Z Orthop Unfall 2014; 152(03): 210
DOI: 10.1055/s-0034-1384251
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zahnmedizinische Eingriffe und Endoprothetik – Antibiotikumprophylaxe ja oder nein?

Contributor(s):
Stefan Budde
Young H et al.
Current Concepts Review: Dental Disease and Periprosthetic Joint Infection.

J Bone Joint Surg Am. 2014;
96: 162-168
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Publication History

Publication Date:
24 June 2014 (online)

 

Insbesondere bei späten periprothetischen Infektionen, die auf hämatogene Keimstreuung zurückgeführt werden, wird häufig ein Zusammenhang mit zahnmedizinischen Eingriffen postuliert. Young et. al. fassen in ihrem Review den aktuellen Stand der Forschung zur Evidenz der Antibiotikumprophylaxe zusammen.
Young H et al. Current Concepts Review: Dental Disease and Periprosthetic Joint Infection. J Bone Joint Surg Am. 2014;96:162–168

Einführung

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(Bild: istockphoto)

Während neuere Leitlinien zur Endokarditisprophylaxe zuletzt zurückhaltender mit der Empfehlung zu einer antibiotischen Prophylaxe vor zahnmedizinischen Eingriffen umgingen, wurde die Empfehlung bei einliegenden orthopädischen Gelenkimplantaten tendenziell ausgeweitet. Es handelt sich hierbei um ein Review der aktuellen Literatur unter Berücksichtigung der Epidemiologie der amerikanischen Bevölkerung.


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Ergebnisse

6 bis 13 % der Bakterien, die bei periprothetischen Eingriffen nachgewiesen werden, sind Keime, die auch in der Mundhöhle angetroffen werden.

Eine orale Bakteriämie tritt tagtäglich als Folge von Zähneputzen (44 %), Mundhygiene mit Zahnseide (41 %) oder beim Kauen (17 %) auf. Ein schlechter Zahnstatus erhöht das Risiko ungefähr um den Faktor 2,8.

Das Ausmaß einer Bakteriämie nach Zahneingriffen ist gering (1–32 K.E./ ml). Welches Ausmaß zum Herbeiführen einer periprothetischen Infektion notwendig ist, ist nicht bekannt. Tierversuche lassen jedoch vermuten, dass eine größere Kontamination notwendig ist. Eine große Rolle scheint dabei die Keimspezies zu spielen. Bakteriämien mit Staphylococcus aureus, egal welchen Ausmaßes, könnten in bis zu einem Drittel der Fälle eine periprothetische Infektion herbeiführen. Bei weniger virulenten Keimen sind vermutlich höhere Konzentrationen und / oder längere Expositionszeiten erforderlich.


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Nebenwirkung vs. Prophylaxe

Eine Antibiotikumprophylaxe eine Stunde vor dem zahnmedizinischen Eingriff senkt das Risiko einer Bakteriämie. Die klinische Relevanz ist unklar. Das Ausmaß der Risikoreduktion unterscheidet sich je nach verwendetem Antibiotikum. Empfohlen werden typischerweise Cephalosporine der 1. Generation (keine Daten), Amoxicillin (Risikoreduktion um 63 %) oder Clindamycin (15 %) bei Penicillin- / Cephalosporinallergien.

In mehreren Fall-Kontroll-Studien konnte bislang kein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem zahnmedizinischen Eingriff und dem Auftreten einer periprothetischen Infektion nachgewiesen werden. Allerdings wurde bei einigen Protheseninfekten der identische Erregerstamm in der Mundhöhle nachgewiesen.

Bis zu 2 % der Patienten entwickeln relevante Nebenwirkungen unter oraler Antibiotikumprophylaxe (u. a. pseudomembranöse Colitis). Die vorliegenden Daten zugrundegelegt, stehen damit 37–80 unerwünschte Arzneimittelwirkungen einer einzigen verhinderten Protheseninfektion gegenüber.


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Kommentar

Die Übersichtsarbeit kommt zu einem klaren Schluss: nach wissenschaftlicher Datenlage und Risiko-Nutzen-Abwägung kann eine antibiotische Prophylaxe bei der Mehrzahl der Patienten mit Gelenkersatz nicht empfohlen werden!

Es stellt sich hier die grundsätzliche Frage, wie mit derartigen Ergebnissen umgegangen werden muss, bei denen die Datenlage gegen das gute Bauchgefühl spricht. Letzteres dürfte viele Kollegen dazu verleiten, mit einer Antibiotikumprohphylaxe auf Nummer sicher gehen zu wollen. Die bloße rechnerische Gegenüberstellung von 37–80 Patienten, die einen irgendwie gearteten Schaden durch das Antibiotikum erleiden, und einer verhinderten Protheseninfektion erscheint etwas zu simpel. Hier werden die weitreichenden und sehr belastenden Folgen eines Protheseninfektes für den Patienten nicht ausreichend berücksichtigt. Zwar dürfen auch allergische Reaktionen auf das Antibiotikum und eine pseudomembranöse Colitis hinsichtlich ihrer potentiellen Folgen nicht unterschätzt werden, die Mehrzahl der unerwünschten Wirkungen des Antibiotikums dürften jedoch weitaus umkomplizierter ablaufen.

Wie auch immer man diese Datenlage einordnet – ihre Kenntnis allein ist sehr wichtig, um eine fundierte Entscheidung für oder gegen eine Antibiotikumprophylaxe treffen zu können. Richtig oder falsch gibt es hier also (noch?) nicht, wie auch die letzte Leitlinienanpassung bestätigt. Es bleibt also eine Einzelfallentscheidung, die individuell zu treffen ist und in die der Patient nach entsprechender Aufklärung unbedingt mit einbezogen werden sollte.


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(Bild: istockphoto)