Einleitung
Knöcherne Verletzungen der distalen Tibia gehören zu den häufigsten Epiphysenverletzungen im Kindes- und Jugendalter. Es gilt zu unterscheiden, ob die Verletzung bei noch offenen Epiphysenfugen an der distalen Tibia bzw. bei bereits begonnenem Fugenverschluss eintritt. Frakturen, die nach Beginn des Verschlusses der Epiphysenfugen auftreten, werden Übergangsfrakturen genannt. Die Übergangsfrakturen treten bei Mädchen ab dem 10. und bei Jungen ab dem 12. Lebensjahr auf. Der Altersgipfel ist bei Mädchen und Jungen unterschiedlich und liegt zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr [1], [3], [7].
Für das Entstehen der Übergangsfrakturen ist die asymmetrische Ossifikation der distalen Tibiawachstumsfuge verantwortlich ([Abb. 1]). Durch fortschreitende Mineralisation verändert sich die biomechanische Stabilität der Fugenregion. Die Ossifikation an der distalen Tibia beginnt im ventrolateralen Bereich des Innenknöchels und schreitet nach dorsolateral voran. Der anterolaterale Wachstumsfugenteil ist der am längsten mechanisch empfindliche Teil der Fuge. Während der Zeit des Wachstumsabschlusses verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Ossifikation und Proliferation zugunsten der Ossifikation. Die Ossifikation schreitet vom metaphysären Teil der Fuge ausgehend zunehmend auf die Epiphyse voran und führt damit zum Verschluss der Fuge mit Zunahme der mechanischen Festigkeit [1], [3], [4], [7].
Abb. 1 Der Verschluss der Wachstumsfuge an der distalen Tibia verläuft asymmetrisch. Die Ossifikation beginnt von medial am Innenknöchel und setzt sich nach lateral fort, zuletzt verknöchert die anterolaterale Fugenregion.
Die Frakturgeometrie ist weniger vom Unfallmechanismus, sondern vielmehr vom Reifezustand der Wachstumsfuge abhängig. Im Unterschied zu noch offenen Wachstumsfugen werden einwirkende Kräfte nicht durch die Fuge hindurchgeleitet, sondern durch den bereits verknöcherten Anteil zum Gelenk hin gelenkt. Dadurch entsteht eine epiphysäre Fraktur im Verlauf der Grenzzone des Mineralisationsvorgangs. Rapariz [5] fand in ca. 50 % triplaner Frakturen fibuläre Begleitfrakturen sowie in 8,5 % ipsilaterale Tibiaschaftfrakturen. Die Langzeitresultate der Übergangsfrakturen sind im Wesentlichen vom Repositionsergebnis und von der Entwicklung einer Früharthrose abhängig [1], [3], [5], [6].
Die asymmetrische Mineralisation der Wachstumsfuge beginnt von medial und setzt sich nach lateral fort, wobei der anterolaterale Fugenbereich zum Schluss verknöchert.
Klassifikation
Übergangsfrakturen weisen eine stereotype Frakturgeometrie auf. Sie lassen sich in Twoplane- und Triplane-Frakturen unterteilen ([Abb. 2]).
Abb. 2 a bis d Klassifikation der Übergangsfrakturen. a Twoplane-Fraktur; b Triplane-two-Part-Fraktur; c Triplane-three-Part-Fraktur; d Triplane-four-Part-Fraktur.
Die Twoplane-Fraktur
Die Twoplane-Fraktur liegt rein epiphysär vor, sie besteht aus 2 Ebenen. Eine Frakturebene verläuft durch den nicht mineralisierten Teil der Wachstumsfuge und die 2. Ebene verläuft in die Epiphyse an der Grenze des verknöcherten Teils ([Abb. 3]).
Abb. 3 Frakturverlauf einer Twoplane-Fraktur: Der Frakturverlauf verläuft schräg, innerhalb der Epiphyse, das Fragment bricht nach ventrolateral aus. CT-Untersuchung eines 13-jährigen Mädchens.
Die Größe des Twoplane-Fragments ist davon abhängig, wie weit die Verknöcherung vorangeschritten ist. Hat die Verknöcherung nur im medialen Bereich der Wachstumsfuge, d. h. im Bereich des Innenknöchels, stattgefunden, so ist das epiphysäre Fragment sehr groß und kann bis zum Innenknöchel reichen. Ist die Verknöcherung bis auf den zuletzt zu mineralisierenden anterolateralen Teil der Wachstumsfuge vorangeschritten, so entsteht eine besondere Frakturform: der knöcherne Ausriss der vorderen Syndesmose, die juvenile Tilleaux- Fraktur. Die juvenile Tilleaux-Fraktur ist in seltenen Fällen mit einer ipsilateralen Tibiaschaftfraktur vergesellschaftet ([Abb. 4]), wird dann häufig nicht primär erkannt.
Abb. 4 15-jähriger Junge mit mittels ESIN versorgter Tibiaschaftspiralfraktur mit primär nicht erkannter Twoplane-Fraktur der distalen Tibia.
Twoplane-Frakturen treten im Vergleich zu Triplane-Frakturen bei älteren Kindern auf, häufig sind die Wachstumsfugen bereits weitgehend verschlossen [1], [7].
Triplane-Fraktur ([Abb. 2])
Bei den Triplane-Frakturen kommt zu den 2 Ebenen der Twoplane-Frakturen durch einen metaphysären Keil noch eine 3. Frakturebene hinzu. Hierbei handelt es sich dann um Triplane-two-Part -Frakturen ([Abb. 5]).
Abb. 5 a und b 14-jähriges Mädchen mit Triplane-two-Part-Fraktur: Ventrolaterale epiphysäre Fraktur und dorsale metaphysäre Fraktur.
Bei den Triplane-three-Part-Frakturen verläuft die Frakturlinie des metaphysären Keils durch die Epiphysenfuge über die Epiphyse in das Gelenk. Bei der Triplane-four-Part-Fraktur kommt es zu einer Dreifragmentbildung in der Epiphyse ([Abb. 6]).
Abb. 6 15-jähriger Junge mit einer Triplane-four-Part-Fraktur: Ventrolaterale epiphysäre Fraktur und dorsale epi-metaphysäre Fraktur.
Übergangsfrakturen haben stereotype Frakturgeometrien.
Wachstumsstörungen
Für eine relevante Wachstumsstörung bedarf es noch eines signifikanten Wachstums an der distalen Tibia. Dieses ist jedoch ab dem 13. Lebensjahr kaum noch bedeutend. Damit sind Wachstumsstörungen nicht zu erwarten [1], [4], [7]. Unfallbedingte oder iatrogene Schäden an der Epiphysenfuge sind nicht zu erwarten. Das fehlende Wachstumspotenzial bedeutet jedoch auch, dass verbliebene Fehlstellungen sich nicht mehr spontan korrigieren können.
Es existieren keine evidenzbasierten Daten für Toleranzgrenzen von Stufen und Spalten im Gelenkbereich, bei Gelenkfrakturen gelten die Behandlungsprinzipien der Erwachsenentraumatologie. Es gibt jedoch Hinweise in Langzeitstudien, dass unvollständig reponierte Frakturen zu einer Steigerung der Arthroserate führen können [1], [3], [5]. Da es sich um Gelenkfrakturen handelt, ist es deshalb empfehlenswert, Stufen im Gelenk zu meiden, um eine Erhöhung der Arthroserate zu verhindern.
Nach Übergangsfrakturen sind keine relevanten Wachstumsstörungen zu erwarten.
Diagnostik
Standardmäßig sollten a.–p.- und seitliche Aufnahmen des oberen Sprunggelenks durchgeführt werden. Ist eine genauere Beurteilung nicht möglich, so empfiehlt es sich, 45°-Schrägaufnahmen durchzuführen. Besteht noch Unsicherheit über die genaue Frakturgeometrie, insbesondere über das Dislokationsausmaß und damit über die Festlegung der Therapie, ist eine weitere Schnittbildgebung mit NMR oder CT sinnvoll.
Behandlungsziel
Das Behandlungsziel der Übergangsfrakturen ist eine stufenlose distale tibiale Gelenkfläche. Ziel ist das Wiederherstellen von kongruenten Gelenkflächen und nicht die Verhinderung von Wachstumsstörungen.
Therapie
Konservative Behandlung
Für undislozierte Übergangsfrakturen (Gelenkstufe < 2 mm, Distraktion im Gelenkflächenbereich < 2–4 mm) [1], [7] kann die konservative Therapie im Unterschenkelliegegips für 4 Wochen und 2 Wochen im Unterschenkelgehgips behandelt werden. Die Werte zwischen 2 und 4 mm sind empirisch und ziehen sich in der Literatur durch. Der primäre Gips muss gespalten angelegt und erst mit Abnahme der Schwellung geschlossen werden. Nach 10–14 Tagen empfiehlt sich eine gipsfreie radiologische Kontrolle der Fraktur. Mit der Anlage des Unterschenkelgipses muss über eine Thromboseprophylaxe nachgedacht werden.
Operative Behandlung
Dislozierte Übergangsfrakturen (Gelenkstufe > 2 mm, Distraktion im Gelenkflächenbereich > 2–4 mm) sollten operativ versorgt werden, hierzu hat sich eine Schraubenosteosynthese bewährt. Ziel sollte sein, Gelenkfrakturen wieder anatomisch zu rekonstruieren.
Twoplane-Frakturen ([Abb. 7 a–e])
Abb. 7 a bis e Dislozierte Twoplane-Fraktur eines 13-jährigen Mädchens. In der koronaren und horizontalen CT-Schnittführung deutlich disloziertes epiphysäres Fragment. Freie Funktion und Beschwerdefreiheit 6 Monate nach perkutaner Schraubenfixation.
Die Reposition des epiphysären Fragments (Tilleaux-Fragments) gelingt häufig geschlossen durch den Führungsdraht unter Bildwandlerkontrolle. Dieser wird anschließend überbohrt und mit einer kanülierten Zugschraube besetzt. Bei erheblich verdrehten Tilleaux-Fragmenten kann es sinnvoll sein, einen zusätzlichen Kirschner-Draht zur Unterstützung im Sinne einer „Joystick-Technik“ zum Einsatz zu bringen. In seltenen Fällen kann eine zufriedenstellende Reposition nicht erreicht werden, dann sollte eine offene Reposition durchgeführt werden. Sollte eine offene Reposition erforderlich sein, kann über den anterior-lateralen Zugang die Gelenkfläche eingesehen werden. Bei höhergradiger Dislokation kann manchmal eine offene Reposition durch Interposition von Weichteilen, z. B. Periost, notwendig werden. Von guten Resultaten wird bei Extraktion des Periosts berichtet. Inwieweit ein Belassen des interponierten Periosts tatsächlich zu einem Problem führt, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt.
Triplane-Fraktur
Auch die komplexere Triplane-Fraktur lässt sich meist geschlossen reponieren. Hier werden verschiedene Techniken angegeben.
Technik 1
Im 1. Schritt wird das größere metaphysäre Fragment (dorsale Volkmann-Komponente) mittels einer über eine ventrale Stichinzision unter Bildwandlerkontrolle nach dorsal verlaufenden Schraubenosteosynthese stabilisiert ([Abb. 8 a–f]).
Abb. 8 a bis f Dislozierte Triplane-two-Part-Fraktur eines 14-jährigen Jungen: Ventrolaterale epiphysäre Fraktur und dorsale metaphysäre Fraktur. Im konventionellen Röntgenbild und in der horizontalen CT-Schnittführung disloziertes epiphysäres Fragment mit Gelenkstufe. Die Reposition der epiphysären Fraktur gelingt häufig geschlossen. Stabilisierung mittels kanülierter Schraubenosteosynthese.
Im Fall einer daraus resultierenden unzureichenden Reposition kann über eine kleine Inzision hinter dem Innenknöchel das hintere Volkmann-Dreieck mit einem Einzinker reponiert werden. Die zusätzliche Verschraubung des dorsalen epiphysären Fragments (Triplane-II-Fraktur) ist meist nicht nötig. Anschließend wird das ventrolaterale epiphysäre Fragment entsprechend einer Twoplane-Fraktur reponiert und verschraubt ([Abb. 9 a–f]).
Abb. 9 a bis f Dislozierte Triplane-four-Part-Fraktur eines 16-jährigen Jungen: Ventrolaterale epiphysäre Fraktur und dorsale epimetaphysäre Fraktur. Im konventionellen Röntgenbild und der koronaren und horizontalen CT-Schnittführung deutlich disloziertes epiphysäres Fragment. Freie Funktion und Beschwerdefreiheit 5 Monate nach perkutaner Schraubenfixation.
Technik 2
Technik 2 ist die von uns favorisierte Umsetzung, da Sie das primäre Ziel der stufenlosen Gelenkreposition unseres Erachtens am besten erfüllt. Im 1. Schritt wird das Gelenk rekonstruiert. Das ventrolaterale epiphysäre Fragment wird reponiert und verschraubt, dies gelingt meist geschlossen. Der dadurch entstandene Knochenblock wird dann über eine ventrale Stichinzision unter Bildwandlerkontrolle mit einer nach dorsal verlaufenden Schraubenosteosynthese mit dem proximalen Tibiafragment stabilisiert.