Einleitung
Vemurafenib ist seit 2011 von der FDA und seit 2012 von der EMEA zur Behandlung des metastasierten malignen Melanoms zugelassen. Es handelt sich um einen Hemmer der onkogenen V600-BRAF-Serin-Threonin-Kinase. Die Mutation an dem BRAF-Gen bei Position 600 aktiviert BRAF-Proteine, welche zu einer raschen Zellproliferation führen. Die selektive Bindung des BRAF-Inhibitors bremst die Wachstumsstimulation der Tumorzellen und es kommt somit zu einer Apoptose [1].
Patienten mit nachgewiesener V600B-Mutation zeigen unter Therapie mit Vemurafenib ein medianes progressionsfreies Überleben von 7 Monaten [1]. Allerdings treten unter der Therapie diverse Nebenwirkungen auf, hauptsächlich die Haut betreffend. Zu den häufigsten zählen das makulopapulöse Exanthem, Fotosensitivität, Keratoakanthome und spinozelluläre Karzinome, plantare Hyperkeratosen sowie Zweitmelanome [2]. Jeder Arzt, der Patienten unter Klasse-I-BRAF-Inhibitor-Therapie betreut, sollte einen Überblick über diese Nebenwirkungen haben und mit deren Therapie vertraut sein.
Anamnese
Die 48-jährige Patientin stellte sich erstmalig im Juli 2013 zunächst in der Klinik für Unfallchirurgie unseres Krankenhauses mit einem 7,5 × 10 cm großen, dunkelbraun bis schwarzen, exophytisch wachsenden Tumor am linken Unterschenkel vor ([Abb.1]). Die unfallchirurgischen Kollegen führten eine Biopsie durch, welche die Diagnose eines malignen Melanoms ergab. Daraufhin wurde die Patientin durch unsere Abteilung zur weiteren Behandlung übernommen.
Abb. 1 Exophytisch wachsendes Melanom am linken Unterschenkel. Aufnahme bei Erstvorstellung der Patientin im Juli 2013.
Verlauf
Das Melanom inklusive der Satellitenmetastasen wurden mit einem Sicherheitsabstand von 2 cm exzidiert ([Abb. 2]). Es folgte ein Staging, welches eine Lymphknotenmetastasierung im Bereich der linken Leiste und im kleinen Becken ergab ([Abb. 3]). Der Tumormarker S100 war mit 0,442 µg/L erhöht (Referenzbereich < 0,105 µg/L). Zerebrale, pulmonale und hepatische Metastasen wurden nicht nachgewiesen, sodass von einem klinischen Stadium IV auszugehen war (pT4b N3 M0). Eine operative Sanierung der Lymphknotenpakete in der linken Leiste war aufgrund der durch die Raumforderung verlaufenden Arteria iliaca externa nicht möglich. Die Patientin wurde daraufhin in unserer interdisziplinäre Tumorkonferenz vorgestellt. Nach Zusammenschau der Befunde wurde – bei Nachweis der Mutation V600E – entschieden, eine Therapie mit Vemurafenib bei manifestem Stadium-IV-Melanom zu beginnen und gegebenenfalls eine operative Sanierung bzw. eine Radiatio der Lymphknotenpakete in der linken Leiste im Verlauf zu planen.
Abb. 2 Exzidat mit 2 cm Sicherheitsabstand und Satellitenmetastasen.
Abb. 3 Nachweis von großen Lymphknotenpaketen in der linken Leiste.
Die BRAF-Mutation-V600E konnte nachgewiesen werden, sodass wir im August 2013 eine Vemurafenib-Therapie in der Dosierung 960 mg 2 × tgl. einleiten konnten.
Im Rahmen der zweiwöchigen Kontrollen unter der Therapie zeigten sich bei der Patientin, 6 Wochen nach Einleitung, subkutane, druckdolente, dunkelrote, infiltrierte Knoten an den oberen und unteren Extremitäten einhergehend mit symmetrischen Gelenkschwellungen und Arthralgien an Finger-, Hand-, Sprung- und Kniegelenken ([Abb. 4], [Abb. 5]). Die Patientin befand sich bei Vorstellung in reduziertem Allgemeinzustand, fühlte sich schlapp, mit febriler Temperatur.
Abb. 4 Subkutane, infiltrierte, druckdolente Knoten an den unteren Extremitäten.
Abb. 5 Symmetrische Gelenkschwellung und Arthralgien der Hand- und Fingergelenke.
Wir führten eine Routinelaboruntersuchung durch. Die Körpertemperatur betrug 38 °C.
Die Laboruntersuchung ergab ein erhöhtes CRP, eine Leukozytose, eine Thrombozytose und eine Anämie. Im Differenzialblutbild zeigte sich eine Neutrophilie.
Wir stellten die Verdachtsdiagnose einer Arzneimittelreaktion auf Vemurafenib, allerdings konnte aufgrund der erhöhten Entzündungsparameter ein bakterieller bzw. viraler Infekt nicht ausgeschlossen werden. Wir leiteten eine systemische antibiotische Therapie mit Cefuroxim 500 mg 2 × tgl. ein, zusätzlich erfolgte eine Dosisreduktion des Vemurafenib um 25 % auf 720 mg 2 × tgl. Bezüglich des Exanthems wurde zunächst eine externe Lokaltherapie mit Betamethason verordnet. Die Patientin wurde zur Verlaufskontrolle drei Tage später einbestellt.
Bei der Wiedervorstellung zeigte sich der Hautbefund konstant. Es bestand weiterhin erhöhte Temperatur, der Allgemeinzustand war reduziert, das Exanthem, die Gelenkschwellungen und Arthralgien zeigten keine Regredienz. Daraufhin wurde eine systemische Therapie mit Prednisolon 20 mg in absteigender Dosierung eingeleitet. Die Arthralgien wurden mit Ibuprofen behandelt. Die Patientin stellte sich zehn Tage später erneut vor. Das Exanthem zeigte sich unter unserer Therapie rückläufig, Gelenkschwellungen waren nicht mehr vorhanden ([Abb. 6]). Wir stellten die Diagnose einer Neutrophilenpannikulitis unter Therapie mit Vemurafenib bei malignem Melanom Stadium IV. Differenzialdiagnostisch sollte an ein Sweet-Syndrom gedacht werden.
Abb. 6 Verlaufskontrolle 10 Tage nach Einleitung der systemischen Therapie mit Steroiden und NSAR (links), zum Vergleich Befund vor Therapiebeginn (rechts).
Bei unserer Patientin zeigten die Lymphknotenmetastasen in der linken Leiste ein gutes Ansprechen (nicht mehr nachweisbar in der Magnetresonanztomografie des Abdomens) in der Verlaufskontrolle drei Monate nach Beginn der Therapie mit Vemurafenib trotz Dosisreduktion ([Abb. 7]). Der Tumormarker S100 ist innerhalb der ersten 4 Wochen nach Beginn der Vemurafenib-Therapie von 0,442 µg/L auf 0,141 µg/L gesunken.
Abb. 7 Aufnahmen vom Abdomen drei Monate nach Beginn der Therapie mit Vemurafenib.
Diskussion
In der Dermatoonkologie treten Therapien mit Klasse-I-Kinase-Inhibitoren immer mehr in den Vordergrund und somit auch die damit verbundenen Nebenwirkungen. In der Regel handelt es sich um kutane Manifestationen, sodass eine gute Übersicht dieser für jeden in der Dermatologie tätigen Arzt wichtig erscheint.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen das makulopapulöse Exanthem (64 – 75 %), die Fotosensitivität für UVA (35 – 63 %), das follikulär gebundene Exanthem mit perifollikulärem/follikulärem Infiltrat, Keratoakanthome/spinozelluläre Karzinome, Pruritus sine materia, plantare Hyperkeratosen, diffuse Alopezie, brüchige Nägel, lockiges Haar und Keratosis pilaris [2].
In den letzten zwei Jahren werden vereinzelt seltene Nebenwirkungen unter Vemurafenib-Therapie beschrieben. Dazu gehören auch die Neutrophilenpannikulitis und das Sweet-Syndrom, wobei erstere häufiger beschrieben wurde.
Erstmalig wurde nach unseren Kenntnissen die Neutrophilenpannikulitis 2011 durch Infante et al. im Rahmen einer Phase-I/II-Studie mit MEK1-, MEK2- und BRAF-Inhibitoren beschrieben [5]. Zimmer et al. sowie Monfort et al. haben 2012 bereits Fälle einer Neutrophilenpannikulitis unter Therapie mit Klasse-I-RAF-Inhibitoren bei metastasiertem Melanom beschrieben [3]
[4].
Im März 2014 wurde erstmalig bei einem 15-jährigen Kind eine neutrophile Pannikulitis unter Vemurafenib-Therapie bei Gliom des Hirnstamms beschrieben [6]. Kasuistiken, die einer neutrophilen Pannikulitis ähneln, wurden ebenfalls beschrieben; dazu zählen ein Erythema nodosum sowie eine Erythema nodosum-ähnliche Pannikulitis [7]
[8].
Insgesamt handelt es sich bei der Neutrophilenpannikulitis unter Vemurafenibtherapie um eine seltene Nebenwirkung. Der Mechanismus der Reaktion ist bisher unbekannt. Man geht davon aus, dass Vemurafenib eine systemische nicht infektiöse Entzündungsreaktion verursacht [3]. Die typischen Symptome sind Arthralgien, symmetrische Gelenkschwellungen, Fatigue, Fieber sowie extremitätenbetonte, druckdolente subkutane Knoten. Laborchemisch können eine Leukozytose, eine Neutrophilie sowie eine CRP-Erhöhung auftreten.
Das Sweet-Syndrom unter Vemurafenib-Therapie tritt seltener auf als die Neutrophilenpannikulitis und wurde, nach unseren Kenntnissen, bisher nur zweimal beschrieben [9]
[10]. Klinisch unterscheidet sich das Sweet-Syndrom von der Neutrophilenpannikulitis anhand der Effloreszenzen. Während beim Sweet-Syndrom kutane Knoten und Plaques sowie Pseudovesikel und Pusteln auftreten, zeigen sich bei der Neutrophilenpannikulitis subkutane, druckdolente Knoten. Pseudovesikel und Pusteln fehlen. Bei beiden ist eine Neutrophilie im Blutbild nachweisbar und die Patienten klagen über Arthralgien und Abgeschlagenheit. Zur sicheren Differenzierung ist eine Hautbiopsie indiziert. Aufgrund der Hauteffloreszenzen, die sich in unserem Fall präsentierten, handelt es sich am ehesten um eine Neutrophilenpannikulitis.
Unter einer Therapie mit systemischen Steroiden und nichtsteroidalen Antirheumatika kommt es zu einer raschen Symptomlinderung. Die Therapie mit Vemurafenib sollte nicht unterbrochen werden, sie kann gegebenenfalls reduziert werden.