Klin Monbl Augenheilkd 2014; 231(11): 1073-1083
DOI: 10.1055/s-0034-1382930
Übersicht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Optikusneuritis

Optic Neuritis
H. Wilhelm
Augenheilkunde, Universitätskliniken Tübingen
,
C. Heine
Augenheilkunde, Universitätskliniken Tübingen
,
F. Tonagel
Augenheilkunde, Universitätskliniken Tübingen
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Korrespondenzadresse

Prof. Helmut Wilhelm
Augenheilkunde, Universitätskliniken Tübingen
Schleichstr. 12
72076 Tübingen
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Fax: +49/(0)70 71/29 53 61   

Publication History

eingereicht 10 June 2014

akzeptiert 23 June 2014

Publication Date:
06 October 2014 (online)

 

Zusammenfassung

Die Optikusneuritis ist eine häufige neuroophthalmologische Erkrankung, deren Diagnose meistens auf wenige Symptome und Befunde gestützt werden kann. Wichtig ist nicht nur die Abgrenzung zu anderen Sehnervenerkrankungen, sondern auch die Diagnose von Sonderformen, was häufig erst im Verlauf möglich ist. Diese Übersichtsarbeit will den aktuellen Stand hinsichtlich Diagnostik und Therapie aus der Sicht der Autoren wiedergeben.


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Abstract

Optic neuritis is a frequent neuro-ophthalmological disease in which the diagnosis can be based on just a few symptoms and findings. It is not only important to differentiate from other optic nerve disorders but also to recognise special types of optic neuritis, which is mostly only possible during the course of the disease. This article presents a review of the current state in diagnosis and therapy from the authorsʼ personal point of view.


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Einleitung

Die Sehnervenentzündung (Optikusneuritis, Neuritis N. optici) stellt eine interdisziplinäre Herausforderung dar, sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie. Was sind die Voraussetzungen für die Diagnose? Welche Zusatzuntersuchungen sind angezeigt? Ist eine Steroidtherapie immer sinnvoll? Wie hoch ist das Risiko einer multiplen Sklerose (MS) und wie lässt es sich beeinflussen? Wie ist die Aufgabenverteilung zwischen Augenheilkunde und Neurologie? Diese Fragen sollen in der vorliegenden Übersicht beantwortet werden. Was wir heute als gut begründete Leitlinie ansehen, kann sich in wenigen Jahren als überholt, vielleicht sogar als obsolet erweisen. Abseits von allen Leitlinien spielen persönliche Erfahrungen und die individuellen Gegebenheiten eine große Rolle. Diese sind in Ophthalmologie und Neurologie keinesfalls identisch. Diese Arbeit stellt die augenärztliche, neuroophthalmologische Sichtweise dar. Sie wurde beeinflusst durch eine aktuelle Diskussion und Konsensempfehlung der Sektion Neuroophthalmologie der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft [1], spiegelt aber in weiten Strecken auch die subjektive Sicht und Erfahrung der Autoren wider.


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Epidemiologisches

Mit einer Inzidenz 1–5 pro 100 000 ist die Optikusneuritis keine allzu seltene Erkrankung. Frauen machen etwa 70 % der Betroffenen aus (ihr Anteil scheint zu steigen [2], [3]). Die meisten Patienten sind zwischen 15 und 45 Jahre alt und waren vorher noch nie ernsthaft krank. Bei einem Teil der Patienten ist bereits bekannt, dass sie an MS leiden. MS beginnt in ca. 25 % mit einer Optikusneuritis und ist die neurologische Krankheit, die am häufigsten im jüngeren Alter zu Behinderung und dauernder Arbeitsunfähigkeit führt [4]. Der Arzt sieht sich demnach häufig einem bis dahin völlig gesunden jungen Patienten gegenüber (das Durchschnittsalter der Patienten mit Optikusneuritis liegt um 30 Jahre), dem er eröffnen muss, dass er an einer MS leiden könnte.


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Symptome

Typischerweise beginnt die Erkrankung mit Augenbewegungsschmerz, dann folgt 1 bis 5 Tage später ein akuter einseitiger Visusabfall. Akut bedeutet nicht perakut wie bei einem arteriellen Gefäßverschluss. Die Sehverschlechterung kann durchaus schleichend über 1 bis 2 Tage einsetzen, sodass subakut ein treffenderes Attribut darstellt. Fast immer kann der Patient den Tag des Beginns seiner Beschwerden angeben. Das unterscheidet ihn grundsätzlich von dem Patienten mit einem Tumor, der selten sagen kann, wann genau seine Beschwerden angefangen haben. Das Sehen wird dunkler, die Farben werden als schmutzig und blass empfunden ([Abb. 1]). In aller Regel fällt die Sehschärfe nach dem Beginn noch weiter ab, beginnt sich aber im Lauf der folgenden 3 Wochen allmählich zu bessern, meistens anfangs rasch und später langsamer.

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Abb. 1 Beispiel der Sehstörung durch Optikusneuritis bei einer Patientin, die immerhin noch Visus 0,5 hat. Das Foto wurde so lange mittels Photoshop manipuliert, bis die Patientin mit ihrem gesunden Auge das untere Bild etwa so sah wie mit ihrem kranken Auge das obere, unveränderte Ausgangsbild.

Fast immer wird der Augenarzt früh konsultiert. Die Kombination von Schmerz und Sehverschlechterung ist so alarmierend, dass kaum ein Patient abwartet, „ob es nicht von allein besser wird“, wie es bei anderen Erkrankungen, z. B. der anterioren ischämischen Optikusneuropathie (AION), häufig vorkommt. Der Bewegungsschmerz fehlt, wenn der Entzündungsherd vollständig außerhalb des beweglichen Anteils des Sehnervs, also überwiegend intrakraniell oder im Chiasma opticum liegt. Dies ist aber eher selten der Fall, nur in etwa 8 % [5]. Immer wieder wird in der Literatur angegeben, dass Optikusneuritispatienten Phosphene wahrnehmen [6]. Spontan wird dies nach unserer Erfahrung nur gelegentlich erwähnt, auf Nachfragen aber oft bejaht. Ob es prognostische oder diagnostische Bedeutung hat, ist unklar. Das sogenannte Pulfrich-Phänomen kann zu einer gestörten räumlichen Wahrnehmung von Bewegungen führen. Man kann es bei sich selbst hervorrufen, wenn man ein Graufilter vor ein Auge hält. Ein in einer Ebene schwingendes Pendel wird dann als sich auf einer Kreisbahn bewegend wahrgenommen. Wechselt man das Filter zum anderen Auge, wechselt die Drehrichtung. Das Pulfrich-Phänomen ist somit sehr unspezifisch und beruht auf der reduzierten Helligkeitswahrnehmung. Der physiologische Hintergrund ist die langsamere Leitung der Signale von dem Auge mit dem dunkleren Bild. Ein anderes Phänomen wird nach Uhthoff benannt: Körperliche Anstrengung oder Erwärmung verschlechtert das Sehen. Dies tritt bei vielen Patienten auf, vor allem in der Abklingphase oder bei chronischem Verlauf [7]. Umgekehrt verbessert Kälte bei solchen Patienten das Sehen. Dies unterscheidet die Optikusneuritis tatsächlich von allen anderen Optikusneuropathien, aber es tritt nur bei einem Teil der Patienten und nur zeitweilig auf. Das Pulfrich-Phänomen ist damit sehr sensitiv, aber unspezifisch, das Uhthoff-Phänomen spezifisch, aber nicht sensitiv.


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Ophthalmologische Untersuchungsbefunde

Der Augenarzt findet bei einseitiger Erkrankung immer einen relativen afferenten Pupillendefekt (RAPD), meistens einen deutlichen Visusabfall, einen Gesichtsfeldausfall im zentralen Bereich, bei 2 Dritteln eine normale Papille, bei einem Drittel ein meist leichtes Papillenödem. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass der Visus bei der Optikusneuritis sowohl „kein Lichtschein“ als auch 1,5 sein kann! Völlige Erblindung eines betroffenen Auges ist aber selten (3 %), während Visus 1,0 und besser bei immerhin 11 % vorkommen soll [5].

Die Kombination Augenbewegungsschmerz und RAPD ist so charakteristisch, dass kaum eine Differenzialdiagnose infrage kommt. Bei einer okulären Myositis besteht zwar auch Bewegungsschmerz, aber selten ein nennenswerter Visusabfall. Außerdem ist die Bindehaut bzw. die Tenon über dem Muskel gerötet und es kommt zur Diplopie. Bei einer posterioren Skleritis können durchaus Bewegungsschmerz und eine Sehverschlechterung zusammen auftreten, aber man wird entweder ein leichtes Netzhautödem oder wiederum eine Rötung subkonjunktival bei extremer Blickwendung sehen. Der Schmerz besteht im Gegensatz zur Optikusneuritis meistens auch bei unbewegtem Auge.

Im Gesichtsfeld finden sich bei der Optikusneuritis meistens Zentral- und Zentrozökalskotome, oft aber auch Nervenfaserverlaufsausfälle [8]. Charakteristisch ist, dass die Gesichtsfeldausfälle nicht deutlich abgegrenzt sind wie etwa die Zentralskotome einer juvenilen Makuladegeneration oder die Bjerrum-Skotome des Glaukoms ([Abb. 2]). „Mottenfraß-ähnlich“ war eine Bezeichnung, die Frau Prof. Aulhorn gebrauchte. Alarmierend sollte ein Gesichtsfeldausfall sein, der die vertikale Mittellinie einhält. Es gibt zwar auch chiasmale Optikusneuritiden, aber ein Tumor ist im Chiasmabereich wahrscheinlicher.

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Abb. 2 Gesichtsfeldbeispiel eines Patienten mit Optikusneuritis.

Um eine Chiasmabeteiligung zu erkennen, ist es notwendig, auch das nicht betroffene Auge bei einer Optikusneuritis zu perimetrieren. Man wird aber auch ohne Chiasmabeteiligung dabei in etwa einem Drittel diffus verteilte Ausfälle auf der nicht betroffenen Seite finden, von denen man meinen könnte, sie seien durch Unachtsamkeit des Patienten zustandegekommen [8]. Es zeigte sich aber schon im Optic Neuritis Treatment Trial (ONTT), dass dieses „Mitleiden“ des anderen Sehnervs durchaus typisch ist [9]. Dort war das Partnerauge sogar bei 2 Dritteln der Patienten auffällig (es wurde dabei aber im Gegensatz zur Studie von Nevalainen [8] schwellenbestimmende Perimetrie eingesetzt). Es sollten allerdings am gesunden Auge keine an der vertikalen Mittellinie orientierte Ausfälle zu finden sein, da dies auf eine chiasmale oder postchiasmale Läsion hindeutet, bei der die Neuritis eine Ausschlussdiagnose ist.

Man kann durchaus sagen, dass zur Diagnose der Optikusneuritis weder Visus noch Gesichtsfeld notwendig sind, lediglich der Papillen- und Pupillenbefund muss zwingend vorliegen und zum Krankheitsbild passen. Auch der Makulabefund ist wichtig, um eine Neuroretinitis auszuschließen, bei der streifenförmige, oft sternförmige, gelbliche Exsudate auftreten. Visus und Gesichtsfeld sind allerdings Basis für die Verlaufskontrolle und deshalb unverzichtbar.

Man wird häufig einen gestörten Farbsinn finden. Im angelsächsischen Raum zählt man die nicht erkannten Ishihara-Tafeln [10]. Sinnvoller erscheint aber ein Farbvergleichstest [11], da jede Farbe dunkler und entsättigter gesehen wird ([Abb. 1]). Dieser Test ist besonders wertvoll, wenn der Swinging-Flashlight-Test nicht aussagekräftig oder unsicher ist. Allerdings ist er subjektiv und nicht so sensitiv wie der Swinging-Flashlight-Test [11]. Eine subjektive Farbentsättigung allein beweist nicht das Vorliegen einer Sehnervenentzündung.


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Befundinterpretation und Differenzialdiagnose

Man muss sich vergegenwärtigen, dass 92 % der Patienten Bewegungsschmerzen verspüren. Bedenkt man weiter, dass sich in etwa 90 % nach etwa 3 Monaten wieder eine Sehschärfe von 0,5 und besser einstellt, so lässt sich eine Optikusneuritis nahezu ausschließen, wenn beides nicht zutrifft (1 : 100). Wenn umgekehrt alle 3 Punkte, Bewegungsschmerz, akuter Beginn und Besserung zutreffen, kommt eine andere Diagnose als die der Optikusneuritis kaum infrage. Das Sehvermögen kann – wie erwähnt – sehr variieren. Dies hat nur unwesentlichen Einfluss auf das unmittelbare Vorgehen, außer dass man bei sehr schlechter Funktion eher geneigt ist, Therapien durchzuführen, welche die Heilung beschleunigen und dass man an atypische Optikusneuritiden denken muss, insbesondere die Neuromyelitis optica (NMO, [12]). Besteht kein RAPD, wohl aber Augenbewegungsschmerz, kommen viele Differenzialdiagnosen infrage, u. a. auch eine Erkrankung der vorderen Augenabschnitte, vor allem eine subtarsale follikuläre Konjunktivitis. Dieser Augenbewegungsschmerz verschwindet nach Lokalanästhesie. Sieht die Papille nicht normal oder leicht ödematös aus, sondern blass, dann ist die Sehverschlechterung entweder nicht akut eingetreten, sondern besteht schon erheblich länger, oder aber es ist nicht die erste Episode, sondern ein Rezidiv. Finden sich ein Papillenödem und Blutungen außerhalb der unmittelbaren Umgebung der Papille, ist an eine Zentralvenenthrombose zu denken (kein Bewegungsschmerz). Finden sich auch weiche Exsudate und enge Arterien, sollte man unmittelbar den Blutdruck messen. Finden sich Veränderungen, die bis in die Makula reichen, spricht man von Neuroretinitis (siehe unten, Sonderformen der Optikusneuritis). Besteht kein Bewegungsschmerz, aber eine deutliche Papillenschwellung, ist insbesondere beim älteren Patienten eher an eine anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) zu denken. Diese wird sich im Gegensatz zur Optikusneuritis im Laufe der Zeit nur leicht bessern.


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Zusatzdiagnostik

Serologie

Man kann zahlreiche laborchemische Zusatzuntersuchungen veranlassen, die aber sehr selten ein relevantes Ergebnis haben. Beim Optic Neuritis Treatment Trial (ONTT), der bislang größten Studie zur Optikusneuritis, die sehr wertvolle klinische Daten lieferte, wurden verschiedene Laborwerte bestimmt [13]. Bei 13 % fanden sich antinukleäre Antikörper, nur 3 % unter Titer 1 : 320; bei 1,3 % war der FTA-Abs-Test positiv, aber bei keinem wurde eine aktive Lues diagnostiziert. In der Thoraxröntgenaufnahme fand sich keine einzige Tuberkulose oder Sarkoidose. Serologische Tests sind demnach nur sinnvoll, wenn der Patient Hinweise auf eine Systemerkrankung oder Vaskulitis bietet oder wenn die Optikusneuritis vom typischen Verlauf abweicht. Entscheidend ist eine sorgfältige Anamnese mit Fragen nach Hautausschlägen, Gelenkproblemen, Nieren-, Herz- oder Lungenproblemen. Ein Routinelabor erscheint sinnvoll, unverzichtbar ist es, wenn eine Steroidtherapie geplant ist. Die Systemerkrankungen, die außer einer multiplen Sklerose infrage kommen, sind vor allem Lupus erythematodes und Sarkoidose. Auch Wegener-Granulomatose, Lues und Borreliose sind denkbar, allerdings ist bei der Lues das klinische Bild anders als bei einer klassischen Optikusneuritis. Man findet eine stärkere Papillenschwellung und meistens nur leichte Funktionsstörungen. Borreliose wird immer wieder als Ursache einer Optikusneuritis zitiert. Bei Beachtung aller Kriterien muss man aber feststellen, dass es keinen einzigen Fall gibt, bei dem eine Borreliose zu keiner anderen Manifestation als einer Optikusneuritis geführt hätte [14]. Darüber hinaus zeigte diese Übersichtsarbeit, dass Optikusneuropathien jedweder Art im Rahmen einer Neuroborreliose sehr selten sind, meistens in Form eines beidseitigen Papillenödems, ähnlich wie bei Lues [14]. Man muss bei einer typischen Optikusneuritis deshalb nicht mit einer Borreliose rechnen. Ein Bartonelleninfekt verursacht typischerweise eine Neuroretinitis, also eine Papillenschwellung mit Makulabeteiligung (Sternfigur) und Sehminderung.

Die neurologischen Leitlinien für die Diagnose einer MS verlangen umfangreiche Labordiagnostik ([4] siehe [Tab. 1]). Der Umfang dieser Diagnostik wird von uns kritisch gesehen und für die Optikusneuritis in den ophthalmologischen Leitlinien in ähnlichem Umfang nur bei atypischen Fällen empfohlen. Vieles lässt sich auch klinisch lösen. So ist die Vitamin-B12-Mangel-Optikusneuropathie niemals einseitig. Auch Lupus erythematodes oder Sarkoidose würden initial nicht anderes behandelt als eine typische Optikusneuritis. Solche Verdachtsdiagnosen werden meistens erst im Verlauf relevant, insbesondere, wenn die erwartete Besserung ausbleibt. Es ist nicht bekannt, wie häufig man tatsächlich eine Diagnose findet, die ein anderes Vorgehen erfordert hätte. Es wäre wichtig, zu überprüfen, ob die in den neurologischen Leitlinien vorgeschlagenen Laboruntersuchungen wirklich gerechtfertigt sind. Zweifellos können durch umfangreiche Laboruntersuchungen auch falsche Spuren gelegt werden, deren Konsequenz eine überflüssige Therapie und zumindest eine Verängstigung des Patienten sein kann. Kein Test hat eine vollständige Sensitivität und Spezifität, sodass wir eher auf Beachtung der klinischen, vor allem der ophthalmologischen Befunde drängen und allzu umfangreiches Sammeln von Laborwerten kritisch betrachten.

Tab. 1 Laboruntersuchungen bei möglichem Erstsymptom einer MS, Auszug aus den neurologischen Leitlinien [4].

obligate Laboruntersuchungen in der diagnostischen Phase

fakultativ sind bei klinisch möglicher Differenzialdiagnose

CRP

c/pANCA

großes Blutbild

ENA-Profil

Serumchemie

Autoantikörper gegen Aquaporin-4

Blutzucker

HIV-Serologie

Vitamin B12

HTLV-1-Serologie

Rheumafaktor

TPHA

ANA

langkettige Fettsäuren

Anti-Phospholipid-Antikörper

Mykoplasmenserologie

Anti-ds-DNS-Antikörper

Methylmalonylausscheidung im Urin

Lupusantikoagulans

ACE

Borrelienserologie

Urinstatus


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Visuell evozierte Potenziale

Die visuell evozierten Potenziale (VEP) sind eine klassische Zusatzuntersuchung bei Optikusneuritis, die in der Vergangenheit fast reflexmäßig angeordnet wurde. Man muss allerdings Folgendes beachten: Ein erniedrigtes oder auch deformiertes Potenzial ist nichts weiter als das objektive Korrelat der Visusminderung, unabhängig von ihrer Ursache. Dieser Befund wäre dann hilfreich, wenn Zweifel an der Korrektheit der Angaben des Patienten bestünden, z. B. weil er keinen RAPD hat. Aussagekräftiger ist die Latenz, die bei einer Optikusneuritis deutlicher länger ist als bei anderen Sehnervenerkrankungen. Allerdings lässt sich die Latenz nur dann einigermaßen zuverlässig bestimmen, wenn auch ein eindeutiges Potenzial zu erkennen ist, denn es wird ja dessen Latenz gemessen. Ist dies nicht der Fall, wird eine automatische Auswertung meistens trotzdem irgendeinen plausiblen Wert liefern, der aber zufällig zustandegekommen ist. Es ist nicht auszuschließen, dass ein solcher Befund Basis einer fehlerhaften Therapieentscheidung wird. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Sensitivität des VEP bei Optikusneuritis mit ca. 73 % begrenzt ist [15]. Die Spezifität war mit 86,5 % besser.

Ein anderer Aspekt ist sinnvoller: Die Latenz am nicht betroffenen Partnerauge, das ja meistens gut sieht. Ist diese pathologisch verlängert, spricht dies für eine multiple Sklerose (MS) als Grunderkrankung. Diese Diagnose wird man sehr viel sensitiver allerdings mit der Kernspintomografie stellen können. Allerdings geht das VEP in die Polman-Kriterien zur MS-Diagnose ein [4]. Kritisch anzumerken ist, dass nicht definiert wurde, wann ein VEP als Hinweis auf einen Schaden durch die MS anzusehen ist: Reduktion der Amplitude? Das wäre höchst unspezifisch. Verlängerung der Latenz? Beides? Da allein die falsche Brillenkorrektur zu einem pathologischen VEP führen kann, ist die Verwertung des Ergebnisses ohne ophthalmologische Untersuchung als problematisch anzusehen.

Am hilfreichsten ist das VEP, wenn ein Patient mit einigermaßen gutem Visus eine blasse Papille hat. Ist bei seinem VEP die Latenz deutlich verlängert, spricht dies dafür, dass eine unbemerkte Optikusneuritis die Ursache war. Absolut verlässlich ist dies allerdings nicht, sodass auch in diesem Fall wenigstens Verlaufskontrollen (Visus, Gesichtsfeld) angezeigt sind. In aller Regel wird man in dieser Situation an bildgebender Diagnostik nicht vorbei können, sodass man zusammenfassend feststellen muss, dass das VEP durch die Kernspintomografie erheblich an Bedeutung verloren hat.


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Kernspintomografie

Die Kernspintomografie ist zweifellos die wichtigste Zusatzdiagnostik. Sie kann die Entzündung im Sehnerv zeigen, der in den T2-FLAIR-Bildern normalerweise dunkelgrau aussieht, im Falle einer Entzündung aber hell aufleuchtet als Zeichen einer Wassereinlagerung [16]. Auch Kontrastmittelaufnahme auf den T1-Bildern kann zu sehen sein ([Abb. 3]). Dieser Befund ist allerdings nur dann wichtig, wenn die Klinik unklar ist und Zweifel an der Diagnose bestehen. Man würde z. B. ein Optikusscheidenmeningeom sehen oder einen anderen Tumor, der den Sehnerv komprimiert. Eine radiogene Optikusneuropathie wäre allerdings kaum von einer Optikusneuritis zu unterscheiden, aber diese ist sehr selten und die etwa 1 Jahr vorangegangene kraniale Strahlentherapie ist natürlich wegweisend. Wenn man den Sehnerv beurteilen will, sind insbesondere die koronaren Schnitte wichtig.

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Abb. 3 Kontrastmittelaufnahme des entzündeten Sehnervs im MRT.

Bedeutend sind aber vor allem Entmarkungsherde, die man insbesondere im periventrikulären Marklager sieht. Auch diese entdeckt man am leichtesten auf den T2-FLAIR-Bildern ([Abb. 4]). Diese Entmarkungsherde sind wichtiges Kriterium für die Einschätzung des MS-Risikos [4]. Wichtig ist es weiterhin, darauf zu achten, ob diese Herde Kontrastmittel aufnehmen, da dies ein weiteres bedeutendes Kriterium für die Diagnose einer MS darstellt [17]. Diese Entmarkungsherde sind der wichtigste Risikoindikator dafür, ob der Patient eine MS entwickeln wird, bzw. ob diese Diagnose vielleicht schon gestellt werden kann.

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Abb. 4 Typische Entmarkungsherde im T2-FLAIR-MRT.

Es ist deshalb so gut wie immer sinnvoll, eine Kernspintomografie anzustreben. Falsch wäre es, eine Computertomografie durchzuführen, da deren Aussagekraft sehr begrenzt ist und sie eine unnötige Strahlenbelastung verursacht.


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Liquordiagnostik

Liquordiagnostik ist in Deutschland bei der Optikusneuritis allgemein üblich [4]. Sie umfasst Zytologie, Albumin- sowie IgG-, IgA- und IgM-Bestimmungen, den Nachweis oligoklonaler IgG-Banden im Liquor und Antikörper für die neurotropen Viren Masern, Röteln und Zoster. Oligoklonale Banden sind zwar sehr sensitiv, aber wenig spezifisch. Weltweit hat die Liquoruntersuchung in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Sie ist aber bei unklarem MRT oder atypischer Klinik bedeutend. Eine solche Situation ist z. B. beim älteren Patienten gegeben, da Plaques im MRT im Lauf des Lebens häufiger werden und nicht zwangsläufig als Zeichen einer MS zu werten sind. Oligoklonale Banden im Liquor wären in dieser Situation ein starkes Argument für die Diagnose MS. Ob Liquordiagnostik bei einer typischen Optikusneuritis mit typischem Verlauf wirklich notwendig ist, ist umstritten. Hier wäre, wie auch bei umfangreicher serologischer Diagnostik, eine Studie zu wünschen. Dies könnte eine einfache retrospektive Studie sein, die Klarheit verschafft, in wie viel Prozent der Fälle Liquorbefunde einen Einfluss auf das weitere Vorgehen hatten.


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Zusammenhang der Optikusneuritis mit der multiplen Sklerose (MS)

Durch das ONTT stehen valide Zahlen zum MS-Risiko zur Verfügung. Einfach formuliert: Etwa die Hälfte der Patienten mit typischer Optikusneuritis erkrankt innerhalb von 15 Jahren an einer MS. Dies lässt sich präzisieren, wenn man die MRT-Bilder beachtet. Ist das MRT völlig normal, erkranken nur 27 %, finden sich initial 1–2 Läsionen sind es 65 %, bei 3 und mehr 78 %. Eine höhere Läsionszahl erhöht das MS-Risiko nur noch leicht, entscheidend ist vor allem, ob Entmarkungsherde vorhanden sind oder nicht [18].

Damit stellt sich aber die Frage, wie man MS definiert. Wann ist „aus der Optikusneuritis eine MS geworden?“ Dies ist einigermaßen einfach, solange man sich an klinischen Kriterien orientiert, wie es lange Jahre üblich war. Entscheidend ist die „Disseminierung in Raum und Zeit“ [19]. Der Patient muss also einen Schub haben, der einen anderen Bereich als die Sehnerven betrifft und dieser Schub muss mindestens 24 Stunden dauern, darf nicht durch Wärme oder Anstrengung provoziert sein (Uhthoff-Phänomen) und muss zur Optikusneuritis mindestens 30 Tage zeitlich getrennt auftreten. Eine rezidivierende Optikusneuritis ist demnach keine MS, sondern ein „klinisch isoliertes Symptom“, abgekürzt KIS oder CIS, wenn man die englische Terminologie bevorzugt. Auch die Angabe: „Vor 10 Jahren hatte ich da ein Kribbeln im Arm“ kann zwar den Verdacht erwecken, genügt aber nicht, um zusammen mit einer Optikusneuritis die Diagnose MS zu stellen.

Diese rein klinischen Kriterien werden aber den Möglichkeiten der Kernspintomografiediagnostik nicht mehr gerecht. Es verursachte Unbehagen, wenn man einen Patienten mit einem KIS und vielen Entmarkungsherden im MRT als „nicht an MS leidend“ einschätzen musste, obwohl diese Entmarkungsherde ja ein Indiz für die frühere Krankheitsaktivität darstellen. Um dem besser gerecht zu werden, führte man die McDonald-Kriterien ein, die sich auf Klinik und MRT sowie ein wenig auch auf den Liquor stützen [20]. Diese wurden modifiziert, im Prinzip wurde es immer einfacher, die Diagnose MS zu stellen, auch wenn das Regelwerk immer komplizierter wurde. Hierbei geht es wieder um den Nachweis der Disseminierung in Raum und Zeit. Heute orientiert man sich an den 2011 zuletzt überarbeiteten Kriterien nach Polman [21]. Im Klartext bedeutet dies, dass man bei einem Patienten, der nichts weiter hatte als eine Optikusneuritis, bei entsprechendem MRT die Diagnose einer MS stellen kann.

Wenn nach dem ersten Krankheitsschub klinisch oder elektrophysiologisch (VEP!) Auffälligkeiten in einen Funktionssystem vorliegen und das initiale MRT 2 oder mehr typische Läsionen zeigt, disseminiert periventrikulär, juxtakortikal, infratentoriell oder im Rückenmark, sind die Bedingungen für die räumliche Dissemination erfüllt. Die zeitliche Dissemination wird bestimmt entweder durch eine asymptomatische, aber Kontrastmittel aufnehmende Läsion oder eine neue T2-Läsion in einem beliebigen Folge-MRT. Diese Kriterien spielen eine große Rolle in Studien und auch bei Therapieentscheidungen. Im Dialog mit dem Patienten sind sie wenig hilfreich. Letztlich zeigt die Tatsache, dass auch der Patient ganz ohne Entmarkungsherde ein beträchtliches MS-Risiko hat, dass jegliche Grenzziehung willkürlich ist und nicht dem Einzelfall gerecht werden kann. Bedenken muss man auch, dass es Läsionen gibt, die einem Entmarkungsherd ähnlich sehen, aber nichts mit einer MS zu tun haben, posttraumatische oder ischämische Läsionen zum Beispiel [16]. Je älter ein Patient ist, desto mehr solche „nichtssagenden“ Plaques wird man finden, sodass es im Patientengespräch nicht sinnvoll ist, die Prognose allzu strikt am MRT-Befund zu orientieren. Immer wieder wird man zufällig auf Entmarkungsherde stoßen, die sehr typisch aussehen, aber noch nie auch nur den Hauch einer Beschwerde verursacht haben. Für den Patienten ist das aber das entscheidende Kriterium. Es will deshalb sehr gut überlegt sein, was man bespricht und wie man den Patienten aufklärt. Dabei muss man stets im Gedächtnis behalten, dass sich alle Informationen leicht im Internet abrufen lassen. Es ist deshalb besser, offen und korrekt aufzuklären. Zu betonen ist, dass sich im Einzelfall keine konkrete prognostische Aussage treffen lässt. Es kann trotz zahlreicher Entmarkungsherde bei einem „klinisch isolierten Symptom“ bleiben oder der nächste Schub kann erst in 20 Jahren eintreten. Auch die verbesserten Therapiemöglichkeiten darf man nicht vergessen.

Ein weiteres Problem ist es, dass ein Patientenkollektiv, das z. B. zur Zeiten des ONTT zusammengestellt wurde, anders zusammengesetzt war, als es dies heute ist. Heute werden mehr leichtere Verläufe eingeschlossen. Dies erschwert die Bewertung von Studien aus der Vergangenheit beträchtlich [22]. Hinzu kommen geografische und ethnische Unterschiede. So ist die MS in Nordeuropa viel häufiger als in Südeuropa. In der asiatischen und afrokaribischen Bevölkerung ist die Neuromyelitis optica (NMO) sehr häufig, sodass es durchaus sein kann, dass in der Vergangenheit solche Patienten als MS eingeordnet wurden, so ist auch dies beim Vergleich von älteren Studien zu berücksichtigen [23].


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Verlaufskontrolle

Durch wiederholte Kernspintomografie lässt sich die Disseminierung in der Zeit zeigen, falls neue Herde hinzukommen. Auch deshalb ist die Kernspintomografie wichtig und ein Ausgangsbefund grundsätzlich anzustreben. Man ging früher davon aus, dass die MS nur während eines Schubes schädigt. Mittlerweile ist durch die MRT klar, dass sich die Entmarkungsherde auch ohne Schübe vermehren und die graue Substanz sich vermindert.

Es ist deshalb üblich, dass der MRT-Befund bei Entmarkungsherden nach etwa 3–6 Monaten überprüft wird. Die neurologischen Leitlinien empfehlen ein erneutes MRT bei Schubprogression [4]. Schwierig ist es, wie man mit Patienten verfahren soll, deren MRT keine MS-Zeichen aufweist. Es trifft ja nicht zu, dass diese sich gar keine Sorgen machen müssten, immerhin ca. 25 % werden eine MS entwickeln, die meisten allerdings innerhalb der ersten 5 Jahre. Eine aktuelle Arbeit schlägt deshalb vor, auch diese Patientengruppe, die man bisher wenig beachtet hat, regelmäßig mittels MRT zu kontrollieren [24]. Ein besonderes hohes Risiko haben diese Patienten, wenn sich der Visus nicht mehr über 0,5 erholt, wenn sie in der Vorgeschichte Hinweise auf MS-Schübe haben und wenn sich oligoklonale Banden im Liquor finden [24].

Genau so wichtig wie die Bildgebung ist die Klinik, bei der die Kurtzke-Skala (siehe [Tab. 2], Expanded Disability Status Scale, EDSS) am gebräuchlichsten ist [25]. Diese Skalenwerte sind natürlich subjektiv, aber sie spiegeln am besten wider, in welchem Umfang der Patient beeinträchtigt ist. Während man Meilensteine, wie die überwiegende Rollstuhlbenutzung, recht gut festlegen kann, sind gerade im unteren Bereich, der für die Studien besonders wichtig wäre, die Grenzen unscharf. Die Korrelation zwischen MRT und Grad der Behinderung ist keineswegs so gut, dass man auf das eine oder andere in Studien verzichten könnte.

Tab. 2 Auszug aus der EDSS.

EDSS-Grad

Symptome

0

normaler neurologischer Befund

2

minimale Behinderung in einem funktionellen System

5

gehfähig ohne Hilfe und Rast für etwa 200 m, Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivität zu beeinträchtigen

7

unfähig, selbst mit Hilfe, mehr als 5 m zu gehen, weitgehend an den Rollstuhl gebunden

8

weitgehend an Bett oder Rollstuhl gebunden


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Die Rolle der OCT

Ein starkes Interesse hat die optische Kohärenztomografie (OCT) geweckt, da es sich zeigte, dass die peripapilläre retinale Nervenfaserschichtdicke mit anderen Verlaufsparametern der MS korreliert [26]. Die OCT hat somit in Studien hohe Bedeutung erlangt, da sie einfach anwendbar und nicht invasiv ist und zudem objektive Messwerte liefert. Bester Parameter ist wahrscheinlich die peripapilläre Nervenfaserschichtdicke mit über der Papille zentriertem Ringscan. Aber auch ein Makulavolumenscan erlaubt die Dickenbestimmung der Nervenfaserschicht. Ein neuerer Befund sind mikrozystische Veränderungen der inneren Netzhaut [27], [28], [29], [30]. Sie wurden als Zeichen eines besonders schweren Krankheitsverlaufs interpretiert, es scheint aber, dass diese nicht für Optikusneuritis und MS spezifisch und zudem selten sind [27]. Wo der OCT unzweifelhaft Bedeutung zukommt, ist bei der Kontrolle von MS-Patienten, die mit Fingolimod behandelt werden, denn dabei ist ein Makulaödem als Nebenwirkung möglich [31], [32].


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Prognose

Die Optikusneuritis hat eine gute Prognose. Sehschärfe und Gesichtsfeld bessern sich meistens innerhalb von 4 Wochen erheblich und sind bei den meisten Patienten nach 6 Monaten wieder normal [13]. Das heißt allerdings nicht, dass die Betroffenen dies selbst so empfinden. Im Vergleich mit dem Partnerauge wird das Sehen meistens als schlechter empfunden. Prüft man das Kontrastsehen, findet man tatsächlich deutliche Defizite. Diese Information stammt ebenfalls aus dem ONTT [33]. Es zeigte sich, dass beim Beginn der Optikusneuritis Visus (89 %), Farbsinn (93 %), mittlere Defekttiefe im Humphrey-Gesichtsfeld (98 %) und Kontrastempfindlichkeit (98 %) bei fast allen Patienten herabgesetzt waren, nach 6 Monaten waren Visus, Farbsinn und Gesichtsfeld bei der Mehrzahl (64–75 %) wieder normal, lediglich die Kontrastempfindlichkeit war nur bei 44 % normal. Zur Verlaufskontrolle der Optikusneuritis wird deshalb die Messung der Kontrastempfindlichkeit empfohlen oder in Studien vorgeschrieben. Es mag sein, dass dies ein nützlicher Parameter ist. Wenn wir Kontrastsehen im Rahmen einer Studie prüfen, zeigt es sich oft eingeschränkt, während Visus und Gesichtsfeld schon normal sind. Fraglich ist, ob die Prüfung auch außerhalb von Studien erforderlich ist. Das subjektiv empfundene Ausmaß einer Sehbehinderung bestimmt sich in der ersten Linie vom Visus [34]. Es erscheint daher nicht sinnvoll, einem Patienten, der wieder normale Sehschärfe erreicht, zu demonstrieren, dass er trotzdem nicht ganz normal sieht. Die langfristige Prognose für die Sehschärfe ist ausgesprochen gut. Nach 15 Jahren sehen 94 % der betroffenen Augen besser als 0,5 [35].


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Sonderformen der Optikusneuritis

Eine der Schwierigkeiten im Umgang mit der Optikusneuritis ist, dass es Sonderformen gibt, die u. U. eine andere Therapie oder zusätzliche Diagnostik erfordern. Mit Sonderformen muss man vor allem (aber nicht nur) dann rechnen, wenn die Optikusneuritis als atypisch einzustufen ist. Merkmale einer atypischen Optikusneuritis sind folgende:

  • Alter außerhalb der Spanne 18–50 Jahre

  • Doppelseitigkeit

  • fehlender Bewegungsschmerz

  • ausbleibende Besserung

  • Zeichen einer Vaskulitis oder einer anderen Systemerkrankung als MS

Wohlgemerkt: Auch bei atypischer Optikusneuritis wird man am häufigsten auf eine MS stoßen und auch bei typischer Optikusneuritis wird man gelegentlich eine besondere Ursache antreffen. Diese Formen sollen im Folgenden kurz erörtert werden.

Neuromyelitis optica (NMO, Devic-Syndrom)

Diese wurde früher für eine Sonderform der MS gehalten, heute ist klar, dass es sich um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt [36]. Die NMO ist ausgesprochen häufig bei afrokaribischen und asiatischen Patienten [23], in Deutschland selten, schätzungsweise 1 % der Optikusneuritiden. Die Patienten sind i. d. R. etwas älter (um die 40). Es treten Optikusneuritiden und Querschnittsmyelitiden auf. Deshalb sieht man oft spinale Entmarkungsherde, aber keine oder nur wenige zerebrale Herde. Außerdem tritt ein Antikörper gegen das Wasserkanalprotein Aquaporin-4 auf, der die Diagnose mit hoher Spezifität und Sensitivität erlaubt [37]. Die Leitlinien verlangen neben der Optikusneuritis 2 der folgenden 3 Befunde:

  1. langstreckige Myelonläsion (ab 3 Segmente)

  2. für MS atypisches zerebrales MRT

  3. positive Aquaporin-4-Antikörper

Die Optikusneuritis der NMO ist schwerer als die der MS, häufiger doppelseitig und hinterlässt häufiger schwere Defekte [12]. Deshalb ist die Behandlung aggressiver, grundsätzlich 5 Tage Steroidtherapie mit Ausschleichen, wenn sich keine Besserung zeigt, frühzeitige Plasmapherese [38] und aggressive Immunsuppression. Immunmodulation scheint bei NMO problematisch zu sein, z. B. hat Natalizumab einen ungünstigen Einfluss [39].


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Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM)

Dies ist gewissermaßen eine i. d. R. monophasisch verlaufende MS [40]. Sie tritt selten auf, häufiger bei Kindern und ist mit Infekten oder Impfungen assoziiert. Das Krankheitsbild ist sehr variabel von subklinischen bis zu schweren, lebensbedrohenden, ja sogar tödlichen Verläufen. Das MRT sieht aus wie bei einer sehr weit fortgeschrittenen MS, bessert sich aber wieder. Die Behandlung ist in etwa die gleiche wie bei NMO.


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Neuroretinitis

Dies ist die für den Augenarzt bedeutendste Differenzialdiagnose. Man spricht davon, wenn nicht nur der Sehnerv sondern auch die Netzhaut betroffen ist [41]. Das charakteristische Bild ist eine sternförmige Anordnung von Exsudaten im Bereich der Makula, die allerdings erst im Verlauf erscheint. Die Papillenschwellung ist ausgeprägter als dies bei der MS der Fall ist. Hinsichtlich der Prognose ist sie mit der NMO-Optikusneuritis vergleichbar, sie hinterlässt oft erhebliche Schäden, die bei Rezidiven kumulieren [42]. Als Ursache wird eine durch eine bakterielle Infektion ausgelöste, fehlgeleitete Immunreaktion diskutiert. Als Haupterreger gelten Bartonellen. Man kann aber allenfalls in der Hälfte der Fälle eine solche Infektion nachweisen [41]. Wir tendieren deshalb zur initialen antibiotischen Therapie, nach 3 Tagen parallel Steroide 1 mg/kg, in absteigender Dosierung bis zur Cushing-Schwelle, die wir mindestens 6 Wochen belassen. Bei Rezidiv empfiehlt sich eine länger dauernde Immunsuppression, etwa mit Azathioprin [42]. Patienten mit Neuroretinitis haben kein MS-Risiko, deshalb ist auch die normal dosierte Steroidtherapie nicht kontraindiziert. Die Frühdiagnose wird durch die OCT erleichtert.


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Fortgeleitete Optikusneuritis bei Infektion der Orbita oder der Nebenhöhlen

Dies ist sehr selten und häufig aufgrund lokaler Symptome zu erkennen. Therapeutisch gilt es, die Infektion zu sanieren. Dies muss bei schwerer Ausprägung der Optikusneuritis ggf. auch notfallmäßig operativ erfolgen. Man muss allerdings zurückhaltend mit der Diagnose sein und eine wirkliche Infektion fordern, denn asymptomatische Verschattungen der Nebenhöhlen sind sehr häufig.


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Chronisch rezidivierende Immunoptikusneuropathie (CRION)

Diese Sonderform der Optikusneuritis wurde zum ersten Mal 2003 als solche beschrieben [43]. Sie betrifft die gleichen Patienten wie die Optikusneuritis. Sie ist in der Mehrzahl der Fälle simultan oder sequenziell doppelseitig. Augenbewegungsschmerzen kommen teilweise vor. Es gibt keine spezifischen Marker, Aquaporin-4-Antikörper sind negativ. Bei der CRION, die vielleicht mit der idiopathischen orbitalen Entzündung verwandt ist, bessert sich das Sehvermögen dramatisch nach niedrig dosierten oralen Steroiden. Da man sie aber bei der Erstmanifestation von der typischen Optikusneuritis nicht zu unterscheiden vermag, wird in aller Regel die Ersterkrankung auch mit intravenösem Methylprednisolon behandelt. Wenn beim Rezidiv klar ist, dass es sich um eine CRION handelt, kann und sollte man niedrig dosierte Steroide geben. Die Erkrankung neigt zu zahlreichen Rezidiven und hinterlässt Schaden, wenn sie unbehandelt bleibt [43]. Wir behandeln deshalb mindestens 3 Monate mit Prednisolon unterhalb der Cushing-Schwelle (7,5 mg/Tag) bzw. mit der geringsten Dosis, die das Rezidiv verhindert. Gelingt es nicht, damit ein Rezidiv zu verhindern, sollten andere Immunsuppressiva wie Methotrexat oder Azathioprin gegeben werden. Die Prognose ist in jedem Fall schlechter als die der typischen Optikusneuritis: in einem Drittel der betroffenen Augen bleibt der Visus unter 0,1 [43].


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Akuttherapie

Weit verbreitet ist die Therapie der Optikusneuritis mit Methylprednisolon in hoher Dosierung. Die erste Auswertung des ONTT zeigte nämlich, das diese Behandlung die Visusbesserung beschleunigte, allerdings ohne Einfluss auf den schließlich erreichten Endvisus [13], [44]. Die Dosis betrug 4-mal 250 mg, also 1 g am Tag. Die niedrige Dosis von 1 mg/kg Körpergewicht, damals die übliche Therapie, verdoppelte die Rate der Frührezidive innerhalb der ersten 6 Monate und ist deshalb seitdem bei typischer Optikusneuritis kontraindiziert.

Diese eigenartige Dosisabhängigkeit ist bis heute nicht in allen Details verstanden. Steroide wirken über zytosolische Rezeptoren auf die Transskription im Zellkern. Dafür werden keine hohen Dosen benötigt, 1 mg Prednisolon/kg Körpermasse ist völlig ausreichend. Die Megadosis von 10 mg/kg und mehr wirkt darüber hinaus apoptoseinduzierend auf die T-Lymphozyten, deren fehlgeleitete Aggression ja einer der Pathomechanismen der MS ist [45]. Es gibt eine Reihe weiterer Wirkmechanismen, die als Erklärung diskutiert werden, z. B. auch eine mitochondriale Wirkung [46]. Praktisch wichtig ist es, dass für diese sog. extragenomische Wirkung nicht die gleichen Äquivalenzdosen gelten wie für die genomische Wirkung. Betamethason ist z. B. nur schwach wirksam, Methylprednisolon ist sehr stark wirksam [47]. Deshalb sollte eben Methylprednisolon und nicht Prednison oder Dexamethason verwendet werden.

Es steht außer Zweifel, dass diese Therapie kein Muss ist. Sie hat auf keine Sehfunktion (Visus, Gesichtsfeld, Kontrast- und Farbsehen) einen günstigeren Einfluss als Placebo. Sie beschleunigt lediglich die Heilung. Auch bei relativen Kontraindikationen sollte man deshalb davon Abstand nehmen. Routinelaboruntersuchungen vor der Therapie, insbesondere Kalium, Blutzucker und Hb-Wert, sind unbedingt notwendig. Eine Ulkusprophylaxe mit einem Protonenpumpenhemmer ist allgemein üblich, Osteoporoseprophylaxe hingegen ist für eine so kurze Therapie nicht erforderlich. Im ONTT zeigte sich im Verlauf der ersten beiden Jahre, dass die Patienten, die eine Megadosistherapie erhalten hatten, deutlich weniger MS-Schübe bekamen als solche, die Placebo oder niedrig dosierte Steroide erhalten hatten. Im 3. Jahr holten sie diesen „Rückstand“ wieder auf [48]. Dies warf natürlich die Frage auf, ob man den günstigen Effekt nicht einfach durch Wiederholen der Steroidinfusionen protrahieren könnte. Dies konnte in einer Arbeit tatsächlich gezeigt werden [49]. Insbesondere konnten die wiederholten Steroidinfusionen (zunächst alle 4 dann alle 6 Monate) das Voranschreiten von Veränderungen in der Kernspintomografie bremsen und hier vor allem die „T1 black holes“. Solche „black holes“, hypointense Areale in T1, entstehen an Stellen, an denen vorher typische Entmarkungsherde (weiß in T2) waren. Sie zeigen an, dass Hirngewebe zerstört wurde. Nicht nur diesen Effekt, sogar einen deutlich geringeren Grad der Behinderung durch die MS konnte man in der Verumgruppe dieser Doppelblindstudie mit wiederholten Methylprednisoloninfusionen verbuchen. Es ist schwer zu verstehen, dass keine weitergehenden Studien folgten, wie es der Autor anregte. Eine neuere Arbeit der gleichen Autorengruppe bezieht sich ganz offensichtlich auf die gleiche Studienpopulation, ohne aber andere Ergebnisse zu zeigen [50]. Während diese Arbeiten darauf hindeuten, dass hoch dosiertes Methylprednisolon über die Heilungsbeschleunigung hinaus günstige Effekte haben könnte, gibt es auch kritische Anmerkungen [51], [52]. Bei der experimentellen Autoimmunenzephalomyelitis überlebten unter hoch dosiertem Methylprednisolon deutlich weniger retinale Ganglienzellen als unter Kontrollbedingungen [51]. In der 2. Arbeit ging es um Ganglienzellüberleben nach Ischämie, nicht nach Entzündung, sodass die Relevanz für die MS bzw. Optikusneuritis letztlich nicht klar ist [52]. Zweifellos ist es aber so, dass die Methylprednisolontherapie bei der Optikusneuritis immer aufs Neue kritisch überdacht werden muss.

Im ONTT wurde nach den Infusionen eine oral ausschleichende Therapie gegeben. Ob dieses wirklich notwendig ist, bleibt fraglich. Wir sehen i. d. R. davon ab, da sich das Nebenwirkungsrisiko durch die Therapiedauer deutlich erhöht und das „Ausschleichen“ der Therapie aufgrund der Suppression der körpereigenen Kortisolproduktion nach so kurzer Therapiedauer nicht notwendig ist. Auch die ungünstige Wirkung der oralen Steroide ohne vorausgehende Infusionen spricht gegen ihre Anwendung. Es ist keineswegs belegt, dass die schädliche Wirkung durch die Kombination mit intravenösem Methylprednisolon aufgehoben wird. Wünschenswert wäre es, eine Vergleichsstudie zu haben, die prospektiv mit und ohne „Ausschleichen“ gegeneinander testet. Nicht auszuschließen ist, dass sich die alleinige intravenöse Gabe als günstiger erweisen würde. Von der Verteilung der Dosis über den Tag sehen die meisten Kliniken ab und geben die Gesamtdosis von 1000 mg am Morgen. Immer wieder wurde nach einer initialen Publikation auch die hochdosierte orale statt der intravenösen Gabe vorgeschlagen [53]. In der Tat, es ist nicht belegt, dass die Darreichungsform einen Einfluss hat [54]. In der ambulanten Betreuung von MS-Patienten ist die hochdosierte orale Gabe durchaus üblich. Allerdings ändert die orale Gabe kaum etwas am Nebenwirkungsprofil der Steroide. Ein Nachteil der rein ambulanten Therapie ist auch, dass der Patient, der möglicherweise nach der Konfrontation mit der Diagnose MS einen rasch verfügbaren Ansprechpartner braucht, stattdessen mit den psychotropen Wirkungen der Steroide allein gelassen wird. Aus diesem Grund halten wir es für notwendig, die erste Therapie stationär vorzunehmen.

Wenn das Sehvermögen sich trotz Gabe von Steroiden nicht bessert, wird häufig die Therapie einfach wiederholt, mitunter auch mit noch höher dosierten Steroiden und/oder verlängerter Therapiedauer. Ob dies sinnvoll ist, konnte bisher nicht belegt werden. Als letzte Möglichkeit der Akuttherapie bleibt die Plasmapherese [55]. Diese Empfehlung beruht auf kleinen Beobachtungsstudien. Es wird empfohlen, sie innerhalb von 6 Wochen nach Krankheitsbeginn durchzuführen, was einen beträchtlichen Zeitdruck erzeugt, da ja zuvor noch die Steroidtherapie wiederholt werden muss. Hinzu kommt, dass auch nach einem Zeitraum von 2 Monaten eine spontane Besserung sehr gut möglich ist. Für den Therapeuten bedeutet dies, dass er über weitere Maßnahmen entscheiden muss, bevor wirklich klar ist, ob die Besserung ausbleibt. Wir raten deshalb nicht zur „Therapieeskalation“, solange sich noch eine relevante Besserungstendenz zeigt. Dabei bewerten wir nicht nur Visus und Gesichtsfeld, sondern auch den subjektiven Eindruck des Patienten. Es gibt sehr schwierige Situationen (z. B. einziges Auge betroffen), in denen eine intensive Therapie unumgänglich ist. Unseres Erachtens ist eine solche Situation sehr schwer in Leitlinien zu fassen und erfordert individuelle Entscheidungen.


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Verhindern oder Aufschieben weiterer MS-Schübe

Mit den Betainterferonen und Glatirameracetat kamen vor etwa 20 Jahren Medikamente in die Klinik, welche die Zahl der MS-Schübe reduzieren und den Krankheitsverlauf verzögern können. Was lag näher, als diese bereits nach dem 1. Schub, also auch nach einer Optikusneuritis zu geben, in der Hoffnung, dass es zum 2. Schub und damit zur klinischen Diagnose MS erst gar nicht kommt. Sowohl für Interferon 1a als auch für 1b und Glatirameracetat gibt es solche Studien. Sie sind in der [Tab. 3] zusammengefasst.

Tab. 3 Die wichtigsten Studien zur Prävention der Konversion eines klinisch isolierten Syndroms in eine MS.

Name der Studie

ONTT [56]

CHAMPS/CHAMPION [57], [58], [59]

BENEFIT [60]

ETOMS [61]

PreCISe [62]

Medikament

nur Methyl-Prednsiolon 3 × 1 g

INF-beta-1a

INF-beta-1b

INF-beta-1a

Glatirameracetat

Patientenzahl

454

382

468

309

481

Nachbeobachtung

15 Jahre

10 Jahre

5 Jahre

2 Jahre

3 Jahre

% Reduktion der Konversion in klin. MS

0

43 (66 % bei 9 und mehr Herden)

37

34

45

In diesen Studien machten die Patienten mit Optikusneuritis etwa ein Drittel aus, die restlichen Patienten hatten andere Erstmanifestationen (z. B. Lähmungen). Als Referenz dient das ONTT. Über die Problematik der „historischen“ Kontrollgruppe haben wir an anderer Stelle bereits diskutiert. Man erkennt, dass alle Medikamente den Anteil der Zweitschübe deutlich senken, vor allem die INF-beta1a nach 10 Jahren und bei ungünstiger Ausgangslage im MRT [63]. Allerdings konnte bei keiner dieser Studien ein Einfluss auf das Ausmaß der Behinderung festgestellt werden. Nach 10 Jahren hätte man dies durchaus erwarten können. Das ist es ja, was für den Patienten am meisten zählt.

Diese parenteralen Therapien haben keine gefährlichen Nebenwirkungen. Die Interferone verursachen Erkältungsgefühle am Injektionstag, Glatirameracetat verursacht überwiegend lokale Reaktionen an den Injektionsstellen. Außer Zweifel steht aber, dass die Lebensqualität durch die Therapie eingeschränkt wird, sodass ein klarer Nutzen auch für den Einzelfall zu fordern ist. Es stellt sich die Frage, wann eine solche Therapie indiziert ist. Immerhin entstehen hohe Kosten von über 10 000 € pro Jahr. Alle diese Medikamente sind zugelassen zur Therapie nach klinisch isoliertem Symptom, also auch nach Optikusneuritis, wenn ein hohes MS-Risiko besteht. Hier sind die Leitlinien wenig hilfreich, denn auch 25 % ist eigentlich als hohes Risiko anzusehen, sodass man streng genommen jeden Patienten, bei dem es keine Hinweise auf eine Sonderform der Optikusneuritis gibt, therapieren könnte. Dies wird natürlich so nicht umgesetzt und hat zur Folge, dass es trotz ausführlicher Leitlinien kein einheitliches Vorgehen gibt. In aller Regel wird man nicht behandeln, wenn das MRT keine Entmarkungsherde zeigt. Die meisten Neurologen entschließen sich zur Behandlung, wenn nach Polman die Diagnose MS gestellt werden kann und sonst nichts gegen die Therapie spricht. Eine beträchtliche Anzahl von Patienten fällt aber in keine dieser Gruppen, sodass viele Patienten mit Optikusneuritis in einer therapeutischen Grauzone liegen. Hinzu kommt, das die Medikamente zwar Einfluss auf Zahl der neu hinzukommenden Entmarkungsherde haben, nicht oder nur minimal jedoch auf den Grad der Behinderung. Dagegen kann man argumentieren, dass die Nachbeobachtungszeit einfach zu kurz war, um diesen Effekt zu sehen. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass die Chance auf einen benignen Verlauf größer ist, wenn die MS mit einer Optikusneuritis beginnt.

Es wird klar, dass die Entscheidung über eine immunmodulatorische Therapie nicht einfach ist. Die neueren Medikamente zur Immunmodulation, insbesondere Teriflunomid [64], [65] und Dimethylfumarat [66] kommen ebenfalls für diese Indikation infrage. Sie sind z. T. wirksamer als Interferon und Glatirameracetat, in ihren Nebenwirkungen überschaubar und als orale Therapie für den Patienten angenehmer. Dies könnte die therapeutische Schwelle weiter senken.


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Verhindern von bleibenden Schäden

Es gibt bisher keine Therapie, von der bewiesen ist, dass sie den durch eine Optikusneuritis angerichteten Schaden vermindert oder den Anteil derjenigen Patienten, die sich nicht bessern, senkt oder gar Schäden rückgängig macht. Aber es gibt Hoffnung in dieser Richtung: Zwei Pilotstudien, eine mit Erythropoietin (EPO, [67]), eine mit Simvastatin [68]. Diese in ihrem Nebenwirkungsspektrum wenig problematischen Medikamente können neue Möglichkeiten eröffnen, Axone und Sehfunktion unabhängig von einer pharmakologischen Immunmodulation zu erhalten. Eine prospektive kontrollierte Studie für EPO wird aktuell gestartet (NCT01962571, www.tone-studie.de). Ein weiteres Medikament, Anti-LINGO [69], wurde in einer 2014 abgeschlossenen Multicenterstudie geprüft. Die Ergebnisse werden 2015 erwartet. Dieses sind zumindest die wichtigsten neuen Ansätze zur Neuroprotektion.


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Die Aufgaben des Augenarztes

Der Augenarzt hat bei der Optikusneuritis folgende Aufgaben:

  1. Sichern der Diagnose: Ist es wirklich eine Optikusneuritis (und nicht ein Makulaödem, eine AION oder ein Tumor)? Anamnese, Swinging-Flashlight-Test und Fundoskopie spielen hier die Hauptrolle.

  2. Hinweise auf Sonderformen und Systemkrankheiten finden (wiederum Anamnese, Fundoskopie, eventuell OCT).

  3. Die Basis für eine verlässliche Verlaufskontrolle schaffen (Visus, Gesichtsfeld).

  4. Das MS-Risiko abschätzen (MRT).

  5. Einleiten der Therapie gemeinsam mit der Neurologie.

  6. Übernahme der Kontrollen bei Studien.

Es ist wichtig, dass die ersten 3 Punkte zuverlässig geklärt sind, bevor ein Patient in neurologische Behandlung weitergegeben wird. Allzu oft treffen wir auf Patienten mit Drusenpapillen oder einem Optikusscheidenmeningeom, die als Optikusneuritis fehlgedeutet und entsprechend behandelt wurden. Es ist auch wichtig, dass Nachkontrollen vereinbart werden. Ob eine Sonderform der Optikusneuritis vorliegt, zeigt sich meist erst im Verlauf. Deshalb muss jede Optikusneuritis immer gemeinsam von Neurologe und Augenarzt betreut werden.


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Interessenkonflikt

Honorierte Vorträge (Alcon, Allergan, Bayer, MSD, Pfizer).

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Korrespondenzadresse

Prof. Helmut Wilhelm
Augenheilkunde, Universitätskliniken Tübingen
Schleichstr. 12
72076 Tübingen
Phone: +49/(0)70 71/2 98 37 36   
Fax: +49/(0)70 71/29 53 61   

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Abb. 1 Beispiel der Sehstörung durch Optikusneuritis bei einer Patientin, die immerhin noch Visus 0,5 hat. Das Foto wurde so lange mittels Photoshop manipuliert, bis die Patientin mit ihrem gesunden Auge das untere Bild etwa so sah wie mit ihrem kranken Auge das obere, unveränderte Ausgangsbild.
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Abb. 2 Gesichtsfeldbeispiel eines Patienten mit Optikusneuritis.
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Abb. 3 Kontrastmittelaufnahme des entzündeten Sehnervs im MRT.
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Abb. 4 Typische Entmarkungsherde im T2-FLAIR-MRT.