und in Tabletten formen mit Kardamomgeist.

Die Rezeptur beruht auf der damaligen Annahme, dass die Wirkung von Chinin erst in Kombination mit Purgativen erreicht wird: Diese sollten durch eine vorherige Reinigung des Magen-Darm-Traktes, eine intensivierte Peristaltik und ein zunehmender Gallefluss besser resorbiert werden. Rhabarber wurde als Cholagogum angewendet. Livingstone beschreibt als typische Eigenschaft des afrikanischen Wechselfiebers eine stark gefüllte Gallenblase mit schwarzer Galle, die durch die Medikation entlastet wird. Anklänge an die historische Säftelehre sind dabei nicht zu übersehen. Auch sonst wurde Fieber als eine Krankheitsentität angesehen. Die Behandlung richtete sich nach der Form der Fieberschübe.

Eine ähnliche Zusammensetzung enthielt auch die im Commonwealth weitverbreitete Tinktur von Dr. Carl Warburg. Von diesem 1834 erfunden, über Jahrzehnte produziert und mit Erfolg vermarktet. Das geheime Rezept veröffentlichte Warburg im Jahr 1875 in The Lancet – weit über 10 Jahre nach Bericht und Rezepturangaben von David Livingstone im British Medical Journal. Warburgs Tinktur wurde von den britischen Truppen in Indien, Ceylon und vielen afrikanischen Ländern benutzt und auch von Livingstone erprobt. Dieser erachtete sie aber als weniger effektiv als die selbst erstellte Rezeptur und zudem unangenehm schweißtreibend.


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Frühe Nutzung des Chinins

Seit wann Chinarinde, die Rinde des Chinchona-Baumes, in der Behandlung von Fieber eingesetzt wird, ist historisch nicht eindeutig belegt. Unbestritten ist die Anwendung seit dem frühen 17. Jahrhundert in Europa und den britischen sowie spanischen Kolonien [ 4 ]. Jesuitische Priester nutzten die Pflanze bereits im 17. Jahrhundert zur Behandlung von Wechselfiebern. Die Priester hatten die Wirkung in Peru kennengelernt. Peruanische Indianer kauten die Rinde bei Fieber, was auf langes Vorwissen in der traditionellen Medizin hinweist. Der lateinische Pflanzenname Cinchona und nach diesem der Extrakt Chinin geht einer Legende zufolge auf die Gräfin von Chinchón zurück: Die Ehefrau des Vizekönigs der spanischen Kolonien in Lima wurde durch den Arzt Juan de Vega in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts von einer Malaria tertiana mittels eines Auszugs aus dem Rindenpulver geheilt [ 5 ]. Eine detailreiche Apologie dieser Legende verfasste der Jesuit Sebastian Badus im Jahr 1663: Anastasis corticis pervviae, sev Chinae Chinae defensio.

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Cinchona calisaya: Fieberrindenbaum aus Franz Eugen Köhler, Köhler̓s Medizinal-Pflanzen, 1897

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Chinintherapie im 19. Jahrhundert

Im Jahr 1820 gelang es 2 Franzosen, Pierre Pelletier und Joseph Caventou, die Alkaloide Chinin und Chinonine aus der Rinde zu isolieren. Vor der Isolierung wurde die gemahlene Rinde in Wein oder höherprozentigem Alkohol suspendiert, was außerdem den bitteren Geschmack überdeckte. Die Tinktur von Warburg und das Rezept von Livingstone zeigen, dass die Anwendung mit alkoholischen Getränken auch nach der Isolierung beibehalten wurde. Chinin in Gin Tonic blieb, auch außerhalb der britischen Kolonien und nach dem Rückgang von Chinin in der Malariatherapie, weiterhin beliebt.

David Livingstone veröffentlichte sein Rezept in verschiedenen Dosierungen, so in seinen in Buchform erschienen Berichten über seine Expeditionen und in Zeitschriftenartikeln wie im British Medical Journal [ 6 ]. Unter dem Namen „Livingston Rouser“ wurden seine Tabletten berühmt und dann von der Firma Wellcome bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts vertrieben. Die rasche therapeutische Wirkung auf das Schwächegefühl während der Expeditionen führte zu dem Namen Rouser. Die damit behandelten Expeditionsteilnehmer konnten nach wenigen Stunden weitermarschieren. Der Erfolg lag sicher auch in der hohen Chinindosierung bis hin zu toxischen Dosierungen der Medikation: Die Mortalität der Expeditionsreisenden unter Livingstone war deutlich geringer als die früherer Expeditionen [ 7 ].

Dr. Joachim Schnürle DTM&H, Roth


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  • Literatur

  • 1 Livingstone D. A Narrative of D. Living-stone’s Discoveries in South-Central Africa from 1849–1856. London: Routledge; 1857. 30.
  • 2 McWilliam JO. Medical History of the expedition to the Niger during the years 1841–2: Comprising an account of the fever which led to its abrupt termination. London: Churchill; 1843
  • 3 Livingstone D. Fever in Zambesi. BMJ 1861; 1: 681-682
  • 4 Meshnick SR, Dobson MJ. The History of Antimalarial Drugs. In: Rosenthal PJ, ed. Antimalarials Chemotherapy: Mechanisms of Action, Resistance, and New Direction in Drug Discovery. Totowa: Humana Press; 2001: 15-25
  • 5 Rodriguez FM. Precisions on the History of Quinine. Reumatol Clin 2007; 3: 194-196
  • 6 Larner AJ. Medical aspects of Dr Living-stone’s Zambesi expedition, 1858–1864. Medical Historian 2002; - 2003; 13: 5-11
  • 7 Gelfand M. Livingstone the Doctor. His Life and Travels. Oxford: Basil Blackwell; 1957: 11-13

  • Literatur

  • 1 Livingstone D. A Narrative of D. Living-stone’s Discoveries in South-Central Africa from 1849–1856. London: Routledge; 1857. 30.
  • 2 McWilliam JO. Medical History of the expedition to the Niger during the years 1841–2: Comprising an account of the fever which led to its abrupt termination. London: Churchill; 1843
  • 3 Livingstone D. Fever in Zambesi. BMJ 1861; 1: 681-682
  • 4 Meshnick SR, Dobson MJ. The History of Antimalarial Drugs. In: Rosenthal PJ, ed. Antimalarials Chemotherapy: Mechanisms of Action, Resistance, and New Direction in Drug Discovery. Totowa: Humana Press; 2001: 15-25
  • 5 Rodriguez FM. Precisions on the History of Quinine. Reumatol Clin 2007; 3: 194-196
  • 6 Larner AJ. Medical aspects of Dr Living-stone’s Zambesi expedition, 1858–1864. Medical Historian 2002; - 2003; 13: 5-11
  • 7 Gelfand M. Livingstone the Doctor. His Life and Travels. Oxford: Basil Blackwell; 1957: 11-13

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Fotografie des Geburtshauses von David Livingstone, publiziert in der Zeitung The Alliance Herald am 20. März 1913.
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David Livingstone mit Ehefrau Mary und Kindern, die ersten Patienten, die er mit seinem Chininrezept behandelte.
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Cinchona calisaya: Fieberrindenbaum aus Franz Eugen Köhler, Köhler̓s Medizinal-Pflanzen, 1897