Z Orthop Unfall 2014; 152(02): 107-108
DOI: 10.1055/s-0034-1375828
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frau Professor Siggelkow zur Vitamin D-Supplementierung – „Ich stelle Patienten auf 75 Nanomol ein“

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Publication Date:
23 April 2014 (online)

 
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    (Bild: Malsch).)

    Die Endokrinologin Frau Professor Heide Siggelkow (Jahrgang 1962) ist seit 2011 Vorsitzende des Dachverbands Osteologie e. V. (DVO). Siggelkow arbeitet am Endokrinologikum Göttingen und leitet eine Forschungsgruppe Molekulare Endokrinologie und Osteologie am Universitätsklinikum Göttingen.

    Die Vorsitzende des Dachverbands Osteologie (DVO) erläutert, warum sie davon ausgeht, dass manche Patienten von Vitamin D-Supplementierung profitieren – auch wenn zwei neue Meta-Analysen kaum Hinweise auf Erfolge sehen.

    ? Der DVO hat Anfang März den länger erwarteten Entwurf für die neue Leitlinie Osteoporose veröffentlicht. Zum Thema Vitamin D steht dort, dass allen Männern über 60 und allen Frauen nach der Menopause eine tägliche Sonnenexposition von 30 Minuten empfohlen wird. Dies zur generellen Prophylaxe von Osteoporose und Frakturen.

    Richtig. Außerdem raten wir Personen mit einem hohen Sturz- oder Frakturrisiko und einer geringen Sonnenlichtexposition, 800 bis 1000 IE Vitamin D am Tag einzunehmen. Das Ziel sind Serumwerte über 20 ng/ml 25-Hydroxy-Vitamin D.

    ? Will sagen, normalerweise brauchen Erwachsene keine Vitamin D-Präparate?

    So ist es. So lange kein erhöhtes Sturzoder Frakturrisiko besteht und Sie auch mal in die Sonne gehen, ist das kein Thema. Eine generelle Prophylaxe mit Vitamin D ist bisher nicht vom DVO empfohlen worden. Es gibt aber auch Erwachsene mit einem Risiko für Vitamin D Mangel.

    ? Wer bitte ist eine Person mit einem erhöhten Sturz- oder Frakturrisiko?

    Das sind Patienten, die ein um mindestens 20 % erhöhtes 10-Jahresfrakturrisiko haben. Hatte jemand bereits Knochenbrüche, hat er genetische Risikofaktoren, raucht er? Es gibt eine Vielzahl an Risikofaktoren, die über einen Score summiert werden.

    ? Der neue Entwurf senkt die Empfehlungen zu Vitamin D sogar weiter ab. Die bislang vorliegende Leitlinie gab Empfehlungen für alle Erwachsenen. Jetzt hingegen ist nur noch von Männern, die über 60 sind und Frauen nach der Menopause die Rede. Und auch die Menge an Vitamin D-Zufuhr ist – wenn überhaupt nötig – dann von maximal 2000 IE auf 1000 IE abgesenkt.

    So ist es. Abzuwarten bleibt der Diskussionsprozess. Da bleiben Änderungen möglich.

    ? Wann können wir mit einer endgültigen Fassung rechnen?

    Ende März ist die letzte Sitzung der Leitlinienkommission, danach wird der Entwurf an die 19 Mitgliedsgesellschaften verschickt. Die Mehrheit muss dann mit Ja abstimmen, danach würde die Leitlinie veröffentlicht. Vitamin D wird sicher ein kontroverses Diskussionsthema sein. Es gibt Gruppen, die die aktuellen Formulierungen für sehr konservativ halten, die meinen, dass man sehr viel mehr Vitamin D geben muss.

    ? Welchen Vitamin D-Wert braucht denn nun Ihrer Ansicht nach ein Gesunder?

    Den schicke ich höchstens mal in die Sonne.

    ? Halbschatten ist sicher besser?

    Jein – für die Vitamin D-Synthese in der Haut eben nicht, dafür muss es pralle Sonne sein, wobei Sie keinen Sonnenbrand riskieren sollen. Anderseits reduziert schon Sonnenschutzcreme mit Faktor 8 die Vitamin D-Synthese auf 2 %. Es sind genau die Strahlen nötig, die leider eben auch rasch Sonnenbrand machen.

    ? Und bei Patienten mit Osteoporose, was empfehlen Sie da? Auch ab in die Sonne?

    Da ist die Vitamin D-Supplementierung ein wichtiger Teil der Basistherapie. Sonne reicht bei ihnen meist kaum aus, weil die Synthese in der Haut zwischen dem 20. und dem 70. Lebensjahr auf ein Fünftel abnimmt. Der ältere Mensch produziert nicht mehr genug Vitamin D.

    ? Der Leitlinienentwurf sieht bei Gesunden wie auch Patienten mit Osteoporose einen Zielwert bei 20 ng/ml Blut. Worauf stützt sich das?

    Nach Stellungnahme der Leitlinienkommission ist das der Wert, mit dem nach aktuellen Daten der größte Nutzen mittels Evidenz nachgewiesen ist. Es ist jedoch eine Leitlinie und keine Richtlinie. Ich stelle Patienten auf 30 ng, alias 75 nmol ein.

    ? Und wieso weichen Sie jetzt da nach oben ab?

    Weil ich damit keinen Schaden anrichte und so eventuell eine Osteomalaziekomponente noch mitnehme, die ja eine Gruppe um Michael Amling aus Hamburg in ihren Untersuchungen nachgewiesen hat. Der Leitlinienentwurf spricht von Werten oberhalb 20 ng, somit liege ich mit meiner Einstellung voll im Trend.

    ? Osteomalaziekomponente?

    Es ist die Studie von 2010 bei Verkehrsopfern, in denen die Gruppe um Amling gefunden hatte, dass erst bei Werten von 75 nmol keine Anhaltspunkte mehr zu sehen waren (Anm. Red. s. S. 103). Die Chance darauf möchte ich mitnehmen. Eine Leitlinie ist ein Behandlungskorridor. Ich stelle meine Patienten in einem Bereich ein, der ihnen womöglich noch etwas mehr nützt.

    ? Andere Experten sehen Handlungsbedarf wenn überhaupt, dann erst bei viel niedrigeren Werten von nur noch 10 ng/ml, alias 25 nmol/l. Dann drohe eine Osteomalazie.

    Und das ist mittlerweile eine recht häufige Erkrankung auch bei uns.

    ? Häufig?

    Ja, weil die Menschen heute sehr viel Sonnenschutz verwenden, haben sehr viele einen Vitamin D-Mangel. Auch sehr viele Gesunde, die dann eine Osteomalazie entwickeln.

    ? Wenn ich mit 40 Jahren einen Wert von 25 nmol hätte, würden Sie sagen – Sie müssen supplementieren?

    Nein, das würde ich nicht sagen, solange es Ihnen gut geht.

    ? Eine Gruppe um Michael Holick rät sogar zu Blutwerten von 100 bis 150 nmol 25(OH)D.

    Nein, ich würde selbst Patientinnen nicht über 100 nmol einstellen wollen. Ich sehe die Daten zu Vitamin D genauso wie früher die Östrogen-Daten. Viele der Daten für Vitamin D sind aus Korrelationsanalysen und eben nicht aus prospektiven Studien. So war es auch bei den Östrogenen, wo aus diesen Korrelationsstudien fälschlicherweise geschlossen wurde, die Einnahme von Östrogenen sei prinzipiell gesund und somit für alle Frauen nach der Menopause zu empfehlen. So ähnlich ist das heute mit Vitamin D. Offenbar korrelieren auch da höhere Serumwerte für Vitamin D mit geringeren Risiken für Krebs und Herzinfarkt. Sie können mit Korrelationsstudien aber eben nicht sagen, jemand hat ein geringeres Herzinfarktrisiko, weil er einen höheren Vitamin D-Spiegel im Blut hat. Korrelationsdaten taugen auf gar keinen Fall für Therapieempfehlungen. Das zeigen ja jetzt die Studien von Bolland et al. und von Autier et al. (s. S. 103), die ich aber ihrerseits auch wieder nicht für der Weisheit letzter Schluss halte.

    ? Beide haben gefunden, dass höchstens einige ganz bestimmte Gruppen von Gesunden und Patienten von der Vitamin D-Supplementierung profitieren. Was sehen Sie da jetzt kritisch?

    Ich moniere vor allem, dass eine Meta-Analyse viele ganz unterschiedliche Studien mit ganz unterschiedlichen Ausgangs- und Endwerten zusammen wirft. Da bleibt für mich die Frage, ob manche Einzelanalysen quasi wertlos geworden sind, da sie in der Masse der gepoolten Daten untergehen. Da muss ich sagen, das sehe ich nicht so.

    ? Die Gruppe um Bolland lässt aber einige Studien zur Knochengesundheit gelten. Die Daten von Chapuy et al. bleiben offenbar gültig.

    Korrekt. Vitamin D-Supplementation in Kombination mit Calcium nützt danach offenkundig zumindest bei älteren Frauen, die in Pflegeheimen leben zur Vorbeugung gegen Knochenbrüche.

    ? Die Gruppe um Bolland sieht andererseits keinen Grund mehr, neue große Studien zu dem Thema Vitamin D-Supplementierung aufzusetzen. Die Frage scheint für diese Autoren entschieden.

    Das ist das, was diese Autoren suggerieren, aber das sehe ich gar nicht so. Wir brauchen auf jeden Fall noch weitere Studien.

    ? Wieso?

    Es sind viel zu wenige prospektive Untersuchungen gemacht worden, und wenn, dann steigen die oft schon bei hohen Vitamin D-Werten ein. Wirklich Klarheit haben wir da bislang eben nicht.

    ? Zum Thema Vitamin D und Knochenstabilität zitiert aber auch der Entwurf der neuen Leitlinie des DVO eine weitere Studie der Gruppe um Bolland von 2013 nach der Vitamin D nur marginalen Einfluss auf die Knochenmineralisation habe. Was soll da noch neues kommen?

    Aber das ist ja nicht alles. Das Vitamin D wirkt auch auf den Muskel. Und womöglich ist das der viel wichtigere Effekt. Wir haben Studien von Helmut Minne und Michael Pfeifer, nach denen das Sturzrisiko bei älteren Menschen schon drei Wochen nach Supplementierung mit Vitamin D geringer wird (1). Wir glauben, dass das Sturzrisiko über den Muskel gesteuert ist und weniger eine Frage der Knochendichte ist. Das bleibt ein relevanter Aspekt.

    ? Herr Bolland wird sagen, der Effekt auf die Muskeln und die Sturzrate ist in seiner Analyse nicht erkennbar.

    Richtig und er hat diese Studien von Pfeifer et al. auch in seine Analyse integriert. Aber die gehen dort dann in einem Gesamt an Studien einfach unter.

    ? Auch Autier et al. berichteten im Dezember 2013, dass sie so gut wie keine positiven Effekte finden, wenn Menschen mit Vitamin D-Werten unter 20 ng/ml 2000 IE Vitamin D am Tag bekamen. 34 Studien und kaum Effekte. Wieso glauben Sie, dass neue Studien doch noch Erfolge zeigen?

    Letzten Endes glaube auch ich, dass es eher darum geht, Dinge noch mal wirklich auszuschließen. Ich sage nur, dass Metaanalysen derzeit den Beweis, dass Vitamin D gar nichts nützt, noch nicht führen können, weil es die wirklich guten prospektiven Studien noch nicht gibt. Daher finde ich weitere Studien gerechtfertigt.

    ? Ein Zitat aus einer x-beliebigen Arztpraxis: In den letzten Jahren zeigte sich, dass viele chronische Krankheiten wie Osteoporose, Multiple Sklerose, Fibromyalgie, Bluthochdruck, Schlaganfall, Diabetes, Depressionen und Demenz durch einen Vitamin D-Mangel ausgelöst werden. Jeder Besucher könne sich daher gleich testen lassen und erhalte anschließend Präventions- und Therapieberatung – natürlich als IGEL. Was sagen Sie dazu?

    Das ist schon sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Naturwissenschaftlich ist das nicht und mit den Leitlinien hat das auch nichts zu tun. Ich glaube, dass die neue Leitlinie des DVO helfen wird, dass solche Aussagen seltener werden.

    ? Warum, schon die bisherige Leitlinien des DVO deckte solche Aussagen ganz und gar nicht.

    In der Tat, es gibt den Glauben an Wunderheilmittel. Da können Sie auf Veranstaltungen reden, was Sie wollen, erklären – Leute, es sind keine prospektiven Studien da. Das hilft nicht, viele nehmen dann doch wieder Argumente aus Korrelationsstudien.

    Das Interview führte Bernhard Epping

    Weitere Informationen

    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18629569


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