Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums liegt das mittlere
Erkrankungsalter für Krebs bei 69 Jahren für Männer und bei 68 Jahren für Frauen.
Doch es gibt auch Tumorentitäten mit einem Erkrankungsgipfel im jüngeren oder
mittleren Lebensalter wie beispielsweise Gebärmutterhals- oder Hodenkrebs. Bei
Brustkrebs haben epidemiologische Studien gezeigt, dass zum Diagnose-Zeitpunkt 11 %
der Betroffenen zwischen 35 und 44 Jahre und 2 % zwischen 20 und 34 Jahre alt sind.
Parallel dazu gibt es unübersehbar den gesellschaftlichen Trend, dass Frauen, aber
auch Männer, bei Geburt des ersten Kindes deutlich älter sind als vor Jahrzehnten.
Ärzte werden daher immer häufiger mit dem Problem konfrontiert, dass die
Familienplanung zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose bzw. -behandlung noch nicht
abgeschlossen ist.
Auswirkungen einer Krebsbehandlung auf die Familienplanung
Der Einfluss der Behandlungsstrategien bei Krebs auf die Fertilität ist sehr
unterschiedlich und wird außerdem von individuellen Faktoren, vor allem dem Alter
des Patienten, bestimmt. Auch die psychische Komponente darf nicht unterschätzt
werden. So wünschen sich beispielsweise Menschen, die sich in ihrer Kindheit einer
onkologischen Behandlung unterziehen mussten, seltener eigene Kinder. In einer
Umfrage (Klin Pädiatr 2008; 220: 159–165) unter ehemaligen
kinderonkologischen Patienten mit einem Durchschnittsalter von rund 24 Jahren lag
die Kinderwunschrate bei 77 % im Vergleich zu 90 % in der altersentsprechenden
Gesamtbevölkerung. Am häufigsten wurde von den potenziellen Eltern die Angst
geäußert, dass das Kind auch an Krebs erkranken oder dass die eigene Krankheit neu
ausbrechen könnte. Doch diese Ängste sind im Wesentlichen unbegründet, denn
großangelegte Studien haben gezeigt, dass Nachkommen von ehemals krebserkrankten
bzw. -therapierten Eltern (abgesehen von der genetischen Belastung bei Brustkrebs)
kein höheres Risiko für Tumorerkrankungen besitzen. In der genannten Umfrage lagen
die Fehlgeburtenrate, das Geburtsgewicht und der Kopfumfang bei Geburt im
Normbereich. Von 30 Umfrageteilnehmern wurden 41 Kinder geboren bzw. gezeugt, von
denen 40 gesund waren und nur eines eine Fußfehlstellung hatte.
Folgen von Krebsoperation, Bestrahlung und Chemotherapie
Die Chancen für eine erfolgreiche Schwangerschaft nach einer Krebserkrankung haben
sich dank moderner OP-Verfahren deutlich erhöht, erläutert Prof. Dr. med.
Eva-Maria Grischke, Leiterin der Onkologie an der Universitäts-Frauenklinik
Tübingen: „Früher wurde beispielsweise beim Ovarialkarzinom standardmäßig eine
Ovarektomie und eine Hysterektomie durchgeführt. Heute ist es möglich, in frühen
Stadien organerhaltend zu operieren, sodass ein Kinderwunsch realisiert werden kann.
Nach der OP sollte die Patientin aber relativ schnell schwanger werden. Eventuell
muss sich nach der Entbindung noch eine komplettierende Operation anschließen.“
Bei einer Bestrahlung im Unterleibsbereich hängt das Ausmaß einer möglichen
Schädigung vom Alter der Patientin und der Strahlendosis ab. Die Wahrscheinlichkeit
eines kompletten Verlustes der Ovarialfunktion steigt mit zunehmendem Alter. Frauen
über 40 haben eine geringere Eizellreserve, bei ihnen muss bereits bei Strahlendosen
zwischen 5 und 6 Gy mit einem dauerhaften Funktionsverlust gerechnet werden. Jüngere
Frauen dagegen können unter Umständen bis zu 20 Gy tolerieren. Wird bei einem
Mädchen oder einer Jugendlichen der Unterleib bestrahlt, kann es Untersuchungen
zufolge zu einem reduzierten Uterusvolumen, einer geringeren Endometrium-Dicke oder
einem Elastizitätsverlust der Uterusmuskulatur kommen. Bei Heranwachsenden kann eine
Bestrahlung im Kopfbereich zu einer Störung der
Hypothalamus-Hypophysen-Ovarien-Achse führen. Bei Männern kann es bereits bei
Strahlendosen von 0,1 Gy zu einer temporären Oligospermie kommen. Höhere Dosen
können zu einer kompletten Unterbrechung der Spermienproduktion führen, die –
allerdings manchmal erst nach mehreren Jahren – reversibel ist. Strahlendosen über
6 Gy führen häufig zu einer dauerhaften Infertilität. Zur Höhe der schädigenden
Strahlendosis finden sich in der Literatur jedoch sehr unterschiedliche Angaben.
Auch eine Chemotherapie kann gravierende Folgen haben. Wirkstoffe wie Busulfan,
Carboplatin, Cisplatin, Cyclophosphamid, Ifosfamid, Etoposid, Melphalan und
Procarbazin gelten als besonders fertilitätsschädigend. Auch wenn eine Chemotherapie
für die Ovarien in der Regel weniger toxisch ist als eine Radiotherapie, kann sie
dennoch zu einer massiven Schädigung bis hin zur permanenten Amenorrhö führen.
Alkylanzien wie beispielsweise Cyclophosphamid und Ifosfamid sind besonders
gonadotoxisch, da sie unabhängig vom Zellzyklus wirken und daher auch ruhende
Eizellen beeinträchtigen können. Univ.-Prof. Dr. med. Nadia Harbeck, Leiterin
des Brustzentrums der Universität München mit den Standorten Frauenkliniken
Großhadern und Maistraße-Innenstadt, weiß aus ihrer Erfahrung, dass die Ovarien bei
jungen Frauen eine Chemotherapie häufig problemlos überstehen und die Menstruation
nach Abschluss der Behandlung meist wieder einsetzt.
Bei Männern ist die Widerstandsfähigkeit des Spermienepithels und der
Testosteron-produzierenden Leydig-Zellen gegenüber einer Chemotherapie sehr
unterschiedlich, das Ausmaß der Schädigung daher schwer vorhersagbar. Alkylanzien
wie Cyclophosphamid oder Procarbazin sind Untersuchungen zufolge auch bei Männern
gonadotoxisch. Auch bei Platin-haltigen Dosierungsschemata wurde eine verlängerte
Azoospermie beobachtet. Therapien, die die genannten Substanzen nicht enthalten,
verursachen wahrscheinlich keine dauerhafte Azoospermie.
Lange Wartezeiten nicht notwendig
„Bei Brustkrebspatientinnen hat man früher die Ansicht vertreten, dass nach einer
Behandlung eine Wartezeit von zwei Jahren bis zur Schwangerschaft eingehalten werden
muss“, erläutert Grischke. „Dieses Intervall gründete sich jedoch nur auf die
statistische Wahrscheinlichkeit für das Rezidiv- und Metastasierungsrisiko, das in
den ersten beiden Jahren nach der Behandlung am höchsten ist. Es gibt jedoch keine
Daten, die das rechtfertigen. Daher wird heute die Ansicht vertreten, dass je nach
individuellem Rezidiv- bzw. Metastasierungs-Risiko eine Wartezeit von sechs Monaten
ausreichend sein kann.“
Häufig wird vermutet, dass bei einer Schwangerschaft nach erfolgreich behandeltem
Brustkrebs das Rezidivrisiko erhöht ist. Dazu Harbeck: „Das Mammakarzinom ist sicher
eine der bestuntersuchten Erkrankungen, und es gibt gute Daten, dass sich das
Rezidivrisiko durch die hormonellen Umstellungen in der Schwangerschaft nicht
erhöht, das heißt eine Schwangerschaft nach Brustkrebs verschlechtert nicht die
Heilungschancen. Es gibt aber auch Einschränkungen. Wird beispielsweise eine
adjuvante Therapie wegen der Schwangerschaft früher abgesetzt, ist dies mit einer
Einbuße der Heilungschancen vergesellschaftet. Eine solche Behandlung kann man aber
nach der Schwangerschaft wieder aufnehmen und zu Ende führen. Man therapiert ja
heute bei Brustkrebs bis zu zehn Jahre lang. Bei anderen Krebsarten kann sich das
durchaus anders verhalten. Wenn es beispielsweise zu einer Metastasierung gekommen
ist und man wichtige Therapien unterbrechen müsste, würde man eher von einer
Schwangerschaft abraten, weil man nicht neun Monate Zeit hätte, um eine
überlebenssichernde Therapie aufzuschieben. Eine erwähnenswerte Besonderheit ist der
so genannte Healthy-Mother-Effekt, was bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit für eine
Schwangerschaft ist bei solchen Patientinnen höher, die per se eine bessere
Heilungschance haben.“
Fertilitätserhaltende Maßnahmen vor der Krebstherapie
Vor einer Krebstherapie sollte bei Patienten mit Kinderwunsch über Verfahren
gesprochen werden, die die Fertilität nach Abschluss der Behandlung gewährleisten
oder verbessern. Bei männlichen Krebspatienten sind diese fertilitätserhaltenden
Maßnahmen deutlich unkomplizierter als bei Patientinnen, da die Kryokonservierung
von Spermien einfach und vergleichsweise kostengünstig durchführbar ist. Mit den
Methoden der assistierten Reproduktion (In-vitro-Fertilisation, IVF, oder
Intrazytoplasmische Spermieninjektion, ICSI) können die Keimzellen bei Bedarf
eingesetzt werden. Hat eine Tumorbehandlung zu einer Azoospermie geführt, können
Spermien auch mithilfe der testikulären Spermien-Extraktion (TESE) operativ aus dem
Hodengewebe gewonnen werden.
Auch für Frauen steht heute eine Reihe von fertilitätserhaltenden Verfahren zur
Verfügung:
-
Eierstockschutz mittels GnRH-Agonisten
-
hormonelle Stimulation mit anschließender Kryokonservierung der Eizellen
-
laparoskopische Entnahme von Eierstockgewebe mit dem Ziel der späteren
Re-Transplantation
-
Oophoropexie (Transposition der Ovarien): chirurgische Technik, bei der die
Eierstöcke vor einer geplanten Beckenbestrahlung aus dem Strahlungsfeld
entfernt werden.
Bei befruchteten kryokonservierten Eizellen ist die Chance auf eine Schwangerschaft
altersabhängig. Sie wird bei Patientinnen zwischen 18 und 25 Jahren mit 40 %
angegeben und sinkt mit steigendem Alter auf ca. 25 % bei Frauen zwischen 36 und 40
(Schweiz Med Forum 2012; 12: 708–709). Um die derzeit verfügbaren
Möglichkeiten der Fertilitätsprotektion zu bündeln, zu optimieren und
wissenschaftlich zu evaluieren, hat sich 2006 das Netzwerk FertiPROTEKT gegründet.
Derzeit sind darin 100 IVF-Zentren oder -Kliniken, d.h. fast 70 % der deutschen
IVF-Zentren, aktiv (www.fertiprotekt.de).
Krebstherapie während der Schwangerschaft
„Werden Patientinnen während der Schwangerschaft mit einer Krebserkrankung
konfrontiert, gehören sie in ein großes Zentrum, in dem alle Expertisen
einschließlich Pränataldiagnostik, Onkologie und Psychoonkologie vor Ort sind“,
betont Harbeck. „Wenn eine Patientin jung ist und einen Kinderwunsch hat, muss
bereits beim Erstgespräch an die fertilitätssichernden Maßnahmen gedacht werden.
Denn dafür ist ein Vorlauf von zwei bis drei Wochen notwendig – eine Zeitspanne, die
wir beim Brustkrebs zur Verfügung haben, bei anderen Erkrankungen wie beispielsweise
hämatologischen Tumoren jedoch nicht.“ Eine Brustkrebserkrankung könne heute in der
Schwangerschaft fast genauso behandelt werden wie außerhalb, die Heilungschancen für
die Patientin sind identisch. „Bei der Chemotherapie gibt es gute Daten für
Anthrazykline, sowie – wenn auch in geringerem Umfang – für Taxane. Hier wissen wir,
dass die Kinder gesund zur Welt kommen. Es ist bei Brustkrebs auch nicht notwendig,
das Kind vorzeitig zu holen. Notwendige Krebsdiagnostik wie bildgebende Verfahren
können dann nach der Entbindung nachgeholt werden.“