Die Perspektive der Männer
Es gibt nur wenige wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit den Perspektiven von Männern beschäftigen, die
ihre Partnerinnen während der Geburt begleitet haben. Eine sehr geringe Anzahl von Studien untersucht die
Gefühle, das Erleben und die Bedürfnisse der Männer. Johansson et al. stellen fest, dass die Geburt von den
Vätern als positives und aufregendes Erlebnis beschrieben wird. Die meisten Männer genießen das
Geburtsgeschehen und berichten von angenehmen und erfreulichen Gefühlen [[9]]. Auch Chan und Paterson-Brown berichten von einer Bereicherung, die Väter durch die Geburt ihres
Kindes erfahren [[10]]. Die Väter beschreiben die Geburt als einen
lebensverändernden und überwältigenden Moment [[11]].
Die Gefühle und Bedürfnisse der Väter/Partner erhalten eher selten Aufmerksamkeit im Kreißsaal. Man muss
davon ausgehen, dass sich ihr Erleben vom Erleben der Frauen unterscheidet und deshalb auch ihre Bedürfnisse
nicht mit denen der Frauen identisch sind [[10], [4]]. Eine differenziertere Untersuchung ihres Erlebens während der Geburt ist wichtig, damit die
Väter/Partner bei der Geburtsbegleitung besser berücksichtigt werden können. Wenn die Rücksichtnahme auf die
Väter erhöht wird, ist dies ein Mehrwert für die ganze Familie, insbesondere für die Frau. Es scheint
notwendig, die väterliche Perspektive aufzudecken, um Hebammen und anderes medizinisches Personal zu
sensibilisieren.
Bislang fehlen Forschungserkenntnisse zum Erleben der Väter/Partner aus Deutschland. Die bisherigen
internationalen Forschungserkenntnisse sind noch unzureichend. Außerdem können diese nur sehr begrenzt auf
Deutschland übertragen werden, aufgrund kultureller Unterschiede. Zudem bestehen zwischen den verschiedenen
Gesundheitssystemen große Unterschiede.
Ergebnisse
Dir Rolle der Väter/Partner
Die werdenden Väter und Partner der Frauen beschreiben bereits ihre Anwesenheit und ihre gemeinsamen
Gespräche als eine Unterstützung für ihre Partnerin. Die Väter leisten damit emotionale Hilfe. Ein
Studienteilnehmer schildert das folgendermaßen:
„Indem ich einfach da war, sagte sie mir im Nachhinein: ‚Einfach nur Dasein, [dich] dafür
interessieren.‘ Ihr Mut zuzusprechen. Das war ihr wichtig.“ (TN 5, 162–163).
Werdende Väter übernehmen Aufgaben bei der Geburtsbegleitung und dienen damit häufig der körperlichen
Unterstützung ihrer Partnerin. Die Interviewteilnehmer haben folgende Aufgaben übernommen:
Unterstützung beim Umhergehen und Bewegen, beim Ausprobieren von Geburtspositionen, körperliche Zuwendung
und Massieren, Getränke und Essen bringen, zur Atmung anleiten. Ein Vater schildert sein Tun während der
Geburtsbegleitung sehr anschaulich:
„Einfach durch zureden, durch Wasser bringen, Wasser besorgen, Musik anmachen, beim Umdrehen helfen,
Decke drüber, Decke wieder weg, Decke wieder drüber, warm, kalt, Hände zerquetschen lassen, (...) immer
wieder zu den Hebammen gehen – ‚Ihr müsst noch mal gucken!‘ – Dieses ständige Dasein, Helfen,
Unterstützen, Machen, Tun, Licht an, Licht aus.“ (TN 7, 163–167).
Die Männer vermitteln zwischen ihrer Partnerin und dem geburtshilflichen Personal und übernehmen damit
die informationelle Unterstützung und geben ihrer Partnerin so Sicherheit. Ein Studienteilnehmer
beschreibt seine Rolle sehr klar:
„Aber wenn man da ankommt - die meisten Menschen, die da sind, sind alle Fremde. Man kennt diese Leute
nicht. Ich kenn diese Person nicht, wie soll ich dieser Person jetzt vertrauen? Deswegen finde ich, dass
der Mann in dem Fall eine wichtige Rolle hat. Weil ich bin jemand, den sie kennt und sie weiß
genau oder kann bei meinem Gesichtsausdruck auch wissen, ob ich lüge oder nicht. Wenn ich sage: ‚Es ist
alles in Ordnung!‘ Dann merkt sie sofort, das ist nicht in Ordnung. […] Deswegen gibt man auch ein
bisschen mehr sicheres Gefühl. Das ist auch die Rolle vom Mann. Wir in unserer Rolle.“ (TN 10,
246–253).
Den befragten Vätern ist zudem bewusst, dass sie nicht die Hauptpersonen sind und sie versuchen
deshalb das Personal nicht zu stören.
„Aber man weiß es auch, (...) da ist man das fünfte Rad am Wagen, ganz klar. Das habe ich jetzt auch
niemandem übel genommen. Das war vollkommen ok für mich, dass ich mich in dieser Rolle jetzt
wiedergefunden habe (…).“ (TN 5, 104–108).
„Ich habe versucht, nicht im Weg zu stehen.“ (TN 3, 249–250).
Die Erfahrungen der Väter/Partner
Für die Väter sind die Wehenschmerzen ihrer Partnerinnen nicht greifbar. Diese Unfähigkeit, die Schmerzen
nachzuempfinden und ihre Partnerin zu entlasten, löst bei ihnen Gefühle der Hilflosigkeit aus. Die Väter
beschreiben, dass sie ihren Partnerinnen bei der Bewältigung der Wehenschmerzen nicht helfen können und
sie sich deshalb hilflos fühlen:
„Ich habe schon ein paar Mal gedacht, was kann ich machen? [Ich] bin dann zum Schluss gekommen, ich
kann nichts machen.“ (TN 3, 96–97).
„Man ist relativ hilflos und auch relativ verzweifelt, weil es bei ihr auch relativ heftig war. Man
muss dann einfach irgendwie durch.“ (TN 7, 81–82).
Zudem hemmen die Abläufe im Kreißsaal die Väter/Partner bei der Unterstützung ihrer Partnerinnen. So
führt der Wunsch, für die Partnerin da zu sein und gleichzeitig der Hebamme und dem medizinischen
Personal nicht im Wege zu stehen, zu einem inneren Konflikt. Dies macht die Väter/Partner oft
hilflos:
„Na klar ist man noch ein Stückweit hilflos, aber das ist man nur durch die Arbeitsschritte dort und
wenn man gerade nicht weiß wohin mit den Händen.“ (TN 1, 153–155).
Einige Studienteilnehmer schildern die Diskrepanz zwischen ihren Erwartungen und der tatsächlichen
Dauer der Geburt:
„Also die Zeit, das ist, was ich nicht erwartet habe. Gerade bei unserem Sohn, war es natürlich
extrem. Die Zeit! Dass Schmerzen kommen, war mir klar. Dann aber auch wieder über die Dauer. Das fand ich
schon heftig. Das hat mich überrascht […].“ (TN 3, 185–189).
„Ich dachte, jetzt fängt es langsam an. Und als ich dachte es fängt an, da war das Kind da.“ (TN 1,
65–66).
Die Geburt des Kindes ist für die Väter ein sehr bewegender Moment. Sie schildern sehr positive
Gefühle und wie ihre Anspannung von ihnen abfällt.
„[…] Als sie dann draußen war, war es so eine komplette Lösung von sämtlicher Anspannung, was sich
darin geäußert hat, dass mir dann doch längerfristig die Tränen kamen.“ (TN 2, 226–228).
Die befragten Väter beschreiben ihr Erleben von Interventionen während der Geburt als Stress und
Nervosität. Sie machen sich Sorgen um ihre Frau und ihr Kind. Ebenso haben das Verhalten und die
Kommunikation des Personals bedeutsame Auswirkungen auf die Väter und ihre Gefühle.
„Was mich nervös gemacht hatte, war als die Hebamme sehr darauf pochte, den Wehenschreiber
anzuschließen. Mit dieser Begründung: ‚Wenn ich das jetzt nicht mache und das Kind hat dann irgendwie
Sauerstoffmangel unter der Geburt.‘ (137–140) […] Das macht mir eher Angst, als dass es mich beruhigt,
wenn da ein Gerät angeschlossen ist.“ (TN 2, 172–173).
„Aber wenn jemand sagt: ‚Oh, oh!‘ oder ‚Jetzt müssen wir wirklich etwas tun!‘ Dann hast du sofort
Angst. Weil man hört auch viele Geschichten. Leider ist das so. Man will hoffen, dass nichts Schlimmes
passiert. […] wenn man sagt: ‚Der Herzschlag ist runter gekommen!‘ […] Dein Kopf fängt an zu spinnen mit
Gedanken, die im Moment nicht wirklich gut passen.“ (TN 10, 158–163).
„[Als] die Geburt richtig losging, war es richtig grausam. […] Der Arzt hat sich auf […] [meine Frau]
raufgelegt und bei jeder Wehe mitgedrückt. Den Ellenbogen in den Bauch reingedrückt. Ich wusste überhaupt
nicht, was da passiert. Es sah einfach nur grausam aus. […] Ich wäre am liebsten rausgegangen. Mein
persönlicher Instinkt war Flüchten, weg hier, aus der Situation raus. […] Das war schrecklich.“ (TN 12,
54–64).
Bedürfnisse der Väter/Partner
Die Väter/Partner wünschen sich, dass es ihrer Partnerin und ihrem Kind gut geht. Für eine nächste Geburt
äußern sie nur wenige Wünsche.
„Da ist das erste, dass Frau und Kind gut drauf sind und dass es alles gut klappt. Bei der zukünftigen
Geburt würde ich mir wünschen, dass es vielleicht ein bisschen schneller voran geht. Dass es
dementsprechend nicht so die Erschöpfungsanfälle gibt.“ (TN 9, 273–277).
„Da bin ich ganz ehrlich. Ich glaube, viel anders, viel, viel anders oder viel besser kann das
eigentlich nicht sein.“ (TN 6, 253–254).
Die Interviewteilnehmer schildern die Ruhe und Sicherheit, die das geburtshilfliche Personal
ausstrahlte und die beruhigende Wirkung.
„Ich habe noch nie Menschen erlebt, die in – für mich als werdender Vater in einer Stresssituation –
so ruhig und besonnen geblieben sind. Das fand ich unheimlich bewundernswert, muss ich ganz ehrlich
sagen. Das finde ich auch eine ganz große Leistung von den Frauen, die da arbeiten. Dass sie wirklich so
viel Ruhe auch ausstrahlen, dass sie gleichzeitig nicht nur meine Frau, sondern auch mich unheimlich
beruhigt haben. Da hatte ich zu keinem Zeitpunkt irgendwie das Gefühl alleingelassen zu werden oder Angst
zu haben oder wie auch immer – kein Stück.“ (TN 11, 222–229).
„Es war eine Hebamme mit im Raum und eine Ärztin. Die strahlen schon ziemlich viel Sicherheit aus. Ich
meine, das ist ja auch wahrscheinlich die Aufgabe der Hebammen da. Auf jeden Fall Sicherheit
hinüberzubringen. Das hat eigentlich gut funktioniert.“ (TN 8, 95–98).
Die werdenden Väter wünschen sich gezielte Informationen und eine angemessene Aufklärung
über das Vorgehen und notwendige Maßnahmen während der Geburt. Sie wollen nicht im Unklaren gelassen
werden.
„Ich wusste zu jeder Zeit ganz gut, was sie gemacht haben. […] Jeden Handgriff, den die Hebammen
gemacht haben, haben sie uns erklärt und auch erzählt, warum sie es machen. Nicht einfach getan. Auch
keinen besorgten Gesichtsausdruck gemacht oder wie auch immer. […] Das fand ich auch ganz toll, dass man
dann nicht im Unklaren gelassen wird.“ (TN 11, 240–247).
Diskussion
Viele der befragten Väter haben das Gefühl, während des Geburtsgeschehens im Weg zu stehen und sie wollen
nicht stören. Auch Chandler und Field [[13]] stellten fest, dass Väter das
Gefühl vermittelt bekommen, toleriert zu werden, aber dennoch nutzlos zu sein. Vehviläinen-Julkunen und
Liukkonen empfehlen dem geburtshilflichen Personal, die Fragen und Meinungen der Väter zu hören [[14]].
Obwohl die Begleitung der Frauen durch ihre Partner in den Kreißsälen alltäglich geworden ist, ist die Rolle
der werdenden Väter während der Geburt immer noch unklar. Es fehlen eindeutige Vorstellungen über die
Aufgaben der begleitenden Väter. Es wird ihnen überlassen, sich ihre Rolle während der Geburt zu suchen
[[3]]. Väter wünschen sich eine Aufgabe und wollen für ihre Partnerin eine
Hilfe und Stütze sein. Gleichzeitig wollen sie die Arbeitsabläufe des geburtshilflichen Personals nicht
stören. Dieser innerliche Konflikt führt zu der von den Vätern erlebten Hilflosigkeit.
Besonders wichtig ist die Kommunikation vor der Durchführung notwendiger Maßnahmen, da Väter ohne
einleitende Aufklärung die Intervention nicht einordnen können und dies dann als Stress erleben.
Johansson und Hildingsson zeigen auf, dass die Art und Weise der Kommunikation während der Geburt Einfluss
auf das Geburtserleben der Väter hat [[8]]. Väter wollen über die Maßnahmen
und Geschehnisse während der Geburt informiert und aufgeklärt werden. Ein Mangel an Informationen führt bei
Vätern zu Stress und in der Folge zu Unzufriedenheit mit dem Geburtserlebnis [[9]].
Die vom Personal ausgestrahlte Ruhe und Sicherheit wirkt sich beruhigend auf die geburtsbegleitenden Väter
aus. Unzufriedenheit mit dem geburtshilflichen Personal kann zu negativen Geburtserlebnissen der Väter
führen [[9]].