Aktuelle Urol 2014; 45(03): 180-181
DOI: 10.1055/s-0034-1383482
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom – Androgenentzug: intermittierend oder kontinuierlich?

Contributor(s):
Elke Ruchalla

N Engl J Med 2013;
368: 1314-1325
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 June 2014 (online)

 

Beim hormonsensitiven, metastasierten Prostatakarzinom ist die antiandrogene Therapie Standard. Allerdings spricht nach wenigen Jahren in den meisten Fällen der Tumor nicht mehr darauf an. Es gibt tierexperimentelle Hinweise, dass sich diese Resistenz möglicherweise langsamer oder gar nicht entwickelt, wenn der Androgenentzug in Intervallen erfolgt. Ob das in der Klinik funktioniert und entsprechende positive Ergebnisse erbringt, hat nun eine internationale Arbeitsgruppe untersucht.
N Engl J Med 2013; 368: 1314–1325

mit Kommentar

Der intermittierende Androgenentzug könnte bei Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom der kontinuierlichen Therapie gleichwertig sein – er könnte aber auch zu einer verkürzten Gesamtüberlebenszeit führen. Zu diesem eher uneindeutigen Ergebnis kommen die Mediziner um Maha Hussain, die zunächst insgesamt 3040 Patienten in ihre prospektive, multizentrische Studie aufgenommen hatten. Bei allen Studienteilnehmern lag ein gesichertes, hormonabhängiges Prostatakarzinom mit radiologischen Anzeichen für eine Metastasierung und einer Konzentration des prostataspezifischen Antigens (PSA) von mindestens 5 ng / ml vor.

Zunächst wurden alle Patienten über 7 Monate mit einer Induktionstherapie behandelt, bestehend aus dem LHRH-Agonisten Goserelin und dem Antiandrogen Bicalutamid. Die PSA-Konzentration wurde darunter in den Monaten 1, 4, 6 und 7 bestimmt. Bei stabilen Werten von 4,0 ng / ml oder weniger in Monat 6 und 7 konnten Patienten für den zweiten Teil der Studie randomisiert werden. Dabei erfolgte

  • die kontinuierliche Fortsetzung der Induktionstherapie (n = 765) oder

  • eine Therapieunterbrechung mit monatlicher Messung der PSA-Konzentration und Wiederaufnahme der anfänglichen Therapie nur bei einem Anstieg auf 20 ng / ml (oder auf den Ausgangswert, falls der unter 20 ng / ml gelegen hatte; n = 770).

Fiel der PSA-Wert darunter nach 7 Monaten erneut unter 4 ng / ml, wurde die Therapie wieder ausgesetzt, ansonsten fortgeführt.

Beurteilt wurde, ob der intermittierende Androgenentzug der kontinuierlichen Therapie gleichwertig war, dafür wurde eine Grenze von maximal 20 % festgelegt, um die sich die mediane Überlebenszeit unterscheiden durfte. Als sekundärer Endpunkt wurde in den Monaten 3, 9 und 15 nach der Randomisierung die Lebensqualität in 5 Bereichen erfragt:

  • erektile Dysfunktion,

  • Libido,

  • allgemeine Vitalität,

  • psychische Gesundheit und

  • körperliche Funktionsfähigkeit.

Trend: mehr Todesfälle bei intermittierender Therapie

Die Auswertung ergab nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 9,8 Jahren eine mediane Überlebenszeit von 5,8 Jahren in der Gruppe mit kontinuierlichem Androgenentzug und von 5,1 Jahren in der Gruppe mit intermittierendem Androgenentzug, entsprechend einer Hazard Ratio (HR) von 1,10 für Tod bei intermittierender Therapie (90 %-Konfidenzintervall 0,99– 1,23). Die gleiche Tendenz fand sich bei Subgruppenanalysen, die nur Patienten mit geringer bzw. mit ausgedehnter Metastasierung verglichen.

Im Hinblick auf die Lebensqualität zeigten sich bei den 1162 auswertbaren Patienten bei der Beurteilung in Monat 3 in der Gruppe mit intermittierendem Androgenentzug (n = 594) bessere Werte für die erektile Funktion und die psychische Gesundheit, im Anschluss allerdings entfielen diese Unterschiede. Die restlichen Bereiche waren zu allen Zeitpunkten im Wesentlichen zwischen den Gruppen vergleichbar.

Schwere unerwünschte Wirkungen waren zwischen den Gruppen ähnlich verteilt.

Fazit

Bei Pateinten mit hormonsensitivem, metastasiertem Prostatakarzinom ist bei intermittierender Androgendeprivation zwar die mediane Überlebenszeit mit einer HR von 1,1 für den Tod gemäß der festgelegten Grenze von 20 % der kontinuierlichen Therapie nicht klar unterlegen, so die Autoren. Anderseits liegt aber die obere Grenze des zugehörigen Konfidenzintervalls bei 1,23 – was wiederum eine 20 %ige oder stärkere Erhöhung des Sterberisikos nicht ausschließt. Die Lebensqualität war bei intermittierender Therapie in einigen Bereichen etwas verbessert.


#
Kommentar

Keine Evidenz für die intermittierende Therapie

Die antihormonelle Behandlung stellt ein wesentliches Element in der Therapie des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms dar. Die Entwicklung einer kastrationsresistenten Situation aus einem ursprünglich hormonsensiblen Tumor ist einer der Hauptgründe für tumorbedingte Sterblichkeit. Als Ursache für die Resistenzentwicklung werden Veränderungen am Androgenrezeptor aber auch rezeptorunabhängige Faktoren angenommen. Hinweise aus präklinischen Experimenten haben zu der Hypothese geführt, dass ein intermittierender im Gegensatz zum kontinuierlichen Hormonentzug die Zeit bis zur Entwicklung einer Kastrationsresistenz hinauszögern könnte. Hierbei nimmt man an, dass ein unter kontinuierlichem Hormonentzug erzeugtes Missverhältnis zwischen relativ gut differenzierten Prostatakarzinomzellen und undifferenzierten Tumorstammzellen eine wichtige Rolle spielt [ 1 ].

In der klinischen Praxis erscheint das Konzept der intermittierenden Hormonbehandlung aufgrund der möglicherweise besseren Tumorkontrolle durch Verzögerung der Kastrationsresistenz attraktiv. Es werden darüber hinaus Vorteile durch reduzierte Therapienebenwirkungen, eine verbesserte Lebensqualität, einen günstigen Einfluss auf Komorbiditäten, eine Verringerung nicht tumorbedingter Mortalität und nicht zuletzt geringere Therapiekosten diskutiert [ 2 ].

Studien extrem aufwändig

Der Vorgang, die Hypothesen mit prospektiv randomisierten klinischen Daten zu untermauern, um Therapieempfehlungen mit hohem Evidenzlevel zu generieren, ist extrem aufwändig. Das Design geeigneter klinischer Studien erfordert lange Beobachtungszeiträume, große Patientenkollektive sowie den Ausschluss eines umfangreichen Spektrums von Störfaktoren. Das Konzept der intermittierenden Androgenblockade leitet zunächst eine medikamentöse antihormonelle Therapie ein, wobei das Therapieansprechen durch einen Abfall des PSA-Wertes definiert wird. Im Falle des Ansprechens wird die Hormontherapie unterbrochen (off-Periode), um bei ansteigenden Werten wieder einzusetzen (on-Periode).

Berücksichtigt werden muss, dass der PSAWert als Surrogat für die Tumorresponse sowie die Schwellenwerte für die Einleitung der on und off Perioden einer willkürlichen Festlegung unterliegen [ 3 ].

Die Arbeit von Maha Hussain und Mitautoren spiegelt den ungeheuren Aufwand im Prozess der Ergebnisgewinnung wider. Vom Zeitpunkt des Einschlusses des ersten von insgesamt 3040 Studienpatienten, über einen mittleren Nachbeobachtungszeitraum von fast 10 Jahren, bis zur Publikation der Resultate sind 18 Jahre vergangen.

Kein eindeutiges Ergebnis

Das Ergebnis der Studie ist hinsichtlich des Aspekts des Gesamtüberlebens statistisch nicht eindeutig. Es erscheint möglich, dass die intermittierende Androgenblockade mit einem 20 % höheren Sterberisiko verbunden ist. Die intermittierende Androgenblockade ist mit einer vorübergehend verbesserten erektilen Funktion und einem gesteigerten geistigen Gesundheitsgefühl assoziiert.

Die Studie von Hussain und Mitautoren ergänzt die bislang veröffentlichte Erkenntnislage. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse, welche Ergebnisse aus 9 verschiedenen klinischen Studien bewertet, kommt zu dem Schluss, dass im Gesamtüberleben kein signifikanter Unterschied bei der intermittierender Androgenblockade im Vergleich zum kontinuierlichen Hormonentzug besteht. Dennoch zeichnet sich unter intermittierender Androgenblockade ein Trend zu mehr karzinombedingten Todesfällen ab, während es unter kontinuierlicher Androgenblockade zu mehr tumorunabhängigen Sterbefällen kommt. Die Metaanalyse zeigt keinen Unterschied in der Dauer bis zur Tumorprogression bzw. in der Zeit bis zur Entwicklung einer kastrationsresistenten Situation. Unter intermittierender Androgenblockade konnte eine generelle und signifikante Steigerung der Lebensqualität nicht nachgewiesen werden. In einigen Studien konnten jedoch einzelne Domänen des Lebensqualitätsaspekts verbessert werden und Therapienebenwirkungen traten seltener auf. Es erscheint möglich, dass unter einer intermittierenden Androgenblockade mehr als 45 % der medikamentösen Therapiekosten eingespart werden können [ 4 ].

Fazit

Zusammenfassend zeigt die Studie von Hussein und Mitautoren keine signifikanten Unterschiede im gesundheitlichen Gesamtresultat unter der intermittierenden Androgenblockade im Vergleich zum kontinuierlichen Hormonentzug bei Patienten mit metastasiertem hormonsensiblem Prostatakarzinom. Aus der Studie ergibt sich keinerlei Evidenz zu der Empfehlung, die kontinuierliche durch eine intermittierende Hormonentzugstherapie zu ersetzen. Sollte dennoch eine intermittierende Androgenblockade durchgeführt werden, muss ein deutliches PSA-Ansprechen des Tumors auf die initiale Hormontherapie gemessen werden. Des Weiteren sollte der Patient über ein nicht auszuschließendes erhöhtes tumorassoziiertes Sterberisiko aufgeklärt werden.

PD Dr. Steffen A. Wedel, Offenburg


#

PD Dr. Steffen A. Wedel


ist Oberarzt an der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Ortenau Klinikum Offenburg-Gengenbach

Zoom Image


Zoom Image