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DOI: 10.1055/s-0034-1384448
Magenüberladung beim Kaninchen
Publication History
Publication Date:
13 October 2014 (online)
Die Magenüberladung des Kaninchens ist ein hochakuter Notfall, der viel zu häufig zu spät oder gar nicht diagnostiziert wird und einer sofortigen Intervention bedarf.
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Eine plötzlich und kurzfristig auftretende Anorexie kann beim Kaninchen als pathognomonisches Symptom für eine akute Magen-Darm-Störung aufgefasst werden. Sie führt zur Aufgasung der präilealen Magen- und Darmabschnitte und damit sekundär und zusätzlich zu einem Krankheitsverlauf, der den Kreislauf maßgeblich gefährdet (▶ Abb. [ 1 ]). Die Brisanz entspricht der einer Magendrehung des Hundes.
Ursachen
In 90 % aller Fälle liegen Bezoare vor. Sie können in unterschiedlicher Größe im Magen liegen oder bereits in den Darm transportiert worden sein. Dabei sind folgende Lokalisationen prädisponiert:
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Übergangsstelle vom Duodenum ins Jejunum
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Ileum
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Colon ascendens
Die Ursache für die Bezoarbildung liegt in aller Regel in der Aufnahme von Haaren und inadäquatem Trockenfutter. Besonders saisonal bedingter, verstärkter Haarwechsel führt zu einer zunehmenden Aufnahme eigener Haare oder derjenigen eines Partnertieres, das intensiv geputzt wird. Dazu kommt die Aufnahme von Trockenfutter jedweder Art, Haferflocken und anderen nicht artgerechten Futtermitteln wie fetthaltigen Nüssen, Mandeln oder sogar inadäquatem Trockenfutter für Hunde und Katzen. Infolgedessen bildet sich ein im Magen unverdauliches Gemisch aus Haaren und Feststoff, das über einen längeren Zeitraum verdichtet wird und somit Fremdkörperwirkung entwickelt.
Die übrigen Fälle entstehen durch primär vorliegende Zahnprobleme: Bei erhaltenem Hunger der Tiere kommt es zwar zur Futteraufnahme, jedoch durch unzureichende Futterzerkleinerung zum Schlucken zu großer Futterstücke. Diese gelangen in den Magen und können nicht weiter transportiert werden, oder im ungünstigsten Fall passieren sie noch den Pylorus und bleiben im Duodenum oder Jejunum stecken.
Des Weiteren können ungeeignete und bisweilen nicht artgerechte Futtermittel wie übergroße Samenkörner und Hülsenfrüchte (Johannisbrotbaum-Kerne), getrocknete Karottenschnitzel oder getrocknete Obststücke aufgenommen werden (▶ Abb. [ 2 ]). Diese werden unzerkaut – möglicherweise versehentlich – geschluckt und können im Magen-Darm-Trakt aufquellen und stecken bleiben. Gelegentlich werden auch Fremdkörper aufgenommen (z. B. Dekokugeln, auch Aqualinos, Gelkugeln oder Wasserperlen genannt), die im trockenen Zustand liebesperlengroß sind und in der Blumenvase nach Angaben des Herstellers das bis zu 200fache ihrer Größe an Wasser aufnehmen können (▶ Abb. [ 3 ]).
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Symptome
Im klassischen Fall fällt das Kaninchen dem Besitzer durch plötzlich eintretende Anorexie und stark reduziertes Allgemeinbefinden auf, weshalb er sich an den Tierarzt wendet. Im Rahmen der tierärztlichen Untersuchung werden folgende Befunde erhoben:
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blasse Schleimhäute
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tendenziell abnehmende Temperatur (< 38 °C)
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pralles Abdomen
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tympanischer Magen
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weiches Abdomen kaudal vom Magen
Beim Verschluss des Colon ascendens ist der Magen weniger auffällig, andere mögliche Befunde sind: Zäkumtympanie, Strecken der Hinterläufe nach hinten oder Hochziehen des Hinterteils.
Im Harntest fallen ein pH-Wert < 7 (physiologischer pH-Wert: 8–9) auf und bei schon länger bestehendem Zustand (2 Tage und mehr) Ketonkörper.
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Diagnostik
Anamnese und allgemeiner Untersuchungsgang mit sensibler Palpation des Abdomens führen zu dem Verdacht eines Verschlusses des Magen-Darm-Trakts. Die Röntgenaufnahme sichert insbesondere nach Bariumsulfateingabe die Diagnose ab, da ein Verschluss immer eine Atonie bewirkt und das Bariumsulfat im Magen liegen bleibt (▶ Abb. [4]). Zudem können Differentialdiagnosen wie Urolithiasis und andere hochdolente Zustände wie z. B. Endometritis, Nephritis oder Hepatitis abgegrenzt werden.
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Prognose
Die Prognose steht in direktem Verhältnis zur Dauer der Erkrankung.
Die Prognose ist gut, wenn:
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im Zeitraum von 24 Stunden nach Eintritt der Stase kausal therapiert wird
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die Körpertemperatur nicht wesentlich unter 37 °C liegt
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der Kreislauf stabil ist
Die Prognose ist unsicher bis zweifelhaft, wenn:
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der Zustand länger als 24 Stunden besteht
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die Körpertemperatur 35 °C oder weniger beträgt
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der Kreislauf durch blasse Schleimhäute gekennzeichnet ist und sich tendenziell verschlechtert
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auf dem Röntgenbild eine zentrale Gasblase in der Mitte des Magens zu sehen ist
Die Prognose ist schlecht, wenn:
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der Zustand länger als 2 Tage besteht
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die Körpertemperatur weniger als 33 °C beträgt
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intra operationem Blutungen in der Magenwand festgestellt werden
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Therapie
Bei Ileus-Verdacht werden dem Kaninchen nach der klinischen Untersuchung Metoclopramid (0,2 mg/kg KM) und ein Analgetikum (Metamizol, 50 mg/kg KM) parenteral sowie Paraffinöl und Bariumsulfatlösung (jeweils 3–5 ml je nach Tiergröße) oral verabreicht. Bei Untertemperatur wird der Patient zusätzlich mit einer warmen (39 °C) Glukose-Kochsalzinfusion subkutan versorgt sowie mitsamt einem Käfig auf ein Heizkissen gesetzt. Falls Futteraufnahme und Kotabsatz nicht spontan wieder auftreten, sollte nach spätestens 60 Minuten ein Röntgenbild angefertigt und die Kontrastmittelpassage beurteilt werden. Wenn das Bariumsulfat nach einer Stunde gar nicht aus dem Magen weiter transportiert wurde, kann man auf eine Atonie des Magen-Darm-Traktes schließen. Im Falle einer festgestellten Stase sollte dann sofort chirurgisch vorgegangen werden. Die Prämedikation erfolgt mit Metacam (0,15 mg/kg) und die Narkose wird idealerweise mit Isofluran durchgeführt, ggf. wird die Triple-Narkose (Fentanyl 0,02 mg/kg + Midazolam 1 mg/kg + Medetomidin 0,2 mg/kg im) eingesetzt.
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Andere Lokalisationen
Beim Ileus im Dünndarm (▶ Abb. [ 14 ]) muss zuvor die Lokalisation aufgesucht und das Bezoar vorsichtigst mobilisiert und retrograd in den Magen zurück geschoben werden, bevor es über die Magenöffnung entfernt werden kann.
Im Falle von Bezoaren oder anderen Fremdkörpern im Colon (▶ Abb. [ 15 ]) können diese im Anfangsteil des Colons im Bereich der antimesenterialen Darmseite durch Inzision in den Darm entfernt werden. Die Nahttechnik entspricht dann der gleichen wie oben beschrieben (▶ Abb. [ 16 ]).
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Postoperative Nachsorge
Nach der OP bekommen die Patienten:
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Metamizol 50 mg/kg 2 × täglich
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Metoclopramid 1–5 mg/kg 2 × täglich (nur bei unzureichender Futteraufnahme)
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Enrofloxacin 10 mg/kg direkt nach der OP (darüber hinaus in der Regel nicht notwendig)
Sobald die Kaninchen aus der Aufwachphase vollständig erwacht sind, werden sie mit Päppelbrei gefüttert. Danach dürfen sie ganz normal fressen und sie werden entlassen, wenn Futteraufnahme und physiologische Körpertemperatur gegeben sind. Dies kann unmittelbar nach der OP der Fall sein, bei länger bestandenem Ileus unter Umständen auch erst nach 1–2 Tagen. Somit ist die Nachsorge hinsichtlich Fütterung und Temperaturkontrolle von ebensolcher Wichtigkeit wie eine gelungene Operation. Wenn es keine Komplikationen gibt, erfolgt die erste Kontrolle 14 Tage nach der OP, wenn die Fäden gezogen werden.
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