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DOI: 10.1055/s-0034-1390201
Medizin für Menschen ohne Papiere – „Da kommt endlich Bewegung rein“
Publication History
Publication Date:
16 September 2014 (online)
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer (BÄK) erklärt, warum er seit kurzem wieder optimistischer ist, dass der Gesetzgeber die Medizinische Versorgung für Asylbewerber und auch für Menschen ohne Aufenthaltspapiere verbessern könnte.
? Die Bundesärztekammer wie auch der letzte Deutsche Ärztetag fordern die Einführung eines anonymen Krankenscheins.
Ja, und das fordern wir seit vielen Jahren. Wir hatten da zwischendurch so eine Phase, dass wir dachten, das wird wohl nichts werden. Jetzt aber haben wir da neue Signale, das ist ein bisschen anders in der letzten Zeit.
? Signale von wem und woher?
Wir haben positive Entwicklungen auf mehreren Ebenen. Zum einen von Bremen ausgehend, mittlerweile auch in Hamburg, dass Asylbewerber eine Versichertenkarte in die Hand gedrückt bekommen. Allein das ist schon ein Fortschritt, den der Deutsche Ärztetag in diesem Jahr für ganz Deutschland als nachahmenswert bewertet hat.
? Was ist das für eine Karte?
Eine Chipkarte, die es den Ärzten und Krankenhäusern in Bremen und Hamburg erlaubt, die Behandlung dieser Patienten mit der AOK abzurechnen.
? Damit wird deren Versorgung über die Beiträge aller Versicherten mitbezahlt?
Nein. Das Geld wird in diesen Fällen am Ende vom Land bezahlt.
? Das gilt für Asylbewerber. Es gibt Menschen, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, die theoretisch aber dennoch ebenfalls Anspruch auf medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben. Für diese Gruppe wollen sie eine Versorgung über einen anonymen Krankenschein?
Richtig. Und die könnte am Ende eben auch über solch eine Karte aufgesattelt werden.
? Und wer soll dieser Patientengruppe den anonymen Schein, alias eine anonyme Chipkarte ausstellen?
Es muss eine amtliche Stelle sein, die auf jeden Fall völlig unabhängig vom Ausländeramt der jeweiligen Kommune ist, und daher auch keinen Datenübertrag mit dem Ausländeramt hat.
? Datenübertrag?
Das Asylbewerberleistungsgesetz fordert ja im §11 einen Datenabgleich zwischen Sozialamt und Ausländerbehörde. Asylbewerber haben damit keine Probleme. Für Menschen ohne Papiere aber steckt hier das Problem, denn sie fürchten ja gerade, von den Ausländerbehörden entdeckt zu werden. Sie würden daher von einem Anonymen Krankenschein enorm profitieren.
? Welche positiven Signale sehen Sie in jüngster Zeit noch?
Im Hannoveraner Landtag ist derzeit ein Antrag der dortigen Regierungsfraktionen im Beratungsverfahren, nach dem das Konzept "anonymer Krankenschein" modellhaft in Göttingen und Hannover erprobt werden soll.
? Wer macht da mit?
Es ist noch in der Planungsphase. Die Hannoveraner Obdachlosenbetreuung ist zum Beispiel dabei, die ja von der dortigen Krankenversicherung mit organisiert wird, vor allem auch von Frau Dr. Cornelia Goesmann, der ehemaligen Vizepräsidentin der BÄK.
? Und wer wird für die medizinische Versorgung dieser Menschen bezahlen? Für, wohlgemerkt, eine Versorgung im Schutze der Anonymität? Bislang gibt es eine Kostenübernahme ja nur, wenn diese Menschen sich outen, vor dem Arztbesuch zum Sozialamt gehen.
Nach meiner Kenntnis sind diese Fragen auch in Hannover noch nicht völlig geklärt. Wahrscheinlich wird das eine Mischung werden, Geld des Steuerzahlers plus Spenden. Beiträge sollen vielleicht auch von Caritas, Maltesern, und ähnlichen Einrichtungen kommen, über einen Fond. Am Ende müsste dann aber das Land den Ärzten und Krankenhäusern die Bezahlung garantieren, sonst wäre so eine Ausgabe von einem Behandlungsschein ja ein leeres Versprechen.
? Wer soll entscheiden, dass jemand den anonymen Krankenschein bekommt, der ja dann konkret vermerken würde, welche Behandlung gebilligt wird? Das Sozialamt, wie es das Asylbewerberleistungesetz festlegt?
Nein, genau das wollen wir nicht, da wollen
wir eine grundlegende Änderung. Bislang
entscheiden ja vorrangig Sachbearbeiter
bei den Sozialämtern darüber, welche
medizinische Leistung ein Asylbewerber.
Die Chipkarte für Asylbewerber in Bremen
und Hamburg und auch das Konzept
eines anonymen Krankenscheins für
Menschen ohne Papiere sollen ja vielmehr
erreichen, dass jeder ungehinderten Zutritt
zum Arzt hat. Und erst der Arzt, und
nicht ein Mitarbeiter im Sozialamt, soll
dann das letzte Wort darüber haben, welche
Behandlung nötig ist und welche vielleicht
nicht.
Das gilt noch mehr im Notfall. Es ist in den
letzten Monaten häufiger vorgekommen, dass vom diensthabenden Personal in
Asylbewerberheimen kein Notarzt gerufen
wurde.
? Das wäre aber wenn, dann der schlimme Fehler eines Wachmannes oder Sachbearbeiters im Asylbewerberheim gewesen, nicht der eines Sozialamtes.
Die Verunsicherung ist bei den Mitarbeitern der Asylbewerberheime sehr groß, über das Vorliegen eines medizinischen Notfalls zu entscheiden. Die Hauptkritik am heutigen Verfahren bleibt somit bestehen, nämlich dass mit diesen Regeln Nichtexperten über medizinische Behandlungen entscheiden. In § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes wird die Entscheidung über die Behandlungsnotwendigkeit für Asylsuchende auf akute Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt. Bremen oder Hamburg haben ja bereits eine grundlegende Änderung eingeführt, Baden- Württemberg könnte meiner Meinung nach gerne folgen.
? Zumindest bei Notfällen gab es bislang die Möglichkeit zu einer Behandlung im Schutz der Anonymität – wenn Krankenhäuser direkt mit dem Sozialamt abrechneten.
Korrekt. Die Daten dürfen dann, da auch hier noch die ärztliche Schweigepflicht gilt, nicht weitergereicht werden. Für diesen so genannten verlängerten Geheimnisschutz hat die Ärzteschaft sich besonders engagiert.
? Waren das wirklich allein die Ärzte? Die Medibüros haben da wahrscheinlich auch mitgefochten?
Wir sehen das nicht als Gegeneinander. Wir ziehen da an einem Strang. Wirklich sicher können wir aber ja leider immer noch nicht sein, dass die Sache auch funktioniert.
? Was meinen Sie?
Wir haben da immer noch einen Widerspruch
in den Vorschriften. Zwar haben
wir seit 2009 eine Verwaltungsvorschrift,
die klar sagt, dass Sozialämter alle
Informationen, die sie von Ärzten, Krankenhäusern
und Angestellten erhalten,
nicht an die Ausländerbehörden geben
dürfen.
Auf der anderen Seite steckt im Asylbewerberleistungsgesetz
immer noch der
§ 11, Absatz 3, der dezidiert weiterhin den
Datenabgleich zwischen Sozial- und Ausländerbehörde fordert. Der wird von der
Verwaltungsvorschrift nicht erreicht,
blieb da unabhängig stehen. Wir wollen
daher auch die Abschaffung dieses § 11,
Absatz 3.
? Und, wie sind die Chancen?
Naja, ich kann Ihnen sagen, in dem Fall geht der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer von Pontius zu Pilatus. Die Zuständigkeiten werden zwischen Ministerien hin und her geschoben. Ein besseres Zusammenspiel der Ministerien wäre wünschenswert.
? Also keine Gewähr, dass ein Sozialamt die Daten über einen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus nicht weiter reicht, selbst dann, wenn es sie von Krankenhaus oder Arztpraxis erfährt?
So ist es. Und wenn Sie bei den Sachbearbeitern
auf den Ämtern nachfragen, wissen
die oft gar nichts von einer Verwaltungsvorschrift
und dem Verlängerten
Geheimnisschutz.
Am Ende muss ich sagen, all das dreht sich
viel zu sehr um unsere Sicht und die der
Behörden. Die Menschen, die Angst vor
Entdeckung haben, denen ist wahrscheinlich
egal, ob wir verlängerten Geheimnisschutz
haben oder nicht, die trauen der
Sache sowieso nicht. Wenn, dann gelangen
sie eher über Stellen wie die Medinetze
an Ärzte, die zumindest eine gewisse
kostenlose Versorgung anbieten unter
Geheimhaltung.
? Obendrein hat das Bundessozialgericht im Oktober 2013 diesen Weg der Abrechnung versperrt. Das Krankenhaus kann bei Notfällen gar nicht mehr im Nachgang abrechnen. Die ganze Schiene greift nicht mehr. Der Einsatz für den Verlängerten Geheimnisschutz war am Ende vielleicht umsonst?
Es ist tatsächlich so, dass seit diesem Urteil die Krankenhäuser auf ihren Kosten sitzen bleiben. Behandeln müssen sie im Notfall, das steht außer Frage. Sie können aber im Nachhinein den Anspruch nicht realisieren. Andererseits ist es genau diese Situation, die jetzt zusätzlich dafür sorgt, dass endlich Bewegung in die Geschichte reinkommt.
? Wie das?
Die Situation kann ja nicht so bleiben. Und die Krankenhäuser werden zu dem Thema Kostenübernahme bei der Behandlung von Menschen ohne Papiere seit kurzem lauter. Das kann ich mir nur so erklären, dass das etwas mit dem erwähnten Gerichtsurteil zu tun hat. Die Häuser haben ein Interesse daran, dass sich hier die Vorschriftenlage wieder klärt und verbessert.
? Mithin auch von dieser Seite mehr Druck für eine Novellierung der Gesetze?
Ich denke ja. Und es gibt noch einen
Punkt: Das Asylbewerberleistungsgesetz
muss ja auch aufgrund eines weiteren Gerichtsurteils
geändert werden. Weil das
Bundesverfassungsgericht schon 2012
gesagt hat, dass die Leistungen zum Lebensunterhalt
nicht ausreichen, die dort
festgelegt sind.
Wir sagen der Politik natürlich, wenn ihr
jetzt schon novellieren müsst, dann macht
es doch bitte gleich richtig. Wenn schon,
dann muss der verlängerte Geheimnisschutz
umfassend hinein. Und wenn
schon, dann sollte gleich auch ein Anonymer
Krankenschein neu eingeführt werden.
? Geht es nicht noch um mehr? Der Deutsche Ärztetag hat in diesem Jahr gefordert, Asylbewerbern und Menschen ohne Papiere die Regelversorgung zukommen zu lassen und eben nicht mehr nur die eingeschränkten Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz. Wie sehen Sie das?
Wir haben als Menschenrechtsbeauftragte zunächst mal die § 11-Streichung als Minimumforderung formuliert. Uns stört allein schon wegen unseres Berufsrechts die Vorstellung, ärztliche Geheimnisse werden von Ämtern weiter geleitet. Wir haben als Ärzte die Pflicht jeden zu behandeln, unabhängig von seinem Status – und das geht mit der derzeitigen Regelung zur Kostenübernahme eben in der Praxis nicht. Und ich kann Ihnen versichern, wir werden den uns störenden Teil der Weitergabe der Daten des Patienten auf jeden Fall weiter kritisieren.
Das Interview führte BE
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