Schlüsselwörter
Passionsblume -
Passiflora incarnata L. - Stress - GABA - Benzodiazepine
Key words
Passionflower -
Passiflora incarnata L. - stress - GABA - benzodiazepines
Alte Muster, neue Probleme
Alte Muster, neue Probleme
Der Mensch reagiert auf Stress von jeher gleich: Der Körper bereitet sich auf eine anstrengende Leistung vor, denn für unsere Vorfahren bedeutete Stress eine Lebensbedrohung durch Tiere oder feindlich gesinnte Menschen. Es gab nur zwei mögliche Verhaltensweisen – Kampf oder Flucht. Beide erfordern eine erhöhte Handlungsbereitschaft der Muskulatur, des Kreislaufs und des zentralen Nervensystems. Diese wird v.a. durch die Ausschüttung zweier Stresshormone erreicht: Adrenalin und Cortisol. Sie bewirken einen erhöhten Tonus der Skelettmuskulatur, eine Erhöhung des Blutdrucks, der Atemfrequenz und des Blutzuckerspiegels. Andere energiefordernde Prozesse wie Wachstum und Verdauung werden heruntergefahren.
Im ZNS wird unter Stress die Verarbeitung von Reizen im Großhirn reduziert. Veränderte Ausschüttungsmuster der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin sorgen stattdessen für eine Nutzung von Reaktionsmustern des Stammhirns, weil eine kognitive Einschätzung der Situation viel zu lange dauern würde. Diese Stressreaktion ist heutzutage meist nicht mehr zeitgemäß. Die Vorbereitungen des Körpers sind nur dann sinnvoll, wenn es im Anschluss zu einer körperlichen Anstrengung kommt und dadurch die bereitgestellte Energie abgebaut wird.
Auf heutige Stressoren wie Zeitdruck, Überforderung und Mehrfachbelastung folgt aber meist keine körperliche Anstrengung. Die Stresshormone werden nur langsam wieder abgebaut. Längerfristige Erhöhungen haben negative Folgen: Adrenalin und Cortisol bewirken einen ständig erhöhten Blutdruck und die Freisetzung körpereigener Fette, die die Blutgefäße schädigen. Cortisol reduziert die Abwehr von Viren und Bakterien. Auch die Wirkung von Insulin wird durch Cortisol verringert. Die Bauchspeicheldrüse kann dies zwar kurzfristig durch eine vermehrte Ausschüttung von Insulin ausgleichen, auf Dauer wird die Produktion jedoch reduziert – das Diabetesrisiko steigt. Darüber hinaus werden in Stresssituationen die Verdauungsorgane schlechter durchblutet, was zu Obstipation und einem erhöhten Entzündungsrisiko führen kann. Im Unterschied zur Magen- Darm-Muskulatur wird die Skelettmuskulatur überbeansprucht. Chronische Verspannungen bis hin zu Haltungs- und Gelenkschäden sind die Folge.
Und die Psyche leidet immer mit: Chronischer Stress geht mit nervöser Unruhe, Schlafstörungen und Angst einher. Langfristig können Angststörungen, ein Burnout- Syndrom oder eine Depression entstehen (Abb. 1).
Abb.1: Körperliche und psychische Wirkungen von häufigem Stress.
Stress im Griff
Neben dem Erlernen von Entspannungstechniken und einem achtsamen Umgang mit den eigenen Ressourcen kann auch eine medikamentöse Therapie Stresssymptome wie nervöse Unruhezustände und ihre Folgen reduzieren. Das Problem: Häufig werden schon bei leichten bis mittelschweren Stresssymptomen Benzodiazepine eingesetzt. Diese Medikamente können bei einer Einnahme von über 4 Wochen eine Abhängigkeit verursachen. Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. wurden im Jahr 2010 fast 10 Mio. Packungen Benzodiazepine verschrieben. Zwischen einem Drittel und der Hälfte dieser Packungen wurden nicht wegen akuter medizinischer Probleme, sondern zur Vermeidung von Entzugserscheinungen verordnet. In Deutschland sind zwischen 1,1 und 1,2 Mio. Menschen von Benzodiazepinen abhängig; das sind 80% aller Medikamentenabhängigen ([9]). Laut dem BKKLandesverband Bayern werden die volkswirtschaftlichen Folgen der Medikamentenabhängigkeit in Deutschland auf ca. 14 Mio. Euro im Jahr geschätzt. Die Benzodiazepinabhängigkeit ist die dritthäufigste Suchterkrankung in Deutschland ([17]).
Hier gibt es phytotherapeutische Alternativen. Bei Stresssymptomen wie nervöser Unruhe, Angst und Schlafstörungen ist der Einsatz von Arzneimitteln mit Extrakten aus dem Kraut der Passionsblume (Passiflora incarnata L.) sicher und Erfolg versprechend. Auch Extrakte aus Baldrianwurzel, Hopfenzapfen, Lavendelöl oder Melissenkraut sind mögliche Optionen.
Mit Passiflora incarnata gegen Stress
Mit Passiflora incarnata gegen Stress
Die Passionsblume stammt aus Amerika. Sie wurde dort von den Ureinwohnern wegen ihrer essbaren Frucht, der Maracuja, angebaut. Die Azteken erkannten aber auch die beruhigenden Effekte des Krautes und nutzten es bei Schlaflosigkeit und Nervosität. Über die spanischen Eroberer gelangte dieses Wissen nach Europa. Spanische Missionare gaben der Passionsblume ihren Namen, weil sie in ihrer Blüte die Passion Christi versinnbildlicht sahen. Seit dem 20. Jh. ist Passionsblumenkraut in Europa eine offizinelle Arzneidroge ([4], [8]).
In der Monografie der Kommission E wird die Verwendung von Passiflora-incarnata-Kraut zur Behandlung von nervöser Unruhe empfohlen ([18]). Laut der ESCOP-Monografie wird es erfolgreich bei Anspannung, Ruhelosigkeit und Einschlafstörungen angewandt ([14]). Das Committee on Herbal Medicinal Products der European Medicines Agency (EMA) hat 2007 eine eigene Monografie herausgegeben; hier wird der Einsatz von Passionsblumen- Extrakt im Rahmen des „traditional use“ bei leichten Stresssymptomen und zur Schlafförderung empfohlen ([12]).
Erst im letzten Jahrzehnt wurden klinische Studien mit Passionsblumenkraut-Extrakt durchgeführt, die vielversprechende Ergebnisse zeigten:
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> die Wirkung auf leichte Verlaufsformen der generalisierten Angststörung ist vergleichbar mit 15 mg Oxazepam/Tag ([3])
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> präoperative Angstsymptome werden gemildert ([6], [20])
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> es konnte eine positive Wirkung bei Kindern mit ADHS gezeigt werden ([2])
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> positive Effekte wurden beim Opiatentzug beobachtet ([1]).
Die Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH hat in einer aktuellen Studie einen Nachweis der pharmakologischen Wirkung des Passionsblumen-Arzneimittels Pascoflair® 425 mg mittels quantitativer Erfassung der elektrischen Hirntätigkeit erbracht. Das Studiendesign war einfach verblindet, randomisiert und placebokontrolliert. Sechzehn gesunde Erwachsene beiderlei Geschlechts im Alter von 30–70 Jahren wurden untersucht. Verglichen wurden die psychophysiologischen und kognitiven Auswirkungen bei Einmaleinnahme der Tageshöchstdosis (3 Tabletten à 425 mg Extrakt) gegen Placebo. Es konnten statistisch abgesicherte Veränderungen der EEG-Profile gezeigt werden – mit einem Wirkmuster, welches im Einklang mit den beruhigenden und entspannenden Effekten steht. Der Wirkeintritt zeigte sich bereits nach 30 Minuten mit zeitabhängiger weiterer Wirkungszunahme. Die maximale beruhigende Wirkung wurde nach 3 Stunden erreicht. Es gab keinerlei Leistungsminderung in Bezug auf Wachheit und Konzentration. Im Rahmen der Studie wurden keine unerwünschten Ereignisse mit kausalem Zusammenhang festgestellt. Arzt und Probanden beurteilten die Verträglichkeit zu 81,3% als „sehr gut“ (übrige Nennungen: „gut“) ([10]).
Alle aufgeführten Studien bestätigen den beruhigenden und angstlösenden Effekt von Passiflora-incarnata-Extrakt auf das zentrale Nervensystem; über den genauen Wirkmechanismus gab es aber bis vor einigen Jahren nur sehr wenige Erkenntnisse.
Wirkmechanismus aufgeklärt
Wirkmechanismus aufgeklärt
Die Effekte der Passionsblume führten zur Annahme eines Einflusses auf den Stoffwechsel des Neurotransmitters gamma- Aminobuttersäure (GABA). GABA ist der wichtigste endogene inhibitorische Neurotransmitter. Niedrige GABA-Spiegel im zentralen Nervensystem werden mit nervöser Unruhe, Angst, Depression und Schlaflosigkeit in Zusammenhang gebracht.
GABA moduliert eine Reihe von Verhaltensmechanismen und physiologischen Abläufen: Schlaf, Ernährungsverhalten, Sexualverhalten, Schmerz, kardiovaskuläre Regulation, Thermoregulation und Stimmung. Chronischer Stress wirkt sich negativ auf das GABA-System aus, er reduziert die Zahl der GABAergen Interneuronen im Hippocampus und beeinträchtigt kognitive Prozesse. Es gibt 2 Arten von GABA-Rezeptoren: GABAA- und GABAB-Rezeptoren. An GABAA-Rezeptoren greifen auch Barbiturate und Benzodiazepine an. Deshalb ist GABA der wichtigste Angriffspunkt in der Behandlung von Angstzuständen und Schlafstörungen. Eine medikamentöse Aktivierung dieses Systems hat sehr schnelle Effekte zur Folge ([15]).
Aber auch bei Depressionen spielt GABA eine Rolle: Die GABA-Spiegel im Gehirn depressiver Personen sind niedrig und können durch medikamentöse Behandlung erhöht werden.
In vivo (Maus) konnten für einen Passionsblumen- Extrakt (Passiflorae herbae extractum siccum Ph. Eur.; Droge-Extrakt- Verhältnis 5–7:1, Extraktionsmittel 50% Ethanol (V/V): Pascoflair® 425mg) anxiolytische Effekte gezeigt werden; sie waren GABA-vermittelt und vergleichbar mit Diazepam ([16]). In einer Arbeit von 2010 konnte erstmals ein Nachweis des genauen Wirkmechanismus eines Passiflora-incarnata- Extraktes in vitro erbracht werden ([5]). Die Untersuchungen beinhalteten Bindungsstudien an den GABA-, Benzodiazepin- und Ethanol-Bindungsstellen des GABAA- Rezeptors und am GABAB-Rezeptor. Zusätzlich wurden Effekte auf die GABA- Wiederaufnahme, die GABA-Freisetzung und die GABA-Transaminase-Aktivität untersucht:
GABA-Wiederaufnahme und -Freisetzung
Der Passionsblumen-Extrakt zeigte eine potente Hemmung der GABA-Wiederaufnahme in Cortex-Synaptosomen der Ratte mit einer mittleren effektiven Konzentration (EC50) von 95,7 μg/ml und einer maximalen Hemmung von 97,5 ± 7,2% ([5]) (Abb. 2). Passionsblumen-Extrakt ist also ein GABA-Wiederaufnahmehemmer. Ein Effekt auf die kaliuminduzierte [3H]-GABA-Freisetzung wurde dagegen nicht beobachtet.
Abb.2:Wirkung des Passionsblumen-Extraktes auf die GABA-Aufnahme in Rattencortex-Synaptosomen (Mittelwert ± CI95); nach (5).
GABA-Bindungsstelle am GABAA-Rezeptor
Der Passionsblumen-Extrakt konkurrierte konzentrationsabhängig mit der Bindung des GABA-Antagonisten [3H]-SR95531 an Rattenhirnmembranen. Die mittlere inhibitorische Konzentration (IC50) lag bei 101 μg/ml (Abb. 3). Eine Bindung an die GABA-Bindungsstelle ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Teil des Wirkmechanismus der Passionsblume.
Abb.3: Kompetitive Bindung des Passionsblumen-Extraktes an die GABABindungsstelle des Ratten-GABAA-Rezeptors (Mittelwert ± SEM); nach (5).
Benzodiazepin-Bindungsstelle am GABAA-Rezeptor
Der Passionsblumen-Extrakt hemmte die Bindung des Benzodiazepin-Antagonisten [3H]-Ro-15-1788 nur in sehr hohen Konzentrationen (IC50 = 944 mg/ml). Zusätzlich wurde die Bindung nicht durch die Anwesenheit von GABA moduliert, wie es für Referenzsubstanzen wie Diazepam bekannt ist. Diese Ergebnisse machen eine Bindung des Passionsblumen-Extraktes an die Benzodiazepin- Bindungsstelle des GABAA-Rezeptors sehr unwahrscheinlich. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, warum Passionsblumen- Extrakte im Gegensatz zu Benzodiazepinen kein Abhängigkeitspotenzial haben.
Ethanol-Bindungsstelle am GABAA-Rezeptor
Der IC50-Wert für die kompetitive Hemmung des Passionsblumen-Extrakts an die Ethanol-Bindungsstelle des GABAA-Rezeptors war sehr hoch: 512 mg/ml. Eine Bindung an diese Bindungsstelle ist also auch wenig wahrscheinlich und liefert somit eine weitere Erklärung für das nicht vorhandene Abhängigkeitspotenzial.
GABAB-Rezeptor
Der Passionsblumen-Extrakt konkurrierte konzentrationsabhängig mit der Bindung des GABAB-Rezeptorantagonisten [3H]-CGP 5462 an Rattenhirnmembranen. Die IC50 lag bei 120 mg/ml; eine Bindung an diesen Rezeptor scheint also wahrscheinlich.
Weiterhin wurde in einer [35S]-GTP-gamma- S-Bindungsstudie ermittelt, dass der Passionsblumen-Extrakt ein Antagonist dieses Rezeptors ist: Die Messung der Bindung des GTP-Analogs Guanosin-5′-O-(3- [35S]thio)triphosphats ([35S]-GTPgammaS) an das G-Protein eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors ist eine Methode zur Messung der agonistischen Wirkung einer Substanz am Rezeptor. Hat eine Substanz keine agonistische Wirkung, kann durch Zugabe eines potenten Agonisten eine antagonistische Wirkung ermittelt werden ([7]). Der Passionsblumen-Extrakt hatte eine niedrigere IC50 (31 mg/ml) im Antagonisten- als im Agonisten-Modus (115 mg/ml). Daher scheint der Passionsblumen-Extrakt ein Antagonist am GABAB-Rezeptor zu sein. Dies erklärt auch die antidepressive Wirkung von Passionsblumen-Extrakten, da in In-vivo-Studien für GABAB-Antagonisten ein antidepressiver Effekt beschrieben wurde ([22]).
In einer zusätzlichen Untersuchung zeigte der Passionsblumen-Extrakt antagonistische Effekte an Adenosin-A1- und Cannabinoid- Rezeptoren. Antagonisten des Adenosin- A1-Rezeptors wurden in vivo als potente Anxiolytika und kognitionsfördernde Substanzen beschrieben ([19]). Cannabinoid- Rezeptorantagonisten mildern in vivo Entzugssymptome ([21]). Ein solcher Effekt konnte für die Passionsblume auch klinisch bestätigt werden ([1]); die beobachtete antagonistische Wirkung könnte der verantwortliche Mechanismus sein.
Fazit
Diese In-vitro-Daten erklären den Wirkmechanismus des Passionsblumen-Extraktes aus Pascoflair® 425 mg:
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> GABA-Wiederaufnahmehemmung
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> Bindung an die GABA-Bindungsstelle des GABAA-Rezeptors
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> keine Interaktion mit der Ethanol- oder Benzodiazepin-Bindungsstelle des GABAA- Rezeptors
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> antagonistische Wirkung am GABABRezeptor
Die Ergebnisse sind konsistent mit den anxiolytischen und sedierenden Eigenschaften der Passionsblume und erklären, warum sich kein Abhängigkeitspotenzial entwickelt.
Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit belegen, dass für Pascoflair® 425 mg kein genotoxisches Potenzial vorhanden ist [gemäß ([13])]. Außerdem wurde das Interaktionspotenzial [gemäß ([11])] untersucht, um Cytochrom-P450-vermittelte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auszuschließen. Hierzu wurden Effekte auf alle relevanten Isoformen in humanen Hepatozyten und Lebermikrosomen gemessen. Der Passionsblumen-Extrakt in Pascoflair ® 425 mg zeigte keine klinisch-relevante Induktion oder Inhibition.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass pflanzliche Arzneimittel mit Passionsblumen- Extrakt eine gute und sichere Alternative zu chemisch definierten Arzneimitteln (z.B. Benzodiazepinen) in der Behandlung von Stresssymptomen wie nervöser Unruhe, Angst und Schlafstörungen darstellen.
Interessenkonflikt: Die Autorinnen sind Mitarbeiter der Firma Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH, dem Hersteller von Pascoflair® 425 mg.
Online
http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1371745