OP-Journal 2014; 30(2): 82-91
DOI: 10.1055/s-0034-1383217
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pilon-tibial-Fraktur – operatives Vorgehen

Pilon tibial fractures – operative management
Sebastian Manegold
,
Klaus-Dieter Schaser
Further Information

Dr. med. Sebastian Manegold
Oberarzt und Leiter der Sektion Fuß- und Sprunggelenkchirurgie
Univ.-Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Schaser
Ltd. Oberarzt und stellvertr. Klinikdirektor
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin

Publication History

Publication Date:
04 February 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Pilon-tibial-Frakturen stellen eine besondere Entität der distalen Tibiafrakturen dar. Von der korrekten Frakturklassifikation über den geeigneten OP-Zeitpunkt bis hin zur Wahl und Umsetzung des richtigen Operationsverfahrens erfordert die Behandlung der Pilonfraktur ein hohes Maß an chirurgischer Expertise und operativer Erfahrung. Der folgende Artikel möchte einen Überblick eines suffizienten diagnostischen und therapeutischen Algorithmus vermitteln, der als Behandlungspfad im Alltag dient.


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Abstract

Pilon tibial fractures are characteristic distal tibial fractures. However, from correct fracture classification to appropriate timing of surgery till selection of suitable surgical strategies, fracture management of these fractures requires an extensive surgical knowledge and expertise. The objective was to convey a diagnostic and therapeutic algorithm, which can be used as a daily pathway in treating pilon fractures.


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Einleitung

Pilon-tibial-Frakturen stellen als intraartikuläre Frakturen, insbesondere aufgrund der komplexen Frakturmorphologie und des begleitenden schweren Weichteilschadens, eine besondere Herausforderung für den Chirurgen dar.

Der Begriff „pilon tibial“ (frz.: le pilon = der Stößel, der Stampfer) wurde 1911 von dem französischen Radiologen Étienne Destot geprägt. Er verglich damals den gelenktragenden Anteil der distalen Tibiametaphyse mit einem Stößel. Zwei Jahre später beschrieb der belgische Chirurg Albin Lambotte 1913 in seinem Werk „Chirurgie opératoire des fractures“ erstmals Frakturen des Pilon tibiale als Y-Fraktur der Epiphyse. Er war auch der erste Chirurg, der diese Frakturen mit Schrauben und Drahtzerklagen stabilisierte [18].

Noch bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts galten diese Frakturen als inoperabel, obwohl bereits durch Lorenz Böhlers Frakturdokumentation bekannt war, dass selbst kleinste Fragmentdislokationen und die daraus resultierende Inkongruenz der tibialen Gelenkfläche (frz.: le plafond = Decke) zur posttraumatischen Arthrose führen [2]. Seinen Frakturanalysen zufolge entwickelte sich die konservative Therapie mit geschlossener Frakturreposition, Extensionbehandlung und Gipsimmobilisation, die später von seinen Schülern H. Jahna und E. Trojan verfeinert wurde. Mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen 1958 wurden in den Folgejahren Frakturklassifikationen sowie operative Techniken zur Frakturreposition und -stabilisierung entwickelt.

Die heutigen Behandlungsprinzipien gehen im Wesentlichen auf die Arbeiten von Martin Allgöwer zurück. Sie beschrieben 1963 sowohl das operationstaktische Vorgehen (Fibulaosteosynthese, Gelenkflächenreposition, Spongiosaplastik zum Auffüllen der metaphysären Impression, Tibiaosteosynthese) als auch die Bedeutung der funktionellen Nachbehandlung [13].

Neben der osteosynthetischen Versorgung steht heute die Behandlung und Minimierung des begleitenden Weichteilschadens im Vordergrund. Spätestens mit der Entwicklung von anatomisch präformierten winkelstabilen Implantatsystemen konnte dieses Therapieziel durch minimalinvasive Operationstechniken erfüllt werden.


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Definition, Epidemiologie, Ätiologie

Definition

Unter dem Begriff Pilon-tibial-Fraktur werden heute Gelenkfrakturen der distalen Tibiametaphyse (AO 43) zusammengefasst, deren Hauptfrakturzone in einem Quadrat liegt, dessen Kantenlänge in der Frontalebene durch die maximale Tibiabreite auf OSG-Gelenkspalthöhe definiert ist ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Pilon-tibial-Frakturen sind Frakturen der distalen Tibiametaphyse, deren Hauptfrakturzone innerhalb eines metaphysären Quadrats liegt [9].

Somit sind diese Frakturen von den komplexeren Malleolarfrakturen (AO 44) und den distal auslaufenden Tibiaschaftfrakturen (AO 42) abzugrenzen.


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Epidemiologie

Pilon-tibial-Frakturen machen ca. 2–15 % aller Tibiafrakturen beim Erwachsenen aus [1], [8], [14], [17]. Diese hohe Spannbreite innerhalb der Literatur kann letztlich auch mit einer häufig falschen Differenzierung zwischen Pilon-Frakturen einerseits und distaler Tibiafraktur bzw. Malleolarfraktur andererseits erklärt werden. Der Altersgipfel wird in der Literatur von der 3. bis 5. Dekade angegeben, wobei v. a. Männer mit 57–65 % von Pilon-Frakturen betroffen sind [7] In der eigenen Klientel liegt der Anteil gar bei 75 %, der Altersgipfel betrug im Mittel 43 Jahre. Etwa 30 % der Pilon-Frakturen waren als offene Frakturen klassifiziert worden. Dies deckt sich mit den Angaben in der Literatur [3], [11].


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Ätiologie

Pilon-tibial-Frakturen bieten ein breites Erscheinungsbild, welches direkt mit dem jeweiligen Unfallmechanismus korreliert. Helfet et al. teilten die Frakturen daher in High-energy Injury (Verkehrsunfälle, Sturz aus großer Höhe) und Low- energy Injury (Sportunfälle) ein [10].

Beim Hochrasanztrauma kommt es typischerweise infolge der hohen axialen Gewalt zu Trümmerfrakturen mit ausgeprägten Impressionszonen des tibialen Plafonds, die typischerweise von einem schweren Weichteilschaden begleitet werden. Bei der Niedrigenergieverletzung entstehen hingegen durch die wirkenden Torsionskräfte große Biegungs- und Torsionsfragmente der distalen Tibia mit einem geringeren Weichteilschaden [5], [12], [16], [17].

Eigenen Untersuchungen zufolge liegt der Anteil des Hochrasanztraumas bei über 70 %.


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Klassifikation

In der Vergangenheit haben verschiedene Autoren Frakturklassifikationen zur Einteilung der Pilon-Frakturen entwickelt, die mittlerweile nur noch von historischer Bedeutung sind.

Heutzutage hat sich die AO-Klassifikation im klinischen Alltag wie auch in der Literatur durchgesetzt.

Hierbei werden im Segment 43 (metaphysäres Quadrat, s. [Abb. 1]) 3 Frakturtypen unterschieden, die sich jeweils in 3 Gruppen zu je 3 Untergruppen einteilen lassen ([Abb. 2]). Diese 3 Frakturtypen sind:

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Abb. 2 AO-Klassifikation (www.aofoundation.org) der distalen Tibiafraktur (Segment 43). Einzelheiten im Text.

Typ-A-Fraktur: extraartikuläre Fraktur

Typ-B-Fraktur: partiell artikuläre Fraktur

Typ-C-Fraktur: vollständig artikuläre Fraktur

Während Typ-A-Frakturen einen rein extraartikulären Verlauf in der distalen Tibiametaphyse zeigen und somit streng genommen keine Pilon-tibial-Frakturen darstellen, zeichnen sich die Typ-B-Frakturen dadurch aus, dass die tibiale Gelenkfläche nicht vollständig von der Metaphyse separiert ist (partielle Dissoziation). B1-Frakturen sind reine Spaltfrakturen in der koronaren (B1.1) oder sagittalen (B1.2) Ebene. Bei den B2-Frakturen liegt zusätzlich zur Spaltfraktur eine Impression des Tibia-Plafonds vor. Multifragmentäre Impressionsfrakturen mit partieller Dissoziation der Gelenkfläche entsprechen dem Typ B3.

Bei den Typ-C-Frakturen hingegen besteht eine vollständige Dissoziation und Separation der tibialen Gelenkfläche vom Tibiaschaft. Je nach Komplexität der frakturierten Gelenkfläche und der Tibiametaphyse werden die Pilon-Frakturen in C1-Frakturen (einfach-artikuläre Gelenkfraktur, einfach-metaphysäre Fraktur), C2-Frakturen (einfach-artikuläre Gelenkfraktur, komplex-metaphysäre Fraktur) oder C3-Frakturen (komplex- artikuläre Gelenkfraktur, komplex-metaphysäre Fraktur) eingeteilt.

Abgrenzung zur distalen Tibiafraktur

Im klinischen Alltag bereitet die Abgrenzung der Pilon-tibiale-Fraktur von distalen Tibiafrakturen und Malleolarfrakturen oftmals Schwierigkeiten.

Frakturen, deren Hauptfrakturzone proximal des metaphysären Quadrats liegt ([Abb. 1]), die aber Frakturausläufer in die distale Tibiagelenkfläche aufweisen, werden dennoch zu den distalen Tibiafrakturen gezählt (Segment 42) und stellen keine Pilon-Fraktur dar.


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Abgrenzung zur Malleolarfraktur

Auch die Differenzierung der Pilon-Fraktur von der Malleolarfraktur ist im Einzelfall nicht einfach. Während Malleolarfrakturen infolge der Innen- und/oder Außenknöchelfraktur typischerweise eine koronare Instabilität zeigen, liegt bei den Pilon-Frakturen vermehrt eine sagittale Instabilität (Fraktur der Tibiahinterkante) vor. Heim stellte 1991 in seiner Monografie für verbleibende Grenzfälle folgende Zuordnung fest [9]:


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Frakturen der anterolateralen Tibia: Tubercule de Tillaux-Chaput

Kommt es zu kleinen knöchernen extraartikulären Ausrissen des vorderen Syndesmosenbands am Insertionsbereich der distalen Tibia (Tubercule de Tillaux-Chaput), wird die Faktur als Malleolarfraktur interpretiert. Handelt es sich um große intraartikuläre anterolaterale Frakturen des Tuberculum anterius tibiae werden diese als Kantenfragmente z. B. infolge einer axialen Kompressionsverletzung gewertet und den Pilon-Frakturen zugeordnet.


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Frakturen der posterolateralen Tibia: Volkmann-Fragment

Kleine posterolaterale Kantenfragmente, die von einer typischen Fibulaschrägfraktur bzw. einer Malleolus-medialis-Fraktur/Deltabandverletzung in Kombination mit einer Syndesmosenverletzung begleitet werden, werden als Malleolarfraktur eingeteilt. Die posterolateralen Kantenfragmente haben hier oft einen kurzen und schrägen Frakturverlauf. Posterolaterale Kantenfragmente zählen zu den Pilon-tibial-Frakturen, wenn zusätzlich eine Impressionszone des Tibia- Plafonds vorliegt. Hier zeigen die posterolateralen Kantenfragmente typischerweise einen vertikalen, weit nach proximal reichenden Frakturverlauf. Die Größe des Kantenfragments nimmt bei diesen Frakturformen oftmals mehr als ein Drittel der gesamten tibialen Gelenkfläche ein.


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Frakturen der posteromedialen Tibia

Bei begleitender fibulotalarer Bandverletzung bzw. Fibulafraktur werden die Frakturen der posteromedialen Tibia als Malleolarfraktur klassifiziert. Sofern das posteromediale Kantenfragment das Tuberculum posterior (Insertion der hinteren Syndesmose) der Tibia nicht erfasst, sondern schräg in den Innenknöchel verläuft, wird die Fraktur als Pilon-Fraktur eingeteilt.


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Abgrenzung zur Charcot-Arthropathie

Das Vorliegen einer Charcot-Arthropathie mit Destruktion oder pathologischer Frakturierung des Tibia-Plafonds (diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie, DNOAP) darf nicht mit dem Vorliegen einer Pilon-Fraktur verwechselt werden.

Insbesondere eine unauffällige Unfallanamnese, pastös geschwollene und ggf. leicht gerötete Weichteile ohne Verletzungsmarken sowie eine begleitende plantare Polyneuropathie müssen den behandelnden Chirurgen auf das mögliche Vorliegen einer Charcot-Arthropathie aufmerksam machen.


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Diagnostischer Algorithmus

Neben der klinischen Beurteilung unsicherer und sicherer Frakturzeichen inkl. der Einschätzung eines vorliegenden Weichteilschadens (geschlossener und offener Weichteilschaden, Gefäß-, Nervenbeteiligung?) steht bei der Diagnostik der Pilon-tibiale-Fraktur die bildgebende Diagnostik im Vordergrund. Diese sollte jedoch v. a. bei massiver Frakturfehlstellung mit konsekutiver Weichteilkompromittierung erst nach Primärversorgung, d. h. nach notfallmäßiger Reposition aus grober Fehlstellung und sterilem Wundverband bei offenen Frakturen erfolgen.

Vor allem die oftmals präklinisch unzureichende Reposition und Immobilisation der Fraktur muss in der Rettungsstelle sofort nachgeholt werden, um den Druck der Frakturfragmente auf die Weichteile zu reduzieren und so weitere Hautschäden zu vermeiden.

Die bildgebende Diagnostik beinhaltet primär konventionell-radiologische Aufnahmen in 2 Ebenen (OSG a.–p. in 20° Innenrotation, sagittale Projektion, inkl. Abbildung des distalen Unterschenkels), sollte aber durch eine Computertomografie ergänzt werden. Insbesondere die 2- bzw. 3-dimensionalen Rekonstruktionen helfen dem Chirurgen, die Frakturmorphologie vollständig zu erfassen und die osteosynthetische Versorgung strategisch zu planen. Darüber hinaus können Begleitverletzungen des Fußes ausgeschlossen werden.

Der optimale Zeitpunkt für die erweiterte computertomografische Diagnostik ist situativ zu entscheiden.

Nach radiologischer Primärdiagnostik sollte eine CT-Diagnostik nur dann unmittelbar erfolgen, wenn das notfallchirurgische Vorgehen davon abhängt, bspw. der Verdacht einer sekundären Gefäß-Nerven-Verletzung vorliegt (Indikation zur Angio-CT prüfen). Andernfalls empfiehlt es sich, die computertomografische Diagnostik nach abgeschlossener Reposition und temporärer Fixateur- externe-Anlage durchzuführen, da sich infolge der Ligamentotaxis-bedingten Reposition, insbesondere bei Komplexfrakturen, eine bessere Übersicht über die Frakturmorphologie und somit eine leichtere Frakturanalyse und Operationsplanung ergibt. Auch im Rahmen der Polytraumaversorgung sollte der Zeitpunkt der Computertomografie so gewählt werden, dass der prioritätenorientierte Schockraumalgorithmus („treat first, what kills first“) nicht verzögert wird.

Konventionell-radiologische Schrägaufnahmen in 45°-Projektionen haben im Zeitalter der Computertomografie mit multiplanen Rekonstruktionsmöglichkeiten an Bedeutung verloren.


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Therapeutischer Algorithmus

In der Behandlung der Pilon-tibial-Fraktur hat sich heute v. a. bei höhergradigem Weichteilschaden ein zweizeitiges Vorgehen durchgesetzt, d. h. dass die definitive osteosynthetische Frakturversorgung erst nach Weichteilkonsolidierung im Fixateur angegangen wird ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus zur Behandlung der Pilon-tibial-Fraktur.

Notfallmanagement

Nach erfolgter Notfallreposition vorliegender Frakturfehlstellungen muss der begleitende Weichteilschaden richtig evaluiert und klassifiziert werden. Offene Frakturen, Gefäß-Nerven-Verletzungen sowie das Vorliegen eines Kompartmentsyndroms stellen chirurgische Notfallindikationen dar und bedürfen der umgehenden Intervention.


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Reposition und Immobilisation

Pilon-tibial-Frakturen sind in der Mehrzahl der Fälle durch Frakturinstabilität und begleitenden Weichteilschaden gekennzeichnet. Die geschlossene Reposition und temporäre Anlage eines Fixateur externe zur externen Frakturstabilisierung und Weichteilkonditionierung stellt somit die elementare Notfallmaßnahme in der Behandlung der Pilon-tibial-Fraktur dar, sodass deren Indikation großzügig zu stellen ist.

Der Fixateur externe wird dabei klassischerweise als 3-armiger tibiometatarsaler Fixateur konstruiert, wobei dem Kalkaneus-Pin ([Abb. 4]) zur Längenretention eine besondere Bedeutung zukommt [12]. Bei der Anlage des Fixateur externe ist darauf achten, dass die tibialen Schanz-Pins möglichst weit von dem geplanten Plattenlager platziert werden, um sekundäre Kontaminationen der endgültigen Osteosynthese zu vermeiden. Darüber hinaus sollten die Verbindungsbacken so montiert werden, dass sie außerhalb der „Region of Interest“ liegen, sodass die Artefaktbildung im CT minimiert wird.

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Abb. 4 Dreiarmiger tibiometatarsaler Fixateur externe mit Kalkaneus-Pin zur temporären Frakturstabilisierung und Weichteilkonsolidierung.

In Abhängigkeit der Weichteilverletzung und Frakturmorphologie wird von manchen Autoren zudem eine einzeitige Fibulaosteosynthese empfohlen.

Durch die Osteosynthese einfacher Fibulafrakturen kann über die meist intakten tibiofibularen Bänder eine approximative Reposition der antero- und posterolateralen Fragmente erreicht werden, sodass die tibiale Achse, Länge und Rotation verbessert werden ([Abb. 5]). Bei komplexen Fibulafrakturen, die keine exakte anatomische Rekonstruktion erlauben, sollte die Osteosynthese im Rahmen der definitiven Operation erfolgen.

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Abb. 5 In Abhängigkeit der Weichteilverletzung kann die primäre Plattenosteosynthese einer begleitenden Fibulafrakur helfen, über Ligamentotaxis eine approximative Reposition der Pilon-Fraktur zu erreichen.

Je nach Ausdehnung der diaphysären Frakturkomponente können Pilon-tibial-Frakturen auch von einem Kompartmentsyndrom begleitet werden. In der Literatur wird hier eine Inzidenz von gut 12 % angegeben [4]. Bei Vorliegen eines Kompartmentsyndroms muss eine notfallmäßige Dermatofasziotomie durchgeführt werden.

Nur Pilon-tibial-Frakturen, die aufgrund ihrer Frakturmorphologie (z. B. AO-43- B1-Frakturen als reine Spaltbrüche bzw. anteilig auch die B2-Frakturen [Stauchungsbrüche]) keine Dislokationstendenz zeigen und stabil sind, dürfen bei geringem Weichteilschaden im Unterschenkelspaltgips immobilisiert werden.

Insbesondere in diesen Fällen müssen regelmäßige klinische Weichteilkontrollen erfolgen und bei prolongierter Weichteilschwellung die Indikation zur sekundären Transfixation kritisch geprüft werden. Im eigenen Vorgehen stellt daher die Immobilisation im Unterschenkelspaltgips die Ausnahme dar.


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Offene Pilon-tibiale-Fraktur

Rund ein Viertel bis ein Drittel aller Pilon-tibial-Frakturen liegen als offene Frakturen vor [3], [11]. Das notfallchirurgische Vorgehen umfasst zunächst ein Asservieren von Gewebeproben zur mikrobiologischen Untersuchung mit anschließendem ausgiebigen Débridement und Jet-Lavage der verletzten Weichteile.

Ein primärer Wundverschluss der verletzten Weichteile sollte die absolute Ausnahme darstellen. Da es infolge der hohen kinetischen Energie eines Hochrasanztraumas im Verlauf regelhaft zu sekundären Weichteilschäden kommt, ist jegliche Weichteilspannung der Haut infolge eines primären Wundverschlusses zu vermeiden und die Indikation zur temporären Weichteildeckung mittels luftdurchlässigem synthetischem Hautersatz (z. B. Epigard®) großzügig zu stellen.

Neben dem chirurgischen Débridement ist die perioperative Antibiotikatherapie in der Behandlung offener Frakturen von entscheidender Bedeutung. Bei erst- und zweitgradig offenen Frakturen ist als Breitbandantibiotikum Sultamicillin zu wählen. Bei drittgradig offenen Frakturen finden sich bis zu 40 % gramnegative Erreger, sodass sich in diesen Fällen Tazobactam/Piperacillin als Kombinationspräparat empfiehlt. Bis zum Vorliegen des endgültigen Antibiogramms ist diese als kalkulierte Antibiotikatherapie zu wählen. Selbstverständlich sind begleitende Gefäß- und Nervenverletzungen im Rahmen des Notfalleingriffs zu rekonstruieren.


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Postprimäres Intervall: präoperatives Management

Nach notfallmäßiger Reposition und Transfixation dient das postprimäre Intervall v. a. zur Konditionierung des Weichteilmantels. Dabei stellt der Fixateur nicht nur eine effektive Methode zur Frakturretention dar, sondern er vereinfacht auch die regelmäßigen Weichteilkontrollen und die Patientenpflege. Durch Einhaltung einer strengen Bettruhe mit Hochlagerung der betroffenen Extremität, die dem Patienten ein hohes Maß an Krankheitseinsicht und Mitarbeit abverlangt, wie auch durch adjuvante Maßnahmen, wie AV-Pulsation, manuelle Lymphdrainage und Kryotherapie, kann i. d. R. eine Abschwellung der Weichteile innerhalb von 5–10 Tagen erreicht werden. Während dieser Zeit auftretende Spannungsblasen sind als Zeichen eines Hautkompartmentsyndroms zu werten und müssen steril eröffnet und verbunden werden.

Bei offenen Frakturen sollte innerhalb der ersten 24–48 Stunden eine „Second-look-Operation“ durchgeführt werden. Diese dient neben dem abermaligen Débridement auch dem Wechsel des synthetischen Hautersatzes. Im Verlauf weiterer programmierter Operationen kann sukzessive ein Wundverschluss erreicht werden. Ist ein sekundärer Wundverschluss aufgrund der lokalen Defektgröße nicht möglich, so sind frühzeitig die Weichteile mittels Lappenplastiken zu decken.

Der optimale Operationszeitpunkt ist erreicht, wenn die Weichteilschwellung soweit abgeklungen ist, dass bereits kleine Hautfalten abgrenzbar werden ([Abb. 6]).

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Abb. 6 Nach Weichteilkonsolidierung ist der optimale Operationszeitpunkt für eine osteosynthetische Versorgung erreicht, wenn an den Weichteilen kleine Hautfalten abgrenzbar sind („wrinkle sign“).

Während des postprimären Intervalls erfolgt zeitnah die computertomografische Diagnostik. Dank der mittlerweile standardisierten 2- und 3-dimensionalen Rekonstruktionsmöglichkeiten wird die Frakturanalyse und Fragmentzuordnung wesentlich erleichtert. Regelhaft kommen folgende Fragmente bei einer Pilon-tibiale-Fraktur vor [18].

  1. Innenknöchelfragment

  2. anterolaterales Fragment

  3. posterolaterales Fragment

  4. vorderes Tibiakantenfragment

  5. hinteres Tibiakantenfragment

  6. zentrales Pilon-Fragment (engl: „die punch fragment“)

Anhand der CT-Analyse erfolgt die Planung der Operation. Diese beinhaltet neben der Wahl des Operationszugangs auch die jeweilige Osteosynthesetechnik und Implantatauswahl.


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Operatives Management

Operationszeitpunkt

Der optimale Operationszeitpunt ist erreicht, wenn die initiale Weichteilschwellung mit begleitender Inflammation abgeklungen ist und die Haut beginnt, Falten zu zeigen. Dies ist in Abhängigkeit des initialen Weichteilschadens 5–10 Tage nach Trauma zu beobachten ([Abb. 6]).


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Operationsplanung

Nach computertomografischer Frakturanalyse sind präoperative 2-dimensionale Planungsskizzen der Fraktur, des Repositionsergebnisses und der anschließenden Osteosynthese zu fordern ([Abb. 7]).

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Abb. 7 Präoperativ muss anhand der konventionell-radiologischen und computertomografischen Diagnostik die Frakturanalyse inkl. der Planung der Operation (Zugangswahl, Reposition, Osteosyntheseverfahren) erfolgen. Planungsskizzen der Fraktur, des Repositionsergebnisses und der anschließenden Osteosynthese helfen hierbei.

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Operationszugang

Das Outcome einer Pilon-tibial-Fraktur wird im Wesentlichen von der Qualität der Rekonstruktion der frakturierten Gelenkfläche wie auch von der Konsolidierung des Weichteilschadens bestimmt [15].

Der oder die Operationszugänge sind daher so zu wählen, dass eine optimale Frakturübersicht gewährleistet ist, bestehende Weichteilschäden (z. B. Hautnekrosen ehemaliger Spannungsblasen) durch die zugangsbedingte Morbidität nicht weiter kompromittiert werden und eine Positionierung geeigneter Implantate vorgenommen werden kann.

Sofern mehrere Operationszugänge erforderlich sind (i. d. R. der laterale und der anteromediale Standardzugang), muss zwischen diesen eine ausreichende Weichteilbrücke (mind. 5–7 cm) erhalten werden.

Mehrere Zugänge stehen hierfür zur Auswahl:

Anteromedialer Zugang

Der anteromediale Zugang stellt einen Standardzugang zur Versorgung der Pilon-tibial-Fraktur dar. Er beginnt ventral auf Höhe der Frakturmorphologie der distalen Tibia (ca. 5–8 cm oberhalb der Gelenkebene) und läuft lateral neben der Tibiavorderkante über die Gelenkebene nach distal, bevor er nach medial zum Cornu naviculare umschlägt (beachte N. saphenus). Dadurch können insbesondere die medial gelegenen Frakturanteile adressiert werden. Läuft der Zugang stattdessen geradlinig Richtung Talonavikulargelenk aus, bekommt man über die lateralen Anteile des Plafonds eine bessere Übersicht. Nach Inzision der Kutis und Subkutis muss die darunterliegende Faszie samt dem Extensorenretinakulum gespalten werden. Die Sehnenscheide der Extensoren sollte dabei geschlossen bleiben. Nun werden die Sehnen der Mm. extensor hallucis et digitorum (EHL, EDL) epiperiostal gelöst und samt Gefäß-Nerven-Bündel nach lateral mobilisiert. Die Sehne des M. tibialis anterior wird anschließend nach medial abgelöst. Je nach führender Frakturpathologie kann jedoch auch die Präparation anderer Fenster zwischen Strecksehnen erforderlich werden. Bei der Arthrotomie des OSG sollte darauf geachtet werden, dass die gefäßführenden Kapselanteile zur Perfusion der Fragmente erhalten bleiben. Nach Mobilisieren und Wegklappen des anterolateralen Fragments gelingt eine gute Übersicht, v. a. auf die zentralen („Die-punch“-Fragment) und medialen Fragmente (Malleolus-medialis-Fragment) ([Abb. 8]). Mithilfe eines eingesetzten tibiotalaren Spreizers können auch die posterioren Frakturanteile dargestellt werden.

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Abb. 8 42-jähriger Patient mit einer lateralseitig zweitgradig offener 43-C3.3-Fraktur. Nach primärer Fibulaosteosynthese und Transfixation (vgl. [Abb. 6]) erfolgt im postprimären Intervall die definitive Osteosynthese. Nach Reposition des zentralen „Die-punch“-Fragments und Rekonstruktion der Gelenkfläche erfolgt die Doppelplattenosteosynthese und Stabilisierung der Metaphyse.

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Anterolateraler Zugang

Der anterolaterale ist wie der anteromediale Zugang ein Standardzugang. Er beginnt proximal zwischen Tibia und Fibula, überquert das anterolaterale Fragment und läuft Richtig Os metatarsale IV geradlinig aus. Bei der Präparation muss auf den hier epifaszial verlaufenden N. peronaeus superficialis geachtet werden. Nach Fasziotomie und Durchtrennung des Extensorenretinakulums werden die Muskelbäuche vom EDL und EHL dargestellt und nach medial mobilisiert. Der Zugang bietet, insbesondere unter Verwendung eines Spreizers, eine gute Übersicht v. a. über das laterale tibiale Plafond und das distale Tibiofibulargelenk. Der Anteil des Malleolus medialis kann allerdings nur eingeschränkt eingesehen werden.


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Medialer Zugang

Der mediale Zugang verläuft streng medialseitig zentriert über dem Innenknöchel und bietet sich v. a. für horizontale und vertikale Frakturverläufe an (z. B. AO 43-B1). Oftmals liegt eine medialseitige Impressionszone des Plafonds vor (AO 43-B2). In diesen Fällen wird über einen weiter anteromedial angelegten Zugang eine bessere Übersicht erreicht.


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Posteromedialer Zugang

Der posteromediale Zugang bietet eine sehr gute Übersicht über das mediale wie auch das posteriore Tibiafragment (z. B. bei AO 43-B1.1). Die Hautinzision des posteromedialen Zugangs beginnt ca. 1 Querfinger dorsal der posteromedialen Hinterkante der distalen Tibia und verläuft dorsal entlang der Tibialis- posterior-Sehne nach distal, wo er nach ca. 1–2 Querfingern am Innenknöchel umschlägt und Richtung Cornu naviculare zielt. Nach Darstellung der Faszie wird diese zusammen mit dem Retinaculum flexorum gespalten. Nachdem auch das tiefe Faszienblatt inzidiert wurde, stehen, je nach Frakturmorphologie, unterschiedliche Intervalle zwischen den einzelnen Flexorensehnen zur Verfügung. Während mediale und posteromediale Fragmente über das Intervall distale Tibia/Tibialis-posterior-Sehne bzw. Tibialis posterior/Flexor digitorum longus erreicht werden können, gelingt über das Intervall Flexor digitorum longus/Flexor hallucis longus ein Zugang zum posterolateralen Fragment. Das sich hier befindliche Gefäß-Nerven-Bündel muss bei der Präparation unbedingt geschont werden. Sofern der anteriore, konvexe Wundrand als Weichteilmantel nach ventral mobilisiert wird, kann über diesen Zugang auch eine vollständige Einsicht über den Malleolus medialis erreicht werden.


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Lateraler Zugang

Der laterale Zugang, der streng zentral über der Fibula läuft, dient ausschließlich zur Versorgung der begleitenden Fibulafraktur bzw. zur Refixation knöcherner Syndesmosenausrisse. Sofern die weitere Versorgung der Pilon-tibiale- Fraktur einen anteromedialen Standardzugang erfordert, so sollte der laterale Zugang weiter dorsal gewählt werden, um einen ausreichenden Sicherheitsabstand von 5–7 cm zwischen den beiden Zugängen zu wahren. Im Falle einer vorrangig anterolateralen Frakturmorphologie des tibialen Plafonds kann der laterale Zugang proximal beginnen, um dann auf Höhe der Tibiametaphyse S- förmig nach ventral umzuschlagen und Richtung Os metatarsale IV distal auszulaufen.


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Posterolateraler Zugang (Bauchlage)

Der posterolaterale Zugang bietet eine gute Übersicht über die Tibiahinterkante und ist indiziert, wenn hier die Hauptfrakturzone liegt. Hierzu wird paraachillär lateral unter Schonung des N. suralis eine geradlinige Inzision durchgeführt. Nach Fasziotomie wird die peronäale Muskulatur nach lateral und der Muskelbauch des FHL nach medial mobilisiert. Unter Verwendung eines Spreizers kann die Einsicht in die Frakturzone verbessert werden. Nachdem das posteromediale und -laterale Fragment jeweils mobilisiert und weggehalten wird, können Impressionsfrakturen über diesen Zugang mit Spongiosa unterfüttert werden. Nach Zurückklappen der dorsalen Hauptfragmente können diese mit einer dorsalen Abstützplatte stabilisiert werden. Darüber hinaus kann nach Mobilisation der peronäalen Muskulatur nach medial über den posterolateralen Zugang eine begleitende Fibulafraktur versorgt werden.


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Minimalinvasive Plattenosteosynthese (MIPO-Technik)

Die Integrität eines intakten Weichteilmantels trägt entscheidend zur Frakturkonsolidierung bei. Das oberste Ziel bei der operativen Versorgung einer Pilon- tibial-Fraktur sollte daher neben einem anatomischen Repositionsergebnis die Reduktion des operativen Traumas und der Zugangsmorbidität sein.

Minimalinvasive Repositions- und Osteosynthesetechniken bieten sich bei un- oder gering dislozierten Frakturen der distalen Tibia an.

Diese Techniken kommen auch bei Frakturen mit extremen Weichteilschäden zum Einsatz, um eine weitere zugangsbedingte Kompromittierung der Weichteile zu vermeiden. Die Wahl eines minimalinvasiven Vorgehens darf jedoch nicht zu Kompromissen hinsichtlich der Gelenkreposition führen.

Sofern bei der Primäroperation noch nicht geschehen, ist mit der osteosynthetischen Versorgung der Fibula zu beginnen. Die Rekonstruktion der fibularen Achse, Länge und Rotation führt über Ligamentotaxis zu einer präliminären Reposition der Pilon-tibiale-Fraktur und vereinfacht die nun anstehende Feinreposition erheblich.

Die geschlossene Feinreposition gelingt, je nach Frakturtyp, indirekt (z. B. mithilfe einer Spitz-Spitz-Repositionsklemme, Kirschner-Drähten, Ligamentotaxis) und einer intraoperativen radiologischen Kontrolle. Behelfsweise können auch einzelne Mini-open-Zugänge (s. Operationszugänge) erforderlich werden. Im Zeitalter zunehmender Verbreitung von Iso-C-3-D-Bildwandlern sind intraoperative CT-Kontrollen, insbesondere bei der geschlossenen Reposition von Gelenkfrakturen, zu fordern. Alternativ kann die Reposition arthroskopisch kontrolliert und assistiert erfolgen. Vor allem bei Pilon-Frakturen mit einer Impressionsfraktur (AO 43-B2) des Plafonds kann das extraartikuläre Zurückstößeln der imprimierten Gelenkfläche arthroskopisch kontrolliert werden. Plattenunabhängige perkutane Zugschrauben stabilisieren nun den Gelenkblock, bevor eine winkelstabile anatomisch vorgeformte Überbrückungsplatte über einen Mini-open-Zugang eingebracht und mit Kopfverriegelungsschrauben besetzt wird.


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Offene Reposition und interne Fixation

Trotz der detaillierten Beschreibungen zur konservativen Therapie der Pilon- Fraktur, die auf Böhler und dessen Schüler zurückgehen, konnten deren ermutigende Behandlungsergebnisse schwer reproduziert werden, sodass die konservative Therapie sich nicht durchsetzen konnte.

In den 60er-Jahren veröffentlichten Rüedi und Kollegen operative Prinzipien, die im Wesentlichen auch heute, knapp 50 Jahre später, noch gelten [14].

  1. Osteosynthese der Fibula

  2. Rekonstruktion des tibialen Plafonds

  3. Defektauffüllung mit Spongiosa

  4. mediale Abstützung

Osteosynthese der Fibula

Sofern die Fibulafraktur bei der Primäroperation noch nicht reponiert und mittels Plattenosteosynthese versorgt wurde, stellt dies den 1. Schritt dar. Insbesondere bei einfachen Fibulafrakturen, die eine anatomische Reposition ermöglichen, sollte mit diesem Schritt begonnen werden, da sich infolge der Ligamentotaxis das antero- und posterolaterale Fragment ausrichten. Im Falle einer komplexen Fibulafrakur und einer einfachen Tibiafrakturkomponente sollte jedoch umgekehrt verfahren werden.


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Rekonstruktion des tibialen Plafonds und Spongiosaplastik

Zu Beginn der Rekonstruktion des tibialen Plafonds kann ein Spreizer eingebracht werden, um so die Übersicht über die tibiale Gelenkfläche zu verbessern. Nachdem das anterolaterale und das mediale Fragment weggeklappt wurden, erfolgt die primäre Inspektion der Frakturmorphologie, bei der nicht nur die einzelnen Fragmente zugeordnet, sondern auch Begleitverletzungen (z. B. osteochondrale Läsionen des Talus) erfasst werden sollten ([Abb. 9]).

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Abb. 9 Darstellung einer AO-43-B1.1- Fraktur über einen anterolateralen Zugang. Auffallend ist die ausgeprägte Knorpelkontusion der anterolateralen Talusschulter.

Anschließend werden die jeweiligen Fragmente vom Frakturhämatom gereinigt. Das Frakturhämatom sollte asserviert werden, da es später zusammen mit der Spongiosaplastik zum Auffüllen spongiöser Defekte dient. Die Reposition beginnt üblicherweise am posterolateralen Fragment.

Mit der Reposition des zentralen und des medialen Fragments wird sukzessive die Gelenkfläche wiederhergestellt und temporär mit Kirschner-Drähten fixiert.

Imprimierte tibiale Gelenkflächen werden nun vorsichtig außerhalb der Impressionszone mit dem Flachmeißel oder dem Stößel gegenüber der talaren Gelenkfläche aufgerichtet und mit Spongiosa unterfüttert. Bevor nun das anterolaterale Fragment eingepasst wird, können spongiöse Defekte mittels Spongiosaplastik ausgeglichen werden. Anschließend werden die Kirschner-Drähte durch interfragmentäre Zugschrauben ausgetauscht.


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Plattenosteosynthese

Insbesondere komplexe B- und alle C-Frakturen benötigen als zusätzliche Stabilisation eine Überbrückungsplatte, die den Gelenkblock mit der Tibiadiaphyse verbindet. Sowohl die anterolaterale als auch die mediale Platte wird üblicherweise distal über den jeweiligen Zugang eingebracht und nach proximal submuskulär bzw. subkutan vorgeschoben. Nach Reposition des Gelenkblocks gegenüber der Diaphyse und Kontrolle der Plattenlage wird diese nun temporär mit Kirschner-Drähten fixiert. Abschließend werden nun zunächst die distalen Schraubenlöcher besetzt, wobei darauf zu achten ist, dass der gesamte Gelenkblock von den Schrauben erfasst und gehalten wird. Proximal sollten v. a. bei osteoporotischer Knochenqualität mind. 3–4 Kopfverriegelungsschrauben bikortikal verankert sein. Postoperativ wird der 3-armige Fixateur externe um den Kalkaneus-Pin reduziert. Nach Weichteilkonsolidierung kann der Fixateur im Verlauf auf Station entfernt werden.


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Salvage-Verfahren

In Ausnahmefällen kann aufgrund der initialen Schwere eines offenen oder geschlossenen Weichteilschadens eine zeitgerechte Konsolidierung der Weichteile ausbleiben, sodass sich ein konventionell-osteosynthetisches Verfahren verbietet. In diesen Fällen bieten sich Kombinationsverfahren aus Ilizarov- Fixateur und minimalinvasiver Osteosynthese zur Stabilisierung des Gelenkblocks an ([Abb. 10]), um insbesondere Wundkomplikationen oder sekundäre Pseudarthrosen zu vermeiden [6].

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Abb. 10 54-jähriger Patient mit 43-C2-Fraktur und drittgradig geschlossenem Weichteilschaden. Kombinationsverfahren aus Ilizarov-Fixateur und minimalinvasiver Osteosynthese bieten sich insbesondere bei massiven Weichteilschäden als „Salvage“-Verfahren an.

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Nachbehandlung

Nach Weichteilkonsolidierung beginnt die Mobilisation des Patienten mit 15 kg Teilbelastung im Unterschenkelcast oder Walker. Begleitend sollte in Abhängigkeit der Frakturschwere und des Weichteilschadens mit passiven Bewegungsübungen begonnen werden, die später auch aktiv durchgeführt werden können. Kryotherapie und manuelle Lymphdrainage helfen, eine persistierende Weichteilschwellung zu reduzieren. Radiologische Verlaufsaufnahmen zur Kontrolle der Frakturkonsolidierung sollten unmittelbar postoperativ und mind. nach 6 und 12 Wochen durchgeführt werden. In Abhängigkeit der Frakturheilung kann eine Belastungssteigerung nach 6–8 Wochen erfolgen. Der Übergang zur Vollbelastung ist i. d. R. nach 12 Wochen möglich.


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  • Literatur

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  • 14 Rüedi T, Matter P, Allgöwer M. Die intraartikulären Frakturen des distalen Unterschenkelendes. Helv Chir Acta 1968; 35: 556-582
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  • 16 Sirkin M, Sanders R, DiPasquale T et al. A staged protocol for soft tissue management in the treatment of complex pilon fractures. J Orthop Trauma 1999; 13: 78-84
  • 17 Topliss CJ, Jackson M, Atkins RM. Anatomy of pilon fractures of the distal tibia. J Bone Joint Surg Br 2005; 87: 692-697
  • 18 Zwipp H. Chirurgie des Fußes. Wien, New York: Springer; 1994

Dr. med. Sebastian Manegold
Oberarzt und Leiter der Sektion Fuß- und Sprunggelenkchirurgie
Univ.-Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Schaser
Ltd. Oberarzt und stellvertr. Klinikdirektor
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin

  • Literatur

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Abb. 1 Pilon-tibial-Frakturen sind Frakturen der distalen Tibiametaphyse, deren Hauptfrakturzone innerhalb eines metaphysären Quadrats liegt [9].
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Abb. 2 AO-Klassifikation (www.aofoundation.org) der distalen Tibiafraktur (Segment 43). Einzelheiten im Text.
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Abb. 3 Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus zur Behandlung der Pilon-tibial-Fraktur.
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Abb. 4 Dreiarmiger tibiometatarsaler Fixateur externe mit Kalkaneus-Pin zur temporären Frakturstabilisierung und Weichteilkonsolidierung.
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Abb. 5 In Abhängigkeit der Weichteilverletzung kann die primäre Plattenosteosynthese einer begleitenden Fibulafrakur helfen, über Ligamentotaxis eine approximative Reposition der Pilon-Fraktur zu erreichen.
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Abb. 6 Nach Weichteilkonsolidierung ist der optimale Operationszeitpunkt für eine osteosynthetische Versorgung erreicht, wenn an den Weichteilen kleine Hautfalten abgrenzbar sind („wrinkle sign“).
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Abb. 7 Präoperativ muss anhand der konventionell-radiologischen und computertomografischen Diagnostik die Frakturanalyse inkl. der Planung der Operation (Zugangswahl, Reposition, Osteosyntheseverfahren) erfolgen. Planungsskizzen der Fraktur, des Repositionsergebnisses und der anschließenden Osteosynthese helfen hierbei.
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Abb. 8 42-jähriger Patient mit einer lateralseitig zweitgradig offener 43-C3.3-Fraktur. Nach primärer Fibulaosteosynthese und Transfixation (vgl. [Abb. 6]) erfolgt im postprimären Intervall die definitive Osteosynthese. Nach Reposition des zentralen „Die-punch“-Fragments und Rekonstruktion der Gelenkfläche erfolgt die Doppelplattenosteosynthese und Stabilisierung der Metaphyse.
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Abb. 9 Darstellung einer AO-43-B1.1- Fraktur über einen anterolateralen Zugang. Auffallend ist die ausgeprägte Knorpelkontusion der anterolateralen Talusschulter.
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Abb. 10 54-jähriger Patient mit 43-C2-Fraktur und drittgradig geschlossenem Weichteilschaden. Kombinationsverfahren aus Ilizarov-Fixateur und minimalinvasiver Osteosynthese bieten sich insbesondere bei massiven Weichteilschäden als „Salvage“-Verfahren an.