Einleitung
Schlafbezogene obstruktive Atmungsstörungen sind durch eine nachts wirksame pharyngeale Obstruktion gekennzeichnet. Durch eine Vorverlagerung des Unterkiefers kann die Weite des Oro- und Velopharynx vergrößert werden [1 ]
[2 ]. Unterkieferprotrusionsschienen verlagern die Mandibula und somit auch die suprahyoidalen Muskelansätze und Teile der Zungenmuskulatur nach ventral [3 ]. Sie werden daher seit Jahren zur Therapie schlafbezogener obstruktiver Atmungsstörungen eingesetzt [4 ]. Gemäß den Empfehlungen der American Academy of Sleep Medicine sind Unterkieferprotrusionsschienen geeignet für Patienten mit leichtgradigen schlafbezogenen Atmungsstörungen oder nach einem erfolglosen CPAP-Therapieversuch auch bei mittel- bis schwergradigen Formen [5 ]. Die Therapie der Wahl der obstruktiven Schlafapnoe des Erwachsenen ist die Behandlung mittels Überdruckatmung (continuous positive airway pressure, CPAP) [6 ], allerdings ist bei leichtgradigen Stadien die Akzeptanz von oralen Hilfsmitteln größer [7 ].
Bei regelmäßiger Nutzung einer Unterkieferprotrusionsschiene bessern sich cardiovasculäre Risikoparameter. Die über 24 Stunden gemessenen Blutdruckwerte können sinken, [8 ]
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[10 ]
[11 ]
[12 ]
[13 ] die Gefäßelastizität steigt [14 ], Parameter einer endothelialen Dysfunktion sowie andere serologische cardiovaskuläre Risikowerte bessern sich [15 ]
[16 ]
[17 ], und die kardiovaskuläre Mortalität sinkt [18 ]. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz nimmt die pharyngeale Weite zu [19 ], die Spiegel der atrialen Peptide können sinken [20 ] und über diesen Weg vermutlich auch eine Cheyne-Stokes-Atmung bessern [21 ].
Die Maßanfertigung einer zweiteiligen verstellbaren Unterkieferprotrusionsschiene ist zeit- und kostenaufwändig. Daher sind Prädiktoren zur Wirksamkeit wünschenswert. Höhere Schweregrade einer obstruktiven Schlafapnoe gehen mit einer geringeren Wirksamkeit der Unterkieferprotrusionsschienen einher, ebenso eine relativ kurze untere Gesichtshöhe (posterior lower facial height) [22 ] sowie ein längerer weicher Gaumen [23 ]. Der Lageabhängigkeit einer obstruktiven Schlafapnoe wird ein prädiktiver Wert beigemessen [24 ]
[25 ]. Nach Marklund et al. ist eine positive Wirkung eher bei Frauen sowie bei Männern mit einer lageabhängigen Schlafapnoe mit einem Apnoen-Hypopnoe-Index < 10/h in Seitlage zu erwarten. [26 ]
In dieser Studie wird die Frage geprüft, ob anhand der Höhe des therapeutisch notwendigen CPAP-Wertes auf die Wirksamkeit von zweiteiligen verstellbaren nach Maß angefertigten Unterkieferprotrusionsschienen geschlossen werden kann.
Methoden
Im Rahmen einer retrospektiven Analyse wurden die Daten von 67 Patienten (8 Frauen und 59 Männer) im Alter von (Mittelwert/Standardabweichung) 54,2 ± 12,3 Jahren, einem Body-Mass-Index von 28,6 ± 4,3 kg/m2 und einem Apnoe-Hypopnoe-Index ohne Therapie von mindestens 10/h (21,9 ± 12,3/h) analysiert.
Alle Patienten waren nach Durchlaufen der üblichen ambulanten Diagnostik (Untersuchung beim Hausarzt, Untersuchung beim Facharzt, ambulante Polygrafie) in ein Schlaflabor zur weiteren Diagnostik und Therapieeinleitung eingewiesen worden. Hier wurde eine allgemeine und spezielle (Schlaf, Schnarchen, nächtliche Atempausen) Anamnese erhoben, und alle Patienten wurden körperlich untersucht sowie Gewicht, Größe und Halsumfang gemessen. Die Diagnose und Schweregradeinteilung der obstruktiven Schlafapnoe erfolgte nach üblichen Kriterien [27 ]
[28 ]. Es folgten eine diagnostische Polysomnografie und zwei weitere nächtliche polysomnografische Messungen zur Einleitung einer CPAP-Therapie. Die Messungen umfassten Hirnstromableitungen (C4 A1 , C3 A2 ), Augenbewegungen, Elektromyogramm am Kinn, Atembewegungen des Thorax und des Abdomens mittels piezoelektrischer Gurte, oro-nasaler Flow mittels Thermistor, Pulsoximetrie am Finger (Novametrix 515A, Fa. Heinen + Löwenstein, Bad Ems), Elektrokardiogramm, Schnarchgeräusche sowie Körperlagesensor. Aufgezeichnet wurden die Daten mit dem Schlaflaborsystem Alice 3 (Healthdyne/Fa. Heinen + Löwenstein, Bad Ems), die Auswertung der Schlafstadien erfolgte visuell am Bildschirm [29 ]. Auch die Atmungsstörungen wurden manuell bewertet. Anhand der Schlafzeit und der Anzahl der obstruktiven, gemischten, zentralen Apnoen und Hypopnoen sowie Arousals wurden Apnoe-Indices, ein Hypopnoe-Index, ein Apnoe-Hypopnoe-Index sowie der Arousal-Index errechnet, die die durchschnittliche Anzahl bzw. Summe (Apnoe-Hypopnoe-Index) der jeweiligen Ereignisse pro Stunde Schlaf angeben. Schlafstadien, Verteilung der Stadien und Schlafeffizienz wurden nach den üblichen Empfehlungen [30 ] berechnet.
Außerdem wurden der Apnoe-Hypopnoe-Index, bezogen auf die Körperlage Links/Rechts/Rücken, berechnet. Traten in Rückenlage doppelt so viele Atmungsstörungen auf, verglichen mit dem Mittelwert aus Links- und Rechtsseitlage, wurde die obstruktive Schlafapnoe als lageabhängig eingeordnet.
Alle Patienten waren ursprünglich auf eine CPAP-Therapie eingestellt worden, hatten sich aber aufgrund von Problemen der Durchführung der Druckatmungstherapie eine zweiteilige verstellbare Unterkieferprotrusionsschiene nach Maß anfertigen lassen.
Die Unterkieferprotrusionsschienen wurden von spezialisierten Kieferorthopäden oder Zahnärzten hergestellt. Nach einer Untersuchung der Kiefergelenke und der Zähne wurde mit Hilfe der George-Gauge-Bißgabel der maximal mögliche Vorschub des Unterkiefers ermittelt. Durch eine Konstruktionsbissnahme, die die sagittale und vertikale Position festlegte, wurde der Vorschub der Schiene auf 50 – 75 % dieses Wertes festgelegt. Mittels einer Fernröntgenseitaufnahme wurden die Zungenlage bzw. der Abstand der Pharynxhinterwand vom Zungengrund (PAS) bestimmt. Verwendet wurden zweiteilige verstellbare Schienen Typ IST, H-UPS oder Thornton. Nach Anfertigung der Schiene wurde zunächst der Vorschub auf 30 – 50 % des maximal möglichen Wertes eingestellt und dann wöchentlich um 0,5 mm gesteigert, bis Schnarchen dem Bettpartner nicht mehr auffiel. Störten dauerhafte Schmerzen der Kiefergelenken beziehungsweise der Zähne das Tragen der Schiene zu sehr, wurde der Vorschub 0,5 mm zurückgenommen.
Von allen Untersuchten lagen polysomnografische Messungen vor und unter Therapie mit der Unterkieferprotrusionsschiene vor. Bei jeder Untersuchung erfolgte eine subjektive Einschätzung der Schläfrigkeit mittels der Epworth-Skala [31 ].
Statistische Differenzen wurden mittels des Student-T-Tests für Paardifferenzen geprüft, ein p < 0,05 galt als signifikant.
Ergebnisse
Alle Patienten nutzten nach ihren Angaben bis zur Nachuntersuchung die Unterkieferprotrusionsschiene in jeder Nacht und während der gesamten Schlafzeit. Zwischen der letzten Untersuchung unter der Druckatmungstherapie und der Messung mit der Schiene lagen im Mittel 12 ± 8 Monate.
Der Apnoe-Hypopnoe-Index nahm unter CPAP signifikant von 21,9 ± 12,3/h auf 3,4 ± 4,6/h ab, unter Nutzung der Unterkieferprotrusionsschiene auf 9,7 ± 11,6/h. Die detaillierte Analyse der Verminderung des Apnoe-Hypopnoe-Index bei Nutzung der Unterkieferprotrusionsschiene unter Berücksichtigung des therapeutisch notwendigen CPAP-Wertes ergab, dass mit ansteigendem CPAP-Wert die Wirkung der Unterkieferprotrusionsschienen deutlich abnahm: Der Apnoe-Hypopnoe-Index lag in der Subgruppe der Patienten mit einem CPAP-Wert von 4 mbar unter Nutzung der Schiene bei 6,1 ± 8,7/h und in der Gruppe mit einem CPAP-Wert von mehr als 8 mbar bei 23 ± 9,6/h, siehe [Tab. 1 ] und [Abb. 1 ].
Tab. 1
Demografische Daten (Alter Größe, Body-Mass-Index), Angaben zur Lageabhängigkeit der Schlafapnoe sowie Apnoe-Hypopnoe-Index (Mittelwerte und Standardabweichung) ohne Therapie, mit CPAP-Therapie und unter Nutzung einer Unterkieferprotrusionsschiene, für das Gesamtkollektiv und die nach dem therapeutisch wirksamen CPAP-Wert unterteilten Subkollektive.
n
Alter [Jahre]
Body-Mass-Index [kg/m2 ]
Lageabhängige Schlafapnoe
AHI [/h]
AHI mit CPAP [/h]
AHI mit Schiene [/h]
T-Test CPAP vs. Schiene
alle
67
54,2 ± 12,3
28,6 ± 4,3
72 %
21,9 ± 12,3
3,4 ± 4,6
9,7 ± 11,6
0,001
4 mbar
7
54,0 ± 18,6
25,9 ± 2,9
57 %
18,2 ± 8,7
2,3 ± 2,4
6,1 ± 8,7
n.s.
≤ 5 mbar
11
50,7 ± 10,1
28,6 ± 3,7
36 %
18,0 ± 6,9
1,6 ± 2,0
6,5 ± 8,0
n.s.
≤ 6 mbar
19
54,2 ± 11,5
28,4 ± 3,8
74 %
22,3 ± 14,7
4,9 ± 6,6
10,7 ± 14,1
n.s.
≤ 7 mbar
17
57,2 ± 11,1
29,8 ± 5,4
65 %
19,0 ± 8,5
3,6 ± 4,6
5,8 ± 5,9
n.s.
≤ 8 mbar
7
48,4 ± 15,1
27,5 ± 4,1
86 %
27,2 ± 10,5
2,8 ± 3,6
13,5 ± 16,4
n.s.
> 8 mbar
6
59,3 ± 9,4
29,8 ± 4,7
33 %
34,7 ± 18,7
3,2 ± 2,4
23,0 ± 9,6
0,0006
Abb. 1 Apnoe-Hypopnoe-Indices als Mittelwert und Standardabweichung unter CPAP bzw. unter Nutzung einer Unterkieferprotrusionsschiene in den nach dem effektiven CPAP-Wert unterteilten Subkollektiven.
Der Apnoe-Hypopnoe-Index der Patienten mit lageabhängiger Schlafapnoe verminderte sich unter Nutzung der Unterkieferprotrusionsschiene von 19,8 ± 9,3 auf 8,7 ± 9,7/h, bei denjenigen mit nicht-lageabhängiger Schlafapnoe von 23,3 ± 13,8 auf 10,4 ± 12,8/h. Die Trennung nach Lageabhängigkeit ergibt keine signifikanten Unterschiede.
Bei den Frauen verminderte sich der Apnoe-Hypopnoe-Index unter Nutzung der Schiene von 19,7 ± 6,6 auf 8,6 ± 82/h, bei den Männern von 22,2 ± 12,9 auf 9,9 ± 12,1/h, die Werte sind nicht signifikant different.
Das Körpergewicht änderte sich zwischen den Untersuchungszeitpunkten zwar in Einzlfällen deutlich, aber im Mittel nicht signifikant, um 0,7 ± 6,5 kg. Die subjektive Schläfrigkeit in der Epworth-Skala nahm unter der Therapie mit der Unterkieferprotrusionsschiene um 1,8 ± 3,5 Einheiten ab. Da die Nicht-Toleranz der CPAP-Therapie der Anlass für die Anfertigung der oralen Hilfsmittel war, kann ein Epworth-Wert unter CPAP nicht angegeben werden.
Diskussion
Die Reduktion des Apnoe-Hypopnoe-Index war sowohl unter CPAP als auch bei Nutzung der Unterkieferprotrusionsschiene signifikant, aber ausgeprägter beim Einsatz von CPAP. Bei Unterteilung in Subgruppen entsprechend dem therapeutisch notwendigen CPAP-Wert zeigte sich eine zunehmend geringere Wirkung der Schienen in den Gruppen mit höheren CPAP-Werten. Für das das untersuchte Kollektiv ergab sich ein Sprung zwischen guter und nicht ausreichender Wirkung bei Patienten mit CPAP-Werten zwischen 6 und 7 mbar, wobei aufgrund der hohen Streuung der Werte und der geringen Fallzahl ein signfikanter Unterschied erst bei Werten größer 8 mbar errechnet wird.
Weder eine Lageabhängigkeit der Schlafapnoe noch das Geschlecht waren in dieser Studie prädiktiv, im Gegensatz zu anderen Untersuchungen [24 ]
[25 ]
[26 ]. Eine Erklärung hierfür wären genetisch bedingte morphologische Unterschiede [22 ] bzw. das deutlich größere Untersuchungskollektiv bei Marklund et al. [26 ].
Da höhere therapeutisch notwendige CPAP-Werte eine höhere Kollapsibilität der pharyngealen Atwemwege reflektieren [32 ]
[33 ], ist bei höheren CPAP-Werten mit einer ausgeprägteren Erweiterung des Pharynx zu rechnen. Der mittels einer Unterkieferprotrusionsschiene zu erzielende Vorschub ist durch die Beweglichkeit im Temporo-Mandibulargelenk limitiert. Der CPAP-Wert kann relativ einfach erhöht werden, der im Gelenk mögliche Vorschub hingegen nicht. Diese Modellvorstellung erklärt die Assoziation zwischen der Höhe des CPAP-Wertes und der Prädiktion der Wirkung von Unterkieferprotrusionsschienen.