Liebe Leserinnen und Leser,
die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Osteoporose als eine der 10 wichtigsten
Volkskrankheiten eingestuft. In Deutschland ist jede 3. Frau und jeder 5. Mann davon betroffen.
Unter dem Dach der International Osteoporosis Foundation (IOF) haben sich inzwischen über 200
nationale Patientenorganisationen und medizinische Fachgesellschaften in einem Committee of
National Societies (CNS) zusammengeschlossen, um regelmäßig ihre Erfahrungen auszutauschen. Die
IOF unterstützt zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, koordiniert weltweit Aktivitäten und
Kampagnen, um dem Krankheitsbild der Osteoporose aktiv zu begegnen (www.iofbonehealth.org). In
den letzten Jahren hat die IOF ihren Fokus erweitert und betrachtet neben der Knochengesundheit
auch die Gelenk- und Muskelgesundheit. Arthrose und Sarkopenie sind Krankheitsbilder, die im
Kontext sekundärer Osteoporosen zu beachten sind. Und die diesjährige Kampagne zum
Welt-Osteoporose-Tag am 20. Oktober „Real men build their strength from within“ unterstreicht
die herausragende Bedeutung regelmäßiger intensiver muskulärer Aktivität für die
Knochengesundheit.
In Deutschland bündelt der Dachverband Osteologie e. V. (DVO) die wissenschaftlich-medizinische
Expertise. Der DVO ist der interdisziplinäre Zusammenschluss aller wissenschaftlichen
Fachgesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich mit den Erkrankungen des
Knochens befassen. Der DVO erarbeitet und publiziert die nationalen S3-Leitlinien zur
Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Männern ab dem 60. Lebensjahr und bei
postmenopausalen Frauen. Die DVO-Leitlinie aus dem Jahr 2009 ist noch bis zum 31.12.2014 gültig
und wird gerade aktualisiert. Bereits ein Jahr früher hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung von
Prof. Dr. med. Dieter Felsenberg eine Leitlinie Physiotherapie und Bewegungstherapie bei
Osteoporose vorgestellt (www.dv-osteologie.org). Diese Leitlinie und die Bedeutung der
funktionellen Muskel-Knochen-Einheit für die Knochengesundheit war das Schwerpunktthema des
„Osteoporose-Spezial“ der Zeitschrift Bewegungstherapie und Gesundheitssport 4/2009. Diese
sportmedizinischen und trainingswissenschaftlichen Grundlagen sind weiterhin gültig.
Trotz dieser vielfältigen wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Aktivitäten gibt es in
Deutschland immer noch eine Versorgungslücke. Ergebnisse der BoneEVA-Studie (2006) zeigen: Nur
20 % der Osteoporose-Patienten wurden im Beobachtungszeitraum mit einem bei Osteoporose
indizierten Arzneimittel behandelt, immerhin 90 % mit Analgetika. Trotz steigender
Erkrankungsprävalenz nahm die Behandlungsprävalenz mit zunehmendem Alter ab. Das Resümee der
Studie: Insbesondere hinsichtlich der großen Zahl an unbehandelten Patienten sowie einer hohen
Rate an Therapieabbrüchen ergeben sich wichtige Ansatzpunkte für die Entwicklung optimierter
Behandlungsstrategien.
Eine weitere Diskrepanz ergibt sich zwischen der Ärzte- und der Patientenperspektive. In einer
multinationalen Umfrage der International Osteoporosis Foundation (IOF) wurde festgestellt, dass
Patienten sich vor den Auswirkungen der Osteoporose auf ihre Lebensqualität (z. B. durch einen
Knochenbruch und verminderte Aktivität) weitaus mehr fürchten als Ärzte dies zum Teil annehmen.
Die Resultate zeigen auch, dass den Patienten geeignete Informationen und Möglichkeiten fehlen,
um diese Bedenken zu äußern und ihre Osteoporose-Behandlung zu optimieren.
Das Kuratorium Knochengesundheit e. V. (www.osteoporose.org), als älteste patientenorientierte
Organisation in Deutschland, hat beim Welt-Osteoporose-Tag am 14.11.2009 in Gotha erstmals eine
erweiterte Krankheitsdefinition vorgestellt, die diesen Überlegungen Rechnung trägt.
„Die Osteoporose ist eine Erkrankung des Bewegungssystems (Knochen, Gelenke, Muskeln, Nerven), die
unter anderem zu charakteristischen Veränderungen der Knochenstruktur und Knochenfunktion führt.
Frakturen und Stürze können zu komplexen Krankheitsfolgen bis zu einem Verlust der
Funktionsfähigkeit im Alltag führen, verbunden mit der Sorge um den Verlust von
Lebensqualität.“
Es ist der Versuch, das in Forschung und Therapie international anerkannte, aber sehr
technokratische ICD-Krankheitsmodell zu erweitern und das Kranksein, die Krankheitsfolgen und
die Auswirkungen auf die Lebenssituation der betroffenen Patienten im Sinne des ICF-Modells zu
erweitern. Insbesondere pädagogisch und psychologisch geschulte Bewegungs- und Sporttherapeuten
können dabei eine herausragende Rolle in der integrierten Versorgung von Patienten mit einer
Osteoporose übernehmen.
Mit unserer Auswahl der wissenschaftlichen und praktischen Beiträge wollen wir diesen
biopsychosozialen Brückenschlag versuchen.
Wir danken allen Autoren für ihr großes Engagement.
Herzlichst,
Ihr Jochen Werle