Einleitung zur Rubrik
In dieser Rubrik geben ausgewiesene Experten Antworten auf Ihre Fragen, die sich nicht
so einfach aus der Literatur beantworten lassen. Wenn Sie also eine außergewöhnliche
Frage haben, auf die Sie schon lange eine Antwort suchen, freuen wir uns auf Ihre
Zuschrift an Gabi.Hasenmaile@thieme.de.
Ask the Expert
Die S2 Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose und der
Lungenembolie“ besagt, dass Patienten mit niedrigem Risiko (hämodynamisch stabil,
keine rechtsventrikuläre Dysfunktion) wie bei einer Venenthrombose antikoaguliert
werden, Patienten mit hohem Risiko systemisch lysiert werden. Patienten mit mittlerem
Risiko, d. h. hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion, sollen in
„ausgewählten Fällen“ einer systemischen Thrombolyse zugeführt werden. Gibt es neue
Daten bzw. Empfehlungen, wie in solchen Fällen pragmatisch vorgegangen werden kann?
Patienten mit Hochrisiko-Lungenembolie (hämodynamisch instabil, kardiogener Schock)
benötigen, abgesehen von kreislaufunterstützenden Maßnahmen, eine sofortige rekanalisierende
Therapie in Form einer Thrombolyse, alternativ einer chirurgischen Embolektomie oder
kathetertechnischen Intervention. Bei Patienten mit „Nicht-Hochrisiko“-Lungenembolie
(LE) wird dagegen eine Thrombolyse nicht routinemäßig empfohlen. Für die meisten dieser
Patienten steht die Antikoagulation mit einem niedermolekularen Heparin (NMH) oder
Fondaparinux in gewichtsadaptierter Dosierung im Vordergrund der Akuttherapie. Allerdings
ist auch ein Teil dieser normotensiven, scheinbar stabilen Patienten durch ein erhöhtes
(intermediäres) Todes- und Komplikationsrisiko gefährdet. In der kürzlich publizierten
multizentrischen, internationalen, doppel-blind 1:1 randomisierten Pulmonary Embolism Thrombolysis Study (PEITHO) wurde untersucht [1], ob normotensive Patienten mit erhöhten Troponin-Plasmakonzentrationen und Nachweis
einer RV Dysfunktion in der transthorakalen Echokardiografie oder Computertomografie
von einer frühen thrombolytischen Behandlung profitieren. Von 1006 eingeschlossenen
Patienten erreichten 41 Patienten (4,1 %) den primären Endpunkt (hämodynamische Dekompensation/Kollaps
oder Tod innerhalb von 7 Tagen). Durch Thrombolyse mit Tenekteplase konnte das Risiko,
den primären Endpunkt zu erreichen, um 56 % (2,6 vs. 5,6 %) reduziert werden (Odds
Ratio: 0,44; 95 % Konfidenzintervall: 0,23 – 0,88). In Übereinstimmung mit der Literatur
entwickelten thrombolysierte Patienten jedoch signifikant häufiger schwere (6,3 vs.
1,5 %) und intrakranielle Blutungen (2,0 vs. 0,2 %) [1].
Daher sollten Patienten, die oben genannte Kriterien eines intermediären Risikos bei
bestätigter akuter LE erfüllen, nicht routinemäßig primär lysiert werden – insbesondere
nicht, wenn sie älter als 75 Jahre sind. Vielmehr sollten sie engmaschig über 48 – 72 h
überwacht werden und erst bei klinischen Zeichen einer Dekompensation thrombolytisch
behandelt werden. Konkret bedeutet das: Diese Patienten werden auf eine „Chest Pain
Unit“, „Coronary Care Unit“ oder „Intermediate Care Unit“ bzw. sogar auf eine Intensivstation
aufgenommen und überwacht. Sie erhalten dort entweder eine Infusion von unfraktioniertem
Heparin (in aPTT-angepasster Dosis) oder ein niedermolekulares Heparin, z. B. Enoxaparin
oder Tinzaparin oder Fondaparinux als ein- bzw. zweimal tägliche subkutane Injektion.
Die empfohlenen Heparindosierungen sind der „Diagnostik und Therapie der Bein- und
Beckenvenenthrombose und der Lungenembolie“ zu entnehmen [2]. 48 – 72 h später kann bei hämodynamischer Stabilität auf einen Vitamin-K-Antagonisten
oder ein neues orales Antikoagulans (Dabigatran, Rivaroxaban oder Apixaban) umgestellt
werden. Falls es dagegen in diesem Zeitraum zu einer klinischen Dekompensation kommt,
sollte eine thrombolytische Therapie durchgeführt werden (z. B. Alteplase in einer
Dosis von 100 mg i. v. über 2 h, davon die ersten 10 mg als Bolusinjektion). Im Anschluss
an die Thrombolyse ist die Heparininfusion oder -injektion über 48 h fortzusetzen;
erst danach kann auf eine orale Antikoagulation umgestellt werden.
Die Ergebnisse von 2 kleinen, randomisierten Pilotstudien lassen annehmen, dass durch
eine niedrigdosierte thrombolytische Therapie (halbierte Alteplase-Standarddosis,
d. h. 50 mg oder weniger) das Auftreten einer erneuten Lungenembolie und/oder eine
persistierende pulmonale Hypertonie reduziert werden könnten – ohne das Risiko signifikanter
Blutungsereignisse [3]
[4]. Diese „Dosisadaptierung“ ist allerdings zum jetzigen Zeitpunkt nicht offiziell
zugelassen und daher nicht allgemein zu empfehlen.
Bei zu erwartendem hohem Blutungsrisiko unter Thrombolyse (primär bedingt durch ein
Alter > 75 Jahre, aber auch z. B. durch postoperativen Status oder schweres Trauma)
können alternativ operative oder interventionelle Rekanalisationsverfahren angewendet
werden. Das Konzept eines neuen Hybridverfahrens, einer ultraschallverstärkten, katheterassistierten,
niedrigdosierten (sog. pharmakomechanischen) Thrombolyse, wurde kürzlich in 2 multizentrischen
klinischen Studien, einer randomisierten Studie an 59 Patienten in Europa [5] und einer einarmigen Studie an 150 Patienten in den USA (NCT01513759; vorgestellt,
aber noch nicht publiziert) untersucht. In beiden relativ kleinen Studien konnte die
Sicherheit dieses Regimes, insbesondere das Fehlen intrakranieller Blutungen, bei
erhaltener Wirksamkeit der lokal applizierten Lyse gezeigt werden.
S. Konstantinides