Dialyse aktuell 2014; 18(04): 224-225
DOI: 10.1055/s-0034-1376250
Forum der Industrie
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9. Interaktives Nephrologisches Experten-Forum – Phosphatbinderwahl und Outcome: Zu Sevelamer liegt die umfangreichste Datenlage vor

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Publikationsdatum:
15. Mai 2014 (online)

 
 

Die Hyperphosphatämie ist bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (CKD) ein etablierter kardiovaskulärer Risikofaktor, Phosphatbinder gehören daher seit Langem zur Basistherapie dieser Patientengruppe. Welche modernen Möglichkeiten für die Phosphatkontrolle zur Verfügung stehen sowie mögliche Vor-und Nachteile neuer phosphatsenkender Substanzen, war eines der „Hot Topics“, die auf dem 9. Interaktiven Nephrologischen Experten-Forum diskutiert wurden.

Kalziumfrei oder nicht kalziumfrei – eine Metaanalyse gibt Aufschluss

Wie Prof. Vincent Brandenburg, Aachen, erläuterte, haben bereits einige Studien, darunter auch prospektiv randomisierte Studien wie die RIND[ 1 ]-Studie [ 1 ], Hinweise auf einen möglichen Überlebensvorteil durch die kalziumfreie Phosphatkontrolle mit dem kalzium- und metallfreien Phosphatbinder Sevelamer gegeben. Eine im Vorjahr im renommierten Journal Lancet veröffentlichte Metanalyse von Jamal et al. [2] gab nun Aufschluss: Die kalziumfreie Phosphatbindertherapie reduziert die Mortalitätsrate.

Die Autoren hatten systematisch die Literatur bis einschließlich Oktober 2012 entsprechend der PRISMA-Leitlinien (PRISMA: Preferred Reporting Items for Systematic Reviewers and Meta-Analysis) [ 3 ] ausgewertet und den Effekt von kalziumhaltigen vs. kalziumfreien Phosphatbindern auf die Mortalität verglichen. In die Auswertung gingen 11 randomisierte und 3 nicht randomisierte Studien ein, von denen bis auf eine einzige alle Sevelamer als Studienmedikation eingesetzt hatten. Insgesamt war in dieser Analyse die kalziumfreie Behandlung mit einer 13-prozentigen Risikoreduktion assoziiert; betrachtete man nur die randomisierten Studien, betrug die Risikoreduktion sogar 22 % und war damit hochsignifikant.


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Auch neue Studie zeigt: signifikant geringere Mortalität unter Sevelamer

Dabei war, wie Brandenburg ausführte, in die Metaanalyse noch gar nicht die jüngste Studie von Di Iorio et al. [ 4 ] mit eingeflossen, die einen signifikanten Vorteil von Sevelamer auf das Überleben von inzidenten Hämodialysepatienten zeigte. In dieser 2-armigen, multizentrischen, nicht verblindeten Studie wurden 466 Patienten, die zu Studienbeginn nicht länger als ein halbes Jahr dialysepflichtig waren, randomisiert und erhielten entweder Sevelamer oder kalziumkarbonathaltige Phosphatbinder zur Senkung der Serum-Phosphat-Spiegel in den Zielbereich von 2,7–5,5 mg/dl.

Der primäre Endpunkt, die kardiovas-kuläre Mortalität aufgrund von Herz-Rhythmus-Störungen, wurde durch die kalziumfreie Therapie signifikant – nach Adjustierung um den Faktor 10 (HR, 95-%-CI: 0,008; p < 0,001) – reduziert. Auch die kardiovaskuläre Mortalität (alle Ursachen) war in der Studiengruppe, die Sevelamer erhalten hatte, signifikant niedriger (HR, 95-%-CI: 0,11; p < 0,001) (Abb. [ 1 ]). Die Wahl des Phosphatbinders hatte in dieser Erhebung hingegen keinen Einfluss auf die nicht kardiovaskulär bedingte Mortalität.

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Abb. 1 Überleben inzidenter Dialysepatienten (n = 466; p < 0,001).
nach [ 4 ]

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Sevelamer: Viele Substanzeigenschaften tragen zum Gefäßschutz bei

Wie Brandenburg erläuterte, könnte dieser positive Effekt auf das Outcome auf verschiedene gefäßprotektive Eigenschaften des kalzium- und metallfreien Phosphatbinders zurückzuführen sein (Abb. [ 2 ]). Denn bei nierenkranken Menschen wird zugeführtes Kalzium nachweislich nicht in die Knochen eingebaut, sondern lagert sich u. a. in den Gefäßen ab und katalysiert die Mediasklerose: Weiche Gefäßmuskelzellen werden dabei in knochenähnliche Substanz umgebaut. Diese spezielle und in der Regel akzelerierte Gefäßverkalkung ist eines der größten Probleme bei der chronischen Nierenerkrankung, die maßgeblich zur hohen kardiovaskulären Morbidität und Mortalität der Patienten beiträgt.

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Abb. 2 Pleiotrope Effekte von Sevelamer, die dazu beitragen können, die Progression vaskulärer Kalzifikationen aufzuhalten und/oder die Überlebensrate zu verbessern.
nach [ 5 ]

Chertow et al. [6] hatten bereits 2002 nachweisen können, dass die kalziumfreie Therapie mit Sevelamer im Vergleich zur kalziumhaltigen Phosphatbindertherapie mit einer signifikant geringeren Gefäßverkalkung einhergeht. Das sei aber nicht nur das Resultat der „Kalziumfreiheit“ von Sevelamer, sondern werde durch zahlreiche pleiotrope Effekte verstärkt: So vermindert Sevelamer auch das LDL-Cholesterin [ 7 ], reduziert die Entstehung von AGEs [ 7 ], [ 8 ], hebt die Fetuin-A-Konzentration im Serum und senkt Inflammationsmarker wie das CrP [ 9 ] – allesamt Faktoren, die den intrazellulären oxidativen Stress reduzieren.

Einen weiteren Risikofaktor, den Sevelamer günstig beeinflusst, ist der Harnstoffspiegel. Die mittleren Harnstoffkonzentrationen fallen unter Therapie mit Sevelamer deutlich mehr ab als unter kalziumhaltigen Phosphatbindern [ 11 ]. Dass die Harnstoffkonzentration als Risikofaktor durchaus relevant ist, erläuterte Prof. Karl Lorenz Sellin, Düsseldorf. Er führte u. a. eine australisch-neuseeländische retrospektive Studie [ 12 ] an, in der die Hyperurikämie mit kardiovaskulären Erkrankungen und einer erhöhten Sterblichkeit verbunden war.

Ebenso können, wie Prof. Helmut Geiger, Frankfurt, ausführte, hohe Bikarbonatkonzentrationen im Dialysat und niedrige Serum-Karbonat-Spiegel die Mortalität erhöhen, wobei starke und schnelle Schwankungen des Serum-Bikarbonat-Spiegels sowie intradialytische Azidosen oder Alkalosen als Ursachen vermutet werden. Eine kontinuierliche Supplementierung von Bikarbonat vermindere diese Schwankungen [ 13 ], wie Geiger betonte. Somit kann auch die Wahl des Phosphatbinders zuträglich sein. Aus den Zulassungsstudien [ 14 ], [ 15 ] ist bekannt, dass Sevelamerkarbonat den Bikarbonatspiegel anhebt.

Neue Erkenntnisse zur Rolle des HDL bei Dialysepatienten

Überraschende Daten zum Lipidstoffwechsel bei Dialysepatienten stellte Prof. Danilo Fliser, Homburg/Saar, vor: Das durch die Phosphatbindertherapie nicht beeinflussbare HDL-Cholesterin wird offensichtlich durch urämische Toxine so verändert wird, dass es bei CKD-Patienten seine protektiven Eigenschaften verliert [ 10 ]. Somit bestehe hier ein inverses Risiko im Vergleich zur Normalbevölkerung.


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Umfangreichste Datenlage zu Sevelamer

Zu keinem anderen Phosphatbinder liegen derzeit so zahlreiche Kalzifizierungs- oder Outcomestudien vor wie zu Sevelamer, auch sind bei keiner anderen Substanz so viele pleiotrope Effekte untersucht worden. Brandenburgs Fazit lautete daher: Zu dem Phosphatbinder Sevelamer läge derzeit die quantitativ wie qualitativ beste Datenlage vor.

Im Gegensatz dazu fehlen zu neuen Präparaten Langzeitdaten. Was in der Natur der Sache liegt, wertete Prof. Peter Jehle, Lutherstadt-Wittenberg, bei Substanzen, die bereits bei anderen Indikationsstellungen zu Problemen geführt haben, kritisch. Als Beispiel führte er das Eisenzitrat an, das nun auch zur Phosphatsenkung eingesetzt, aber nachweislich resorbiert wird und die Ferritinspiegel erhöht [ 16 ], was zunächst unter dem Gesichtspunkt der Anämietherapie attraktiv erscheine. Jedoch müsse eine Eisenüberladung vermieden werden. Ein anderes Phosphatbinderpräparat auf Eisenbasis, die Substanz PA21, wird hingegen nicht resorbiert. Jedoch gibt es, wie Jehle zeigte, weder einen Zusatznutzen noch Kalzifizierungs- oder Outcomestudien.

Ähnlich stelle sich das Bild für Niacin (= Vitamin B3) dar. Es hemmt den intestinalen Phosphattransport und sei somit ein innovatives Wirkprinzip zur Phosphatkontrolle. Wie Jehle aber ausführte, wird Niacin seit Längerem zur Therapie von Schizophrenie, Psoriasis, als Radiosensitizer sowie aktuell auch gegen die Hypercholesterinämie eingesetzt – und Nebenwirkungen seien daher bekannt. Neben gastrointestinalen Problemen können Hyperglykämie, Hyperurikämie, Hepatotoxizität und Thrombozytopenie auftreten. Letztere wurde bei Dialysepatienten bereits bei einer Dosis von unter 1 g/d beobachtet. Häufig käme es auch zu einem Flush-Syndrom. Viele der neuen Therapien seien vielversprechend, aber letztlich konnte bislang nur für Sevelamer gezeigt werden, dass es die Kalzifizierung mindert und so das Outcome positiv beeinflusst.


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Update der KDIGO-CKD-MBD-Leitlinien aufgrund der neuen Datenlage?

Wie Prof. Markus Ketteler, Coburg, ausführte, wurde aktuell für die KDIGO-CKD-MBD-Leitlinien (KDIGO: Kidney Disease: Improving Global Outcomes, CKD-MBD: Chronic Kidney Disease – Mineral Bone Disaese) ein selektives Update beschlossen. Die verantwortliche Leitlinienkommission identifizierte Passagen, die vor dem Hintergrund neuer Studiendaten überarbeitungsbedürftig erscheinen. Auch Paragraph 4.1.4. der Leitlinie zur Phosphatbindertherapie soll geprüft werden, da nun neue Daten aus verschiedenen kontrollierten Studien [ 3 ], [ 8 ], [ 17 ] vorliegen. Darin heißt es: „Bei Patienten in den Stadien 3–5 (2D) und 5D (2B) einer chronischen Nierenerkrankung schlagen wir den Einsatz von Phosphatbindern bei der Behandlung der Hyperphosphatämie vor. Es erscheint sinnvoll, die Wahl des Phosphatbinders vom Stadium der Niereninsuffizienz, vom Vorhandensein anderer Komponenten von Störungen des Mineral- und Knochenhaushalts, von den Begleittherapien und vom Nebenwirkungsprofil abhängig zu machen (ohne Graduierung)“ [ 18 ]. Mitte des Jahres wird ein erstes KDIGO-Positionspapier zu dieser Frage erwartet.

Dr. Bettina Albers, Weimar

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main.
Die Beitragsinhalte stammen von der Veranstaltung „9. Interaktives Nephrologisches Experten-Forum – Hot Topics der Nephrologie“, Frankfurt am Main, 07–08.03.2014, veranstaltet von der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main.
Die Autorin ist Mitarbeiterin bei albersconcept, Weimar.


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1 Renagel In New Dialysis Patients




 
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Abb. 1 Überleben inzidenter Dialysepatienten (n = 466; p < 0,001).
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Abb. 2 Pleiotrope Effekte von Sevelamer, die dazu beitragen können, die Progression vaskulärer Kalzifikationen aufzuhalten und/oder die Überlebensrate zu verbessern.
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