Erklärungsmodelle: Wie wirkt Akupunktur?
Erklärungsmodelle: Wie wirkt Akupunktur?
Die Wirkungsweise der Akupunktur wird in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und in der westlichen
Medizin unterschiedlich beschrieben. Die TCM ist eine jahrtausendalte Erfahrungs- und Beobachtungsheilkunde,
die sich durch ihre ganzheitliche Betrachtung von Körper und Seele auszeichnet [[1], [2]]. Ein zentraler Begriff in der TCM ist das Qi. Es ist die
Basis aller Energien und vitalen Substanzen eines Organismus und ist die treibende Kraft für alle
Lebensprozesse [[2]]. In der chinesischen Vorstellung fließt das Qi in den
menschlichen Körperleitbahnen, den sogenannten Meridianen [[1]]. Ziel der TCM
in der Schwangerschaft ist, dass das Qi korrekt fließt, da dies unter anderem die Basis ist für eine
harmonische Geburt [[3]]. Mit der geburtsvorbereitenden Akupunktur können
Ungleichgewichte (Blockaden/Mangel/Überschuss) so beeinflusst werden, dass ein Gleichgewicht an
Qi-Energien wieder hergestellt wird [[4]].
Die westliche Medizin beschreibt die Wirkweise der Nadelung. Durch das Nadeln eines Akupunkturpunktes wird
ein oberflächlich gelegener Nerv gereizt. Dieser Stimulus gelangt zum Rückenmark und wird von dort zum Hirn
weitergeleitet [[5]]. Hier setzen die Signale körpereigene Substanzen wie
Endorphine frei. Diese wirken wie starke Schmerzmittel [[6]]. Des
Weiteren bewirkt die periphere Reizausübung der Akupunktur eine Innervation mit einem inneren Organ,
wodurch dessen Funktion beeinflusst werden kann [[5]].
Römer et al. wiederum beschreiben die Einflussnahme der geburtsvorbereitenden Akupunktur auf den natürlich
ablaufenden Prozess der Zervixreifung. Sie vermuten, dass Akupunktur eine Aktivitätssteigerung dieses
Prozesses bewirkt [[7]].
Geburtsvorbereitende Akupunktur
Geburtsvorbereitende Akupunktur
Geburtsvorbereitende Akupunktur wird ab der 36. SSW einmal wöchentlich durchgeführt mit einer
Behandlungsdauer von 20–30 Min. und von speziell ausgebildeten Gynäkologen und Hebammen [[17]]. Je nach Position der Schwangeren kann bilateral oder einseitig genadelt
werden [[3]]. Die Nadel wird während der Sitzung nicht gedreht oder bewegt.
Diese Technik wird als neutral bezeichnet [[3]]. Für die Geburtsvorbereitung
werden bestimmte Nadelpunkte akupunktiert, die vielzählig kombiniert werden können – auch abhängig von der
geburtshilflichen Anamnese.
Ziel der geburtsvorbereitenden Akupunktur ist eine optimale körperliche und geistige Vorbereitung auf die
Geburt.
Akupunktur gilt als nahezu nebenwirkungsfreie Therapie [[7]]. In manchen
Fällen können lokale Hautirritationen auftreten. Gelegentlich kann eine Erstverschlechterung der Symptome
auftreten, welche in der Regel nach einigen Stunden wieder abklingt [[8]].
Abb.
[
1
], Abb.
[
2
], Abb.
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3
], Abb.
[
4
], Abb.
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5
], Abb.
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6
], Abb.
[
7
]
zeigen die in den Studien verwendeten Akupunkturpunkte. Abb.
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1
], Abb.
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2
], Abb.
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3
], Abb.
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4
], Abb.
[
5
] zeigen die Punkte, die laut Literatur üblicherweise für die
Geburtsvorbereitung genadelt werden.
Abb. 1 Ma (=Magen) 36 Zusanli. Dieser Akupunkturpunkt nährt Qi [[3]]. (aus: Hecker, H.-U., Steveling, A., Peuker, E. T. & Kastner, J. (2002). Lehrbuch und
Repetitorium mit TCM-Modulen. 2. Aufl. Hippokrates Verlag Stuttgart [9].)
Abb. 2 Mi (=Mitte) 6 Sauginjiar. Dieser Akupunkturpunkt wirkt auf die Zervixdilatation [[3]]. (aus: Hecker, H.-U., Steveling, A., Peuker, E. T. & Kastner, J. (2002). Lehrbuch und
Repetitorium mit TCM-Modulen. 2. Aufl. Hippokrates Verlag Stuttgart [9].)
Abb. 3 Bl (=Blase) 62 Shenmai. Dieser Akupunkturpunkt wirkt auf die Entspannung von Muskeln und
Sehnen [[6]]. (aus: Hecker, H.-U., Steveling, A., Peuker, E. T. & Kastner, J. (2002). Lehrbuch und
Repetitorium mit TCM-Modulen. 2. Aufl. Hippokrates Verlag Stuttgart [9].)
Abb. 4 Bl 67 Zhiyin. Dieser Akupunkturpunkt wirkt geburtsvorbereitend [1]. Außerdem wird er für
die Kindsdrehung bei BEL genadelt [[6]]. (aus: Hecker, H.-U., Steveling, A., Peuker, E. T. & Kastner, J. (2002). Lehrbuch und
Repetitorium mit TCM-Modulen. 2. Aufl. Hippokrates Verlag Stuttgart [9].)
Abb. 5 Gb (=Gallenblase) 34 Yanglingqua. Dieser Akupunkturpunkt bewirkt eine Lockerung und
Entspannung der Ligamente [[3]]. (aus: Hecker, H.-U., Steveling, A., Peuker, E. T. & Kastner, J. (2002). Lehrbuch und
Repetitorium mit TCM-Modulen. 2. Aufl. Hippokrates Verlag Stuttgart [9].)
Abb. 6 He (=Herz) 7 Shenmen. Dieser Akupunkturpunkt hilft bei psychosomatischen Erkrankungen und
Angstzuständen. Zusätzlich beruhigt er den Geist [[9]]. (aus: Römer, A. (2013). Akupunktur für Hebammen, Geburtshelfer und Gynäkologen.
Hippokrates Verlag Stuttgart [10].)
Abb. 7 Pe (=Perikard) 6 Neignan. Dieser Akupunkturpunkt hilft bei psychosomatischen und
gynäkologischen Funktionsstörungen mit schmerzhaftem Spannungsgefühl. Er reguliert Abdomen und Unterleib
(Hecker et al., 2002). Er beruhigt den Geist [[2]]. (aus: Römer, A. (2013). Akupunktur für Hebammen, Geburtshelfer und Gynäkologen.
Hippokrates Verlag Stuttgart [10].)
Literaturrecherche
Zum Thema Akupunktur in der Geburtshilfe finden sich zahlreiche Ratgeber, in denen jedoch die
wissenschaftlich belegte Wirksamkeit von Akupunktur kaum thematisiert wird. In einer systematischen
Literaturrecherche in den beiden Datenbanken The Cochrane Library und MiDirs im Zeitraum
September bis November 2013 unter Verwendung der Schlüsselbegriffe „acupuncture“, „duration of labo“,
„labor“ AND „effect“ wurden drei Forschungsberichte gefunden. Die Einschluss- und Ausschlusskriterien
für die Literaturarbeit waren:
-
Die Studien müssen den Effekt geburtsvorbereitender Akupunktur bei Primiparae auf die Geburt
untersuchen. Die Akupunktur wird demnach bereits in der Schwangerschaft und vor Einsetzen der Wehen
angewendet.
-
Als Akupunkturmethode wird in der Studie einzig die traditionelle chinesische Methode der Manual
Akupunktur einbezogen.
-
Es werden nur deutsch- und englischsprachige Studien verwendet.
-
Studien, die auf Tierversuchen basieren, werden ausgeschlossen.
Studien zur Wirksamkeit: Vorgehen und Qualität
Studien zur Wirksamkeit: Vorgehen und Qualität
Tab.
[
1
] zeigt die drei Studien, die mit dem o. g. Vorgehen
recherchiert wurden und die die Einschlusskriterien erfüllen.
Tab. 1
Studien zur Wirksamkeit von geburtsvorbereitender Akupunktur.
|
Römer, Weigel, Zieger & Melchert
„Veränderung der Zervixreife und Geburtsdauer nach Geburtsvorbereitender Akupunkturtherapie. Das
Mannheimer Schema“ [[7]]
|
Zeisler, Tempfer, Mayerhofer, Barrada & Husslein
„Influence of Acupuncture on Duration of Labor“ [[11]]
|
Lyrenäs, Lutsch, Hetta & Lindberg
„Acupuncture before Delivery: Effect on Labor“ [[12]]
|
Jahr
|
2000
|
1998
|
1987
|
Design
|
Randomisierte kontrollierte Studie
|
Fallkontrollstudie
|
Fallkontrollstudie
|
Ziel
|
Einfluss von geburtsvorbereitender Akupunktur auf Zervixlänge, Bishop- Score und Geburtsdauer
|
Einfluss von geburtsvorbereitender Akupunktur auf die Dauer der Geburt
|
Einfluss von geburtsvorbereitender Akupunktur auf Zervix, Uterus (Kontraktionen) und Schmerz
|
Ort
|
Universitätsklinik Mannheim, Deutschland
|
nicht benannt
|
Zwei Geburtskliniken in Uppsala, Schweden
|
Größe der Stichprobe
|
878
|
120
|
168
|
Drop outs
|
nicht benannt
|
59
|
nicht benannt
|
Einschlusskriterien
|
Primiparae, geburtsvorbereitende Akupunktur ab der 36. SSW
|
Primiparae, komplikationslose Schwangerschaft, Spontangeburt. Empfohlen: mindestens vier
Akupunktursitzungen
|
Primiparae, geburtsvorbereitende Akupunktur ab der 36. SSW, freiwillige Teilnahme
|
Ausschlusskriterien
|
alle Indikationen zur primären Sectio, Blutungen in der Spätschwangerschaft (ab der 28. SSW),
geplante Sectio bei BEL, Mehrlinge, vorzeitige Wehentätigkeit mit erforderlicher
Tokolysebehandlung, Gerinnungsstörung der Mutter
|
Diabetes, schwangerschaftsbedingte Hypertonie, BEL, Rhesusinkompatibilität, Mehrgebärende, fetale
Wachstumsretardierung, Fehlbildungen, Zervixreifungen mit Prostaglandinen, schlecht geführte
Dokumentation
|
nicht benannt
|
Intervention
|
Interventionskollektiv:
ab 36. SSW 1 × Woche geburtsvorbereitende Akupunktur
Kontrollkollektiv (A):
ab 36. SSW einmal wöchentlich eine als „psychisch ausgleichend“ geltende Akupunkturtherapie
Kontrollkollektiv (B):
keine Akupunktur
|
Interventionskollektiv:
ab 36. SSW 1 × Woche geburtsvorbereitende Akupunktur
Kontrollkollektiv:
keine Akupunktur
|
Interventionskollektiv:
ab 36. SSW 1 × Woche geburtsvorbereitende Akupunktur
Kontrollkollektiv (A):
Lymphpunktion (keine AT) und psychologisches Gespräch
Kontrollkollektiv (B):
keine Akupunktur
|
Nadelpunkte
|
Ma 36 (Zusanli),
Gb 34 (Yanglingquan),
Mi 6 (Sanyinjiao),
Bl 67 (Zhinyin) ab 38. SSW
|
LG 20 (Baihui),
He 7 (Shenmen),
Pe 6 (Neiguan)
|
Ma 36 (Zusanli),
Gb 34 (Yanglingquan)
Mi 6 (Sanyinjiao),
Bl 62 (Shenmai)
|
Primär erhobene Daten
|
Geburtsdauer, Bishop-Score, Zervixlänge, Trichterbildung
|
Geburtsdauer, Dauer spontaner Blasensprung bis Geburt, vorzeitiger Blasensprung
|
Geburtsdauer
|
Sekundär erhobene Daten
|
Sekundäre Wehenschwäche, dysfunktionelle Wehentätigkeit, wehenunterstützende Maßnahmen,
Geburtseinleitungen
|
wehenunterstützende Maßnahmen, Häufigkeit der Epiduralanästhesie, Schmerzmittel, Episiotomie und
Geburtsverletzungen, Vakuumextraktionen
|
Eintrittszeitpunkt in Geburtsklinik, Schwangerschaftsdauer, wehenunterstützende Maßnahmen,
Häufigkeit der Epiduralanästhesie, Schmerzmittel, Vakuumextraktionen
|
Studie von Römer et al. (2000) [[7]]
Die Studie von Römer et al. ist eine randomisierte kontrollierte Studie mit einer großen Zahl an
Studienteilnehmerinnen (N = 878) (Evidenzlevel Ib gemäß Stahl 2008) [[13]]. Die Kollektivzugehörigkeit der Teilnehmerinnen erfolgte prospektiv fortlaufend nach einer
Liste mit aufsteigender Nummerierung. Die Listenposition ist nach dem Zufall besetzt. Der Bishop-Score
ist in der Studie eines der zentralen Datenerhebungsinstrumente und gilt als valide. Die verwendete
Kombination der Akupunkturpunkte entspricht dem in der Literatur typischerweise beschriebenen
Vorgehen. Die beiden angewendeten statistischen Verfahren (t-Test und χ2-Test) sind
für die Auswertung der vorliegenden Daten der Studie geeignet.
Ein Qualitätsmerkmal von Forschungsarbeiten ist die sogenannte Verblindung bei der Datenerhebung:
die Personen, die die Daten der Studienteilnehmerinnen erfassen, wissen nicht, zu welcher
Untersuchungsgruppe (Intervention- oder Kontrollgruppe) die jeweiligen Teilnehmerinnen gehören. Das
Wissen um die Gruppenzugehörigkeit kann die Beteiligten bei der Datenerhebung (z. B. bei der VU zur
Erfassung des Bishop-Scores) unbewusst beeinflussen und somit die Ergebnisse verfälschen. Im
Forschungsbericht von Römer et al. wird nicht beschrieben, ob eine solche Verblindung durchgeführt
wurde.
Damit die Ergebnisse in den Interventions- und Kontrollgruppen vergleichbar sind, sollten die Gruppen
hinsichtlich relevanter Aspekte homogen sein (da man sonst Äpfel mit Birnen vergleicht). In der Studie
von Römer et al. stimmen die Untersuchungsgruppen überein bei Faktoren wie Parität, Alter, Belastungen in
der Schwangerschaft, Anwendung anderer geburtsvorbereitender Maßnahmen. Allerdings werden wichtige
Einflussgrößen für den Geburtsverlauf wie Körpergröße, Gewicht, Ethnie, Zeitpunkt und Art des
Blasensprunges nicht beachtet.
Die Geburtsdauer, als ein primäres Outcome-Kriterium der Studie, ist insofern problematisch, da
die Definition des Geburtsbeginnes – ab Beginn regelmäßiger muttermundswirksamer Wehen – naturgemäß
unpräzise ist. Da diese Aspekte die Aussagekraft der Studie von Römer et al. mindern, handelt es sich um
eine teilweise valide Forschungsarbeit.
Studie von Zeisler et al. (1998) [[11]]
Die Zuteilung der Studienteilnehmerinnen in die Interventions- oder in die Kontrollgruppe findet in der
Forschungsarbeit von Zeisler et al. nicht nach dem Zufallsprinzip (Randomisierung) statt
(Evidenzlevel III gemäß Stahl 2008) [[13]]. Das Outcome-Kriterium
Geburtsdauer ist folgendermaßen definiert: MM 3 cm bis Geburt des Kindes. Diese Definition ist
exakter im Vergleich zur Studie von Römer et al.. Um die Vergleichbarkeit der Gruppen hinsichtlich der
Einflussgrößen Blasensprung und Weheninfusion zu gewährleisten, haben die Autoren homogene
Untergruppen gebildet und verglichen. Die statistischen Verfahren Wilcoxon-Test und
χ2-Test sind für die Analyse der Daten dieser Studie geeignet.
In der Arbeit von Zeisler et al. fehlen Angaben zum Ort und zum Zeitraum der Datenerhebung. Die
Stichprobengröße mit 120 Teilnehmerinnen scheint eher klein. Außerdem wurde keine statistische
Analyse durchgeführt, mit der man die Stichprobengröße ermitteln kann, die für die Ermittlung von
signifikanten Ergebnissen notwendig ist (Powerkalkulation). Des Weiteren fehlen Angaben zur
Vergleichbarkeit der Untersuchungsgruppen hinsichtlich Einflussgrößen auf den Geburtsverlauf wie
Alter, Größe, Gewicht oder Ethnie. Da diese Variablen die Ergebnisse beeinflussen können, ist die
Validität der Studie eingeschränkt. Es wird nicht deutlich, ob eine sog. Verblindung stattgefunden
hat. Die Auswahl der Akupunkturpunkte in der Studie unterscheidet sich von der üblichen Auswahl,
wie sie in der gängigen Literatur beschrieben wird. Dies wird nicht begründet. Diese genannten Aspekte
mindern die Validität und Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse.
Studie von Lyrenäs et al. (1987) [[12]]
Die Studie von Lyrenäs et al. weist sehr gravierende Mängel auf, die ihre Aussagekraft sehr
einschränken. Es werden keine Ein- und Ausschlusskriterien für die Studienteilnehmerinnen genannt und es
ist nicht nachvollziehbar, ob die Studienteilnehmerinnen in den Gruppen homogen und somit vergleichbar
sind hinsichtlich der relevanten Einflussgrößen. Bei der Datenerhebung findet keine Verblindung statt.
Sehr problematisch ist die Definition der Geburtsdauer mit Eintritt der Gebärenden in die Geburtsklinik
bis zur Geburt des Kindes. Hier wird der Beginn der Geburt fälschlicherweise gleichgesetzt mit einer
persönlichen und medizinischen Entscheidung der Frauen und des Klinikpersonals aus sehr unterschiedlichen
Gründen. Außerdem weist die Untersuchung formale Ungenauigkeiten auf und liegt bereits 27 Jahre zurück.
Die Studienergebnisse von Lyrenäs et al. werden deshalb nachfolgend nicht näher vorgestellt.
Welche Effekte hat geburtsvorbereitende Akupunktur?
Welche Effekte hat geburtsvorbereitende Akupunktur?
Tab.
[
2
] zeigt die Ergebnisse der beiden in die
Literaturarbeit eingeschlossenen Studien in der Übersicht.
Tab. 2
Ergebnisse.
|
Römer et al. [[7]]
|
Zeisler et al. [[11]]
|
Statistisch signifikante Ergebnisse
|
Verkürzte Geburtsdauer um 2 h 4 min
Stärkere Zervixreifung
Verbesserte Wehentätigkeit
|
Verkürzte Geburtsdauer um 2 h 5 min
Häufiger vorzeitiger Blasensprung
Verbesserte Wehentätigkeit
|
Nicht signifikante Ergebnisse
|
Terminüberschreitungen
|
Epiduralanästhesie
Gebrauch von Schmerzmittel
Episiotomie
Verletzungen der Vagina
Vakuumextraktionen
|
Römer et al. ermitteln eine signifikant kürzere Geburtsdauer der Interventionsgruppe (akupunktierte
Frauen) im Vergleich zur Kontrollgruppe B (nicht akupunktierte Frauen) (t-Test, p < 0.0001). Auch im
Vergleich mit der Kontrollgruppe A (Frauen mit einer Akupunktur, welche nicht speziell geburtsvorbereitend
ist) ist die Geburtsdauer in der Interventionsgruppe signifikant kürzer (t-Test, p < 0.002). Die mittlere
Geburtsdauer der Interventionsgruppe beträgt 470 Min. mit einer Standardabweichung von 190 Min. (Mittelwert
± 1 Standardabweichung). Im Kontrollkollektiv A hingegen beträgt diese 536 ± 200 Min. und im unbehandelten
Kontrollkollektiv B 594 ± 241 Min. Die verkürzte Geburtsdauer der Interventionsgruppe bezieht sich auf die
Eröffnungsperiode, die Dauer der Austreibungsperiode ist nicht verändert im Vergleich zu den beiden
anderen untersuchten Gruppen.
Die Zervixreifung wird mit dem Bishop-Score ermittelt. Mit diesem Score wird nach einer vaginalen
Untersuchung die prognostische Geburtsbereitschaft der Schwangeren beurteilt [[14]]. Es zeigt sich eine signifikant größere Geburtsreife in der Interventionsgruppe im
Vergleich zu den beiden anderen untersuchten Gruppen.
Die Veränderungen der Zervixlänge wurden außerdem vaginalsonografisch ermittelt (Differenz der Zervixlänge
zu Beginn der Akupunkturtherapie bzw. in der 36. SSW und nach der 4. Akupunktursitzung bzw. in der 40. SSW).
Sie unterscheiden sich ebenfalls signifikant in den Kollektiven. Die Interventionsgruppe weist gegenüber
beider Kontrollgruppen eine signifikante Zervixverkürzung auf sowie eine signifikant häufigere
Trichterbildung im Bereich des inneren MM. Die Forscherinnen interpretieren diesen Nachweis als
vorgeburtliche Reifung der Zervix.
Retrospektiv kann im Studienkollektiv ein signifikant geringeres Vorkommen von sekundärer
Wehenschwäche, dysfunktioneller Wehentätigkeit und ein signifikant seltener Gebrauch von medikamentösen
wehenfördernden Maßnahmen ermittelt werden im Vergleich zu den anderen beiden Kollektiven.
Die Autoren kommen zum Fazit, dass geburtsvorbereitende Akupunktur die Wehenkoordination unter der Geburt
deutlich verbessert und somit der Gebrauch von Wehenmittel (intravenöser Oxytocintropfinfusion) merklich
reduziert ist.
Bezüglich der Parameter Zeitpunkt der Geburt und Anzahl der Terminüberschreitungen finden sich keine
signifikanten Unterschiede zwischen den Kollektiven. Die Autoren schließen daraus, dass geburtsvorbereitende
Akupunktur keinen Einfluss auf die Dauer der Schwangerschaft und das Vorkommen von Übertragungen hat.
Zeisler et al. ermitteln eine signifikant verkürzte Geburtsdauer (Wilcoxon 2-sample Test, p <
0.0001) der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die mittlere Dauer der Eröffnungsperiode
der Interventionsgruppe beträgt 196 Min., in der Vergleichsgruppe 321 Min. Die Dauer der Austreibungsphase
ist in beiden Kollektiven gleich (57 Min.).
Die Zeitspanne zwischen spontanem Blasensprung und Geburt des Kindes zeigt einen signifikanten Unterschied
zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe. Die mittlere Dauer der Interventionsgruppe beträgt 376
Min., in der Kontrollgruppe lediglich 194 Min. In der Interventionsgruppe kann ein signifikant häufigeres
Auftreten eines vorzeitigen Blasensprungs gegenüber der Kontrollgruppe ermittelt werden. Bei 66.7 % der
akupunktierten Frauen, jedoch nur in 33.3 % der nicht-akupunktierten Frauen ist dies der Fall
(χ2-Test, p = 0.02).
Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass die geburtsvorbereitende Akupunktur den vorzeitigen
Blasensprung begünstigt.
Frauen mit geburtsvorbereitender Akupunktur erhalten während der Geburt signifikant seltener eine
Wehenunterstützung mit Oxytocin.
In der EP bekommen 85 % der Kontrollgruppe, im Vergleich zu 15 % der Interventionsgruppe
(χ2-Test, p = 0.01) Oxytocin zur Wehenunterstützung. Während der AP erhalten 72 % der
nicht-akupunktierten Frauen, jedoch nur 28 % der akupunktierten Frauen eine Weheninfusion
(χ2-Test, p = 0.03). Mit Blick auf die Häufigkeit einer Epiduralanästhesie, dem Gebrauch von
Schmerzmittel, der Notwendigkeit einer Episiotomie sowie Verletzungen der Vagina lassen sich keine
signifikanten Unterschiede beider Gruppen ausmachen.
Fazit
Beide vorgestellte Studien weisen methodische Schwächen auf, weshalb ihre Aussagekraft eingeschränkt
ist.
Nichtsdestotrotz verweisen die Ergebnisse darauf, dass die geburtsvorbereitende Akupunktur die
Eröffnungsperiode verkürzen kann.
Einen Einfluss auf die Austreibungsperiode wurde dahingegen nicht nachgewiesen. Frauen, die in der
Schwangerschaft akupunktiert werden, benötigen offenbar weniger Wehenmittel. Dies lässt auf eine bessere
Koordination der Wehentätigkeit schließen. Trotz kürzerer Geburtsdauer benötigen die akupunktierten
Frauen nicht mehr bzw. nicht häufiger Schmerzmittel. Keinen Einfluss scheint die Akupunktur auf das
Vorkommen von vaginalen Geburtsverletzungen, auf die Notwendigkeit einer Episiotomie und einer
operativen Geburtsbeendigung mittels VE zu haben. Ferner konnte kein Einfluss der
geburtsvorbereitenden Akupunktur auf die Dauer der Schwangerschaft und auf einen früheren
Geburtsbeginn ermittelt werden.
Die Studienergebnisse verweisen darauf, dass die geburtsvorbereitende Akupunktur den physiologischen
Geburtsverlauf fördern kann.
Schwangere, die regelmäßig akupunktiert werden, werden in diesen letzten Wochen vor der Geburt in der Regel
von einem konstanten Personenkreis betreut und erfahren dadurch eine zusätzliche kontinuierliche Begleitung.
Dieser Aspekt hat möglicherweise weitere Auswirkungen auf die Geburtsphysiologie [[15]].
Empfehlungen für Forschung und Praxis
Empfehlungen für Forschung und Praxis
Weitere Forschung mit randomisierten kontrollierten und bestenfalls multizentrischen Studien ist für eine
weitere Evidenzbasierung und für eine Aktualisierung notwendig.
Für die Bewertung einer Geburt ist – neben Kriterien wie die Geburtsdauer und die Anzahl der Interventionen
– das Erleben der Frauen maßgeblich. Deshalb sollten unbedingt die Erfahrungen und Empfindungen der
Frauen mit der geburtsvorbereitenden Akupunktur erforscht werden.
Experten wie Ansgar Römer und Monika Walter, die viel Praxiserfahrung mit geburtsvorbereitender Akupunktur
haben, beobachten einen weiteren wichtigen Effekt: eine verbesserte Rekonvaleszenz nach der Geburt.
Dieser Aspekt ist jedoch bislang nicht wissenschaftlich belegt und sollte in weiteren Studien untersucht
werden.
Akupunktur kann schwangeren Frauen als Möglichkeit zur Geburtsvorbereitung aufgezeigt werden. Hierbei ist es
wichtig, dass die Frauen beraten werden und ihnen nicht-invasive Alternativen aufgezeigt werden, damit sie
eine informierte Entscheidung treffen können. Evidenzbasiertes Arbeiten bedeutet nämlich in der Praxis die
Forschungserkenntnisse und die Bedürfnisse der Frauen zu berücksichtigen [[16]].
Trotz oder gerade wegen der hochtechnischen Medizin im 21. Jahrhundert ist es wünschenswert, wenn der
natürliche Prozess der Geburt respektiert und behütet wird. Hierfür brauchen wir im Arbeitsalltag eine
salutogenetische Grundhaltung. Akupunktur scheint hierfür eine gute Möglichkeit zu bieten.