Z Orthop Unfall 2014; 152(03): 203-208
DOI: 10.1055/s-0034-1384249
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chirurgen im Auslandseinsatz – „Dankbar, wenn alles gut verlaufen ist“

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Publication Date:
24 June 2014 (online)

 
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(Bild: Lang)

Dr. med. Patricia Lang, geboren 1976 in sächsischen Räckelwitz (Kreis Kamenz), ist neun Monate, als die Familie nach Nordrhein-Westfalen übersiedelt. Berufliche Stationen sind 1996 Abitur in Krefeld, seit 01.01.1997 Ausbildung als Sanitätsoffizieranwärterin bei der Luftwaffe der Bundeswehr. 2005 Promotion zum Dr. med. an der TU München, und 2012 Fachärztin für Allgemeinchirurgie. Aktuell arbeitet Lang als Chirurgin in der Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie im Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Lang ist verheiratet und hat einen Sohn. Seit August 2013 ist sie in Elternzeit.

Sie war im Kosovo und in Afghanistan. Im ZFOU-Interview berichtet Dr. med Patricia Lang von Chancen und Risiken bei Auslandseinsätzen. Und warum Chirurgen bei der Bundeswehr etwas von Allem können müssen.

? Frau Lang, sind Sie Chirurgin oder Soldatin?

Ich bin beides, Soldat und Chirurg.

? Legen Sie keinen Wert auf die weibliche Form?

Nein.

? Frauen sind bei der Bundeswehr nach wie vor eine Minderheit?

Innerhalb des Sanitätsdienstes hat die Frauenquote stark zugelegt, aber auf die gesamte Bundeswehr gesehen ja. Ich persönlich hatte damit nie Probleme. Als ich 2006 in Faizabad war, wohnten im Lager 200 deutsche Soldaten und davon 6 Frauen. Ich sage mal, man war gut behütet (lacht).

? Derzeit sind Sie in Elternzeit, arbeiten aber prinzipiell in der Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Werden dort nur Soldaten behandelt?

Nein, wir behandeln primär Soldaten, sind aber auch als überregionales Traumazentrum in die Krankenhauslandschaft des Landes Baden-Württemberg eingeordnet. Wir gelten als ein Kopf-Hals-Zentrum und haben fast jede Abteilung, mit Ausnahme von Gynäkologie und Pädiatrie.

? Wann und vor allem warum sind Sie zur Bundeswehr gekommen?

Ich habe mich schon ein Jahr vor dem Abitur, im Jahr 1995, als Sanitätsoffizieranwärter beworben und zunächst für 16 Jahre als Soldat verpflichtet (Anm. Red.: heute sind mindestens 17 Jahre nötig, siehe S. 204, Kasten zum Studium).

? Hat Sie das Militärische so begeistert?

Nein. Sie brauchen natürlich einen Sinn für das Soldatische. Es kam aber hinzu, dass ich gerne reise, ich bin für andere Länder offen, das finde ich spannend. Und ich will gar nicht verhehlen, dass es 1995 ziemlich katastrophale Bedingungen für Medizinstudenten und vor allem für die spätere Jobsuche waren. Auf der anderen Seite sehe ich echte Vorteile für ein Medizinstudium bei der Bundeswehr. Sie bekommen dort eine sehr strukturierte Ausbildung.

? Strukturierter als bei einem Studium an einer „zivilen“ Hochschule?

Ja. Denn die Bundeswehr ist daran interessiert, dass wir das Studium in der Regelstudienzeit von 6 Jahren ableisten. In der nachfolgenden chirurgischen Facharztausbildung läuft in der Bundeswehr vieles strukturierter als in vielen zivilen Kliniken, da hier eine breite chirurgische Ausbildung gefördert wird.

Auch werden wir als Soldaten schon während des Studiums gemäß unserem Dienstgrad bezahlt – durchaus ein Vorteil. Wobei ich sagen muss, dass sich das Gehalt später für einen Arzt bei der Bundeswehr nicht substantiell von dem der zivilen Kollegen unterscheidet.

? Ganz knapp, wie verlief Ihre Ausbildung?

Mein Start war Anfang 1997, wir haben zunächst eine 9-monatige militärische Vor-Ausbildung gehabt [ Heute: siehe S. 204, Kasten zum Studium ]. Nach einer 2-monatigen Grundausbildung in Bayreuth kam ich zusammen mit rund 40 Sanitätsoffiziersanwärtern nach Fürstenfeldbruck, wo sich die Offiziersschule der Luftwaffe befindet. Dort gab es militärischen Theorieschliff. Anschließend ging es nach München an die heute noch bestehende Sanitätsakademie der Bundeswehr. Der Unterricht wurde immer wieder unterbrochen von praktischer Ausbildung – Schießen, Marschieren, Nachtmärsche …

? Macht das Spaß?

Jein. Es gab natürlich auch Momente, wo man ziemlich geflucht hat. Sie lernen dabei aber, wie man über seine eigenen Grenzen hinausgehen kann. Und das finde ich gut. Möglich macht das am Ende nur die Gemeinschaft. Ohne die Gemeinschaft funktioniert das nicht.

? Und das Studium?

Im Oktober 1997 wurden wir zum Studium an eine zivile Universität beurlaubt. Die Bundeswehr bekommt von verschiedenen Unis in Deutschland Plätze für das Medizinstudium zugewiesen. Von Oktober 1997 bis November 2003 habe ich in Regensburg und München studiert. Die damals noch erforderlichen 18 Monate Arzt im Praktikum habe ich bis 2005 im Bundeswehrkrankenhaus Ulm absolviert. Und danach kam ich als Truppenarzt nach Neuburg an der Donau.

? Truppenarzt?

Nachdem wir 18 Monate Klinikluft geschnuppert haben, ging das Berufsleben bei der Bundeswehr zunächst als Truppenarzt weiter. Das können sie sich vorstellen wie Hausarzt für Soldaten in einer Kaserne. Ich bin 2 Jahre als Truppenarzt in Neuburg geblieben, bis Juni 2007. In der Zeit habe ich meinen Dienst bei der Bundeswehr auch auf 20 Jahre verlängert – vor allem wegen der Facharztzusage.

Medizinstudium und Arbeiten als Arzt bei der Bundeswehr

Voraussetzungen für eine Bewerbung um ein Medizinstudium bei der Bundeswehr sind die Allgemeine Hochschulreife, ein Höchstalter von 29 Jahren, ein deutscher Pass – und eine Verpflichtung als Soldat für mindestens 17 Jahre.

Wer Mediziner bei der Bundeswehr werden will, schlägt konkret die Laufbahn zum Sanitätsoffizier ein. 2013 kamen rund 2300 Bewerber auf 280 Ausbildungsstellen zum Sanitätsoffizier.

Die militärische Grundausbildung dauert dann heute 3 Monate, danach schließt sich ein Studium an einer zivilen Hochschule an, gefolgt von einer mehrjährigen Tätigkeit als Truppenarzt.

Flexibilität ist zwingend, mehrfache Versetzungen an unterschiedliche Dienstorte einschließlich Teilnahme an Auslandseinsätzen sind nach dem Studium möglich.

Wer in ein chirurgisches Fach möchte, macht in einem Bundeswehrkrankenhaus zunächst den Facharzt für Allgemeinchirurgie. Danach kann ein zweiter chirurgischer Facharzt erworben werden. Voraussetzung für die volle Weiterbildung ist die Verpflichtung als Soldat für 20 Jahre. Der Erwerb weiterer Zusatzqualifikationen ist danach in einigen Disziplinen möglich.

Vorteile eines Studiums bei der Bundeswehr sind ein frühzeitiger Verdienst, das Einstiegsgehalt für Soldaten liegt bei etwa 1600 Euro netto. Hinzu kommt eine freie „Heilfürsorge“, die Beiträge zu Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung entfallen.

Derzeit sind an die 2400 Ärztinnen und Ärzte in der Bundeswehr tätig, davon sind 150 Chirurgen.

Eine Rückkehr in den zivilen Arztberuf ist nach Ende der Verpflichtung möglich.

? Was ist das?

Den Facharzt zu machen, dauert ja im Minimum 5 Jahre. Von diesen 5 Jahren gibt einem die Bundeswehr in der regulären Verpflichtungszeit von heute 17 Jahren aber nur 3 Jahre, für die man in ein Bundeswehrkrankenhaus gehen kann. Die dann noch fehlenden 2 Jahre gibt es nur, wenn Sie auf mindestens 20 Jahre verlängern. Ich habe verlängert und dann 2012 hier im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm meinen Facharzt in Allgemeinchirurgie gemacht.

? Allgemeinchirurgie?

Das ist quasi der Chirurg, der alles kann. Alles können kann natürlich keiner. Im zivilen Bereich macht daher heute kaum noch jemand den Allgemeinchirurg – sehr zum Bedauern ländlich geprägter kleinerer Krankenhäuser, die ganz dankbar wären, wenn da mal ein Chirurg wäre, der einen Blinddarm und auch einen Knochenbruch operieren könnte.

? Heute ist in der Chirurgie eher Spezialisierung angesagt.

Richtig. Die Bundeswehr hat aber eine andere Zielsetzung. Sie möchte, dass ihre Chirurgen im militärischen Einsatz mehr oder weniger alles versorgen können. Wir werden daher zunächst in Allgemeinchirurgie ausgebildet.

Diese Weiterbildung umfasst Anteile von vielen chirurgischen Disziplinen – Allgemein-, Viszeral-, und Thoraxchirurgie, Unfallchirurgie, Orthopädie, aber auch etwa ein halbes Jahr Training auf der Intensivstation.

? Was heißt, Sie werden zunächst in Allgemeinchirurgie ausgebildet?

Derzeit mache ich meinen zweiten Facharzt – in Orthopädie & Unfallchirurgie.

? Das dauert nochmals fünf bis sechs Jahre?

Nein, beim zweiten Facharzt muss man nur noch 3 Jahre Weiterbildung absolvieren.

? Wie oft waren Sie bereits im Auslandseinsatz?

Insgesamt 5x, davon 2x im Kosovo, 3x in Afghanistan.

? Wann war Ihr erster Einsatz?

Meinen ersten Einsatzbefehl habe ich vom Januar bis März 2006 erhalten, da ging es gleich nach Afghanistan – nach Faizabad; Juli bis September 2009 war ich in Kabul und April bis Juni 2011 in Kundus.

? Und wann waren Sie im Kosovo?

Dort war mein bislang letzter Einsatz – vom Juni bis August 2012. Zuvor war es von Dezember 2006 bis Februar 2007 gewesen.

? Haben Sie Angst vor solchen Einsätzen?

Nein. Wenngleich ich immer froh und auch dankbar bin, wenn alles gut verlaufen ist. Dafür gibt es keine absolute Gewähr. Im Afghanistan habe ich einen Freund und Arztkollegen verloren.

? Wie erfahren Sie davon, dass Sie zu einem Auslandseinsatz sollen? Kann Sie Ihr Vorgesetzter am Samstagabend anrufen: Montag früh fliegen Sie mit in den Kosovo?

Nein. in der Regel nicht. Die Einsatzplanung wird einem meistens mit mindestens einem halben Jahr Vorlauf gestellt. Es gibt allerdings immer ein paar Kollegen, die sich in einer Art Bereitschaft befinden, die so ein spontaner Anruf dann tatsächlich treffen könnte.

? Es bleibt Zeit, sich vorzubereiten?

Ja. Wenn allerdings jemand krankheitsbedingt ausfüllt, muss kurzfristig ein Ersatz gestellt werden. Dann kann es sein, dass auch samstags jemand anruft und sagt, du, es ist jemand krank geworden, kannst du nächste Woche Dienstag fliegen?

? Können Sie dann noch Nein sagen?

In aller Regel ist es auch dann erst mal eine Frage, ob man geht. Sollten dann allerdings alle Angefragten Nein sagen, muss man, ich sag mal, sozialverträglich auswählen.

Momentan kann mich niemand irgendwohin schicken, weil ich in Elternzeit bin. Erst wenn ich wieder auf 100 % Arbeit aufstocke – und das kann man nur in gegenseitigem Einvernehmen – wäre ich auch wieder zu Auslandseinsätzen verpflichtet.

? Kommt das für Sie als Mutter überhaupt noch in Frage?

Ja. Denn dafür bin ich zu sehr Soldat. Ich bin bis 2017 verpflichtet, und es werden sicherlich noch Einsätze kommen.

? Werden Sie vor solch einem Einsatz auf das Land vorbereitet?

Ja, die Bundeswehr macht Einsatz-vorbereitende Ausbildungen, die heute sehr gut sind. Die, ich sage mal, auch immer besser geworden sind.

? Was meinen Sie?

Vor meinem ersten Einsatz nach Afghanistan 2006 habe ich noch Häuserkampf üben müssen. Live, in einer Art Geisterstadt – obwohl ja klar war, dass ich als Arzt gehe und an Häuserkämpfen direkt nicht teilnehmen werde. Inzwischen ist die Einsatzausbildung viel spezifischer. Heute üben wir als Ärzte vorab zum Beispiel in einer Halle, in der eine Art Krankenhaus aufgebaut wird, wie wir rasch 30 Verletzte versorgen.

? Aber erhalten Sie auch eine Einführung in das Land, Kulturen, Sprache und vor allem in die Konflikte, die es gibt?

Ja, wir bekommen auch dafür heute speziellen Unterricht durch Experten.

? Warum ist die Bundeswehr denn im Kosovo?

Sie ist dort als Teil der KFOR. Zentrale Aufgabe ist der Schutz der dortigen serbischen Minderheit vor möglichen Übergriffen der albanischen Mehrheit [ Siehe S. 205, Kasten zu Auslandseinsätzen ].

? Wie lange sind Sie bei einem Auslandseinsatz weg?

Für uns Chirurgen sind das in der Regel zwischen 6 und 8 Wochen. Das ist kürzer als die reguläre Truppe, für die sind das 4 Monate bis ein halbes Jahr.

? Wenn Sie in einen Einsatz gehen, nehmen Sie dann auch an Kampfhandlungen teil oder arbeiten Sie im Feldlazarett?

Ich bin dann immer sowohl Arzt als auch Soldat. Dabei war ich generell in 2 unterschiedlichen Funktionen im Einsatz. So lange ich noch als Truppenarzt gearbeitet habe, also bis 2007, bin ich auch bei Auslandseinsätzen immer als Truppen- und Notarzt im Einsatz, also außerhalb des Lagers gewesen. An Kampfhandlungen nimmt man eher nicht teil.

? Was heißt Notarzt konkret?

Egal, ob im Kosovo oder in Afghanistan – sobald Fahrzeuge der Bundeswehr das Lager verlassen, und mehr als eine Stunde unterwegs sind, muss immer ein Sanitätsfahrzeug nebst Arzt mitfahren und da war dann auch ich dabei. Ab 2007, nachdem ich meine Weiterbildung begonnen habe, bin ich hingegen als Chirurg in den Einsatz gegangen. Dann bleiben Sie in der Regel im Feldlazarett und warten, ob Verletzte von einem Notarzt gebracht werden.

Auslandseinsätze der Bundeswehr

4823 Soldaten der Bundeswehr (Stand 21.03.2014) sind derzeit bei Auslandseinsätzen dabei.

Die beiden größten Kontingente der Bundeswehr sind die im Rahmen von ISAF (International Security Assistance Force) in Afghanistan und im Rahmen der KFOR (Kosovo Force) im Kosovo. Bei ISAF sind 3066 Soldaten im Einsatz; bei KFOR 696. Kleinere Kontingente sind darüber hinaus in der Türkei, im Sudan und Südsudan, am Horn von Afrika, im Mali, Libanon und Senegal stationiert.

Grundlage des Afghanistan-Einsatzes der ISAF ist die Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrats von 2001. Vorausgegangen war die Operation Enduring Freedom, der seit Oktober 2001 vor allem in Afghanistan von den USA angeführte Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die deutsche Beteiligung daran endete 2010. Parallel hat Deutschland seine Beteiligung an der ISAF-Mission aufgestockt.

Derzeit sind bei ISAF etwa 87 000 Soldaten in Afghanistan, die Bundeswehr leitet das Regionalkommando Nord von Mazar-i-Sharif aus. Dort ist ein Regional Commander für 9 Provinzen mit einer Fläche von mehr als 162 000 Quadratkilometern zuständig.

Ende 2014 sollen afghanische Polizei und Armee vollständig die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernehmen, ein weitgehender Abbau der ISAF-Kräfte bis dahin ist beschlossen.

Bei KFOR agieren derzeit rund 4900 Soldaten aus 30 Ländern im Rahmen der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats von 1999. Deutsche Einheiten sind vor allem im KFOR-Hauptquartier in Pristina und in Prizren, wo die Bundeswehr ein Lazarett unterhält.

Vorausgegangen war der 1999 von der Nato ohne UN-Mandat aus humanitären Gründen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien geführte Krieg Operation Allied Force.

Verluste

103 Bundeswehrangehörige sind bei Auslandseinsätzen seit 1992 gestorben, davon 37 durch „Fremdeinwirkung“ (Stand Anfang 2014). Allein in Afghanistan sind 35 Soldaten „gefallen“ [ 1 ], [ 2 ].

Darüber hinaus bleiben viele Verletzungen und Seelische Spätfolgen. 1423 Bundeswehrsoldaten wurden 2013 wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) behandelt, davon waren 149 in 2013 neu erkrankt [ 3 ].

Laut dem Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus hat sich die Stimmung in der Truppe die letzten Jahre verschlechtert. Vor allem die Auslandseinsätze führten die Truppe „personell und materiell“ an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, so Königshaus bei der ersten Lesung des Berichts im März 2014 im Deutschen Bundestag. Im Sanitätswesen fehlten mehr als 400 Ärzte, monierten andere Debattenteilnehmer.

17 Milliarden Euro haben die Auslandseinsätze der Bundeswehr von 1992 bis Sommer 2013 gekostet.

? Man hofft, dass keine kommen?

Natürlich. Im Kosovo blieb es auch meistens dabei, in Afghanistan war das dagegen schon anders.

? Krieg ist grausam.

Keine Frage. Wir sind aber zum Glück nicht immer in Kriegsgebieten. Im Kosovo haben Sie trotz aller Probleme heute meistens nicht mehr das Gefühl, dass Sie in einem Kriegsgebiet sind.

? Wo genau waren Sie im Kosovo?

Beide Male in Prizren, dort unterhält die Bundeswehr noch heute ein Feldlazarett. Bei einem Einsatz im Kosovo landen Sie in der Hauptstadt Pristina, von dort geht es per Bus nach Prizren. Erst dort im Lager erhält man Waffe und Munition.

? Sie fahren da nach der Landung durch ein unbekanntes Land. Ist einem da nicht mulmig zumute? Heckenschützen?

Im Kosovo fühlt man sich relativ sicher. Ich weiß noch, dass ich schon bei der ersten Überfahrt die Szenerie dort eher interessiert beobachtet habe. Landschaftlich finde ich den Kosovo sehr karg. Kein Wald, ein bisschen hügelig, trocken, die Häuser sahen mehr wie Rohbauten aus, die waren nie gestrichen. Und dies weniger aufgrund von Kriegszerstörungen. Mir hat jemand erklärt, dass die Besitzer Steuern zahlen müssten, sobald sie anstreichen.

? Und das Lazarett in Prizren – wie sieht das aus?

Es ist in einer Kaserne mit untergebracht, die die Bundeswehr von der ehemaligen jugoslawischen Armee übernommen und mit Containern aufgestockt hat. Diese Kaserne liegt am Rande von Prizren und ist auch nicht besonders geschützt.

? Wie ist das Lagerleben? Haben Sie ein Einzelzimmer?

Nein. Bei Offizieren ist man bemüht, Zweimannzimmer anzubieten. Bei Mannschaftsdienstgraden ist man zu viert.

? Wann stehen Sie morgens auf? Um 4 Uhr? Womöglich müssen Sie dann mit kaltem Wasser duschen und kriegen danach ein Stück Zwieback zum Frühstück?

(Lacht) Nein, wir haben warmes Wasser und ich kann Ihnen sagen, die Verpflegung ist hervorragend.

Es gibt in der Regel einen Dienstbeginn, zu dem man zu erscheinen hat. Das beginnt meistens mit einem so genannten Antreten. Da wird geguckt, ob alle da sind. Das ist unterschiedlich zwischen 07:30 Uhr und 8:00 Uhr morgens. Wann man vorher aufsteht und ob man frühstücken geht, ist einem selbst überlassen.

? Um 07:30 Uhr, das ist der Appell? Da stehen dann alle auf dem Innenhof in Reih und Glied – oder ganz falsche Vorstellung?

Doch, das ist schon richtig. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sollen da alle stehen und es kommt das übliche „Stillgestanden“ und „Guten Morgen“. Meistens werden von den Vorgesetzten aktuelle Nachrichten vorgetragen und welche besonderen Dinge womöglich für einen Tag anstehen.

? Haben Sie keinen Zugang zum Internet, um selbst Nachrichten zu lesen?

Doch haben wir, wie auch Fernseher und Radio. Beim Morgenappell geht es mehr um die internen Nachrichten aus der Truppe. Auf jeden Fall heißt es am Ende des Morgenappells „Wegtreten“, und jeder geht an seinen Arbeitsplatz. Ich gehe dann in der Regel zunächst in die chirurgische Ambulanz zur normalen Sprechstunde.

? Wir sprechen vom Kosovo, oder ist dieses Setting auch in Afghanistan so?

Es ist ähnlich, letztendlich hat man immer eine Sprechstunde, vormittags und nachmittags. Dieses Szenario erfährt aber sofort eine Änderung, wenn wir Verletzte versorgen müssen. In Afghanistan habe ich Kriegsverletzungen mitversorgen müssen, im Kosovo zum Glück nicht.

? Wenn es dort also nur ein Knochenbruch nach einem Unfall beim Volleyball ist, dann sind alle sogar irgendwie erleichtert?

Zum Beispiel – ja. Allerdings versorgen wir auch den meistens nicht komplett vor Ort.

? Wieso nicht?

Solch einen Bruch versorgt man in der Regel mit einem Marknagel…

? Und das können Sie im Auslandseinsatz in einem Feldlazarett vermutlich doch auch?

Könnte man, machen wir aber nicht. Denn im Einsatz hat man oft ein anderes Keimspektrum und wir wollen kein Risiko eingehen, bei einer nie ganz auszuschließenden Infektion einen fremden Keim in den Knochen zu bringen. Daher kommt im Einsatz nur ein so genannter Fixateur externe in Frage, mit dem der Patient transportfähig gemacht wird, um nach Hause geflogen zu werden. Erst dort wird der Bruch dann mit einem Marknagel versorgt.

? In Afghanistan haben Sie auch Kriegsverletzte versorgt. Gehen Sie damit routiniert um?

Wenn es dazu kommt, geht man damit sehr routiniert um. Es ist aber gut, wenn man hinterher Kameraden hat, mit denen man sprechen kann.

Die Bundeswehr spricht im Kriegseinsatz von einer Behandlungskette für ihre Verletzten. Am Anfang, Stufe 1, steht die so genannte Selbst- und Kameradenhilfe. Die 2. Stufe ist ein Rettungszentrum. Die nächste Stufe ist dann das so genannte Einsatzlazarett.

? War das in Prizren ein Lazarett?

Das war ein Einsatzlazarett, ja. In Afghanistan gibt es in Feizabad und in Kundus ein Rettungszentrum. In Kabul gab es früher ein Einsatzlazarett, heute gibt es dort nur noch eines in Mazar-i-Sharif. Der Unterschied hat was mit den Ausstattungsmerkmalen zu tun. Das Einsatzlazarett ist wesentlich besser ausgestattet als ein Rettungszentrum, es verfügt zum Beispiel über einen Computertomographen und hat sowohl mehr fachliche Kompetenz als auch mehr „man power“.

? Wie viele Chirurgen sind in einen Feldlazarett?

Es sind meistens 2 deutsche Chirurgen und oft noch Kollegen aus anderen Ländern … zum Beispiel in Mazar-i-Sharif, als größtem Lazarett, sind es 2 deutsche Chirurgen und 2 ausländische… Franzosen oder andere Kollegen.

? Welche Kapazitäten hat ein Lazarett? Kommen Sie mit 10 Schwerverletzten gleichzeitig zurecht oder sogar mit 100?

Das kann man nur bedingt pauschal beantworten. Meistens gibt es 2 Schockräume. Das heißt, man kann immer 2 akut Schwerverletzte versorgen.

? Und wenn 10 schwer Verletzte kommen?

Dann handelt es sich meistens nicht bei allen 10 um die gleichen schweren Verletzungen, sondern das graduiert sich ein bisschen. Man kann in der Regel schon alle 10 Betroffenen versorgen. Ich sage mal, wenn alle 10 offene Bauchschüsse hätten … dann wird es eng.

? Was machen Sie dann? Können Sie schnell noch Kapazitäten woanders her holen?

Im Einsatz nicht, nein. Wenn die Patienten kommen, wird eine so genannte Triage gemacht. Meistens trifft der Oberarzt für Anästhesie, der das Ganze oft leitet, die Entscheidung, wer in welchen Behandlungsraum geht und wer wen als erstes versorgt. Bisher ist das Prinzip und Vorgehen, das wir Deutschen bei der ISAF in Afghanistan für die Triage fahren, sehr gut, so dass letztendlich noch keiner durch eine nicht mögliche Behandlungskapazität nachteilig behandelt worden wäre.

? Heißt, es konnte noch jeder rechtzeitig versorgt werden, der versorgt werden musste?

Meines Wissens ja. Es hat keiner einen Schaden dadurch erlitten, dass wir ihn nicht rechtzeitig hätten behandeln können. In Kundus erinnere ich mich an einen Tag, bei dem gleichzeitig 6 Schwerstverletzte eingeliefert wurden, aber das konnten wir gut händeln. Die Kunst ist, die Patienten zunächst mal richtig zu stabilisieren.

Ohne Zweifel waren vor allem die Einsätze in Afghanistan medizinisch sehr anspruchsvoll. Sie werden dort mit Verletzungen konfrontiert, die man in Deutschland eher nicht versorgen muss.

? Ein Beispiel?

Wenn jemand eine schwere Kopfverletzung hat, sei es eine Blutung im Gehirn oder eine schwere Kieferverletzung, dann ist weder ein Neurochirurg noch ein Mund-Kiefer-Gesichtschirurg da. Genau für diese Fälle habe ich dann als Chirurg bei der Bundeswehr eine Ausbildung bekommen, mit der ich auch diesen Patienten helfen kann. Sprich – sie zumindest schnell stabilisieren kann. Das wäre dann quasi eine Art Neurochirurgie auf der Basisebene, ich schaffe es, ein Loch in den Schädel zu bohren und das Blut abzulassen.

? Es gibt sogar eine fliegende Intensivstation der Bundeswehr, mit der sie schwer Verletzte rasch ausfliegt?

Ja, das ist ein Airbus, der in Köln Wahn steht und mit dem ein Team von Anästhesisten kommt.

? Die also direkt nach Kabul fliegen, den Patienten aufnehmen und schon auf dem Rückflug an Bord medizinisch versorgen?

Nicht ganz. Der deutsche Airbus landet nicht in Afghanistan, denn er hat keine Abwehrmöglichkeiten. Er landet daher in Termesh im benachbarten Uzbekistan. Dorthin gelangen die Verletzten mit einer Transall oder mit schwer bewaffneten Hubschraubern, die nach Afghanistan rein- und rausfliegen.

? Die 4. Behandlungsstufe der „Rettungskette“ der Bundeswehr sind die Bundeswehrkrankenhäuser (Siehe S. 207, Kasten zum Sanitätsdienst). Sie sind also heute in Ulm immer noch Teil der Behandlungskette?

Genau. Auch heute versorge ich so hier Verletzte, auch aus Afghanistan.

? Was sind die wichtigsten Ursachen der Verletzungen in Afghanistan?

Konvois haben vor allem ein Risiko durch Minen. Die Lager wiederum haben vor allem ein Raketenproblem.

? Haben Sie einen Raketenangriff auf das Lager erlebt?

Nein.

? Wie steht es um die Qualitätssicherung der Versorgung bei den Einsätzen? Thema Fehlervermeidung – gibt es Dinge wie Meldesysteme, ein CIRS?

Das haben wir, ja. Wenn Fehler da sind, und natürlich machen auch wir Fehler, werden sie beim regelmäßigen Meeting einmal in der Woche besprochen.

? Hierzulande erfasst das Traumaregister der DGU Parameter wie die Hilfsfrist, die Zeit zwischen Eingang eines Notrufs und dem Eintreffen eines Opfers im Traumazentrum. Erfassen Sie solche Dinge auch bei Auslandseinsätzen?

Es wurde versucht, ein Einsatzregister aufzubauen, aber das ist meines Wissens noch nicht komplett und relativ schwierig. Da ist, ich glaube, noch Potential für Verbesserungen.

? Wie bewerten Sie Ihre Einsätze generell? Im Kosovo – haben Sie da Erfolge gesehen?

Ich glaube, die Bevölkerung ist ganz überwiegend dankbar, dass wir da sind. Heute dort rasch abzuziehen geht wohl leider nicht, das Risiko scheint hoch, dass die befeindeten Gruppen sich dann wieder die Köpfe einschlagen.

? Kriegen Sie überhaupt Kontakt zur Bevölkerung?

Der Kontakt ist nicht groß, nein. Wir durften im Kosovo zeitweise das Lager verlassen und in die Stadt gehen. Und man wird da auch akzeptiert, freundlich begrüßt oder sogar auf einen Kaffee eingeladen, Aber letztendlich ist es uns dann untersagt, das anzunehmen.

? Gehen Sie in Uniform oder in Zivil in die Stadt?

Wir dürfen nur in Uniform auftreten. Wir sollen ja letztendlich Präsenz zeigen – auch durch Tragen der Uniform.

? Und der Afghanistaneinsatz, war er sinnvoll? Oder wird nach dem jetzt für Ende 2014 beschlossenen weitgehenden Abzug der ISAF die Unsicherheit wieder zunehmen?

Ich denke, dass es klappen könnte.

(Pause)

? Noch einen Schlusssatz?

Ich sehe Ansätze für Erfolge. Die Infrastruktur ist besser geworden, es ist wieder mehr Leben auf den Straßen, man sieht auch Frauen, Kinder, Mädchen auf den Straßen, kleinere Läden sind wieder offen – all das hat sich schon verändert. Ich möchte auch sagen, dass ich Afghanistan für ein sehr interessantes Land halte. Ich habe alle Menschen, die man kennen lernte, als positive, freundliche Menschen erlebt.

Das Interview führte Bernhard Epping

Der Sanitätsdienst

Der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr ist seit 2012 neben Heer, Marine, Luftwaffe und Streitkräftebasis (Logistik) ein eigener Militärischer Organisationsbereich. Das oberste Kommando des Sanitätsdienstes sitzt in Koblenz.

Eine eigene Abteilung JMed (Joint Medical) im Einsatzführungskommando der Bundeswehr koordiniert dort den Sanitätsdient bei Auslandseinsätzen.

Teil einer Rettungskette für Verletzte sind im Ausland vor Ort Rettungsstationen, Rettungszentren und Lazarette. In Deutschland unterhält die Bundeswehr fünf Krankenhäuser – in Koblenz, Ulm, Berlin, Hamburg und Westerstede.

Zur Evakuierung über lange Strecken dienen heute mit High-Tech vollgepackte Flugzeuge Airbus A310, die maximal 56 Verletzte aufnehmen können und über Intensivbetten verfügen.

Weitere Informationen zu den Beiträgen Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell finden Sie unter www.thieme-connect.de/products. Zahlen, zum Beispiel (1), verweisen auf weiterführende Links, die Sie ebenfalls im Internet finden.

Weitere Informationen

Karriere bei der Bundeswehr:
https://mil.bundeswehr-karriere.de/portal/a/milkarriere
Hotline: 0800–980 0880

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr:
www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de/


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(Bild: Lang)