Aktuelle Urol 2014; 45(03): 175-177
DOI: 10.1055/s-0034-1383479
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rezidivierende Harnwegsinfekte – Prophylaxe ohne Antibiotika

Contributor(s):
Elke Ruchalla

J Urol 2013;
190: 1981-1989
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 June 2014 (online)

 

Harnwegsinfekte (HWIs) gehören zu den häufigsten Ursachen für einen Arztbesuch, und die Behandlung erfolgt im Allgemeinen mit Antibiotika. Da die HWIs häufig rezidivieren, wird in der Folge auch oft eine sekundäre Prophylaxe notwendig, meist ebenfalls mit Antibiotika. In Zeiten zunehmender Antibiotikaresistenzen bei den Erregern würde man darauf gerne verzichten, wenn es denn wirksame Alternativen gibt. Eine Metaanalyse aus den Niederlanden hat das untersucht.
J Urol 2013; 190: 1981–1989

mit Kommentar

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Cranberries als Saft oder Extrakte in Tablettenform können die Rezidivhäufigkeit vermindern. (Bild: Vera Kuttelvaserova/Fotolia.com)

Die HWI-Prophylaxe mit dem oralen Immunstimulans OM-69 scheint ermutigende Ergebnisse zu erbringen, für weitere Substanzen oder Methoden mit ähnlichem Anspruch liegen allerdings noch keine belastbaren Daten vor. Zu diesem Ergebnis kommt die Arbeitsgruppe um Marielle Beerepoot, die eine Metaanalyse von Studien zu einer Reihe verschiedener Präparate erstellt hat.

Aufgenommen wurden randomisierte, kontrollierte Studien, die bei Erwachsenen mit rezidivierenden HWIs (definiert als mind. 3 Infekte im Jahr vor Beginn der Studie) eine nicht antibiotische Prophylaxe mit Placebo oder keiner Therapie verglichen und die Häufigkeit von erneuten HWIs unter der Prophylaxe ausgewertet haben.

Die Wissenschaftler fanden 17 Studien mit insgesamt 2165 Patienten, meistens Frauen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Die Stichprobengröße der einzelnen Studien lag zwischen 44 und 453, die Nachbeobachtungszeit zwischen 20 Wochen und 12 Monaten. Die Definitionen eines HWI schwankten und umfassten meist entsprechende Symptome plus eine Bakteriurie. Als Cutoff-Wert für den mikrobiologisch gesicherten HWI wurden 103 bis 105 koloniebildende Einheiten / ml verwendet.

OM-89

Die häufigsten Studien (n = 4, 891 Teilnehmer) waren mit dem oral einnehmbaren Immunstimulans OM-89 durchgeführt worden. Dabei handelt es sich um einen Extrakt aus 18 verschiedenen, uropathogenen Escherichia-coli-Serotypen. Es errechnete sich eine Risk Ratio (RR) für die Entwicklung eines HWIs unter der Prophylaxe von 0,61 gegenüber Placebo, darüber hinaus waren Rezidive unter OM-89 signifikant seltener. Dabei waren unerwünschte Ereignisse insgesamt nicht häufiger als unter Placebo, in einer Studie wurde über eine allergische Reaktion berichtet.


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Vaginaler Impfstoff

Den vaginalen Impfstoff Urovac haben 3 Studien mit 220 Teilnehmerinnen untersucht, dabei fand sich eine leichte Verminderung der HWI-Rezidive, v. a. wenn eine Boosterung durchgeführt wurde (RR 0,81). Die Vakzine besteht aus 6 uropathogenen Escherichia-coli-Serotypen plus jeweils einem Stamm von Proteus vulgaris, Klebsiella pneumoniae, Morganella morganii und Enterococcus faecalis.


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Östrogenhaltige Cremes und Cranberries

Ebenso ergab die vaginale Applikation von östrogenhaltigen Cremes einen gewissen Schutz (2 Studien, 201 Frauen; RR 0,42), aber lokale Reizerscheinungen waren häufig und traten bei bis zu 20 % der Frauen auf. Cranberries als Saft oder Extrakte in Tablettenform (2 Studien, 250 Teilnehmer) verminderten die Rezidivhäufigkeit (RR 0,53), das tat auch eine Akupunkturbehandlung (2 offene Studien, 165 Teilnehmer, RR 0,48).

Die orale Östrogentherapie dagegen zeigte keinen Erfolg im Hinblick auf HWI-Rezidive, ebenso wenig die Einnahme von Lactobacillus-Präparaten.

Fazit

OM-89 scheint unter den untersuchten die erfolgreichste nicht antibiotische HWI-Prophylaxe, meinen die Autoren. Allerdings waren einige der durchgeführten Studien vom Hersteller unterstützt worden, sodass ein Verzerrungseffekt möglich ist. Lokale Östrogencremes sind zwar wirksam, aber teilweise nicht gut verträglich. Die Vakzine, Cranberries und Akupunktur habe zwar positive Ergebnisse gezeigt, aber insgesamt gibt es dazu zu wenige Studien mit zu wenigen Teilnehmern, um endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen. Es bestehe, so die Autoren, ein dringender Bedarf an weiteren, methodisch guten Studien, in denen auch direkte Vergleiche zwischen den einzelnen Substanzen erfolgen.


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Kommentar

Interessante und nötige Alternativen

Bei einer Inzidenz von ca. 5 % und häufigen Rezidiven (rHWI, >3 Infektionen / Jahr) bei 20–30 % handelt es sich bei Harnwegsinfektionen um eine Volkskrankheit [ 4 ], [ 5 ].

Meist sind prä- und postmenopausale Frauen von rHWI betroffen. Bei diesen Gruppen ist der Effekt einer antibiotischen Langzeitprophylaxe (LP) gut belegt. In der Regel sind dabei keine behebbaren prädisponierenden Faktoren zu finden. Seltener finden sich rHWI bei Patientinnen mit Harntraktanomalien, Dauerkatheter oder Immunschwäche bzw. bei Männern [Übersicht bei [ 4 ]].

Allgemeine Prophylaxemaßnahmen

Vor jeder medikamentösen Prophylaxe sollte eine ausführliche Beratung der Patienten erfolgen, die leider in der vorgelegten Arbeit nicht berücksichtigt wurde. Allerdings sind die einzelnen Prophylaxe-Empfehlungen (Details unter http://www.urologenportal.de/nieren_und_harnwegsinfektionen.html) nur mit unzureichender Evidenz belegt.

Trotzdem waren durch alleinige Beratung in Placeboarmen verschiedener LP-Studien 14–40 % der Patienten rezidivfrei (Übersicht bei [ 4 ]). In einer chinesischen Studie sank die HWI-Inzidenz nach entsprechender Beratung von 9,8 % auf 1,6 % [ 3 ].

Vor- und Nachteile der antibiotischen LP

Eine niedrig dosierte Langzeitprophylaxe mit Antibiotika oder eine postkoitale Einmalgabe (A-LP) senken als Goldstandard die Rezidivrate von rHWI um bis zu 95 %. Gemäß den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Urologie sollten die klinisch gleichwertigen Substanzen Nitrofurantoin (FUR), Trimethoprim (TRM) oder Cotrimoxazol (CTX) und wegen zunehmender Resistenzen nur bei speziellen Indikationen (Allergien, mangelnde Effizienz der Standardsubstanzen) Cephalosporine (Schwangerschaft) oder Fluorochinolone eingesetzt werden [ 1 ], [ 4 ].

Unter A-LP mit FUR oder TRM treten 0–28 % Therapieabbrüche wegen Nebenwirkungen (NW) auf. Bei gleicher Effektivität ist die NW-Rate bei CTX gegenüber TRM erhöht (Übersicht bei [ 4 ]).

Gerade bei zunehmenden Resistenzen gegenüber potenten Breitspektrumantibiotika ist die Verfügbarkeit eines Harnwegschemotherapeutikums mit breitem Wirkspektrum und bisher fehlender Resistenzentwicklung wie FUR für die LP von Bedeutung. Dadurch wird der Resistenzdruck gegenüber potenteren Antibiotika abgemildert, da sie nicht auch noch für die LP verwendet werden (Übersicht bei [ 4 ]).

Bei Durchbruchsinfektionen unter TRMLP fanden sich 63 % resistente Stämme gegenüber TRM (nicht signifikant unterschiedlich zu Placebo). Dies deutet an, dass Rezidive unter TRM-LP im Wesentlichen durch vorhandene resistente Erreger hervorgerufen werden (Übersicht bei [ 4 ]).

Insgesamt sind eher die Nebenwirkungen und nicht die zunehmenden Resistenzraten verantwortlich für die – sehr sinnvolle – Suche nach Alternativen zur antibiotischen LP.

Vaginaler Impfstoff

Bei dem im Artikel genannten Impfstoff UroVac handelt es sich um die für die intravaginale Anwendung aufbereitete Form von StroVac® (Perison®, Solco-Urovac®), einem zur LP von rHWI zugelassen Impfstoff, der 109 inaktivierte Erreger von 10 Stämmen aus 5 Spezies (E. coli, P. mirabilis, M. morganii, K. pneumoniae, E. faecalis) enthält. Es erfolgen 3 Injektionen in 1-bis 2-wöchentlichen Abständen in die Oberarmmuskulatur. In mehreren kontrollierten deutschsprachigen Studien sank die HWI-Rate / Patientenjahr bzw. die Rate an Durchbruchsinfektionen unter Verum gegenüber Placebo um 26 –93 %. Die NW-Rate lag zwischen 28 und 47 % (lokale Reizungen oder Immunreaktionen) (Übersicht bei [ 4 ]). Der Impfstoff wird in der EAU-Leitlinie zur LP von rHWI empfohlen (LE: 1a, GR: C) [ 1 ].

Weitere Alternativen

Die bakterielle Adhäsion durch Fimbrien kann neben Cranberry-Anthocyanidin wohl auch durch 2 g Mannose pro Tag reduziert werden. In einer prospektiven 3-armigen Studie war Mannose Nitrofurantoin bezüglich der Rezidivrate nicht unterlegen, wohl aber deutlich effektiver als Placebo [ 2 ].

Fazit

Auch wenn vielfach der Stellenwert der Alternativen zur A-LP von rHWI in Vergleichsstudien geklärt werden muss und die genauen Therapiemodalitäten (Dosis, Applikationsform, Therapiedauer) noch unklar sind, ergeben sich doch insbesondere durch orale oder parenterale Immunprophylaxe, lokales Estriol und Fimbrienblockade interessante und nötige Alternativen zur A-LP von rHWI.

PD Dr. Winfried Vahlensieck, Bad Nauheim


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PD Dr. Winfried Vahlensieck


ist Chefarzt der Fachklinik Urologie, Kurpark-Klinik, Bad Nauheim

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  • Literatur

  • 1 Grabe M, Bjerklund-Johansen TE, Botto H, Wullt B, Cek M, Naber KG, Pichard RS, Tenke P, Wagnelehner F. Guidelines on Urological Infections. EAU Guidelines 2012;
  • 2 Kranjcec B, Papes D, Altarac S. World J Urol 2014; 32: 79-84
  • 3 Su SB, Wang JN, Lu CW et al. World J Urol 2014; 32: 79-84
  • 4 Vahlensieck W, Bauer HW. Med Welt 2012; 63: 185-190
  • 5 Wagnelehner FM, Schmiermann G, Hoyme U et al. S-3 Leitlinie Harnwegsinfektionen Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management unkomplizierter bakterieller ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Registernummer: 043/044

  • Literatur

  • 1 Grabe M, Bjerklund-Johansen TE, Botto H, Wullt B, Cek M, Naber KG, Pichard RS, Tenke P, Wagnelehner F. Guidelines on Urological Infections. EAU Guidelines 2012;
  • 2 Kranjcec B, Papes D, Altarac S. World J Urol 2014; 32: 79-84
  • 3 Su SB, Wang JN, Lu CW et al. World J Urol 2014; 32: 79-84
  • 4 Vahlensieck W, Bauer HW. Med Welt 2012; 63: 185-190
  • 5 Wagnelehner FM, Schmiermann G, Hoyme U et al. S-3 Leitlinie Harnwegsinfektionen Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management unkomplizierter bakterieller ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Registernummer: 043/044

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Cranberries als Saft oder Extrakte in Tablettenform können die Rezidivhäufigkeit vermindern. (Bild: Vera Kuttelvaserova/Fotolia.com)