Einleitung
Übergewicht ist auch im Kindes- und Jugendalter keineswegs nur ein kosmetisches Problem,
sondern stellt eine bedeutende Volkskrankheit dar [1]. Zum einen werden aus übergewichtigen Kindern meist auch übergewichtige Erwachsene,
wobei das Risiko mit Alter und Ausmaß des Übergewichts zunimmt. In vielen Untersuchungen
ist eindeutig ein Zusammenhang von Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
Fettstoffwechselstörungen sowie Arthrose belegt (Abb. [1]). Dabei sind die Mortalität und Morbidität umso höher, je früher die Adipositas
im Kindesalter beginnt [2]. Auch das Krebsrisiko ist bei Übergewichtigen deutlich erhöht (Mammakarzinom, Endometriumkarzinom,
Darmkrebs, Prostatakrebs).
Abb. 1 Folgeerkrankungen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter.
Definition der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Definition der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Die Adipositas ist durch einen erhöhten Körperfettanteil definiert. Die Dual-Röntgen-Absorptiometrie
stellt die Methode der Wahl dar, um den Körperfettanteil zu messen. Diese ist jedoch
sehr aufwendig und invasiv, so dass sie für die Praxis ungeeignet ist. Übergewicht
und Adipositas werden daher im Kindes- und Jugendalter anhand alters- und geschlechtsbezogener
Perzentilen für den Body Mass Index (BMI) definiert (Abb. [2] und Abb. [3]).
Abb. 2 BMI-Perzentilen für deutsche Mädchen.
Abb. 3 BMI-Perzentilen für deutsche Jungen.
Definition von Übergewicht und Adipositas anhand der BMI-Werte [
3]
-
Übergewicht: 90. bis 97. Perzentile
-
Adipositas: 97. bis 99,5. Perzentile
-
extreme Adipositas: > 99,5. Perzentile
In Deutschland sind 8,7 % der Kinder und Jugendlichen übergewichtig und weitere 6,3 %
adipös [4]. Dies ist etwa doppelt so viel wie noch vor 25 Jahren. Die Prävalenz von Übergewicht
und Adipositas ist in den Industriestaaten und damit auch in Deutschland jedoch in
den letzten 10 Jahren nicht mehr weiter steigend [5]. Kinder aus der unteren sozialen Schicht und Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund
haben ein höheres Risiko übergewichtig zu werden [4].
Ursachen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Ursachen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Genetische Faktoren, menschliches Verhalten, Umwelt- und Lebensbedingungen sind multifaktoriell
an der Entstehung der Adipositas beteiligt.
Umgebungsfaktoren. Für den dramatischen Anstieg der Prävalenz der Adipositas sind vor allem die deutlichen
Veränderungen von Umgebungsfaktoren verantwortlich. Fehlende Bewegungs- und Spielbereiche
beeinflussen das Bewegungsverhalten der Kinder ungünstig.
Verhalten. Der Grad der körperlichen Aktivität von Kindern wird zudem maßgeblich durch den Grad
der körperlichen Aktivität der Eltern beeinflusst. Der zunehmende Medien- und Fernsehkonsum
hat in den letzten Jahren zu einem deutlichen Rückgang der täglichen körperlichen
Aktivität auch bei Kindern geführt.
Ernährung. Die Prävalenz und das Ausmaß der Adipositas korrelieren mit der Menge des konsumierten
Fetts und dem Anteil gesüßter Getränke. Viele Süßigkeiten und Fast-Food-Gerichte stellen
fettreiche Nahrungsmittel dar. Darüber hinaus nimmt der tägliche Verzehr von beiläufig
konsumierten Lebensmitteln („Snacks“) mit hoher Energiedichte zu.
Psychische Faktoren. Essen wird auch eingesetzt, um Stress und Frust abzubauen, Trauer und Ängste kurzfristig
zu betäuben und Langeweile zu überbrücken. Dieses emotionsinduzierte Essverhalten
führt durch eine Entkopplung der Nahrungsaufnahme vom Hunger häufig zur Aufnahme kalorienreicher
Nahrungsmittel. Familiäre Bedingungen wie Scheidung, elterliche Berufstätigkeit oder
Vernachlässigung können daher ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Genese einer Adipositas
im Kindesalter spielen.
Somatische Erkrankungen. Sie sind als Ursachen des Übergewichts mit einer Häufigkeit von weniger als 1 % sehr
selten [6]. Neben einer genetischen Veranlagung kommen Erkrankungen mit Veränderungen der Hirnregionen,
die unser Sättigungsverhalten bestimmen, wie das Prader-Willi-Syndrom, ein Kraniopharyngeom
oder andere Tumoren im Bereich des Hypothalamus, neben endokrinologischen Erkrankungen
als somatische Ursachen in Betracht.
Medikamente. Adipositas im Kindes- und Jugendalter kann auch durch Medikamente ausgelöst oder
verstärkt werden. Neben systemisch verabreichten Glukokortikoiden führen auch Psychopharmaka
und Antiepileptika wie Valproat, Vigabactrin, Gabapentin und Carbamazepin zu einer
deutlichen Gewichtszunahme, während beispielsweise das Antiepileptikum Topiramat mit
einer Gewichtsreduktion einhergeht.
Chronische Erkrankungen und Behinderungen. Daneben können alle chronischen Erkrankungen und Behinderungen, die mit einer Bewegungseinschränkung
und oder sozialen Isolation einhergehen, zu einer Adipositas führen [7]. So sind beispielsweise Kinder mit Spina bifida, juveniler rheumatoider Arthritis,
aber auch Kinder mit geistiger Behinderung deutlich häufiger übergewichtig als ihre
gesunden Altersgenossen.
Diagnostisches Vorgehen bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Diagnostisches Vorgehen bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Die medizinische Diagnostik der Adipositas im Kindes- und Jugendalter umfasst 3 Schritte:
-
Bestimmung des Ausmaßes des Übergewichts
-
Ausschluss von Grunderkrankungen des Übergewichts
-
Erfassung von Folgeerkrankungen durch das Übergewicht
Ausmaß des Übergewichts
Das Ausmaß des Übergewichts wird durch den Body Mass Index erfasst (s. o.). Ferner
können Hautfaltendickemessungen zur Abschätzung der Körperfettmasse verwendet werden.
Diese Messmethode ist jedoch sehr untersucherabhängig.
Merke: Die Messung des Bauchumfangs in Relation zur Körperhöhe (Waist-to-Height-Ratio) ist
hilfreich, um Kinder mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen zu identifizieren
[8]. Werte > 0,5 zeigen ein erhöhtes Risiko an.
Grunderkrankungen
Adipöse Kinder sind in der Regel größer als ihre Altersgenossen. Daher dienen insbesondere
die Körpergröße und die Wachstumsgeschwindigkeit dem Ausschluss von Grunderkrankungen.
Bei Kleinwuchs oder einer verminderten Wachstumsgeschwindigkeit sollten eine Autoimmunhypothyreose (Schilddrüsenhormone), ein Cushing-Syndrom (Dexamethasonhemmtest), Pseudohypoparathyreoidismus (Serum-Kalzium) und ein Wachstumshormonmangel (entsprechende Stimulationstests) ausgeschlossen werden.
Cave: Bei der Beurteilung von Hormonwerten sind bei adipösen Kindern einige Besonderheiten
zu berücksichtigen. Adipöse Kinder zeigen häufig grenzwertig erhöhte TSH-Werte (< 10
mU/ml) bei hochnormalen fT3 – und fT4-Werten, ohne dass eine Hypothyreose vorliegt
[9]. Eine medikamentöse Therapie ist nicht erforderlich.
Am ehesten handelt es sich dabei um einen Kompensationsmechanismus des Körpers zur
Erhöhung des Grundumsatzes bei Übergewicht. Ferner sind die Kortisolspiegel im Urin
und Blut adipöser Kinder mit metabolischem Syndrom (s. u.) erhöht [10]. Ein Cushing-Syndrom kann nur mittels Dexamethasonhemmtest sicher ausgeschlossen
werden.
Leitsymptome syndromaler Erkrankungen sind Kleinwuchs, geistige Retardierung und Dysmorphiestigmata. Am häufigsten unter
den insgesamt seltenen Syndromen findet man das Prader-Willi-Syndrom und das Bardet-Biedl-Syndrom. Diese und weitere syndromale Erkrankungen sind in Tab. [1] charakterisiert.
Tabelle 1
Einteilung syndromaler Erkrankungen.
|
Syndrom
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Charakteristika
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Syndromale Erkrankungen mit Kleinwuchs
|
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Prader-Willi-Syndrom
|
-
Imprinting-Erkrankung auf Chromosom 15q11 – q13
-
„Floppy Infant“: muskuläre Hypotonie als Neugeborenes und Säugling
-
Trinkschwäche als Säugling, aber Hyperphagie im Kleinkindalter
-
Hodenhochstand
-
z. T. Hypogonadismus
|
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Cohen-Syndrom
|
|
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Alström-Syndrom
|
-
autosomal rezessiv: zu 50 % genetisch nachweisbar
-
charakteristisches Gesicht (tiefliegende Augen, rundes Gesicht, fleischige Ohren,
vorzeitige Stirnglatze, dünne Haare)
-
Lichtscheue und Nystagmus, Erblinden in der Regel ab einem Alter von 12 Jahren
-
sensorineurale Schwerhörigkeit
-
z. T. Hypothyreose, z. T. hypogonadotroper Hypogonadismus
-
kaum entwicklungsretardiert
-
dilatative Kardiomyopathie
-
Typ-2-Diabetes mellitus und metabolisches Syndrom häufig
|
|
Bardet-Biedl-Syndrom
|
-
autosomal rezessiv vererbt, 15 verschiedene Gene betroffen
-
postaxiale Hexadaktylie
-
Retinitis pigmentosa (Makuladegeneration)
-
frühes Nierenversagen (Zystenniere)
-
früher Diabetes mellitus 2
-
chronische Niereninsuffizienz bei polyzystischer Nierenerkrankung
|
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Syndromale Erkrankungen ohne Kleinwuchs
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Fragiles X-Syndrom
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-
Makrozephalie
-
große Hoden
-
große Ohren
-
Intelligenzminderung
|
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Sotos-Syndrom
|
|
Unter den genetischen Erkrankungen spielt der autosomal dominant vererbte Melanocortin-4-Rezeptor-(MC4R-)Defekt die wichtigste Rolle. Dieser ist bei 5 % der adipösen Kinder zu finden [11]. Aufgrund der fehlenden therapeutischen Konsequenz ist von einem generellen Screening
bei adipösen Kindern eher abzusehen.
Folgeerkrankungen
Im dritten Schritt sind die Folgeerkrankungen der Adipositas zu erfassen. Kardiovaskuläre Risikofaktoren sind häufig Folgen der Adipositas (Abb. [4]) und können bereits frühzeitig zu Gefäßveränderungen führen, messbar an der Intima-Media-Dicke
der A. carotis communis im Ultraschall [12].
Abb. 4 Häufigkeit kardiovaskulärer Risikofaktoren bei übergewichtigen deutschen Kindern
[13].
Metabolisches Syndrom
Merke: Treten zentrale (= abdominelle) Adipositas, Fettstoffwechselstörung (Hypertriglyzeridämie
und Hypo-HDL-Cholesterinämie), arterielle Hypertonie und Glukosestoffwechselstörung
gemeinsam auf, so spricht man vom metabolischen Syndrom.
Dieses Clustering von Risikofaktoren, deren gemeinsame pathogenetische Grundlage die
Insulinresistenz darstellt, geht mit einem deutlich erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen
einher. Vor allem adipöse Kinder mit einer arteriellen Hypertonie, Dyslipidämie und
Glukosestoffwechselstörung zeigen eine Verdickung der Intima und Media der A. carotis
communis [14].
Die Insulinresistenz wird vor allem durch Bewegungsmangel und intraabdominelles Fettgewebe
verschlechtert. Mittlerweile ist gesichert, dass Fettgewebe nicht nur ein großes Speicherorgan
für Energie, sondern auch ein sehr aktives endokrines Organ darstellt. Die meisten
im Fettgewebe produzierten Adipozytokine (z. B. Leptin, Retinol-bindendes Protein
4, Visfatin, Resistin) führen zu einer Verschlechterung der Insulinwirkung. Interessanterweise
ist Adiponectin, das einzige die Insulinresistenz verbessernde Adipozytokin, bei der
zentralen Adipositas erniedrigt, wobei die Ursache noch nicht geklärt ist.
Diabetes mellitus Typ 2
Dieser ist charakterisiert durch die Kombination von Insulinresistenz und Insulinsekretionsdefizit.
Eine genetische Prädisposition liegt meist vor, so dass häufig Eltern oder Großeltern
ebenfalls betroffen sind. Die Häufigkeit des Typ-2-Diabetes mellitus ist in Deutschland
parallel zur Adipositas zunehmend. Zurzeit sind etwa 1000 Jugendliche mit Typ-2-Diabetes
mellitus in Deutschland registriert [15]. Aufgrund von Screeninguntersuchungen haben 10 % der adipösen Jugendlichen eine
pathologische Glukosetoleranz (Vorstufe des Diabetes mellitus Typ 2) und 0,5 – 1 %
einen Diabetes mellitus Typ 2 [15].
Cave: Vermutlich ist nur jeder 3. Jugendliche mit Typ-2-Diabetes mellitus bekannt [15]. Da der Diabetes mellitus Typ 2 asymptomatisch ist, sind Screeninguntersuchungen
für adipöse Kinder mit Risikofaktoren (s. u.) sinnvoll.
Die Diagnose eines asymptomatischen Diabetes mellitus Typ 2 nur aufgrund von Laborwerten
muss durch 2 Tests an unabhängigen Tagen erfolgen, da der oGTT eine relativ geringe
Reproduzierbarkeit hat.
Sonstige Folgeerkrankungen
Orthopädische Probleme (z. B. Knicksenkfuß, Genu valgum), Infektionen in den Hautfalten
und endokrinologische Erkrankungen (z. B. relativer Großwuchs, Pubertas praecox und
polyzystisches Ovarsyndrom bei jugendlichen Mädchen [PCOS]) sind bei adipösen Kindern
und Jugendlichen relativ häufig.
Ein PCOS ist gekennzeichnet durch einen Hirsutismus, Hyperandrogenämie und Zyklusstörungen.
Eine Epiphyseolysis capitis (Hüftkopfnekrose) tritt in einer akuten Form mit heftigen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen,
häufiger aber auch als chronische Form mit Hüft- und Kniegelenkbeschwerden auf.
Bei einem Teil der übergewichtigen Kinder (v. a. Jungen) ist auch schon eine Fettleber (nichtalkoholische Steatohepatitis = NAFLD) nachweisbar. Typischerweise sind dabei
die Serumspiegel der Alanintransferase (ALT) höher als die der Aspartattransaminase
(AST). Die Prognose ist meist gut, selten kann die NAFLD jedoch auch in eine Leberzirrhose
münden.
Gallensteine treten vor allem bei einer raschen Gewichtsreduktion auf.
Ein Schlaf-Apnoe-Syndrom als Folge einer extremen Adipositas kann durch die Tagesmüdigkeit und Antriebsarmut
die Adipositas noch weiter verstärken.
Bei Adipositas führen die Stammfettmassen auch zu einer mechanisch induzierten respiratorischen Dysfunktion (AIRD) des unteren Respirationstrakts, die größtenteils für die beobachtete Häufung respiratorischer
Beschwerden bei Adipositas verantwortlich ist.
Untersuchungen bei adipösen Kindern zum Ausschluss von Folgeerkrankungen nach den
Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) [
3]
-
Blutdruckmessung
-
Nüchternbestimmung von Triglyzeriden, HDL- und LDL- Cholesterin sowie Transaminasen
-
oraler Glukosetoleranztest ab Beginn der Pubertät zur Erfassung einer pathologischen
Glukosetoleranz oder Diabetes mellitus Typ 2 bei folgenden Risikofaktoren:
-
Hirsutismus oder Zyklusstörungen: Vorstellung beim pädiatrischen Endokrinologen zum
Ausschluss eines polyzystischen Ovarsyndroms
-
bei Tagesmüdigkeit oder Schnarchen: Schlaflaboruntersuchung
Psychische und soziale Folgen
Adipositas wird von der Gesellschaft gerne als das Ergebnis von Bequemlichkeit und
mangelnder Willenskraft angesehen. Bereits Kindergartenkinder haben ein negatives
Bild adipöser Personen verinnerlicht. Zeigt man Kindern Bilder von normalgewichtigen
und übergewichtigen sowie behinderten Kindern, so beurteilen sie die übergewichtigen
als am unbeliebtesten.
Adipöse Kinder haben ein geringes Selbstwertgefühl. Sie leiden unter Hänseleien ihrer
Altersgenossen und der sozialen Isolation. Rund ein Fünftel aller adipösen Kinder
sind ängstlich, depressiv und haben soziale Probleme.
Im Jugendalter werden soziale und wirtschaftliche Benachteiligungen offenkundig: Adipöse
Jugendliche bekommen schlechtere Ausbildungsplätze und verdienen weniger. Adipöse
Mädchen finden seltener einen Partner.
Merke: Der Leidensdruck adipöser Kinder ergibt sich meist aus den psychosozialen Konsequenzen
und nicht aus den somatischen Folgeerkrankungen, die meist asymptomatisch sind.
Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Da das Körpergewicht vom Bewegungs- und Ernährungsverhalten beeinflusst wird, erscheint
es zunächst plausibel, diese Verhaltensweisen durch Wissensvermittlung und/oder Verhaltenstherapie
verändern zu wollen. Das (Gesundheits-)Verhalten wird jedoch nur zum Teil von unserem
Wissen beeinflusst. Umgebungsfaktoren wie Preis, Werbung und Verfügbarkeit von Lebensmitteln
spielen eine genauso wichtige Rolle für das kindliche Ernährungsverhalten, wie die
Bewegungsmöglichkeiten für Kinder (z. B. Sicherheit des Schulwegs, zeitliche Freiräume
für Bewegung, allgegenwärtige Verfügbarkeit von Fernsehen und Medien) [16]. Alle diese Faktoren entziehen sich jedoch ganz oder weitgehend einem verhaltenstherapeutischen
Zugang oder einer Gesundheitserziehung. Daher kann ein verhaltenstherapeutisches Konzept
immer nur bedingt Einfluss auf unser Körpergewicht nehmen.
Merke: Randomisierte Präventionsstudien in Kindergärten, Schulen und Gemeinden mit hoher
Teilnehmerzahl und guter methodischer Qualität zeigen meist keinen langfristigen Effekt
bezogen auf den BMI. Erfolgversprechend sind nach einer aktuellen Cochrane-Review
nur Projekte mit Einbindung der Eltern [17].
Nichtkognitive Ansätze sind daher in der Prävention (Verhältnisprävention statt Verhaltensprävention)
unbedingt erforderlich. Beispiele hierfür sind Werbeverbot für Lebensmittel in Kindersendungen,
Verbot von Getränkeautomaten mit gesüßten Getränken in Schulen oder Sonderabgaben
für bestimmte Lebensmittel (z. B. „Kinderlebensmittel“ oder Junk Food). Ein Beispiel
für eine effektive verhältnispräventive Maßnahme ist die Trink-Dich-Fit-Studie, bei
der in einer randomisierten Clusteranalyse gezeigt werden konnte, dass durch Verbannung
von gesüßten Getränken aus Schulen die Prävalenz und Inzidenz von Übergewicht gesenkt
werden kann [18]. Weitere sinnvolle Präventionsansätze sind:
Präventionsansätze bei Adipositas
-
Verhinderung von Rauchen in der Schwangerschaft
-
Stillen
-
Verhinderung einer raschen Gewichtszunahme bei Small-for-Gestational-Kindern in den
ersten Lebensmonaten
-
ausreichender Schlaf
-
Reduktion von gesüßten Getränken
-
Reduktion von Fast Food
-
Reglementierung des Medienkonsums
-
Reduktion der Proteinzufuhr in Flaschennahrung
Lebensstilintervention bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Lebensstilintervention bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Schon eine geringe Gewichtsreduktion reicht aus, um eine Verbesserung der medizinischen
Komorbidität der Adipositas zu erreichen. Hierfür genügt es bei wachsenden Kindern,
einen Gewichtsstillstand von 1 Jahr zu erzielen, was einer Reduktion des BMI von 1 – 2 kg/m²
entspricht [19]. Auch die Intima-Media-Dicke der A. carotis communis nimmt bei diesem Maß der Gewichtsreduktion
ab [20].
Die Behandlung adipöser Kindern und Jugendlichen besteht vor allem darin, das Ess-
und Bewegungsverhalten langfristig positiv zu beeinflussen. Einfache Ernährungs- und
Bewegungstipps, basierend auf den Empfehlungen der AGA, können der folgenden Infobox
entnommen werden [3]. Viele weitere Tipps finden sich in entsprechenden Elternratgebern (z. B. [21]).
Tipps für Eltern übergewichtiger und adipöser Kinder
Fernsehkonsum:
-
Stellen Sie keinen Fernseher in das Kinderzimmer.
-
Beschränken Sie die Fernseh- und Computerzeiten auf insgesamt maximal 1 Stunde am
Tag.
-
Gehen Sie mit Ihrem Kind die Fernsehzeitung durch und suchen Sie gemeinsam eine passende
Sendung aus.
-
Vereinbaren Sie mit Ihrem Kind, dass es den Fernseher nach einer gesehenen Sendung
selbständig ausschaltet.
-
Bieten Sie in Ihrer Familie Alternativen zum Fernsehprogramm an, wie Gesellschaftsspiele,
Gespräche und Vorlesen.
Empfehlungen zur Ernährung:
-
Wählen sie ausgewogene und abwechslungsreiche Lebensmittel.
-
Naschen und snacken Sie weniger häufig – dafür aber auf höchstem Niveau und mit Genuss.
Meiden Sie Vorräte!
-
Legen Sie Wert auf regelmäßige, gemeinsame Mahlzeiten in der Familie.
-
Essen Sie langsam und mit Genuss.
-
Bereiten Sie die Mahlzeiten selbst zu, verwenden Sie so wenige Fertigprodukte wie
möglich.
-
Essen Sie nur an einem Platz und vermeiden Sie das Essen beim Fernsehen.
-
Trinken Sie viel (Mineral-)Wasser und ungesüßte Tees statt energiereiche/gesüßte Getränke
wie Limonaden. Verdünnen Sie Fruchtsäfte 1 Teil Saft, 2 Teile Wasser.
-
Setzen Sie keine Nahrungsmittel oder Süßigkeiten als Belohnung ein.
-
Bieten Sie gesunde Zwischenmahlzeiten (z. B. Obst und Gemüse) als Alternative zu Süßigkeiten
an.
-
Besuchen Sie Fast-Food-Restaurants nicht häufiger als einmal pro Woche!
-
Meiden Sie Großpackungen und XXL-Angebote.
-
Versuchen Sie angelerntes Fehlverhalten (zu süß essen, zwischendurch essen o. ä.)
langsam umzugewöhnen.
-
Schauen Sie vor allem bei Kinderprodukten kritisch auf die Inhaltsstoffe.
Bei jeder Anleitung zur Lebensstilveränderung ist jedoch darauf zu achten, die adipösen
Kinder und ihre Familien einfühlend zu behandeln und Ratschläge und direktive Handlungsanweisungen,
die schnell als Vorwurf missverstanden werden können, zu vermeiden. Zwar sind Ratschläge
gut gemeint, allerdings stellen sie schnell eine Kommunikationssituation auf „ungleicher
Augenhöhe“ her. Das Arzt-Patienten-Gespräch sollte nicht arztzentriert sein (Abb. [5]), sondern zwischen gleichberechtigten Partnern stattfinden (klientenzentriertes Gespräch, Abb. [6]).
Abb. 5 Arztzentriertes Gespräch: Arzt (und Eltern) sagen, was das Kind zu machen hat.
Abb. 6 Klientenzentriertes Gespräch: Eltern und Kind folgen nicht nur den Anweisungen des
Arztes, sondern treten gleichberechtigt untereinander in Kommunikation.
Merke: Primär sollte die Familie und nicht der Therapeut Ziele und Therapievorschläge einbringen.
Häufig ist den Familien bewusst, dass das Ernährungs- und Bewegungsverhalten verändert
werden sollte. Trotzdem gelingt dies den Familien nicht. Ratschläge können so zu Frustration
und Überforderung führen. Veränderungen bedeuten jedoch immer ein gewisses Maß an
Instabilität und Verunsicherung. Um dem gegenübertreten und dies aushalten zu können,
braucht es möglichst viel Selbstvertrauen und Motivation. Der Patient bzw. die Familie muss an sich und seinen/ihren Ressourcen und Stärken
glauben, daran, dass es einem selbst möglich ist, das Ziel zu erreichen, etwas zu
verändern.
Günstige Gesprächstechniken zur Förderung von Veränderungsmotivation
Erläuterungen und Beispiele hierzu finden sich bei den Gesprächsbeispielen im folgenden
Kapitel.
Um die Veränderung der Lebensstilgewohnheiten zu unterstützen, ist ferner eine motivierende Gesprächsführung sinnvoll (Abb. [7]). Bei der motivierenden Gesprächsführung ist es hilfreich, das (Problem-)Verhalten
als einen Lösungsversuch zu sehen und – für den Moment – zu akzeptieren, als das,
was den Patienten und Familien bisher in den jeweiligen Lebenskontexten möglich war.
Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass Patienten und Familien motiviert sind, weil
sie selbst zumindest in Teilen ein Problem wahrnehmen und eine diesbezügliche Veränderung wünschen – bei der Unterstützung benötigt wird.
Abb. 7 Methoden, Prinzipien und Ziele der motivierenden Gesprächsführung.
Merke: Bei der motivierenden Gesprächsführung trägt nicht der Therapeut, sondern das Patientensystem
die Hauptverantwortung für die Veränderung.
Die Familie muss die Veränderungen im eigenen Alltag, tagtäglich, schaffen. Diese
Aufgabe wird die Familie nur in ihrem eigenen Tempo und ggf. in ihrer eigenen, möglich
und sinnig erscheinenden Abfolge erfüllen können. Letztlich kann nur der Patient bzw.
das Familiensystem für sich wissen und entscheiden, was wann der erste bzw. nächste
Schritt ist. Dabei ist der Therapeut in der Rolle eines Begleiters, dem es im Idealfall gelingt, (neue) Handlungsspielräume mit zu eröffnen.
Merke: Zentrale Ziele im Rahmen der Gesprächsführung bei Adipositas sind die Förderung von
Veränderungsmotivation und die Unterstützung bei der Festlegung konkreter (Teil-)Ziele.
Ziele sollten konkret, präzise und verhaltensbezogen, sein. So wird die Umsetzung im Alltag erleichtert,
wenn bereits klar ist, was genau jemand wann, wie, wo und mit wem machen möchte.
-
Ziele sollten für das Individuum bedeutsam sein, d. h., es geht um etwas, das wichtig ist, das sich für die jeweilige Person
oder Familie zu erreichen lohnt.
-
Ziele sollten realistisch sein. Die Chance, dass die gesetzten Ziele erfolgreich erreicht werden können, sollte
so groß wie möglich sein. In der Regel lässt sich nicht alles in kürzester Zeit sofort
und beständig erreichen.
-
Sich zu viel vorzunehmen, führt zwangsläufig zu Frustration. Ziele sollten daher kleinschrittig sein.
Belohnungen
Insbesondere Belohnungen helfen bei der Umsetzung von (Teil-)Zielen. Es gibt für Eltern
sehr viele Möglichkeiten, ein Kind zu belohnen, z. B. zu loben oder das Kind zu umarmen.
Gerade das Loben kann, wenn es ernst gemeint und konkret formuliert wird, nicht oft
genug erfolgen. Zunächst sehr unangenehme, schwierige Verhaltensänderungen lassen
sich auch über Belohnungssysteme trainieren. Wichtig ist, dass die Eltern die Belohnung
gemeinsam mit dem Kind aussuchen, so dass diese tatsächlich einen guten Anreiz darstellt.
Die Belohnung sollte nicht auf anderen Wegen für das Kind leicht erreichbar sein.
Selbstverständlich sollten adipöse Kinder nicht mit Lebensmitteln belohnt werden.
Umgang mit „Widerstand“
Das Thema Adipositas an sich ist in der Regel belastend und „unangenehm“ für die Betroffenen.
Eine Thematisierung und Offenlegung von Diskrepanzen kann darüber hinaus zusätzlich
von Kindern und Eltern als konfrontativ erlebt werden. Wenn Menschen das Gefühl bekommen,
schlecht dazustehen oder angegriffen zu werden, verwenden sie gerne Umgehungsstrategien,
die in manchen Kontexten als „Widerstand“ bezeichnet werden. Zum Beispiel beginnen
Kinder/Jugendliche oder Eltern zu argumentieren, es werden Ausreden vorgebracht, „Ja-aber“-Antworten
gegeben, Schuldzuweisungen vorgenommen.
Mögliche Umgehungsstrategien bei Widerstand
-
Gehörtes reflektieren und z. B. Ambivalenzen empathisch widerspiegeln.
-
Den Gesprächsfokus verschieben (z. B. auf Dinge, die gut klappen, die kohärent sind).
-
Herausstellen der persönlichen Wahlfreiheit: Es geht nicht um Wünsche/Ziele des Therapeuten,
sondern allein um die Wünsche/Ziele der Kinder und Familien.
-
Reframing (siehe Gesprächsbeispiele)
-
Konform gehen, d. h. die Kinder/Eltern in ihrem Widerstand bestärken (und so ggf.
eine Art Widerstand gegen den Widerstand provozieren).
Gesprächsbeispiele
Im Folgenden wird zunächst jeweils ein eher negatives Beispiel einer Gesprächsführung
dargestellt, mit einer Erklärung, was eine solche Formulierung auslösen kann, gefolgt
von einem Beispiel, wie die Formulierung besser ausfallen könnte. Hierbei werden bewusst
sehr negative Formulierungen vorgestellt, um für die Themen zu sensibilisieren.
Therapeutische Haltung
Neutralität
Die therapeutische Haltung sollte neutral sein, das heißt, Schuldzuweisungen jeder
Arzt sind in jedweder Formulierung zu vermeiden.
Negativbeispiel. „Durch Luft kann man nicht zunehmen, Übergewicht entsteht dann, wenn man sich für
seine Ernährungsgewohnheiten zu wenig bewegt.“
Diese Aussage ist wissenschaftlich richtig, beinhaltet aber den (latenten) Vorwurf
zu viel zu essen und sich zu wenig zu bewegen. Adipöse Kinder und deren Eltern sind
sehr sensibel für dieses Thema, da sie sich alltäglich entsprechenden Vorwürfen ausgesetzt
sehen. Aus Wahrnehmung der Kinder und Eltern unternehmen diese bereits alles für sie
Mögliche, um weniger zu essen und sich mehr zu bewegen. Sie suchen Rat, da sie nicht
wissen, was sie noch anders machen können.
Positivbeispiel. Eine andere Formulierung wäre: „Durch den wesentlichen Anteil der Vererbung beim
Gewicht ihres Kindes muss der Lebensstil viel perfekter als bei anderen Kindern sein.“
Mit einer solchen Formulierung wird eine Therapie eher angenommen, da nicht mit dem
Vorwurf gestartet wird, zu viel zu essen und sich zu wenig zu bewegen, sondern mit
Verständnis, dass es die Familie sehr schwer hat. Diese Formulierung deckt sich häufig
mit den Erfahrungen der Eltern, dass das schlanke Nachbarskind viel mehr isst als
der eigene betroffene Nachwuchs.
Annahme der Motivation
Es sollte immer eine Motivation der adipösen Kinder und ihrer Eltern angenommen werden,
da diese ansonsten gar nicht zu Ihnen gekommen wären.
Negativbeispiel. „Haben Sie schon etwas gegen das Übergewicht Ihres Sohnes unternommen?“
Diese Formulierung beinhaltet wieder den (latenten) Vorwurf, bisher nichts unternommen
zu haben.
Positivbeispiel. Eine Alternative wäre folgende Formulierung: „Wie haben Sie gemerkt, dass Ihr Sohn
etwas gegen das Übergewicht unternimmt? Wer in der Familie hat dies noch bemerkt?“
Dies zeigt, dass der Therapeut der Familie bereits Motivation sowie Kompetenz und
Problemlösefertigkeiten unterstellt.
Therapeutische Allianz, Begleiter statt Ratschlag-Geber
Die Rolle des Therapeuten in einem gleichberechtigten Gesprächsmodell (Abb. [6]) liegt in der Begleitung und nicht in der Aufgabe, Ratschläge zu geben (Abb. [5]).
Negativbeispiel. „Ich schlage vor, dass Sie den Fernsehkonsum ihres Sohnes reduzieren.“
Dieser Ratschlag ist gut gemeint, aber trotzdem ein „Schlag“ für die Familie. Diese
Formulierung beinhaltet den (latenten) Vorwurf, dies bisher noch nicht gemacht zu
haben. Ratschläge sind immer auch „Schläge“. Jede direkte Handlungsanweisung löst
Widerstand aus, und man findet schnell viele Gründe, warum dies nicht umsetzbar ist.
Positivbeispiel. Alternative Formulierungen (mit demselben Inhalt) wären z. B.: „Einige Studien haben
gezeigt, dass Kinder bei Reduktion des Fernsehkonsums Gewicht verlieren können. Empfehlungen
sprechen von maximal 2 Stunden Fernsehen pro Tag. Was denken Sie darüber?“ oder noch
besser: „Einige Familie erzählen, dass wenn ein Frühstück eingenommen wird, die Kinder
weniger Hunger haben. Wie denken Sie darüber?“
Durch diese Formulierungen wird der Therapeut zum Begleiter der Familie. Der Therapeut
überlegt gemeinsam mit der Familie, ob dieser Vorschlag zur Familie passt. Die Eltern
und Kinder fühlen sich hierdurch weniger unter Druck gesetzt und gehen nicht direkt
in einen Ablehnungsmodus über.
Den Fokus auf Stärken legen
In der Adipositastherapie neigen Therapeuten häufig dazu, Probleme (Schwächen) hervorzuheben
und hier nach Änderungsmöglichkeiten zu suchen. Somit dreht sich schnell das Gespräch
nur um Negatives, und dies ist für Keinen angenehm. Besser ist es, die Stärken herauszustellen
und diese zu benutzen, um Herausforderungen zu überwinden.
Negativbeispiel. Therapeut: „Frühstückst Du?“ – Kind: „Ja, gelegentlich.“ – Therapeut: „Warum frühstückst
Du nicht jeden Tag?“
Diese Formulierung fokussiert auf den Misserfolg, und die Behandlung wird damit schnell
aus Sicht des Kindes mit Negativem besetzt. Das Selbstbewusstsein des Kindes wird
zudem herabgesetzt.
Positivbeispiel. Eine alternative Formulierung könnte lauten: „Wie viele Tage die Woche frühstückst
Du? Was ist besonders an den Tagen, an denen du frühstückst?“
Nun wird der Fokus auf die Stärken gelegt und überlegt, was unter Umständen an den
Tagen besonders ist, an denen es gelingt zu frühstücken.
Empathie ausdrücken
In Gesprächen Empathie auszudrücken, ist manchmal eine Herausforderung, insbesondere,
wenn man sich durch Jugendliche oder auch Eltern angegriffen fühlt.
Reaktion auf „Angriffe“
Häufig steht hinter einem „gefühlten“ Angriff der Patienten der Ruf nach Aufmerksamkeit.
Ein Vater könnte etwa, nachdem der Therapeut etwas vorgestellt hat, äußern: „Ich habe
die neuesten Forschungsergebnisse dazu gelesen. Ich bin auf dem aktuellsten Stand.“
Negativbeispiel. Therapeut: „Ich bin der Fachmann. Sie können sich darauf verlassen, dass alle unsere
Vorschläge Stand der Wissenschaft sind.“
Hiermit geht der Therapeut auf Konfrontationskurs und stellt sein Wissen über das
Wissen des Vaters. Dies ist häufig der Beginn eines konfliktreichen Gesprächs.
Positivbeispiel. Eine alternative Reaktion könnte so aussehen: „Ich merke, Sie haben sich intensiv
mit dem Thema ausgesetzt, das zeigt, wie motiviert Sie sind.“
Der Therapeut zollt dem Vater Wertschätzung. Dadurch fühlt sich der Vater eher verstanden
und Widerstände können sich auflösen.
Reaktion auf „Hilferufe“
Aussagen wie: „Ich bin alleinerziehend. Es ist alles so schwierig, niemand unterstützt
mich.“ beinhalten unter Umständen neben der Klage auch einen Hilferuf nach Unterstützung
sowie den Ruf nach Anerkennung. Wenn es dem Therapeuten geling, darauf zu reagieren
und daran anzuknüpfen, wird die Beziehungsebene zwischen Therapeut und Elternteil
gestärkt.
Positivbeispiel. Ein Beispiel einer empathischen Äußerung des Therapeuten könnte sein: „Ich merke,
dass auf Ihnen eine große Verantwortung lastet und Sie ganz Unglaubliches leisten.
Da wünschen Sie sich manchmal mehr Unterstützung …“
Wunsch nach Autonomie
Aussagen von Jugendlichen wie: „Ich will meine Ruhe. Die sollen auch nicht einfach
immer in mein Zimmer kommen!“ können unter anderem anzeigen, dass der Jugendliche
sich mehr Autonomie wünscht.
Positivbeispiel. Eine empathische Formulierung des Therapeuten könnte sein: „Wenn ich Dich recht verstehe, möchtest Du weniger durch die Erwachsenen kommandiert
werden und stattdessen selbst für Dich Verantwortung übernehmen?“
Reframing
Wenn es dem Therapeuten gelingt, nicht nur empathisch zu sein, sondern dem Gesagten
auch noch eine neue Deutungsebene hinzuzufügen, eröffnet sich die Möglichkeit, dass
die Familien neue Verhaltensstrategien entwickeln. Die Mutter sagt zum Beispiel: „Ich
weiß nicht, wie ich meiner Tochter helfen soll. Ich muss den ganzen Tag schimpfen,
ich bin wie ein Kassettenrecorder von morgens bis abends.“
Negativbeispiel. Therapeut: „Ermahnungen führen zu nichts, besser ist es, das Positive zu sehen.“
Hier wertet der Therapeut und gibt direktive Handlungsanweisungen, die leicht zu Widerstand
führen können.
Positivbeispiel. Besser wäre z. B. die Formulierung: „Sie fragen sich, ob es hilfreich ist, Ihre Tochter
immer wieder zu ermahnen?“
Hier wiederholt der Therapeut das Gesagte mit anderen Worten, um zum einen Verständnis
zu zeigen und zum anderen Ansatzmöglichkeiten für eine neuen Deutungskontext zu erarbeiten.
Zielfestlegung
Um konkrete Handlungsperspektiven zu erarbeiten, ist es zunächst wichtig, herauszufinden,
ob die Familie eigene Veränderungsmöglichkeiten sieht. Nach der offenen Frage durch
den Therapeuten, wie es in der letzten Zeit gelaufen ist, kommen bei motivierten Familien
häufig schon Vorschläge vom Kind/Jugendlichen oder von den Eltern, was anders laufen
könnte. Der Jugendliche könnte z. B. als Vorsatz nennen, dass er nun mit dem Fahrrad
in die Schule fahren will.
Negativbeispiel. Eine eher ungünstige Formulierung des Therapeuten wäre: „Das ist eine super Idee.
Beim nächsten Mal erzählst Du mir, wie es gelaufen ist.“
Schwierigkeiten in der Durchführung werden hier nicht bedacht. Wenn das Ziel nicht
erreicht wird, befürchtet das Kind unter Umständen, dass der Therapeut enttäuscht
sein könnte und vermeidet es, wiederzukommen, um sein „Versagen“ nicht publik machen
zu müssen. Eine dauerhafte Verhaltensmodifikation ist dann sehr schwierig. Die Ziele
sollten möglichst konkret sein. Ohne konkrete, überprüfbare Ziele, die auch realisierbar
sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das erwünschte Verhalten nicht dauerhaft
eintritt. Aus diesen Gründen erscheint es besser, Ziele bezüglich ihrer Realisierbarkeit
zu hinterfragen und möglichst kleinschrittig fest zu setzen.
Positivbeispiel. Auf den Vorschlag des Jugendlichen, mehr mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren, könnte
der Therapeut z. B. einwerfen: „Das ist eine super Idee, aber eventuell wird es auf
Dauer sehr schwierig. Was machst Du, wenn es regnet? Ich schätze es als sehr schwierig
ein, dann mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren.“
Hierbei wird der Vorschlag aufgriffen und negiert bzw. relativiert, und dabei werden
denkbare Hinderungsgründe genannt. Dies steigert häufig auch den Ehrgeiz der „Betroffenen“.
Wichtig ist es, immer nur mit einem Vorschlag zu arbeiten und konkrete Handlungsvorschläge
zu erarbeiten. Diese können z. B. auch vertraglich in der Akte vereinbart und vom
Jugendlichen unterschrieben werden, was ebenfalls den Ehrgeiz steigert. Wichtig ist
natürlich, bei der nächsten Vorstellung unbedingt nach der Vereinbarung zu fragen.
Umgang mit Widerstand
Ist die Familie resigniert, kann neben der motivierenden Gesprächsführung eine andere
Herangehensweise helfen.
Negativbeispiel. Auf die Aussage der Mutter: „Wir haben wirklich alles probiert.“ in der folgenden
Form zu antworten, erscheint eher ungünstig: „Haben Sie denn schon darüber nachgedacht,
den Jungen in einem Sportverein anzumelden?“
Abgesehen davon, dass adipöse Kinder in Sportvereinen häufig nur Misserfolge erleben,
wird eine direktive Handlungsanweisung leicht zu Widerstand und Widerspruch führen.
Positivbeispiel. Alternativ könnte man erwidern: „Ja da kann man wirklich nichts machen. Sie haben
wirklich alles probiert.“
In der Regel regt sich dann Widerstand durch Eltern oder das Kind, so dass wieder
Handlungsspielraum entsteht und Vorschläge von der Familie selbst erarbeitet werden.
Zur Not kann man auch nachfragen: „Wer hat Einfluss auf das Gewicht von Hans?“ oder
die „Sinnfrage“ stellen: „Was hast Du davon abzunehmen?“ Wenn kein Vorteil gesehen
wird, abzunehmen, ist zurzeit offenbar nicht der richtige Zeitpunkt für eine Lebensstilmodifikation.
Suche nach der Motivation
Wenn nach Motivation zur Gewichtsabnahme gesucht wird, sollte man für die Kinder und
Jugendliche spürbare Vorteile suchen.
Negativbeispiel. Therapeut: „Wenn du nicht bald Gewicht abnimmst, wirst du gesundheitliche Schäden
davontragen.“
Fast alle Folgeerkrankungen der Adipositas sind für die Jugendlichen nicht spürbar
und erzeugen eher Angst (z. B. wurde beim Großvater aufgrund eines Diabetes eine Beinamputation
durchgeführt und das Kind hat nun mehr Sorge, dass es auch die Beine verlieren wird,
als dass es durch die Adipositas vom Diabetes bedroht ist).
Positivbeispiel. Besser ist es, auf die Tragbarkeit von Kleidung, weniger Hänseleien oder verbesserte
sportliche Belastbarkeit als Vorteil einer Gewichtsabnahme hinzuweisen.
Tipps für die Gesprächsführung bei Kindern/Jugendlichen mit Adipositas
Generelle Haltung: Jede Familie, die sich in der Sprechstunde vorstellt, ist motiviert.
-
Fokus auf Stärken legen, nicht auf Schwächen.
-
Keine Ratschläge.
-
Wenn der Therapeut mehr arbeitet als die Familie, läuft etwas verkehrt.
-
Immer nur ein Ziel, kleinschrittig arbeiten.
-
Nicht gegen Widerstand argumentieren.
-
„Widerstand“ als Hinweis auf Probleme in der Gesprächsführung ansehen.
Weiterführende Behandlung
Weiterführende Behandlung
Sollte eine Anleitung zur Lebensstilveränderung in der oben beschriebenen Form nicht
zu einem Erfolg führen, ist entsprechend internationalen und nationalen Leitlinien
eine langfristige, ambulante, verhaltenstherapeutisch orientierte Schulung bestehend
aus einer Ernährungs-, Verhaltens- und Bewegungstherapie unter Einbeziehung der Eltern
Therapie der Wahl [1]
[17].
Merke: Die publizierten Studien zeigen übereinstimmend, dass nur bei motivierten Teilnehmern
und intensiver Einbindung der Eltern mit einem langfristigen, multidisziplinären Therapieansatz
ein Erfolg erzielt werden kann [17]
[22].
Die entsprechenden Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter
(AGA) und der Deutschen Adipositasgesellschaft (DAG) sind auf den folgenden Seiten
zusammengefasst (s. Infobox). Ein Adressverzeichnis von zertifizierten Therapieeinrichtungen
für adipöse Kinder und Jugendliche in Deutschland sowie Leitlinien zur Behandlung
finden sich unter www.a-g-a.de.
Kernaussagen der Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter
(AGA) und der Deutschen Adipositasgesellschaft (DAG) [
3]
-
Grundlage einer Adipositastherapie in jeder Altersstufe sollte ein multimodales Programm
sein, das die Komponenten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie umfasst,
da isolierte Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapien nicht zu einem langfristigen
Erfolg führen.
-
Im Kindesalter müssen die Eltern bzw. die Familie oder die Betreuer des Patienten
eine neben dem Patienten gleich bewertete Zielgruppe für die Therapie sein (familienbasierte
Therapie).
-
Die Familie sollte motivierend und unterstützend im Rahmen der Adipositasbehandlung
mitwirken.
-
Starre Diätpläne oder Kostformen mit extremen Nährstoffrelationen (z. B. häufige Gewichtsreduktionsdiäten,
totales Fasten, „Heilfasten“, Schrothkur, Mayr-Kur, Ananasdiät etc.) sollten wegen
potenzieller medizinischer Risiken und fehlendem Langzeiterfolg nicht angewandt werden.
-
Die Steigerung der körperlichen Aktivität sollte im Gruppensetting erfolgen, da hier
neben der körperlichen Aktivität gleichzeitig die gegenseitige Motivation gestärkt
wird.
-
Primäre Ziele der Bewegungstherapie sind die Verringerung der körperlichen Inaktivität
(z. B. Medienkonsum, TV/Computer), die Steigerung der Alltagsaktivität und die Anleitung
zum körperlichen Training.
-
Die Steigerung der körperlichen Bewegung im Alltag soll primäres Ziel einer Bewegungstherapie
sein. Sie ist langfristig effektiver bezüglich der Gewichtsreduktion als die Teilnahme
an zeitlich limitierten Sportprogrammen.
-
Bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter kann in Einzelfällen eine medikamentöse
Therapie zur Übergewichtsreduktion erwogen werden, insbesondere bei Patienten mit
erheblicher Komorbidität und einem extrem erhöhten Gesundheitsrisiko sowie Versagen
einer herkömmlichen verhaltensorientierten Therapie über mindestens 9 – 12 Monate.
-
Die Effektivität adipositaschirurgischer Maßnahmen bezüglich Gewichtsreduktion ist
bei Jugendlichen durch eine Vielzahl von klinischen Studien belegt. Das Risiko für
Komplikationen und Nebenwirkungen muss allerdings berücksichtigt werden. Eine chirurgische
Maßnahme sollte nur als letzte therapeutische Möglichkeit nach Scheitern sämtlicher
konservativer Therapien bei extrem adipösen Patienten mit erheblicher Komorbidität
erwogen werden. Adipositaschirurgische Eingriffe sollen in spezialisierten Einrichtungen,
die das ganze Spektrum der operativen adipositasspezifischen Techniken sowie auch
Rezidiveingriffe anbieten, vorgenommen werden. Die operierten Patienten sollen in
einem über den Eingriff hinaus langfristigen, multidisziplinären Konzept betreut werden.
Grenzen von Schulungsprogrammen
Nur eine Untergruppe der adipösen Kindern und Jugendlichen spricht auf ein strukturiertes
Schulungsprogramm an [23]. Ursachen für Schwierigkeiten bei der Gewichtsabnahme sollten nicht nur bei dem
Kind oder bei der fehlenden Motivation der Familie gesucht werden, sondern sind auch
durch den genetischen Hintergrund und die hormonellen Gegenregulationsmechanismen nach der Gewichtsabnahme bedingt [22] (Abb. [8]). Daher sind Vorwürfe bei Misserfolg nicht angebracht.
Abb. 8 Hormonelle Gegenregulation bei Gewichtsabnahme adipöser Kinder; Kompensationsmechanismen
bei adipösen Kindern vor und nach Gewichtsabnahme. Sättigende Hormone sind Leptin,
Amylin, PP, PYY, CKK, GLP-1 und Insulin (modifiziert nach [22]). PP: pankreatisches Polypeptid
PYY: Polypeptid YY
GLP-1: Glucagon-like Peptid 1
CKK: Cholecystokinin
TSH: Thyreoidea stimulierendes Hormon
fT3: freies Triiodthyronin
Geistig retardierte Kinder, körperlich behinderte Kinder, Kinder mit fehlender Gruppenfähigkeit, extrem adipöse Jugendliche und unmotivierte Kinder und Familien sind einer Lebensstilintervention meist nicht zugänglich [22]. Bisher sind keine langfristig wirksamen Behandlungskonzepte basierend auf einer
Lebensstilintervention für diese Patientengruppen entwickelt worden. Insbesondere
bei Folgeerkrankungen der Adipositas sollten weitere Behandlungsoptionen erwogen werden.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Behandlung der kindlichen Adipositas zeigt nur eine relativ moderate
Effektivität, ähnlich der von Schulungsprogrammen. Einzelne Präparate (z. B. Rimonabant
oder Sibutramin) sind aufgrund potenziell lebensgefährlicher Nebenwirkungen vom europäischen
Markt genommen worden. Somit bleibt für das Kinderalter nur ein zugelassenes Medikament,
der Lipasehemmer Orlistat. Das Nebenwirkungsprofil (Fettstühle beim Verzehr größerer Mengen Fett) kann als
„Biofeedback“ zur Unterstützung der Ernährungsumstellung dienen.
Insgesamt ist von Medikamenten jedoch kein dauerhafter Erfolg zu erwarten, da:
-
Nebenwirkungen die Compliance senken,
-
Medikamente lebenslang genommen werden müssten,
-
Medikamente nicht zu einer Verhaltensänderung führen und
-
nur geringe Gewichtsveränderungen mit Medikamenten zu erzielen sind.
Merke: Insgesamt ist von Medikamenten kein dauerhafter Erfolg zu erwarten.
Bariatrische Chirurgie
Chirurgische Methoden sind im Langzeitverlauf die effektivsten Verfahren zur Gewichtsreduktion.
Diese sehr guten Erfolge sind zum Teil auch durch die Veränderung des Hormonprofils
in der Sättigungsregulation bedingt. Jedoch haben bariatrische Verfahren eine Vielzahl
von schwerwiegenden Nebenwirkungen.
Malabsorptionstechniken wie der jejunoileale Bypass sind auch bei Jugendlichen trotz guter Wirksamkeit verlassen worden, aufgrund der
Häufigkeit und Schwere der Nebenwirkungen (toxische Leberschäden, Enzephalopathie,
Megakolon, Ileus, Vitamin-B-Mangel).
Die Kombination von Magenrestriktion und Malabsorptionstechniken wie beim Roux-en-Y-Magen-Bybass ist ein weiteres, sehr erfolgreiches Verfahren bei extrem adipösen Jugendlichen: 5
Jahre nach Operation wurde das relative Übergewicht durchschnittlich um 51 % gesenkt.
Auch dieses Verfahren zeigt schwerwiegende Nebenwirkungen wie Magenstenose, Ernährungsstörung
(v. a. Eisen- und Folatmangel), Dumping-Syndrom und Notwendigkeit einer Re-Operation
bei einer Mortalität von 5 %.
Heutzutage werden aufgrund der geringen Nebenwirkungsrate bei extrem adipösen Jugendlichen
vor allem Magenrestriktionen (Gastroplastik, Schlauchmagen) verwendet.
Ein Magenband, welches laparoskopisch eingesetzt werden kann, wird aufgrund der vielen Komplikationen
im Verlauf und der begrenzten Wirkung bei extrem adipösen Jugendlichen nicht mehr
empfohlen.
Merke: Eine operative Therapie ist nur als Methode der letzten Wahl bei extrem adipösen
Jugendlichen aufgrund der Nebenwirkungen und Langzeitfolgen anzusehen.
Therapie der Folgeerkrankungen
Therapie der Folgeerkrankungen
Wenn keine Gewichtsreduktion zu erzielen ist, müssen die Folgeerscheinungen der Adipositas
bereits bei Kindern und Jugendlichen konsequent behandelt werden.
Bluthochdruck. Eine arterielle Hypertonie sollte durch einen pädiatrischen Nephrologen und einen
Kinderkardiologen abgeklärt und behandelt werden (s. a. www.hochdruckliga.de). Eine Monotherapie, die in der Regel mit einem ACE-Hemmer durchgeführt wird und keinesfalls mit Betablockern (führen zur Reduktion des Grundumsatzes
und erhöhen das Diabetesrisiko), ist in den meisten Fällen effektiv.
Diabetes mellitus. Bei einem manifesten Typ-2-Diabetes wird nach erfolgloser Gewichtsreduktion über
3 Monate ab einem HbA1c > 7,0 % eine medikamentöse Therapie mit Metformin begonnen. Metformin wird einschleichend dosiert und zu den Mahlzeiten eingenommen.
Trotzdem treten bei ca. 10 % der Fälle gastrointestinale Nebenwirkungen auf. Andere
orale Antidiabetika sind bisher nicht für Kinder und Jugendliche zugelassen.
Bestehen bereits klinische Zeichen eines Insulinmangels oder ist die Differenzialdiagnose
bezüglich des Diabetes-Typs unklar, sollte im Zweifel mit einer Insulintherapie begonnen werden. Die Therapie von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes gehört in
die Hände eines pädiatrisch-diabetologisch erfahrenen Teams, da neben einer kontinuierlichen
Betreuung eine strukturierte Diabetesschulung notwendiger Bestandteil der Therapie
ist.
Weitere Folgeerkrankungen. Orthopädische Erkrankungen (Epiphyseolysis, Genu valgum usw.) und endokrinologische
Erkrankungen (Pubertas praecox, polyzystisches Ovarsyndrom) sollten durch entsprechende
Spezialisten (Orthopäden bzw. pädiatrische Endokrinologen) behandelt werden.
Ein Schlaf-Apnoe-Syndrom wird mit einer NCPAP-Maske versorgt.
Adipositas ist im Kindes- und Jugendalter nach der dramatischen Zunahme in den letzten
20 Jahren seit circa 5 Jahren nicht mehr weiter zunehmend, wohl aber der Anteil extrem
adipöser Jugendlicher. Adipositas ist bereits im Kindesalter mit einer Vielzahl von
kardiovaskulären Risikofaktoren assoziiert. Während diese meist asymptomatisch sind,
leiden die adipösen Kinder v.a. unter den psychosozialen Folgen. Die Ursache der Adipositas
im Kindesalter ist meist multifaktoriell und reicht von genetischen Faktoren über
Umweltfaktoren bis hin zur familiären Situation. Bisherige Präventionskonzepte sind
noch nicht nachhaltig überzeugend. Die Therapie der Wahl besteht aus einer Lebensstilintervention
basierend auf Schulungsprogrammen. Bei der motivierenden Gesprächsführung basierend
auf den Stärken und nicht Schwächen der Adipösen trägt nicht der Therapeut sondern
das Patientensystem die Hauptverantwortung für die Veränderung. Misserfolge sind nicht
nur auf fehlende Motivation sondern auch auf die Gegenregulation des Körpers bei Gewichtsabnahme
zurückzuführen. Die Therapie der extremen Adipositas im Jugendalter ist ein ungelöstes
Problem, da Schulungsprogramme in der Regel nicht erfolgreich sind. Bariatrische Verfahren
können zwar effektiv das Ausmaß des Übergewichts reduzieren, haben jedoch vielfältige
Nebenwirkungen und benötigen eine lebenslange Betreuung, welche bereits vor Beginn
der Operation gewährleistet sein muss.
Anmerkung
Teile dieser Arbeit erschienen ebenfalls in Aktuelle Ernährungsmedizin 2015; 2: 102 – 122.
Audiopodcast des kompletten Artikels
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