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DOI: 10.1055/s-0034-1387597
Mitteilungen aus der Bundesdirektorenkonferenz (BDK)
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
12. März 2015 (online)
- Bericht des Arbeitskreises Geistige Behinderung
- Menschen mit geistiger Behinderung im Maßregelvollzug
- Wie kann die psychiatrische Versorgung einen Beitrag zur primären Prävention potenzieller Straffälligkeit bei Menschen mit geistiger Behinderung leisten?
- Forensische Nachsorge und Resozialisation als tertiäre Prävention
Bericht des Arbeitskreises Geistige Behinderung
Für Menschen mit geistiger Behinderung und psychischen Störungen zielt der Beitrag einer erfolgreichen psychiatrischen Behandlung nicht in erster Linie auf Inklusion, sondern vielmehr auf die Verhinderung von Exklusion, der weiteren Ausgrenzung dieser Zielgruppe aus den Strukturen, die ihnen die Teilhabe ermöglichen, die unsere Gesellschaft ihnen bereit ist zuzugestehen. Unter diesem Blickwinkel legt der AK seit vielen Jahren einen Schwerpunkt seines Engagements in die Beschreibung der Situation von Menschen mit geistiger Behinderung im Maßregelvollzug, die Unterstützung spezifischer Behandlungsangebote und die Frage nach den notwendigen Voraussetzungen für präventive Ansätze, um Eskalation und Straffälligkeit zu verhindern.
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Menschen mit geistiger Behinderung im Maßregelvollzug
In den letzten 2 Jahren wurden in einer Reihe von Fachtagungen und Symposien die Unterbringung und Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung im Maßregelvollzug zum Thema gemacht. Der AK begrüßt dies ausdrücklich wie auch die Veröffentlichung eines Positionspapiers der Deutschen Heilpädagogischen Gesellschaft (DHG) zum Thema als einen wichtigen Schritt der multiprofessionellen Betrachtung und Herangehensweise an die Thematik.
Der AK geistige Behinderung hat im Frühjahr 2014 gemeinsam mit dem AK Forensik in der Christophorusklinik in Münster-Amelsbüren getagt. Diese Tagung wurde u. a. dazu genutzt, die großen gemeinsamen Themengebiete Prävention und Nachsorge aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Klinik und vonseiten der Einrichtungen der Behindertenhilfe zu beleuchten. Eine Reihe von kontroversen und regional sehr unterschiedlich ausgeprägten Spannungslagen wurden andiskutiert wie z. B. die Frage wie viel Inklusion bei der Rehabilitation von Menschen mit geistiger Behinderung aus dem Maßregelvollzug von der Bevölkerung und den Trägern von Einrichtungen der Behindertenhilfe ermöglicht/gewünscht wird. Regional wird nicht selten einem Leben im näheren Umfeld einer psychiatrischen Klinik, bei dem Aspekte der psychiatrischen Versorgung und Sicherheit im Vordergrund stehen, der Vorzug gegeben. Welche Möglichkeiten lassen sich finden, weg von einem „Entweder-oder“ hin zu einem „Sowohl-als-auch“ zu kommen? Ein aus Sicht des AKs Geistige Behinderung gelungenes Modell hierfür sah der AK i. R. der darauffolgenden Herbsttagung im SHG Klinikum Merzig in Saarbrücken-Altenkessel in einer Einrichtung der Lebenshilfe, die als „normales“ Wohnhaus seit über 20 Jahren in der Gemeinde angesiedelt ist, von der Bevölkerung gut akzeptiert, in der Kirchengemeinde integriert, von Geschäften und der Nachbarschaftshilfe gut an- und aufgenommen wird und auch forensische Patienten als Bewohner betreut. Vorgestellt wurde eine Bewohnerin, die dort vollständig rehabilitiert wurde, während des Maßregelvollzugs durch die forensische Ambulanz des Krankenhauses betreut wurde, was von Einrichtungsseite als durchweg positiv beurteilt wird. In der Einrichtung ist eine 1:1-Betreuung von ausschließlichem Fachpersonal eingesetzt und die Einrichtung hat eine Versorgungsverpflichtung übernommen, d. h. die Bewohner können nicht gekündigt werden. Erfolgreich ermöglicht wird das durch eine Gemeinschaftsaktion von mehreren Initiativen (Einrichtungsträger, Kostenträger, forensische Ambulanz, örtliche Institutionen), die sich dafür koordinieren und nicht zuletzt von einer offenen und unterstützenden Bevölkerung.
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Wie kann die psychiatrische Versorgung einen Beitrag zur primären Prävention potenzieller Straffälligkeit bei Menschen mit geistiger Behinderung leisten?
Betrachten wir die psychiatrische Regelversorgung als eine der letzten Stationen in einer Versorgungskette zwischen Eingliederungshilfe und Maßregelvollzug, könnte sie hypothetisch im Sinne einer primären Prävention genutzt werden, um einer potenziellen Straffälligkeit vorzubeugen. Herausforderungen aus Sicht der psychiatrischen Versorgung sind:
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Wie gelingt die erforderliche interdisziplinäre Zusammenarbeit?
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Wie gehen wir mit schweren fremd- und selbstverletzenden Verhaltensweisen bei Bewohnern in den Einrichtungen der Behindertenhilfe um?
Menschen mit geistiger Behinderung sind für die Initiierung einer psychiatrischen Behandlung auf die Initiative aus dem Hilfesystem angewiesen. Praktischer Anlass sind oft fremdverletzende Verhaltensweisen. Häufig ist die Lage in der Einrichtung schon krisenhaft zugespitzt, die Energien erschöpft, evtl. bereits Anzeige erstattet. So banal dies erscheinen mag, der Umstand, wann im Verlauf ein Bewohner als Patient vorgestellt wird, kann entscheidend dafür sein, ob er in der Forensik „landen“ wird oder nicht. Als bundesweiter AK sehen wir einen Bedarf für frühzeitige koordinierte Interventionen und einen interdisziplinären Dialog über Möglichkeiten gemeinsam präventiv und rehabilitativ wirksam zu werden.
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Forensische Nachsorge und Resozialisation als tertiäre Prävention
In vielen Teilen Deutschlands ist Rehabilitation und Resozialisation von Menschen mit geistiger Behinderung im Maßregelvollzug erschwert durch eine eingeschränkte Bereitschaft und Akzeptanz der Zielgruppe in der Bevölkerung aber auch in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Hier sollten die psychiatrischen Spezialambulanzen aktiv die Bereitschaft für die interdisziplinäre Betreuung und Zusammenarbeit signalisieren und umsetzen.
Dr. Franziska Gaese
Dr. Knut Hoffmann
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