Einleitung
Die Spirometrie ist eine einfache, schnelle und nicht-invasive sowie preisgünstige
Untersuchung zur Messung von Lungenvolumina und Atemstromstärken. Ihr besonderer Wert
liegt in der Diagnostik der sehr häufigen obstruktiven Ventilationsstörungen und der
Fähigkeit, deren therapeutische Beeinflussbarkeit zu objektivieren. In diesem Sinne
dient sie zur Festlegung des Schweregrades der Obstruktion und hilft bei der Beurteilung
von Therapieerfolg, Krankheitsverlauf und Prognose. Aussagen über andere Störungen
der Lungenfunktion, zu denen der Gasaustausch oder die Funktion der Atempumpe gehören,
sind nicht bzw. nur sehr eingeschränkt möglich: So können Patienten mit Atmungsinsuffizienz
noch nahezu normale spirometrische Kennwerte aufweisen. Mit der Spirometrie wird daher
zwar ein sehr wichtiger, aber eben nur ein Teil der gesamten Lungenfunktion erfasst.
Die Leitlinie ‚Spirometrie‘ hat das Ziel, die Qualität der Durchführung und Interpretation
der Spirometrie flächendeckend zu verbessern. Sie soll allen Ärzten (Pneumologen,
Arbeitsmedizinern, pneumologisch orientierten Internisten und Hausärzten sowie Trägern
der gesetzlichen Unfallversicherung) eine Hilfe für Diagnostik, Verlaufskontrolle
und adäquate Therapie ihrer Patienten sein. Die vorliegende Leitlinie ist eine Weiterentwicklung
der Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga, die zuletzt 2006 veröffentlicht wurden.
Dieses Update wurde erstellt, um die Empfehlungen mit den gewonnenen Erfahrungen und
der heute verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz insbesondere zu den neuen Normwerten
zu aktualisieren. Weiterhin strebt das Update dieser Leitlinie an, die Spirometrie
in einer fachübergreifenden Methodik zu beschreiben.
Die vorliegende Leitlinie wurde von einer Gruppe ausgewählter Fachexperten, die die
Deutsche Atemwegsliga, die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
und die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin vertreten, auf
der Basis der Konsensfindung erarbeitet. Die Leitlinie besteht aus zwei Teilen. In
dem ersten Teil werden die Definitionen der einzelnen spirometrischen Parameter und
die praktische Messung der Lungenfunktion dargestellt. In dem zweiten Teil werden
die Auswertung der Parameter und Bewertung der Ergebnisse ausführlich diskutiert.
Die handlungsorientierten Empfehlungen zu zentralen Fragen der Durchführung und Bewertung
der Spirometrie sind in den Abbildungen dargestellt, die weiteren Informationen und
Hintergründe sind im Fließtext zusammengefasst.
Das Update der Leitlinie Spirometrie wurde in drei Stufen erstellt. In der ersten
Phase wurde durch den federführenden Autor, Prof. Dr. Carl-Peter Criée, eine Rohfassung
für das Manuskript, die den Hintergrundtext sowie die Empfehlungen und Aussagen beinhaltete,
erstellt. Für die Überprüfung und Aktualisierung der Literatur wurde zusätzlich zu
den Expertenmeinungen eine Literatursuche vom Institut für Lungenforschung GmbH durchgeführt.
Die Rohfassung des Manuskriptes wurde an alle Mitglieder der Leitliniengruppe übersendet
und in der Konsensuskonferenz am 21.11. 2013, Frankfurt/M. intensiv diskutiert und
abgestimmt. Die Ergebnisse der Konferenz wurden in das Manuskript eingearbeitet und
erneut allen Autoren zur weiteren Kommentierung und Abstimmung zur Verfügung gestellt.
Die so erhaltenen Zusatzinformationen und die redaktionellen Änderungen wurden durch
den federführenden Autor zusammengefasst und entsprechend umgesetzt. Anschließend
wurde die Leitlinie durch die Autoren angenommen sowie durch die beteiligten Fachgesellschaften
freigegeben.
Definition
Unter Spirometrie versteht man die Messung von (relativen) statischen und dynamischen
Lungenfunktionsparametern sowie Atemflüssen am Mund. Sie kann kontinuierlich zur Messung
der Ventilation oder mittels willkürlicher und maximaler Atmungsmanöver (forcierte
Spirometrie) zur Bestimmung definierter Volumina und Atemstromstärken erfolgen.
Die Messungen erfolgen entweder mit Strömungssensoren, zu denen der Pneumotachograf
(nach Lilly bzw. Fleisch), der Ultraschallsensor oder das Hitzdrahtanemometer zählen,
oder mit Volumensensoren wie der Turbine. Bei Strömungssensoren errechnet sich das
Volumen numerisch aus der Integration der Strömung über die Zeit. Dagegen wird bei
Volumensensoren die Strömung durch Differentiation des erfassten Volumens bestimmt.
Folgende Fragen kann die Spirometrie beantworten:
Liegt eine Atemwegsobstruktion vor?
Ist eine nachgewiesene Atemwegsobstruktion nicht, teilweise oder vollständig reversibel?
(Reversibilitätstest mit Bronchodilatatoren)
Besteht eine gesteigerte Reagibilität des Bronchialsystems? (Provokation mit nichtspezifischen
Pharmaka bzw. spezifischen Substanzen)
Liegt eine Verringerung der spirometrischen Volumina vor? (Restriktion, Überblähung)
Wie verhalten sich die Funktionswerte unter Therapie? (Trend)
Indikationen
Diagnostik von Atemwegserkrankungen (z. B. COPD, Asthma bronchiale)
Dyspnoe, Husten und/oder Auswurf
Screening (Gesundheitsuntersuchung)
Früherkennung von Schäden durch inhalative Noxen
Verdacht auf Erkrankungen von Atemwegen, Lunge oder Herz sowie muskuloskelettale Erkrankungen
mit Auswirkungen auf die Atmung
Verdacht auf Erkrankungen der Atempumpe (Atemzentrum, zugehörige Nerven und Muskeln)
Verlaufsbeobachtung bronchopulmonaler Erkrankungen
Therapiekontrolle bronchopulmonaler Erkrankungen
arbeitsmedizinische Überwachung und Vorsorge (z. B. bei Exposition gegenüber Allergenen,
anorganischen Stäuben, Rauchbelastungen usw. )
präoperative Diagnostik
Absolute Kontraindikationen für forcierte Manöver
Absolute Kontraindikationen für forcierte Manöver
Relative Kontraindikationen für forcierte Manöver
Relative Kontraindikationen für forcierte Manöver
ausgedehnter Pneumothorax (innerhalb der ersten Wochen)
Abdomen-/Thoraxoperation (je nach Befund 1 – 4 Wochen postoperativ)
Augen-/Hirn-/Ohrenoperation (variabel, Rücksprache Operateur)
Besondere Vorsicht ist zudem bei Hämoptysen unklarer Genese geboten.
Messprinzip
Üblicherweise werden heute offene Spirometer auf der Basis der Pneumotachografie (Lilly,
Fleisch), der Hitzdrahtanemometrie, der Ultraschallmesstechnik bzw. Turbinen verwendet.
Bis auf die Turbine messen die genannten Verfahren den Atemfluss.
Anschließend wird numerisch durch Integration des Atemstroms über die Zeit das Atemvolumen
berechnet. (Volumen = ∫ Atemfluss × dt )
Dagegen wird bei Volumensensoren, wie der Turbine, primär der Volumenstrom gemessen
und anschließend die Strömung durch Differentiation des registrierten Volumenverlaufs
bestimmt.
Sämtliche Atemströmungen und -volumina und die daraus abgeleiteten Parameter werden
vereinbarungsgemäß auf BTPS-Bedingungen normiert (BTPS = „body temperature pressure
saturated“, d. h. die erhobenen Daten gelten für 37 °C und 100 % relative Feuchte
beim gegebenen Luftdruck). Exspiratorische Lungenvolumina und Strömungen werden demzufolge
direkt erfasst, während inspiratorische Größen, für die die ATP-Umgebungsbedingungen
gelten (ATP = ambient temperature pressure), auf BTPS korrigiert werden müssen.
Kalibrierung/Verifizierung
Kalibrierung/Verifizierung
Es wird gefordert, dass jedes Spirometer auf seine Messgenauigkeit überprüft wird.
Mindestens einmal täglich, noch vor der ersten Untersuchung, ist das verwendete Messsystem
deshalb zu kalibrieren bzw. zu verifizieren. Pneumotachografen und Hitzdrahtanemometer
werden kalibriert und das Ergebnis der Kalibrierung anschließend verifiziert. Bereits
vom Hersteller werkseitig kalibrierte Sensoren, wie Ultraschallwandler und Turbinen,
erfordern eine tägliche Verifizierung.
Kalibrierung und Verifizierung erfolgen mit einer Kalibrierpumpe, die ein geprüftes/zertifiziertes
Hubvolumen von 1 bis vorzugsweise 3 Litern bei einem Fehler unter 0,5 % hat.
Im wöchentlichen Abstand sollte zusätzlich die Linearität des Messsystems überprüft
werden. Dazu eignet sich die 3-Fluss-Kalibrierung/Verifizierung. Durch Applikation
von niedrigen, mittleren und hohen Flüssen werden 3 Punkte der Sensorkennlinie untersucht.
In wöchentlichem Zyklus ist die regelhafte Überprüfung der Kalibrierung anhand der
bekannten und konstanten Lungenvolumina von gesunden Mitarbeitern sinnvoll. Man spricht
dabei von einer Bioverifizierung.
Eine Überprüfung der Kalibrierung ist zusätzlich durchzuführen, wenn ungeachtet guter
Mitarbeit des Untersuchten und nach Überprüfung der persönlichen Daten ein Ergebnis
nicht plausibel erscheint. Dies kann einen Austausch des Widerstandes bzw. eine Reinigung
des Systems erforderlich machen.
Spirometrische Messparameter
Spirometrische Messparameter
Man unterscheidet zwischen statischen und dynamischen Lungenfunktionsparametern. Unter
den statischen Lungenvolumina versteht man Lungenvolumina, deren Messwerte nicht vom
zeitlichen Ablauf des Spirogramms abhängen (z. B. IVC). Unter dynamischen Lungenfunktionsparametern
versteht man Messwerte, die vom zeitlichen Verlauf abhängig sind (z. B. FEV1 ). Da bei offenen Spirometern die zeitlichen Verläufe der Atemstromstärken und geatmeten
Volumina zur Verfügung stehen, können sie in der Fluss-Volumen-Kurve problemlos zugeordnet
werden ([Abb. 1 ]). Die wichtigsten Parameter sind in [Tab. 1 ] zusammengefasst.
Abb. 1 Statische und dynamische Lungenfunktionsparameter und maximale exspiratorische Flüsse.
a Standardabfolge mit Bestimmung der inspiratorischen Vitalkapazität (IVC) mit nachfolgender
forcierter Spirometrie (siehe Text). b Ablauf bei eingeschränkter Kooperationsfähigkeit (Kinder, Schwerkranke) mit Bestimmung
der IVC nach der forcierten Spirometrie. IRV = Inspiratorisches Reservevolumen, ERV = Exspiratorisches Reservevolumen, VT = Atemzugvolumen,
FRC = Funktionelle Residualkapazität, TLC = Totale Lungenkapazität, IC = Inspiratorische
Kapazität, übrige Parameter wie Tab. 1 .
Tab. 1
Spirometrische Parameter.
Parameter
Definition
Symbol
Einheit
inspiratorische Vitalkapazität
Atemvolumen, welches nach kompletter Exspiration maximal eingeatmet werden kann
IVC (Synonym: VC IN)
L
forcierte Vitalkapazität
Atemvolumen, welches nach kompletter Inspiration forciert maximal ausgeatmet werden
kann
FVC
L
forciertes exspiratorisches Volumen in 1 Sekunde, Einsekundenkapazität
Atemvolumen, welches nach maximaler Inspiration forciert in der ersten Sekunde ausgeatmet
werden kann
FEV1
L
relative Einsekundenkapazität, Tiffeneau-Index
Forciertes exspiratorisches Volumen in 1 Sekunde, ausgedrückt in % der forcierten
Vitalkapazität
FEV1 /FVC
%
maximaler exspiratorischer Spitzenfluss, „Peak flow“
Spitzenfluss bei maximaler exspiratorischer Anstrengung
PEF
L × s−1
[* ]
maximaler exspiratorischer Fluss bei 25 % der FVC
maximale Atemstromstärke nach Ausatmung von 25 % der FVC
FEF25
L × s−1
maximaler exspiratorischer Fluss bei 50 % der FVC
maximale Atemstromstärke nach Ausatmung von 50 % der FVC
FEF50
L × s−1
maximaler exspiratorischer Fluss bei 75 % der FVC
maximale Atemstromstärke nach Ausatmung von 75 % der FVC
FEF75
L × s−1
mittlerer exspiratorischer Fluss zwischen 25 % u. 75 % der FVC
mittlere Atemstromstärke nach Ausatmung von 25 % – 75 % der FVC
FEF25 – 75
L × s−1
* im Peak-Flow-Meter Angabe in L × min−1
Vitalkapazität (VC)
Die Vitalkapazität VC ist die Volumendifferenz, die am Mund zwischen der Atemlage
vollständiger Inspiration (zur Totalkapazität TLC) und der Atemlage vollständiger
Exspiration (zum Residualvolumen RV) gemessen werden kann („Atemhub“). In Deutschland
und einigen europäischen Ländern wird sie in Form der „inspiratorischen Vitalkapazität“
IVC bestimmt. Hierzu wird aus normaler Ruheatmung langsam bis zum RV ausgeatmet und
anschließend zügig – aber nicht forciert – bis zur TLC eingeatmet. In Großbritannien
und Nordamerika wird die Vitalkapazität teils während einer langsamen („relaxed“)
Exspiration vom TLC-Niveau aus mit ansteigender Anstrengung am Exspirationsende gemessen
und liefert die exspiratorische Vitalkapazität (EVC). In der Regel jedoch erfolgt
die Exspiration forciert und führt zur „forcierten exspiratorischen Vitalkapazität“
(FVC). Bei gesunden Probanden besteht keine systematische Differenz zwischen IVC und
EVC. Bei obstruktiven Lungenerkrankungen allerdings kann die IVC deutlich größer sein
als EVC und FVC, und EVC ist in der Regel größer als FVC, infolge von abgeschlossenen
Luftarealen durch Kollaps bei der beschleunigten Exspiration („trapped air“).
Dynamische Lungenfunktionsparameter und maximale exspiratorische Atemstromstärken
Dynamische Lungenfunktionsparameter und maximale exspiratorische Atemstromstärken
Als forcierte Exspiration wird das Manöver bezeichnet, bei dem der Proband zügig bis
zur TLC einatmet und sofort danach, ohne Pause, mit maximaler Anstrengung über mehrere
Sekunden bis zum Residualvolumen ausatmet. Die maximale Muskelkraft soll dabei „schlagartig“
und nicht allmählich aufgebaut werden; daher ist es wichtig, den Patienten anzuhalten,
sich auf einen möglichst „augenblicklichen“ Beginn der forcierten Ausatmung zu konzentrieren.
Bei dem forcierten Exspirationsmanöver – auch Tiffeneau-Test genannt – werden das
forcierte, exspirierte Volumen in der ersten Sekunde (Einsekundenkapazität, FEV1 ) sowie die maximalen exspiratorischen Atemstromstärken (FEFxx) bestimmt. Dabei wird
sowohl das Volumen gegen die Zeit aufgetragen (Volumen-Zeit-Kurve) als auch die Atemstromstärke
gegen das Lungenvolumen (Fluss-Volumen-Kurve) ([Abb. 1 ]).
In der Routine wird die Bewertung der Fluss-Volumen-Kurve bevorzugt, sowohl für die
klinische Interpretation als auch für die Beurteilung der Qualität der Untersuchung.
Wird die forcierte Exspiration verzögert begonnen, sollte der Versuch möglichst wiederholt
werden. Die meisten Spirometer führen in diesem Falle eine Rückextrapolation durch,
um den tatsächlichen Beginn des forcierten Manövers zu bestimmen, insbesondere für
die zeitabhängigen Parameter, wie das FEV1 . Das korrigierte (rückextrapolierte) Volumen sollte in jedem Falle unterhalb von
150 mL liegen. Es wird empfohlen, die automatische Rückextrapolation immer eingeschaltet
zu lassen.
Bei dem forcierten Exspirationsmanöver sind zwei Phänomene zu berücksichtigen:
Die Anstrengungsabhängigkeit („effort-dependence“) Bei der maximalen exspiratorischen Anstrengung sind die exspiratorischen Atemstromstärken
durch die Kompression der Atemwege häufig etwas geringer als bei submaximaler Anstrengung,
was sich insbesondere bei Patienten mit obstruktiver Ventilationsstörung auswirkt.
Da aber die Atemstromstärken bei submaximaler Anstrengung nicht reproduziert werden
können, wird das maximal forcierte Manöver gefordert.
Die Zeitabhängigkeit („time-dependence“) Bei langsamer Inspiration mit einer Pause vor der forcierten Exspiration vom TLC-Niveau
aus sind die Atemstromstärken und das FEV1 bis zu 25 % geringer als bei schneller Inspiration ohne Pause. Grund dafür ist die
mit dem Glottisverschluss verbundene Relaxation der Atmungsmuskulatur, da die Luft
nicht mehr durch Muskelspannung in der Lunge gehalten werden muss. Die höheren Flüsse bei forcierter Exspiration ohne vorherige Pause kommen durch Relaxation
aufgrund der viskoelastischen Eigenschaften der Lunge nach Dehnung zustande, aber
auch durch eine bessere Aktivierung der Exspirationsmuskulatur. Es wird daher eine
zügige Inspiration ohne Pause vor der anschließenden forcierten Exspiration empfohlen.
Dies ist auch deshalb zu beachten, weil eine unterschiedliche Ausführung des Manövers
bei der Beurteilung, ob eine Obstruktion vorliegt, oder beim Bronchodilatationstest
zu Fehlern führen kann.
Parameter zur Erfassung der forcierten Exspiration
Parameter zur Erfassung der forcierten Exspiration
Einsekundenkapazität, forciertes exspiratorisches Volumen in der ersten Sekunde (FEV1 ): Das Volumen, welches nach maximaler Inspiration mittels forcierter Exspiration in
der ersten Sekunde ausgeatmet werden kann, wird als (absolute) Einsekundenkapazität
(FEV1 ) bezeichnet.
Tiffeneau-Index (FEV1 /FVC): Die Einsekundenkapazität in Prozent der Vitalkapazität wird Tiffeneau-Index oder relative
Einsekundenkapazität genannt. Es wird empfohlen, die FVC als Bezugsgröße zu wählen.
Spitzenfluss (PEF): Der Spitzenfluss PEF (Peak Expiratory Flow) ist die maximal erreichbare Atemstromstärke
bei forcierter Exspiration (der Fluss, mit dem man „Kerzen ausbläst“). Er kann an
der Fluss-Volumen-Kurve unmittelbar abgelesen werden. Das Messergebnis hängt, wie
bei allen Atemstromstärken, stark von der Mitarbeit des Patienten ab.
Forcierte exspiratorische Flüsse bei xx% der Vitalkapazität (FEFxx %): Trägt man in die Fluss-Volumen-Kurve die Volumenfraktionen ein, bei der jeweils ein
Viertel der gemessenen forcierten Vitalkapazität ausgeatmet wurde, kann man an diesen
Stellen die zugehörigen maximalen Atemstromstärken ablesen: So erhält man Werte für
die maximalen exspiratorischen Flüsse FEF25 , FEF50 und FEF75 (jeweils bezogen auf den Prozentsatz der ausgeatmeten FVC). Die früher übliche Bezeichnung
MEF bezog sich komplementär auf den Prozentsatz der FVC, der am jeweiligen Viertel
noch ausgeatmet werden kann; somit gilt FEF75 als identisch mit MEF25 . Es wird nicht mehr empfohlen, die Volumengrenzen anhand der inspiratorischen Vitalkapazität
festzulegen, da dies zu Diskrepanzen führen kann, wenn sich IVC und FVC sehr stark
unterscheiden. Die maximalen exspiratorischen Flüsse gegen Ende der Exspiration (FEF50 und FEF75 ) sind empfindliche Indikationen für jede Art von Veränderungen in den kleinen Atemwegen.
Bei normaler oder annähernd normaler FEV1 können sie visuell als konkave Deformierung der Fluss-Volumen-Kurve qualitativ erfasst
werden. Der Bezug auf die jeweilige FVC und die deutlich schlechtere Reproduzierbarkeit
schmälern allerdings ihre Verwendbarkeit für die Beurteilung des bronchodilatatorischen
Effektes. Bei Patienten nach Transplantation kann z. B. ein im Verlauf abnehmender
FEF75 -Wert ein Hinweis auf eine Abstoßungsreaktion sein.
Mittlere maximale exspiratorische Atemstromstärke zwischen 25 % und 75 % der FVC (FEF25 – 75 ): Die mittlere maximale (forcierte) exspiratorische Atemstromstärke, die zwischen 25 %
und 75 % der forcierten Vitalkapazität erzielt wird, wird als FEF25 – 75 bezeichnet. Dieser Parameter gilt als sensibel zur Erkennung einer beginnenden Atemwegsobstruktion,
ein Vorteil gegenüber der Bestimmung von FEF50 oder FEF75 ist allerdings nicht belegt.
Da die PEF-Variabilität gut mit dem Schweregrad der obstruktiven Ventilationsstörung
einer asthmatischen Erkrankung korreliert, wird er zur Verlaufs- bzw. Therapiekontrolle
genutzt. Hierzu misst der Patient mit Hilfe eines Peak-Flow-Meters mehrmals täglich
den PEF zu Hause, insbesondere bei akuter Atemnot oder Instabilität der Erkrankung.
Es ist zu beachten, dass die weit verbreiteten Peak-Flow-Meter ihre Messergebnisse
in L × min−1 und nicht in L × s−1 anzeigen. Während beim Lungenfunktionsmessplatz der tatsächliche Spitzenfluss gemessen
wird, bestimmt das Peak-Flow-Meter die Kraft der Ausatmung, die in Strömungseinheiten
angegeben wird. Differenzen zwischen beiden Methoden sind nicht relevant, da mit dem
Peak-Flow-Meter intraindividuell die Peak-Flow-Variabilität erfasst werden soll.
Durchführung der Untersuchung
Durchführung der Untersuchung
Der Patient sollte beengende Kleidungsstücke öffnen bzw. ablegen.
Die Körpergröße sollte gemessen werden (Angaben der Patienten häufig fehlerhaft).
Die Messung erfolgt im Sitzen, da sich alle Normalwerte auf die sitzende Position
beziehen. Es gibt spezifische Indikationen für die Durchführung im Liegen.
Die Nase wird mit einer Nasenklemme luftdicht verschlossen.
Der Patient nimmt das Mundstück bzw. den Filter vor dem Strömungssensor zwischen die
Zähne, die Zunge liegt unter dem Mundstück. Die Modalitäten können je nach verwendetem
Mundstück/Filter variieren.
Der Patient wird aufgefordert, die Lippen fest um das Mundstück zu schließen. Dabei
ist insbesondere auf den Lippenschluss an den Mundwinkeln zu achten!
Nach einigen ruhigen und gleichmäßigen Atemzügen auf FRC-Niveau soll der Patient langsam
maximal ausatmen. Ohne zeitliche Limitation wird ein deutliches Plateau im Spirogramm
angestrebt. Danach erfolgt eine zügige vollständige Inspiration zur Bestimmung der
inspiratorischen Vitalkapazität IVC.
An dieses Manöver schließt sich ohne Pause eine forcierte und maximale Exspiration
bis zum RV an. Um das RV bei langsamer und vor allem bei forcierter Exspiration möglichst
zu erreichen, kommt es darauf an, so lange wie möglich auszuatmen, bis ein deutliches
Plateau im zeitlichen Volumenverlauf sichtbar wird. Dies fällt vor allem Patienten
mit einer obstruktiven Ventilationsstörung und Kindern schwer. Es ist nachgewiesen,
dass Exspirationszeiten oberhalb von 15 s nicht wesentlich zur Verbesserung der Volumenregistrierung
beitragen. Aus diesem Grunde kann der Versuch nach dieser Zeit abgebrochen werden,
um den Patienten zu entlasten. Insgesamt muss der Patient also bei der Folge dieser
Manöver angehalten werden, ausgehend vom FRC sowohl das minimale als auch das maximale
Lungenvolumen (also erst RV, dann TLC, dann wieder RV) wirklich zu erreichen.
Kriterien für eine akzeptable Durchführung der Messung
Kriterien für eine akzeptable Durchführung der Messung
Die Akzeptanz-Kriterien sind in den [Tab. 2 ] und [Abb. 2 ] zusammengestellt.
Tab. 2
Kriterien für eine repräsentative forcierte Exspiration (mit ATS/ERS-Kriterien 2005)[* ].
Reproduzierbarkeitskriterien
Die Differenz zwischen dem größten und zweitgrößten Wert:
Akzeptanzkriterien
Der maximale exspiratorische Spitzenfluss („Peak flow“ PEF) soll innerhalb von 120 ms
erreicht werden (steiler Anstieg).
keine Artefakte (Husten, Glotisschluss, Leckagen, vorzeitige Beendigung, unterschiedliche
Anstrengung)
* Miller et al.: Standardisation of spirometry; ATS/ ERS task force; Eur Respir J 2005;
26: 319 – 338
** Bei FEV1 und FVC < 1 L darf die Differenz nicht mehr als 100 mL betragen.
Abb. 2 Kriterien für die Reproduzierbarkeit der registrierten Messungen (Versuche).
Das jeweilige Exspirationsmanöver des Erwachsenen sollte mindestens 6 s betragen und
ist korrekt beendet, wenn sich das Volumen über mindestens 1 s um weniger als 25 mL
ändert. Wenn das reine Zeitkriterium (mindestens 6 s) nicht erfüllt wird, z. B. bei
Kindern und Patienten mit Lungengerüsterkrankungen, ist die Messung bei Erreichung
eines Plateaus trotzdem akzeptabel.
Um die Reproduzierbarkeit (repeatability) – und damit die Güte der Mitarbeit – bestimmen
zu können, müssen mindestens 3 Versuche durchgeführt werden. Hierbei dürfen sich die
Ergebnisse des besten und zweitbesten Versuches für FEV1 und FVC um nicht mehr als 5 % (bei einer FVC < 1 L um nicht mehr als 100 mL) unterscheiden.
Hohe Reproduzierbarkeit ist trotz guter Mitarbeit nicht erreichbar, wenn durch die
forcierten Manöver ein „Spirometer-Asthma“ induziert wurde. Dieses ist bei nur 3 Versuchen
selten, die Wahrscheinlichkeit steigt aber mit der Zahl der Versuche, weil bei entsprechend
disponierten Patienten jede forcierte Exspiration eine Art von Bronchoprovokation
darstellen kann. Solange nicht drei akzeptable Atmungsmanöver dokumentiert und die
Akzeptabilitätskriterien nicht erfüllt sind, sollten weitere Atemmanöver durchgeführt
werden, jedoch nicht mehr als insgesamt 8. Verstöße gegen die Akzeptanzkriterien müssen
dokumentiert werden (soweit möglich, automatisch von der Mess-Software), und die vom
Untersucher beurteilte Güte der Mitarbeit muss auf dem Untersuchungsprotokoll notiert
werden (Muster in [Tab. 3 ], Beispiele auf den [Abb. 3 ] und [Abb. 4 ]).
Tab. 3
Dokumentation Mitarbeit und technische Qualität.
Mitarbeit
Technische Qualität
einwandfrei
Messung fehlerfrei
gut
Messung ohne relevante Fehler
eingeschränkt wegen mangelndem Verständnis
Messung noch brauchbar
eingeschränkt wegen Hustenreiz
Messung teilweise fehlerhaft
eingeschränkt wegen fehlender Koordination
Messung mit großen Fehlern
eingeschränkt wegen mangelnder Kraft
eingeschränkt wegen Schmerzen
eingeschränkt wegen mangelnder Bereitschaft
Abb. 3 Fehlerzeichen (gelber Kurvenbereich = optimale Mitarbeit).
Abb. 4 Fehlerzeichen (gelber Kurvenbereich = optimale Mitarbeit).
Auswertung
Die höchsten Werte für IVC, FEV1 und FVC werden aus allen Manövern ermittelt, die die o. g. Akzeptanz- und Reproduzierbarkeitskriterien
erfüllen. Die maximalen exspiratorischen Atemstromstärken werden aus der besten Fluss-Volumen-Kurve,
d. h. aus derjenigen mit der größten Summe aus FEV1 und FVC, bestimmt.
Die ausgewählte Kurve ist numerisch und grafisch zu dokumentieren. Um die Reproduzierbarkeit
zu dokumentieren, bieten sich zwei Möglichkeiten an: Man notiert die Reproduzierbarkeit
als numerischen Wert, oder/und man dokumentiert alle akzeptablen Fluss-Volumen-Kurven
grafisch. Die grafische Darstellung muss jederzeit eine erneute Formanalyse ermöglichen.
Nicht empfohlen wird die sogenannte Hüllkurve. Dabei werden die Fluss-Volumen-Kurven
am Ausgangspunkt der forcierten Exspiration (TLC) übereinandergelegt und eine hypothetische
Maximalkurve konstruiert; die Maximalflüsse werden dann von der Maximalkurve abgelesen.
Die Maximalkurve ist eine konstruierte, fiktive Kurve, die nie realiter geatmet wurde,
und daher problematisch.
Bedeutung der inspiratorischen Parameter
Bedeutung der inspiratorischen Parameter
Die neuen Normalwerte (s. u.) und internationalen Empfehlungen zur Spirometrie beziehen
sich nur auf exspiratorische Parameter. So wurde international die Vitalkapazität
nur in Form der forcierten (exspiratorischen) Vitalkapazität (FVC) und nicht als inspiratorische
Vitalkapazität (IVC) gemessen, obwohl diese gerade bei Patienten mit Atemwegsobstruktion
größer ist als die FVC. Auch für andere inspiratorische Parameter existieren keine
Normalwerte, ihre Messungen können trotzdem von Vorteil sein.
Das Volumen, welches bei einer forcierten Inspiration beginnend vom Residualvolumen
in 1 Sekunde eingeatmet wird, wird als FIV1 bezeichnet. Ihre Bestimmung kann nicht unmittelbar im Rahmen der routinemäßigen Spirometrie
integriert werden, da sie ein separates Atemmanöver erfordert. Dieses forcierte Inspirationsvolumen
in 1 Sekunde beträgt bei gesunden Probanden ca. 95 % der IVC. Es ist ein Maß für die
inspiratorisch wirksame Obstruktion und für die inspiratorisch wirksame Muskelkraft,
die mit der Dyspnoe korreliert ist. So ist z. B. bei mittel- bis schwergradiger COPD
die Besserung der Dyspnoe nach Inhalation eines Betamimetikums mit einer Zunahme der
inspiratorischen Einsekundenkapazität (FIV1 ) verbunden. Die Zunahme der FIV1 erklärt sich aus der Abnahme der inspiratorisch wirksamen Obstruktion und der Reduktion
der Lungenüberblähung, die wiederum zu einer Zunahme der Inspirationskraft führt.
Häufig ändert sich bei schwerer COPD die FIV1 stärker als die exspiratorischen Parameter, die sich aufgrund des Atemwegskollapses
kaum ändern können.
Zur Inhalation aus Pulversystemen ist immer ein inspiratorischer Mindestfluss erforderlich.
Durch die Messung des inspiratorischen Spitzenflusses (PIF) kann abgeschätzt werden,
ob die Patienten in der Lage sind, aus einem Pulversystem suffizient zu inhalieren,
wobei natürlich der Widerstand des Pulversystems genauso zu berücksichtigen ist. Auch
die Messung des inspiratorischen Spitzenflusses erfordert ein separates Atemmanöver.
Das Residualvolumen (RV) ist mittels Spirometrie nicht messbar. Ein hohes Residualvolumen
bei obstruktiver Ventilationsstörung, auch „statische Überblähung der Lunge“ genannt,
kann durch Messung der inspiratorischen Kapazität (IC) abgeschätzt werden. Darunter
versteht man das Volumen, das aus der Atemruhelage maximal einatembar ist, also das
Volumen zwischen FRC und TLC ([Abb. 1 ]). Es sollte der Mittelwert aus 3 Manövern zur Auswertung kommen. Die inspiratorische
Kapazität ist ein aus der Spirometrie, d. h. ohne Ganzkörperplethysmografie gewinnbares
Maß zur Abschätzung der spirometrisch ansonsten nicht erfassbaren Lungenüberblähung.
Die Besserung der Lungenüberblähung unter Bronchodilatation kann daher durch die Bestimmung
der IC gemessen werden, die Besserung der IC geht auch mit einer Besserung der Dyspnoe
einher. Eine Verminderung der IC auf unter 25 % der TLC ist mit einer ungünstigen
Prognose verbunden.
Stenosen in den extrathorakalen Atemwegen drücken sich in höherem Maße auf die Inspiration
aus, sodass die Flusslimitation, die durch die oberen Atemwege bedingt ist, in den
forcierten Inspirationsmanövern sichtbar wird (s. u.).
Normalwerte
Bei den bisher in Deutschland verwendeten Normalwerten handelt es sich um die sogenannten
EGKS-Werte (Europäische Gesellschaft für Kohle und Stahl), welche zuletzt 1993 von
der European Respiratory Society (ERS) publiziert wurden [1 ]. Die [Tab. 4 ] zeigt die Regressionsgleichungen zur Berechnung der entsprechenden Sollwerte.
Tab. 4
Regressionsgleichungen (EGKS-Werte) für Lungenvolumina und exspiratorische Atemstromstärken
für Erwachsene im Alter von 18 – 70 Jahren.
Mittelwert-Gleichung
1,64 × RSD
Männer
IVC
(L)
6,10 KG − 0,028 A − 4,65
± 0,92
FVC
(L)
5,76 KG − 0,026 A − 4,34
± 1,00
FEV1
(L)
4,30 KG − 0,029 A − 2,49
± 0,84
PEF
(L × s−1 )
6,14 KG − 0,043 A + 0,15
± 1,99
FEF50 = MEF50
(L × s−1 )
3,79 KG − 0,031 A − 0,35
± 2,17
FEF75 = MEF25
(L × s−1 )
2,61 KG − 0,026 A − 1,34
± 1,28
FEV1 / VC (%)
−0,18 A + 87,21
± 11,8
Frauen
IVC
(L)
4,66 KG − 0,024 A − 3,28
± 0,69
FVC
(L)
4,43 KG − 0,026 A − 2,89
± 0,71
FEV1
(L)
3,95 KG − 0,025 A − 2,60
± 0,62
PEF
(L × s−1 )
5,50 KG − 0,030 A − 1,11
± 1,48
FEF50 = MEF50
(L × s−1 )
2,45 KG − 0,025 A + 1,16
± 1,81
FEF75 = MEF25
(L × s−1 )
1,05 KG − 0,025 A + 1,11
± 1,13
FEV1 /VC (%)
−0,19 A + 89,10
± 10,7
KG = Körperlänge in m, A = Alter in Jahren. Zwischen 18 und 25 Jahren wird in die
Sollwertgleichung das Alter 25 eingesetzt. Das 5. Perzentil errechnet sich durch Subtraktion
von 1,64 × RSD (residuale Standardabweichung) vom errechneten Mittelwert (z. B. ist
der untere Grenzwert für IVC bei Männern: mittlere IVC − 0,92 L) Sollwerte für Kinder in: Lindemann H., W. Leupold, Lungenfunktionsdiagnostik bei Kindern,
Kohlhammer, Stuttgart 2003.
Die EGKS-Werte entsprechen weder epidemiologisch (hochausgewählte Populationen) noch
biostatisch (unzureichende Regressionsanalysen) den heutigen Anforderungen. Die Global
Lung Initiative (GLI) publizierte 2012 spirometrische Referenzwerte, basierend auf
qualitätskontrollierten Messungen in verschiedenen Ländern (74 187 gesunde Probanden,
Alter 3 – 95 Jahre) [2 ]. Die GLI erstellte Referenzgleichungen für folgende Parameter:
Im Gegensatz zu den EGKS-Daten zeigten sich bei der GLI u. a. folgende Unterschiede:
bis zu 10 % höhere Werte der FVC und FEV1 im mittleren und höheren Lebensalter
Die ethnische Gruppenzugehörigkeit beeinflusst die Lungenfunktion.
Die absolute Streuung der Messwerte variiert. Im Altersbereich von 15 bis 45 Jahre
ist sie am niedrigsten, unter und oberhalb nimmt sie altersabhängig zu.
Notwendigkeit der separaten Errechnung der Normalwerte sowie des unteren Grenzwertes
(engl. lower limit of normal, LLN)
Die Referenzgleichungen sind komplex und erfordern den Einsatz spezieller Software
(kostenlos unter www.lungfunction.org ).
Weit verbreitet ist das Vorgehen, einen pathologischen Grenzwert anhand fester Prozentangaben
des Mittelwertes zu definieren (z. B. ≤ 80 %). Dieses Verfahren ignoriert jedoch die
unterschiedliche Streubreite der Normalwerte. Will man diese berücksichtigen, kommt
man zu Perzentilen. Mittels Perzentilen kann man den Bezug des Untersuchungsergebnisses
eines gewählten Parameters zu seiner statistischen Verteilung im Rahmen der Normalpopulation
in %-Schritten herstellen.
Als LLN wird gewöhnlich das 5. Perzentil definiert. Dies bedeutet, dass lediglich
5 % der gesunden Bevölkerung einen Messwert unterhalb des LLN aufweisen. Die Lungenfunktionswerte
Gesunder zeigen näherungsweise eine Normalverteilung; mathematisch ergibt sich daraus,
dass das 5. Perzentil (z. B. für die FVC in Litern) dem Sollmittelwert (z. B. in Litern)
minus 1,645 multipliziert mit der Streuung entspricht.
Innovationen des Ansatzes der GLI gegenüber EGKS bestehen darin, dass
die Populationen umfangreicher und breiter gewählt wurden,
die Gleichungen zur Bestimmung des Sollmittelwertes genauer sind und
ein gleitender Übergang vom Kindesalter in den Erwachsenenbereich besteht [12 ].
Um eine ja/nein-Entscheidung zu ermöglichen, findet der sogenannte „Z-Score“ Anwendung
(abgeleitet von der Bezeichnung einer standardisierten Normalverteilung als „Z-Verteilung“).
Der Z-Score gibt an, um wie viele Standardabweichungen ein bestimmter Messwert vom
Sollmittelwert abweicht. Beispielweise entspricht Z = 0 genau dem Sollmittelwert und
Z = −2 bedeutet, dass der Messwert 2 Standardabweichungen unterhalb vom Sollmittelwert
liegt. Die [Abb. 5 ] und [Abb. 6 ] illustrieren diese Sachverhalte. Jedem Z-Score kann stets ein bestimmtes Perzentil
zugeordnet werden; Perzentilen und Z-Scores sind also gleichwertig und ineinander
umrechenbar. Gemäß der oben genannten Definition des LLN entspricht dem Perzentil
von 5 % ein Z-Score von −1,645, hingegen ein Z-Score von −2,32 einem Perzentil von
1 % usw.
Abb. 5 Perzentile und Z-Scores des Frequenzspektrums der Lungenfunktionsparameter der gesunden
Referenzpopulation. Die spirometrischen Messparameter (hier als Beispiel FEV1 ) sind pathologisch, wenn sie einen Z-Score von geringer als −1,645 aufweisen, damit
liegen sie unter dem 5. Perzentil, welches dem unteren Grenzwert (lower limit of normal,
LLN) entspricht. Einzelheiten siehe Text.
Abb. 6 Beziehung zwischen Z-Score und Perzentilen (―).
Die LLN ist dazu gedacht zu entscheiden, ob mit der Wahrscheinlichkeit von 95 % ein
pathologischer Wert vorliegt. In der Spirometrie kommen nur negative Z-Scores vor,
da nur Abweichungen vom Normwert „nach unten“ pathologisch sind.
Zusammengefasst: Ist der Z-Score größer oder gleich −1,645, liegt der Messwert nicht im pathologischen Bereich. Z-Scores, die kleiner als −1,645 sind, liegen unterhalb
des 5 % Perzentils entsprechend LLN. Hierbei nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass
ein solcher Messwert bei einem Gesunden vorkommt. Deswegen wurden im Befundausdruck
2 Bereiche festgelegt, wie in [Abb. 7 ] dargestellt.
Abb. 7 Forcierte Spirometrie/Fluss-Volumen-Kurve. Lungenfunktionsprotokoll mit Angabe der
Autoren der Normalwerte sowie der gemessenen Werte (Best) in Bezug zu den Sollwerten
(% (B/S), identisch mit % Soll) sowie Angabe des Z-Scores. Werte unterhalb des Z-Scores
von −1,645 sind orange eingetragen als pathologische Werte, Werte im Normbereich bis
zu einem Z-Score von −1,645 sind grün markiert.
Normalbereich: oberhalb des 5. Perzentils entsprechend Z-Score ≥ −1,645
Pathologischer Bereich: unterhalb des 5. Perzentils entspr. Z-Score < −1,645
Mit zunehmendem Alter nimmt die Streuung der erhobenen Messwerte zu und demzufolge
der Parameterwert für das 5. Perzentil ab, sodass in höherem Alter der untere Grenzwert
(LLN) sogar unterhalb von 70 % des Sollwertes zu liegen kommt. Ferner sollte beachtet
werden, dass bei einzelnen Individuen die Lungenfunktionswerte zunächst oberhalb des
Mittelwertes der Population liegen können, im Verlauf einer Erkrankung möglicherweise
deutlich abfallen (z. B. bei progredienter Lungenfibrose) und dennoch über lange Zeit
noch oberhalb des LLN liegen können. Daher schließen auch normale Z-Scores eine pathologische
Änderung im Einzelfall nicht aus. Aus diesem Grunde bleibt die Verlaufskontrolle der
Lungenfunktionswerte eines bestimmten Patienten (i. e. der intra individuelle Vergleich) stets aussagekräftiger als Querschnittsbeobachtungen mit einmaliger
Messung und Vergleich mit dem Normalkollektiv (i. e. der inter individuelle Vergleich). Hierfür sind die Z-Scores nach GLI besonders gut geeignet,
da sie eine optimal adjustierte Einordnung der Verlaufswerte relativ zur Normalpopulation
selbst innerhalb der LLN erlauben.
Einschränkend muss erwähnt werden, dass weiterhin die EGKS-Werte benutzt werden können
([Tab. 4 ]), solange die neuen Normalwerte der Quanjer GLI 2012 nicht in die gängige Software
implementiert sind.
Bewertung der Spirometrie
Bewertung der Spirometrie
Mittels Spirometrie können unterschiedliche Ventilationsstörungen nachgewiesen und
quantifiziert werden. Charakteristische Veränderungen der Fluss-Volumen-Kurve sind
in den [Abb. 8 ] bis [Abb. 14 ] dargestellt.
Abb. 8 Krankheitszeichen. Leichte Obstruktion.
Abb. 9 Krankheitszeichen. Deutliche Obstruktion.
Abb. 10 Krankheitszeichen. Schwere Obstruktion.
Abb. 11 Krankheitszeichen. Restriktion.
Abb. 12 Krankheitszeichen. Variable extrathorakale Stenose.
Abb. 13 Krankheitszeichen. Variable intrathorakale Stenose.
Abb. 14 Krankheitszeichen. Extrathorakale Stenose. VCD = Vocal cord dysfunction.
1. Obstruktive Ventilationsstörung
Eine obstruktive Ventilationsstörung ist durch eine Verminderung des altersabhängigen
Tiffeneau-Index (FEV1 /FVC) auf Werte unterhalb des 5. Perzentils (Z-Score kleiner als −1,645) definiert.
In den vorhergehenden Empfehlungen wurde das FEV1 auf die inspiratorische Vitalkapazität (IVC) bezogen. Für die IVC existieren allerdings
keine neuen GLI-Normwerte, sodass IVC bei der Quotientenbildung durch FVC ersetzt
wurde. In der Regel ist bei der obstruktiven Ventilationsstörung auch die absolute
Einsekundenkapazität kleiner als ihr Normwert.
Charakteristisch ist die Abnahme der maximalen exspiratorischen Atemstromstärken.
In der klinischen Beurteilung ergibt sich der spirometrische Schweregrad der obstruktiven
Ventilationsstörung aus der Einschränkung der FEV1 ausgedrückt in Prozent des Sollwerts ([Abb. 15 ]). Aufgrund der neuen Normalwerte (GLI 2012) wurde die alte, fünf Bereiche umfassende
Graduierung verlassen. Gemäß der bisherigen Schweregradeinteilung wäre es nämlich
bei älteren Patienten möglich, dass ein gerade eben pathologischer Wert (unterhalb
des 5. Perzentils, LLN) bereits einen Grad II der obstruktiven Ventilationsstörung
zur Folge hätte.
Abb. 15 Obstruktive Ventilationsstörung.
Besonderheiten im Kindesalter
Die forcierte Exspiration ist ein artifizielles Manöver und damit stark mitarbeitsabhängig.
Bei jüngeren Kindern kann die Spirometrie versucht werden, wenn sie in der Lage sind,
willkürliche Atemmanöver durchzuführen und ein Mundstück tolerieren. Das spirometrische
Atemmanöver wird von der Atemmittellage aus geprüft. Die Kinder und Jugendlichen sitzen
in aufrechter Position auf einem Stuhl. Beide Füße stehen sicher auf dem Boden oder
auf einem Hocker. Es werden in der Regel Nasenklemmen verwendet, bei jüngeren Kindern
kann darauf ggf. verzichtet werden. Nach altersgemäßer Erklärung und Demonstration
des Manövers werden die Probanden gebeten, erst ruhig ein- und auszuatmen, dann zügig,
aber nicht forciert einzuatmen, um anschließend forciert, so stark und so lange wie
möglich auszuatmen. Die forcierte Exspiration wird also im Kindesalter mit einem Inspirationsmanöver
eingeleitet, bei dem die inspiratorische Kapazität (IC) vom FRC-Niveau (funktionelle
Residualkapazität) bis zur TLC (Totale Lungenkapazität) eingeatmet wird ([Abb. 1b ]).
Die für Erwachsene gültigen Qualitätskriterien für die forcierte Exspiration finden
ab dem 10. Geburtstag Anwendung. Dabei kann auch in dieser Altersgruppe die Exspiration
vollständig sein, ohne dass eine Exspirationszeit von 6 Sekunden erreicht ist. Daher
kann auf sie zur Beurteilung der Qualität bei visueller Inspektion verzichtet werden
[3 ]. Für die Altersgruppe unterhalb von 10 Jahren sollte die Ausatemzeit mindestens
3 Sekunden betragen, für Kinder jünger als 6 Jahre kann die Spirometrie unabhängig
von der Ausatemzeit verwendet werden, wenn eine technisch akzeptable Kurve vorliegt.
Dies beinhaltet den raschen Anstieg zum Peak-Flow, eine artefaktfreie Ausatmung und
eine vollständige Ausatmung bis zum Residualvolumen. Grundsätzlich gilt, dass eine
visuelle Qualitätskontrolle einer numerischen Bewertung überlegen ist.
Bei Kindern vor dem Schulalter müssen wegen der physiologisch-anatomischen Lungenentwicklung
andere Lungenfunktionsparameter zusätzlich dokumentiert werden. Verglichen mit Schulkindern
und Erwachsenen haben jüngere Kinder relativ große Atemwege im Vergleich zum Lungenvolumen.
Sie leeren ihre Lunge deshalb in kürzester Zeit. Die Exspirationszeit liegt deshalb
auch bei guter Mitarbeit oft deutlich unter einer Sekunde, sodass die FEV1 kein sinnvoller Parameter ist. Die zusätzliche Angabe von FEV0,5 und FEV0,75 wird daher empfohlen. Auch wenn die Ausatemzeit länger als 1 Sek. ist, liegt der
normale FEV1 /FVC-Quotient bei gesunden Kindern bis zum 6. Lebensjahr oberhalb von 0,9. Somit kann
dieser Parameter bei Kindern vor dem Schulalter nicht wie bei Älteren zur alleinigen
Beurteilung einer Atemwegsobstruktion verwendet werden. Eine visuelle Inspektion der
Fluss-Volumen-Kurve (z. B. Vorliegen einer konkaven Deformierung des abfallenden Schenkels
der Exspirationskurve des Fluss-Volumen-Diagramms) ist deshalb obligat, nicht nur
um die Qualität der Messung zu beurteilen, sondern auch um eine mögliche Obstruktion
zu erkennen. Auch ältere Kinder mit persistierendem Asthma bronchiale haben häufig
eine nach Werten „normale“ Lungenfunktion. Eine eindeutige und behandlungsbedürftige
Obstruktion kann auch bei „normalen“ Lungenfunktionswerten vorliegen.
So sollte bereits ein konkaver Verlauf des abfallenden Schenkels der Exspirationskurve
des Fluss-Volumen-Diagramms zu einem Bronchodilatations-Test Anlass geben, auch wenn
die numerischen Werte normal sind. Gerade bei Kindern kann bisweilen erst nach Bronchodilatation
und/oder Bronchoprovokations-Test eine Aussage über das Vorliegen einer obstruktiven
Ventilationsstörung getroffen werden.
Die GLI 2012-Werte ermöglichen altersübergreifend eine Beurteilung ab dem 3. Lebensjahr,
sodass auch die Zeit der Transition vom Jugendlichen zum Erwachsenen ohne Fehler durch
Wechsel der Regressionsgleichungen beurteilt werden kann. Ältere spirometrische Normwerte
sollten nicht mehr verwendet werden. Nur für eine Übergangszeit ist eine vergleichende
Bewertung, gerade bei Langzeitbeobachtung, sinnvoll. Eine noch größere Genauigkeit
der Bewertung kann durch Verwendung nationaler Referenzpopulation, wie sie die LUNOKID-Studie
darstellt, erzielt werden [3 ].
In der LUNOKID-Studie ist die Variabilität aufgrund der strikten Qualitätskontrolle
aller Messungen über alle Altersgruppen gleich, sodass keine Anpassung in den jüngeren
Altersgruppen erfolgen muss.
Im Gegensatz zur GLI kann deshalb, in Kenntnis von Alter und Größe des Kindes, der
jeweilige Median und das lower limit of normal (LLN) des Probanden direkt in einer
Tabelle abgelesen werden [4 ]. Trotzdem wird auch für Kinder und Jugendliche die Verwendung der GLI-Werte empfohlen,
die universell verfügbar sind und die kontinuierliche Beurteilung bis in das Erwachsenenalter
ermöglichen.
Quantifizierung der Obstruktion
Der Schweregrad der Messwerteinschränkung ist repräsentativ für die Obstruktion, muss
aber nicht mit dem klinischen Schweregrad der Erkrankungen wie bei COPD oder Asthma
übereinstimmen. Die Spirometrie-Daten sind nur ein Teil der Surrogatparameter, die
die Beurteilung des klinischen Schweregrades von Asthma oder COPD bestimmen. So wird
z. B. beim Asthma bronchiale zur Unterscheidung von kontrolliertem und unkontrolliertem
Status die Lungenfunktion nicht berücksichtigt ([Tab. 5 ]). Somit kann selbst bei präbronchodilatatorisch gemessener normaler Spirometrie
ein unkontrolliertes Asthma vorliegen, wenn der Patient häufig Anfälle hat. Bei der
Schweregradeinteilung der COPD wird nach internationalen Empfehlungen (GOLD 2011)
das postbronchodilatatorische FEV1 gewählt, um die chronische, persistierende Lungenfunktionseinschränkung als Grundlage
der Beurteilung der Obstruktion heranzuziehen. Das postbronchodilatatorische FEV1 in Prozent des Sollwertes wird neben der anamnestisch zu erhebenden Exazerbationsrate
und der Symptomatik benutzt, um die unterschiedlichen Kollektive A – D zu bilden ([Abb. 16 ]).
Tab. 5
Die Stufen der Asthmakontrolle bei Erwachsenen.
Asthmakontrolle
kontrolliert (alle Kriterien erfüllt)
teilweise kontrolliert (1 Kriterium innerhalb 1 Woche)
unkontrolliert
Symptome
≤ 2× pro Woche
> 2× pro Woche
über 2 Kriterien des teilweise kontrollierten Asthmas innerhalb einer Woche
Einschränkung der Alltagsaktivität
keine
vorhanden
nächtliche Symptome
keine
vorhanden
Einsatz einer Bedarfsmedikation
≤ 2× pro Woche
> 2× pro Woche
Exazerbation
keine
≥ 1× pro Jahr
1x pro Woche
Abb. 16 Kombinierte Bewertung der COPD. Klassifikation A–D.
Bei den internationalen GOLD-Empfehlungen wird eine obstruktive Ventilationsstörung
nicht über das 5. Perzentil, sondern über eine altersunabhängige Reduktion des postbronchodilatatorischen
FEV1 /FVC-Quotienten unter 70 % definiert. Da bei älteren Patienten über 60 Jahre das 5. Perzentil
weit unter diesem Grenzwert liegt, könnte es potenziell (wenn nur die Spirometrie
bei der Diagnosestellung berücksichtigt wird) zu falsch positiven COPD-Diagnosen kommen,
genauso wie im jüngeren Lebensalter unter 40 Jahre das 5. Perzentil oberhalb von 70 %
liegt und damit die Diagnose einer COPD nicht gestellt wird. Die Befürworter dieser
pathophysiologisch nicht korrekten altersunabhängigen Grenze des FEV1 /FVC-Quotienten von 70 % argumentieren, dass diese Grenze einfach und seit Jahren
etabliert ist, man brauche keine Software, um das 5. Perzentil zu berechnen, und man
wisse über das Risiko der Überdiagnostik bei älteren Patienten. Allerdings wird zur
Spirometrie spätestens jetzt nach Implementation der Quanjer GLI 2012-Normalwerte
ohnehin eine Software zur Berechnung des 5. Perzentils benötigt, da diese nicht mehr
in Tabellenform dargestellt werden kann. Auch für FEV1 und FVC benötigt man die Software zur Berechnung des 5. Perzentils, da, wie oben
beschrieben, der untere Grenzwert (LLN) nur bis zu einem Lebensalter von ca. 40 Jahren
bei 80 % des Sollwertes liegt. Mit zunehmendem Alter sinkt der untere Grenzwert (5. Perzentil)
kontinuierlich auf weit unter 70 % des Sollwertes ab.
Weiterhin kann eine obstruktive Atemwegserkrankung auch bei einem normalen FEV1 /FVC-Quotienten bestehen, sodass sie spirometrisch nicht erfasst wird. So wird zur
Diagnostik der COPD bei Patienten mit entsprechendem Verdacht eine ganzkörperplethysmografische
Untersuchung (GKP) mit Bestimmung von FRC, RV, TLC, Raw und sRaw und deren Reversibilität
empfohlen [5 ]. So kann z. B. bei einer hochgradigen Lungenüberblähung die Vitalkapazität stark
vermindert sein, die Totale Lungenkapazität (TLC) ist aber normal oder erhöht, das
Residualvolumen und die FRC sind erhöht, und der spezifische Atemwegswiderstand (sRaw)
ist ebenfalls erhöht [6 ]. Die Kombination von verminderter VC bei normaler oder erhöhter TLC bei normalem
FEV1 /FVC-Quotienten wird auch als Small-Airways-Obstruction-Syndrom beschrieben [7 ], ist aber nur Ausdruck einer massiven Lungenüberblähung, die auch unter dem Überbegriff
„Obstruktion“ subsummiert wird [10 ]. Zur Bestimmung der Reduktion der Gasaustauschfläche (Emphysem) bei der COPD ist
weder die Spirometrie noch die GKP geeignet. Dazu sind die Messung der Diffusionskapazität
oder ein quantitatives CT erforderlich.
Erkrankungen, die mit einer obstruktiven Ventilationsstörung einhergehen, sind in
[Tab. 6 ] aufgeführt. Stenosen in den oberen Atemwegen (z. B. tumorbedingte Trachealstenosen
oder Stimmbandparesen) können zur Plateaubildung in der Fluss-Volumen-Kurve führen,
d. h. große Atemströme werden regelrecht gekappt. Natürlich muss hier eine artifizielle
Stenose am Mundstück durch das Gebiss ausgeschlossen sein. Bei begründetem Verdacht
auf eine zentrale Atemwegsstenose (z. B. stridoröse Atmung) sollte nicht nur die forcierte
exspiratorische, sondern auch die forcierte inspiratorische Fluss-Volumen-Kurve bestimmt
werden, die die Limitierung der Spitzenflüsse in der Regel deutlicher zeigt. Da die
Strömungshindernisse oft mechanisch instabil sind, sind die Fluss-Volumen-Kurven dann
allerdings schlecht reproduzierbar. Beim optischen Eindruck einer exspiratorischen
Plateaubildung in der Fluss-Volumen-Kurve muss an einen Tumor oder an eine Stenose
im Bereich der großen Atemwege gedacht werden.
Tab. 6
Differenzialdiagnosen bei obstruktiver Ventilationsstörung.
Reversibilitätstest mit Bronchodilatatoren
Wird eine obstruktive Ventilationsstörung vermutet, sollte ein Bronchodilatationstest
durchgeführt werden. Die Messungen des FEV1 erfolgen vor und 15 Min. nach Inhalation eines kurz-wirksamen Betamimetikums (z. B.
bis zu 400 µg Salbutamol in 4 separaten Dosen) bzw. vor und frühestens 30 Min. nach
Inhalation eines schnell wirksamen Anticholinergikums (z. B. 160 µg Ipratropiumbromid).
Bei nahezu 4000 gesunden Nie-Rauchern im Alter über 40 Jahren fand sich das 95. Perzentil
(upper limit of normal, ULN) nach Gabe von 200 µg Salbutamol bei einem Anstieg der
FEV1 um mindestens 10 % des Sollwertes bzw. über 12 % des Ausgangswertes [8 ]. In der Praxis ist es aber üblich, auch die absolute Änderung anzugeben, wobei ein
Wert von 200 ml vorgeschlagen wird. Eine sicher positive Reaktion wird bei einem Anstieg
der FEV1 um > 12 % des Ausgangswertes und einem Anstieg über 200 ml angenommen. Je höher die
Reversibilität desto wahrscheinlicher ist die Diagnose eines Asthmas, vor allem bei
entsprechender Klinik. Eine COPD ist aber nur bei einer Normalisierung der Obstruktion
ausgeschlossen. Auch ein negativer Reversibilitätstest schließt ein Asthma bronchiale
nicht sicher aus, da ein Ansprechen zu einem späteren Untersuchungszeitpunkt möglich
ist („variable“ Obstruktion bei Asthma) bzw. der Patient so stabil eingestellt ist,
dass nur im Provokationstest eine asthmatische Entzündung sichtbar wird. Auch bei
COPD-Patienten liegt häufig (bis zu 60 % im Stadium II) ein positiver Reversibilitätstest
vor, allerdings besteht bei den COPD-Patienten eine sehr große Variabilität, so kann
bei bis zu 50 % der Patienten die Reaktion auf den Reversibilitätstest (positiv bzw.
negativ) bei nachfolgenden Untersuchungen verändert sein [9 ].
Bei COPD – im Gegensatz zu Asthma – wird das nach der Inhalation von Bronchodilatatoren
bestimmte FEV1 zur Schweregradeinteilung der Obstruktion verwendet. Bei der Beurteilung der Reversibilität
ist auf die vorausgegangene Karenz von Bronchodilatatoren zu achten (kurzwirksame
Betamimetika und Anticholinergika 6 Stunden, langwirksame Betamimetika und retardierte
Theophyllinpräparate 12 Stunden, langwirksame Anticholinergika 48 Stunden). In [Tab. 7 ] sind unterschiedliche Reversibilitätstestungen bei Obstruktion beschrieben.
Tab. 7
Reversibilitätstestung bei Obstruktion.
Einfache Akutreversibilitäts-Testung
2 Hübe kurzwirksames Betamimetikum, z. B. Salbutamol, Fenoterol, alternativ Formoterol,
Messung nach 15 Minuten oder 160 µg Ipratropiumbromid, Messung nach 30 Minuten
Maximale Akutreversibilitäts-Testung
4 Hübe kurzwirksames Betamimetikum (z. B. 400 µg Salbutamol)
und
160 µg Ipratropiumbromid (Atrovent) (oder 2 Hübe Tiotropiumbromid (mit Respimat) Messung
nach 45 Minuten)
Langzeit-Reversibilitäts-Testung
20 – 30 mg Prednisolon/d oral für 7 – 10 Tage zusätzlich zur inhalativen Therapie
2. Restriktive Ventilationsstörung
Eine restriktive Ventilationsstörung ist durch eine Behinderung der normalen Lungenausdehnung
oder fehlendes Lungenparenchym charakterisiert. Definiert ist sie durch eine Verminderung
der Totalkapazität, die allerdings spirometrisch nicht gemessen werden kann. Eine
verminderte Vitalkapazität alleine kann nicht den Nachweis einer restriktiven Ventilationsstörung
erbringen, da die Vitalkapazität durch Erhöhung des Residualvolumens bei Überblähung
erniedrigt sein kann, ohne dass eine Restriktion (= erniedrigte TLC) vorliegen würde.
Die Bestimmung der Vitalkapazität kann inspiratorisch (IVC) oder bei forcierter Exspiration
(FVC) gemessen werden. Wenn der FEV1 /FVC-Quotient normal oder erhöht ist, ist eine Überblähung (Erhöhung des Residualvolumens)
unwahrscheinlich. Man darf dann bei einer verminderten Vitalkapazität eine restriktive
Ventilationsstörung vermuten. Der spirometrische Schweregrad der restriktiven Ventilationsstörung
ergibt sich aus der Einschränkung der FVC bzw. (wenn untersucht) der IVC, ausgedrückt
in Prozent des Sollwerts ([Abb. 17 ]). Wie bei der obstruktiven Ventilationsstörung ist auch hier die fünfteilige Schweregradeinteilung
wegen der neuen Normalwerte verlassen worden, sodass auch hier jetzt eine dreiteilige
Einteilung empfohlen wird.
Abb. 17 Restriktive Ventilationsstörung.
Man unterscheidet prinzipiell eine pulmonale von einer extrapulmonalen Restriktion,
die jeweiligen Ursachen sind in [Tab. 8 ] zusammengefasst. Die pulmonale Restriktion ist durch eine vermehrte Steifigkeit
(verminderte Compliance) der Lunge bedingt. Daher ist die „Entleerung“ der Lunge bei
forcierter Exspiration durch die erhöhte Retraktionskraft beschleunigt, der Peak-Flow
kaum erniedrigt und die Fluss-Volumen-Kurve exspiratorisch nach außen gewölbt (konvex
verformt). Beim Zustand nach Pneumektomie liegt eine restriktive Ventilationsstörung
vor, wobei die Steifigkeit der verbliebenen Lungenhälfte normal ist. Bei extrapulmonaler
Restriktion ist die Lungenausdehnung trotz normaler Lunge, z. B. durch Atemmuskelschwäche
oder Thoraxdeformität vermindert. Dabei ist die Fluss-Volumen-Kurve kleiner und nicht
verformt. Zur Diagnostik der Atemmuskelschwäche als Ursache einer Restriktion ist
die Bestimmung der maximalen Inspirationskraft und der Blutgase notwendig (siehe Empfehlungen
der Deutschen Atemwegsliga zur Messung der inspiratorischen Muskelfunktion) [14 ].
Tab. 8
Differenzialdiagnosen bei restriktiven Ventilationsstörungen.
Differenzialdiagnosen
a) pulmonal
Diffuse Lungenparenchymerkrankungen
Silikose
Pneumonie
Pneumonitis
Cystische Fibrose (Mukoviszidose)
Bronchiektasie
Linksherzinsuffizienz (oft mit Obstruktion)
b) extrapulmonal
Pneumothorax
Atemmuskelschwäche (z. B. neuromuskuläre Erkrankungen, Myopathien, Steroide, Hyper/Hypothyreose
etc.)
Kyphoskoliose
instabiler Thorax
Pleuraerguss, -schwarte
Zwerchfellparese
Adipositas
c) Zustand nach Pneumektomie
Quantifizierung der Restriktion
Der Schweregrad der restriktiven Ventilationsstörung wird über die Einschränkung der
Vitalkapazität, entweder inspiratorisch (IVC) oder während der forcierten Exspiration
(FVC) gemessen, bestimmt. Statt einer fünfstufigen wird eine dreistufige Einteilung
empfohlen, um zu vermeiden, dass bei älteren Patienten ein eben pathologischer Wert
bereits einen Grad II der Ventilationsstörung zur Folge hätte ([Abb. 17 ]). Auch hier muss nicht der Schweregrad der Ventilationsstörung mit dem Schweregrad
der Erkrankung übereinstimmen. So können z. B. Patienten mit schwerster Hypoxie bei
Lungenfibrose lediglich eine leichte restriktive Ventilationsstörung aufweisen.
3. Differenzialdiagnose bei verminderter Vitalkapazität
Eine verminderte Vitalkapazität ist bei verminderter Totalkapazität (TLC < 5. Perzentil)
Ausdruck einer restriktiven Ventilationsstörung. Eine verminderte Vitalkapazität bei
normaler oder erhöhter Totalkapazität ist Folge einer Lungenüberblähung, die durch
eine Erhöhung des Residualvolumens und der funktionellen Residualkapazität (FRC) ganzkörperplethysmografisch
nachgewiesen wird. Erfahrungsgemäß ist bei einer obstruktiven Ventilationsstörung
mit einem FEV1 /FVC-Quotienten unter 55 % die Verminderung der Vitalkapazität fast immer durch eine
Lungenüberblähung bedingt, wenn nicht andere Hinweise für eine restriktive Ventilationsstörung
bestehen (z. B. Herzinsuffizienz, Kyphoskoliose, Pleuraschwarte, etc.). Allerdings
kann auch eine Lungenüberblähung ohne Verminderung des FEV1 /FVC-Quotienten bestehen. Dies trifft z. B. auf das „Small-Airways-Obstruction-Syndrom“
zu. Nach Behandlung mit Bronchodilatatoren kann eine Obstruktion über den FEV1 /FVC-Quotienten nachweisbar sein, da die IC und damit die FVC zunehmen. Jedenfalls
wird diese Konstellation international als eine Art der obstruktiven Ventilationsstörung
interpretiert ([Abb. 18 ]). Bei dieser Konstellation würde man ganzkörperplethysmografisch bei einer reinen
Lungenüberblähung ohne Obstruktion einen normalen Atemwegswiderstand bei erhöhtem
spezifischem Atemwegswiderstand erwarten, bei obstruktiver Atemwegserkrankung mit
Lungenüberblähung wären Atemwegswiderstand und spezifischer Atemwegswiderstand erhöht
[6 ].
Abb. 18 Vereinfachter Lungenfunktionsalgorithmus für die klinische Praxis (modifiziert nach
[10 ]), wobei TLC nicht spirometrisch messbar ist.
Es gibt allerdings Hinweise, dass bei der Konstellation normale TLC, verminderte FVC
und normaler FEV1 /FVC-Quotient auch nichtobstruktive Erkrankungen vorliegen können, sodass für diese
Konstellation auch der Begriff „nonspecific pattern“ (NSP) gewählt wurde [11 ].
Der früher häufig verwendete Terminus „kombinierte Ventilationsstörung“ für die Kombination
aus eingeschränktem FEV1 /FVC-Quotienten und verminderter Vitalkapazität unterschied nicht zwischen den Differenzialdiagnosen
Restriktion vs. Lungenüberblähung und sollte wegen dieser Ungenauigkeit nicht mehr
verwendet werden. Wenn aber z. B. bei einer restriktiven Ventilationsstörung bei einer
Lungengerüsterkrankung (TLC < 5. Perzentil) der FEV1 /FVC-Quotient durch gleichzeitig bestehende Obstruktion vermindert ist (FEV1 /FVC < 5. Perzentil), wie es z. B. bei der Sarkoidose II + III vorkommt, sollte eine
simultan bestehende restriktive und obstruktive Ventilationsstörung diagnostiziert
werden, die im angloamerikanischen Sprachgebrauch auch „mixed defect“ genannt wird
([Abb. 18 ]). Auch nach Lungenresektion wegen Bronchialkarzinom findet sich diese Konstellation
häufig, wenn das Rauchen nicht nur für den Lungenkrebs, sondern häufig auch für eine
COPD der verbliebenen Lunge verantwortlich ist.
Die den Empfehlungen der American Thoracic Society und der European Respiratory Society
(ATS/ERS Task Force) entnommene Abbildung zur Interpretation der Lungenfunktion zeigt
[10 ], dass zur Diagnose der Restriktion und der Diagnose Obstruktion plus Restriktion
sowie der Lungenüberblähung (unter „Obstruktion“ subsumiert) die ganzkörperplethysmografische
Bestimmung der TLC notwendig ist. Wenn also eine verminderte Vitalkapazität vorliegt,
sollte eine ganzkörperplethysmografische Untersuchung mit Bestimmung von TLC, FRC
und RV erfolgen, wobei, wie oben beschrieben, die Bestimmung des Atemwegswiderstandes
und des spezifischen Atemwegswiderstandes die Diagnostik komplettiert. Wie in [Abb. 18 ] auch ersichtlich, ist die NSP-Konstellation nicht eingearbeitet, hier müssen weitere
wissenschaftliche Arbeiten folgen.
Spirometrie in der Arbeitsmedizin
Spirometrie in der Arbeitsmedizin
Spirometrie im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge
Die Spirometrie ist bei Exposition gegenüber Noxen, die Atemwegs- oder Lungengerüsterkrankungen
verursachen können, sinnvoll. Im Rahmen der Vorsorge ist vor allem die longitudinale
Betrachtung aussagekräftig. Hierfür werden primär die absoluten Messwerte verglichen,
sodass eine Sollwertänderung keinen Einfluss hat. Zur Beurteilung des longitudinalen
Verlaufs der Messwerte im Vergleich zu den Sollwerten müssen bisherige Messwerte auf
Basis der neuen Sollwerte neu berechnet werden. Als Screening für Lungen-/Bronchialkarzinome
bei Exposition gegenüber lungenkanzerogenen Noxen ist die Spirometrie nicht geeignet.
Spirometrie bei Verdacht auf Arbeitsplatz-assoziiertes Asthma bronchiale
Hierfür sind serielle Spirometrien mit und ohne die vermutete ursächliche Exposition
notwendig. Moderne portable Spirometer erlauben es, dass die Probanden zu vom Pneumologen
oder Betriebsarzt vorgegebenen Uhrzeiten mehrmals täglich und über einen längeren
Zeitraum von vier bis fünf Wochen ihre Lungenfunktion selbst messen können (Lungenfunktionsmonitoring).
Durch die Speicherung der Uhrzeit, Zahl der Tests und Registrierung der besten Fluss-Volumen-Kurven
kann nach Übertragung der Daten auf einen Rechner der Verlauf über den Tag und an
Arbeits- versus arbeitsfreien Tagen verglichen werden, um Rückschlüsse auf eine etwaige
Arbeitsplatzbezogenheit zu ziehen. Da der intraindividuelle Verlauf die entscheidende
Zielgröße ist, sind kleinere Abweichungen gegenüber Daten, die in der Sprechstunde
mit anderen Geräten erhoben wurden, hinnehmbar. Stets ist jedoch zu dokumentieren,
mit welchem Gerät die Daten erhoben wurden. Da ein Vergleich der absoluten Messwerte
im Vordergrund steht, hat die Sollwertänderung keinen Einfluss.
Spirometrie bei Berufskrankheiten-Gutachten
Zur Klärung der Kausalitätsfrage wird die Spirometrie neben Bodyplethysmografie, Diffusionskapazität
und Spiroergometrie mit Blutgasen zur Diagnose des Krankheitsbildes und bei spezifischen
Expositionstestungen im Rahmen der Darstellung des Kausalzusammenhangs zwischen Krankheitsbild
und beruflicher Exposition eingesetzt. Im Falle des bestätigten Kausalzusammenhangs
wird die Spirometrie neben Bodyplethysmografie und Diffusionskapazität für die Bewertung
des Parameters „Lungenfunktion“, eines Teilaspekts des medizinisch-funktionellen Anteils
der MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) an dem durch die Berufskrankheit bedingten
Gesundheitsschaden, herangezogen.
GLI-Referenzwerte in der arbeitsmedizinischen Begutachtung
Aus arbeitsmedizinischer Sicht können die aktuellen Referenzwerte im Rahmen der pneumologischen
Begutachtung ab Publikation ohne Übergangsfrist angewendet werden. Die Spirometrie-Leitlinie
trägt jedoch zu einer Vereinheitlichung der Umsetzung der neuen Referenzwerte bei.
Falls die derzeitigen Geräte eine automatische Berechnung nicht ermöglichen, sind
die Referenzwerte und die untere Sollwertgrenze (LLN) jedes Gutachtenpatienten über
die homepage www.lungfunction.org eigenständig zu berechnen.
Die Bemessung des medizinisch-funktionellen Anteils der MdE erfolgt durch Integration
aller in den MdE-Tabellen der Begutachtungsempfehlungen aufgeführten Bewertungsparameter:
Aktenlage, Verlauf der relevanten pathologischen Befunde
Anamnese, Verlauf der Krankheitssymptome
körperlicher Untersuchungsbefund
Lungenfunktion (Spirometrie, Bodyplethysmografie, Diffusionskapazität)
Belastungsuntersuchung
Therapie
Somit stellt die Spirometrie nur ein Kriterium unter vielen dar. Es ist jedoch bei
Anwendung der GLI-Referenzwerte im Rahmen der MdE-Bemessung nach den derzeitigen Begutachtungsempfehlungen
nicht auszuschließen, dass zumindest bei pneumologischen Berufskrankheiten, die potenziell
mit einer restriktiven Ventilationsstörung einhergehen (insbesondere BK 4101 /4102
und BK 4103), die Ergebnisse der Spirometrie bei einigen Versicherten anders einzustufen
sind. Dies betrifft zum einen Versicherte (Fallkonstellation a ), vorrangig jüngeren und mittleren Alters, mit keiner oder niedriger MdE, deren spirometrisch
bewertete Funktionseinschränkung bei erstmaliger Anwendung der im Dezember 2012 publizierten
GLI-Referenzwerte nun höher zu bewerten ist. Zum anderen betrifft es Versicherte (Fallkonstellation b ), vor allem höheren Alters, bei denen bisher als pathologisch eingestufte spirometrische
Messwerte aufgrund der bei Anwendung der GLI-Referenzwerte höheren Streuung im Alter
nun als Normalbefund eingestuft werden müssen.
Nun stellt sich die Frage, ob die Einführung der neuen GLI-Referenzwerte in dem Sinne
zu einer Änderung der MdE-Bemessung führt, dass die MdE beispielsweise bei Versicherten
mit der Fallkonstellation a zu erhöhen und bei Versicherten mit der Fallkonstellation b zu senken wäre. Hiergegen spricht erstens, dass für den einzelnen Versicherten mit
der Einführung neuer spirometrischer Sollwerte keine rechtlich wesentliche Änderung
in den Krankheitsfolgen eingetreten ist. Hiergegen spricht zweitens, dass sich der
Umfang der verminderten Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt allein
durch die Einführung neuer Sollwerte nicht gewissermaßen automatisch ändert. Letzteres
Argument wäre jedoch nur dann relevant, wenn sich die Bewertung der MdE bei pneumologischen
Berufskrankheiten künftig nicht mehr in allererster Linie tradiert am BK-bedingten
Funktionsschaden, sondern am hiermit nicht zwingend direkt korrelierenden Anteil der
durch die BK verschlossenen Arbeitsplätze orientierte.
Darüber hinaus muss eine rechtliche Gleichbehandlung aller Versicherten sichergestellt
sein, die erstmals nach GLI-Referenzwerten beurteilt werden, und zwar unabhängig davon,
ob sie zuvor nach EGKS-Referenzwerten oder zuvor noch überhaupt nicht gutachterlich
untersucht wurden.
Zum Zeitpunkt der Konsentierung dieses Manuskripts ist der Diskussionsprozess zu diesem
Thema noch nicht abgeschlossen.
In der Begutachtung von pneumologischen Berufskrankheiten soll die folgende Graduierung
der spirometrischen Funktionseinschränkungen für die MdE-Tabellen in den Reichenhaller,
Falkensteiner und Bochumer Begutachtungsempfehlungen verwendet werden:
Obstruktive Ventilationsstörung
Wenn FEV1 /FVC < LLN (< 5. Perzentil):
FEV1
Einschränkung
≥ 85 % LLN
leichtgradig
< 85 % LLN und ≥ 55 % LLN
mittelgradig
< 55 % LLN
schwergradig
Restriktive Ventilationsstörung
Wenn TLC < 5. Perzentil:
FVC
Einschränkung
≥ 85 % LLN
leichtgradig
< 85 % LLN und ≥ 55 % LLN
mittelgradig
< 55 % LLN
schwergradig
Diese Graduierung (%LLN) unterscheidet sich bezüglich der Berechnung von den Schweregradeinteilungen
nach [Abb. 15 ] und [Abb. 17 ] (%mittlerer Sollwert). Nach derzeitigen Erkenntnissen sind jedoch bezüglich der
Ergebnisse kaum Unterschiede zu erwarten. Ein Abgleich beider Rechenmethoden an prospektiven
Daten ist geplant.
Lungenfunktionsprotokoll
In [Abb. 7 ] befindet sich ein Vorschlag für ein Lungenfunktionsprotokoll. Bei den spirometrischen
Sollwerten sollten die Autoren der Normalwerte angegeben werden. Der gemessene Wert
wird dann in Prozent des Sollwertes aufgeführt. Da, wie oben beschrieben, aus dem
prozentualen Sollwert nicht auf den Normbereich geschlossen werden kann, sollte in
einer weiteren Spalte der Z-Score angegeben werden. Dies sollte numerisch erfolgen,
weil der Z-Wert direkt angibt, ob sich der gemessene Wert außerhalb des Normbereichs
befindet. Erwünscht ist eine grafische Darstellung des Z-Scores durch Punkte in dem
Feld mit unterschiedlichen Farben, die einen Normalbereich und einen pathologischen
Bereich mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von ≤ 5 % widerspiegeln.
Grenzen der Spirometrie
Die Messung der statischen und dynamischen Lungenfunktionswerte in der Spirometrie
ist bei vielen Erkrankungen hilfreich. Es muss aber klar darauf hingewiesen werden,
dass sie nur einen Teilaspekt der Ventilation misst (insbesondere sind Residualvolumen
und Totale Lungenkapazität nicht zu bestimmen). Zudem sind auch keine Rückschlüsse
auf den Gasaustausch oder die Verteilung der Ventilation erlaubt. Manche wichtigen
pneumologischen Erkrankungen können daher nicht (insbesondere Lungenemphysem) und
manche nur eingeschränkt im Sinne einer klinischen Diagnose diagnostiziert werden,
worauf die [Tab. 9 ] hinweist. Gleichwohl kann die Spirometrie oft wertvolle Hinweise geben, wenn die
Ergebnisse richtig interpretiert werden.
Tab. 9
Grenzen der Spirometrie.
1. Nicht diagnostizierbar mit Spirometrie:
Geeignete Methode:
CO-Diffusionsmessung, Blutbild, Blutgasanalyse in Ruhe und Belastung, quantitatives
CT
2. Eingeschränkt diagnostizierbar mit Spirometrie:
a) Restriktion bei den ab S. 160 beschriebenen Erkrankungen, da die TLC ganzkörperplethysmografisch
gemessen wird.
b) Stenosen im Bereich der Atemwege
Anhang I
Graduierung der Messwerteinschränkung
Die obstruktive Ventilationsstörung ist durch eine Verminderung des Tiffeneau-Index
(FEV1 /FVC) und die restriktive Ventilationsstörung durch Verminderung der Totalen Lungenkapazität
(TLC) auf Werte unterhalb des 5. Perzentils (= LLN) definiert. Zur Schweregradeinteilung
wird aber bei der obstruktiven Ventilationsstörung das forcierte Exspirationsvolumen
in 1 Sekunde (FEV1 ) und bei der restriktiven Ventilationsstörung die inspiratorisch (IVC) oder bei der
forcierten Exspiration (FVC) gemessene Vitalkapazität benutzt. Der Schweregrad der
Messwerteinschränkung stimmt aber nicht mit dem Schweregrad der Erkrankung (z. B.
Asthma oder Lungenfibrose) überein, sondern ist immer nur ein Teilaspekt des gesamten
Krankheitsbildes.
Gemeinsame Empfehlungen der American Thoracic Society und der European Respiratory
Society (ATS/ERS Task Force: Standardisation of lung function testing, Eur Respir
J 26; 2005) haben sowohl für die obstruktive als auch für die restriktive Ventilationsstörung
eine fünfstufige Schweregradeinteilung mittels FEV1 in % des Solls vorgeschlagen, neuere Empfehlungen sind nicht publiziert.
Durch die zunehmende Streuung der Normalwerte der GLI 2012 mit zunehmendem Lebensalter
oberhalb von 45 Jahren (wobei unklar ist, ob dies einem physiologischen Alterungsprozess
entspricht) stellt sich die Frage, ob der Schweregrad der Messwerteinschränkung die
Streuung berücksichtigen sollte. Es wurden 3 Verfahren diskutiert:
Die Beibehaltung der Einteilung in Prozent des Sollwertes des jeweiligen Lungenfunktionsparameters.
Damit wird der altersabhängige Mittelwert, jedoch nicht die altersabhängige Streuung
berücksichtigt. Dabei wird eine dreistufige Schweregradeinteilung empfohlen, um zu
vermeiden, dass bei älteren Patienten ein eben pathologischer Wert bereits einen Grad
II der Ventilationsstörung zur Folge hätte.
Eine Einteilung nach dem Z-Score, der ja die altersabhängige Streuung berücksichtigt.
Dies würde z. B. bedeuten, dass eine Einschränkung von FEV1 auf 50 % des Sollwertes bei einem jungen Patienten (z. B. 30 Jahre) zu einer schweren
Einschränkung (Schweregrad V) führt, bei einem älteren Patienten (z. B. 80 Jahre)
aber nur zu einer moderaten Einschränkung (Schweregrad II), ältere Patienten erreichen
praktisch nie einen Schweregrad V [13 ].
Eine Einteilung bezogen auf das 5. Perzentil (LLN), wobei die Streuung ebenfalls berücksichtigt
wird. Hier wird eine dreistufige Einteilung empfohlen, wobei ein Messwert über 85 %
zu einem Grad I, eine Messwerteinschränkung zwischen 85 % LLN und 55 % LLN zu einem
Grad II und eine Messwerteinschränkung von unter 55 % LLN zu einem Schweregrad III
der Ventilationsstörung führt. Auch hier führt eine identische Einschränkung, bezogen
auf % Soll, bei älteren Patienten zu einer geringeren Einschränkung in % LLN als bei
jüngeren Patienten.
Es sind keine Daten publiziert, die die Überlegenheit der einen oder anderen Graduierung
der Messwerteinschränkung, insbesondere zum klinischen Schweregrad der Erkrankung,
belegen. Bei Patienten mit COPD ist FEV1 % Soll zur Mortalität schwach korreliert, der Z-Score ist deutlich schlechter zur
Mortalität korreliert, für %LLN sind keine Daten publiziert. Es wird daher empfohlen,
in Studien die drei Verfahren auf ihre Wertigkeit in Bezug auf andere Lungenfunktionsparameter
und klinische Parameter bei unterschiedlichen Krankheitsbildern zu untersuchen.
Anhang II
In der Spirometrie eingesetzte Sensortypen:
Bei der Pneumotachografie wird der flussproportionale Druckabfall an einem definierten
Siebwiderstand (nach Lilly) bzw. einem System von Kapillarröhrchen (nach Fleisch)
gemessen und daraus in Analogie zum Ohmschen Gesetz der Atemfluss bestimmt (Fluss = Druckabfall/
Widerstand).
Ein auf Ultraschall basierendes Messsystem bestimmt aus der der Luftströmung proportionalen
Differenz der Laufzeiten diagonal angeordneter Schallwandler den Atemfluss.
Zusätzlich können über die einfache Laufzeitmessung des Ultraschallsignals Informationen
zur Gaskomposition (Molmasse) gewonnen werden.
Bei der Hitzdrahtanemometrie wird ein elektrisch beheiztes Sensorelement durch den
Luftstrom abgekühlt. Der Atemfluss ergibt sich daraufhin durch Messung elektrischer
Größen dieses Sensorelementes.
Turbinen werden durch den Luftstrom in Drehung versetzt. Der gemessene Volumenstrom
ist proportional der Anzahl der Umdrehungen der Turbine, die gezählt werden.