Einleitung und Geschichte
Einleitung und Geschichte
Die nosologische Entität „Lyme-Borreliose“ beschreibt eine morphologisch vielgestaltige und in Stadien ablaufende Zoonose. Der Erreger ist die 1982 im Mitteldarm einer Hirschzecke (Ixodes scapularis ) entdeckte Spirochäte Borrelia burgdorferi [1 ]. Bereits der Erstbeschreiber Willy Burgdorfer vermutete zurecht, dass das nach ihm benannte Bakterium Auslöser der, seit den frühen 70er-Jahren in der Gegend um Lyme (CT, USA) endemisch auftretenden, Lyme-Arthritis sei [2 ]. Die Aufklärung des Parademodells Lyme-Arthritis mit den vorauseilenden Hauteffloreszenzen und der Assoziation mit Zeckenstichen erlaubte schließlich die Zuordnung und Aufklärung anderer, in Europa bereits lange bekannter Erkrankungen, wie des Erythema migrans (EM), der Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) oder des Bannwarth-Syndroms (Meningoradikuloneuritis). In den letzten Jahrzehnten wurde das Spektrum an Krankheitsbildern, welche der Lyme-Borreliose zugeordnet werden können, kontinuierlich erweitert. Neben systemischen Erkrankungen, insbesondere des peripheren und zentralen Nervensystems, der Gelenke und der Herzmuskulatur, stehen zahlreiche Hautmanifestationen im Fokus. Es mehren sich Hinweise, dass Borrelia burgdorferi nicht nur an den klassischen kutanen Krankheitsbildern, wie dem EM, dem Borrelien-Lymphozytom und der ACA, sondern auch an der Pathogenese anderer Hauterkrankungen beteiligt ist. Dieser kausale Zusammenhang wird speziell bei Morphea, Lichen sclerosus et atrophicus (LS), Granuloma anulare und Fällen von kutanen B-Zell-Lymphomen diskutiert.
Epidemiologie
Die Borreliose ist die häufigste durch Arthropoden übertragene Erkrankung in den gemäßigten Breiten der nördlichen Hemisphäre. In Europa finden sich die höchsten Infektionsraten in Süddeutschland, der Schweiz, Österreich, Tschechien, Slowenien und der Slowakei [3 ]. Die Epidemiologie der Borreliose zeichnet sich durch eine hohe regionale Variabilität aus. Eine großteils fehlende Meldepflicht und die variantenreichen klinischen Manifestationsformen erschweren die Bestimmung von Inzidenzraten. In jenen sechs ostdeutschen Bundesländern, in denen eine Meldepflicht besteht, wurde eine Inzidenz von 20 – 35 Infektionen pro 100 000 Einwohnern pro Jahr ermittelt [4 ]. Frühere Studien gehen von einer Jahresinzidenz zwischen 111 – 260 Erkrankungsfällen pro 100 000 Einwohner in Deutschland aus [5 ]. Daten zur Seroprävalenz deuten auf zwei Altersgipfel hin. Am häufigsten betroffen sind Kinder zwischen dem 5. und 9. Lebensjahr und ältere Erwachsene zwischen dem 60. und 64. Lebensjahr [6 ]. Zecken, die als Überträger dienen, lauern in hohem Gras und Unterholz auf ihren Wirt. Entsprechend zeigen sich in ländlichen und waldreichen Gegenden höhere Inzidenzraten. Dennoch lassen sich infizierte Zecken vermehrt auch in urbanen und suburbanen Gebieten nachweisen [7 ].
Biologie und Übertragungswege
Biologie und Übertragungswege
Borrelia burgdorferi ist ein aktiv bewegliches, spiralförmiges, gram-negatives Bakterium. Der B. burgdorferi sensu lato (sl)-Komplex umfasst bislang 18 Genospezies, von denen nur einige als humanpathogen klassifiziert werden [8 ]. Die einzelnen Genospezies unterscheiden sich in ihrer geografischen Verbreitung. In Europa dominieren die Spezies B. afzelii , B. garinii und seltener B. burgdorferi sensu strictu (ss) [9 ]. Obwohl alle drei Genospezies in verschiedenen Geweben, inklusive der Haut, im Serum und im Liquor nachgewiesen werden konnten, bestehen Unterschiede hinsichtlich des Gewebstropismus [10 ]. So zeigt B. garinii eine erhöhte Neigung zu Infektionen des Nervensystems, während B. afzelii bevorzugt mit chronischen Hautmanifestationen einhergeht. Die einzige in den USA vorkommende Genospezies B. burgdorferi ss verursacht gehäuft Gelenksinfektionen. In den letzten Jahren konnten weitere humanpathogene Genospezies, wie B. spielmanii , B. bavariensis , B. lusitaniae , B. valaisiana und B. bissetti , identifiziert werden. Die entsprechend assoziierten Krankheitsbilder sind vielfältig. Ihr Vorkommen ist im Vergleich zu den klassischen Erregern jedoch deutlich seltener.
Das Genom von B. burgdorferi besteht aus einem linearen Chromosom mit knapp 1000 Kilobasenpaaren (kbp). Hinzu kommen 21 lineare und zirkuläre Plasmide mit weiteren 500 kbp [11 ]
[12 ]. Gute Beweglichkeit ist wichtiger als komplexe Stoffwechselprozesse. So dienen 6 % des Genoms zur Kodierung von Proteinen für die Flagellen. Diese erlauben den Spirochäten eine aktive Beweglichkeit auch in zähem Milieu, wie beispielsweise der interstitiellen Matrix [13 ]. Die geringe Stoffwechselleistung von B. burgdorferi führt zu einer obligaten Abhängigkeit von einem Wirt.
Der Vektor von B. burgdorferi ist die Schildzecke (Ixodes ) mit den Vertretern Ixodes ricinus (gemeiner Holzbock) in Europa, I. persulcatum in Asien und I. scapularis und I. pacificus in den USA. Schildzecken durchlaufen einen zwei- bis mehrjährigen Lebenszyklus vom Ei über die Larve bis zur Nymphe und adulten Zecke. Die Metamorphose zwischen zwei aktiven Stadien erfordert eine aktive Blutmahlzeit (s. [Abb. 1 ]). Die Infektion mit B. burgdorferi erfolgt selten transovariell. Vielmehr infizieren sich häufig bereits die Larven über eine Blutmahlzeit infizierter Mäuse. Die Mäuse selbst bilden das größte natürliche Reservoir. Deren Ansteckung erfolgt über die jeweiligen Vorgängergenerationen von Nymphen. Infizierte Nymphen können B. burgdorferi sowohl an kleine als auch größere Säugetiere und Vögel weiterreichen. Adulte Zecken saugen ausschließlich bei größeren Säugetieren.
Abb. 1 Auflichtmikroskopische Aufnahme einer Schildzecke bei der Blutmahlzeit.
Obwohl eine epidemiologische Metaanalyse mit Daten aus Europa zeigte, dass adulte Zecken im Vergleich zu Nymphen im Durchschnitt doppelt so häufig mit B. burgdorferi infiziert sind (18,6 % vs. 10,1 %) [9 ], erfolgt die Übertragung auf den Menschen häufiger durch Nymphen.
Über die Blutmahlzeit am infizierten Tier gelangt B. burgdorferi in den Mitteldarm der Zecke. Die Expression von oberflächlichen Lipoproteinen Osp (outer surface protein) A und B ermöglicht den Bakterien an die Darmwand anzudocken und dort die Dauer bis zur nächsten Blutmahlzeit abzuwarten. Der nächste Saugvorgang bewirkt, wahrscheinlich ausgelöst durch Änderungen der Temperatur und des pH-Wertes im Darm, eine rasche Replikation der Spirochäten. Weiters kommt es zu einer Downregulierung von Osp A und Osp B und einer Upregulierung von Osp C und Dbp (decorin binding protein) A. Diese Lipoproteine ermöglichen schließlich ein Durchdringen der Darmwand und die Orientierung Richtung Speicheldrüse der Zecke. Über den Speichel gelangt B. burgdorferi in die Haut des Wirtes [14 ]
[15 ]. Die Zeit, welche für eine Übertragung notwendig ist, variiert zwischen den B. burgdorferi -Genospezies, dürfte jedoch bei mindestens 16 – 48 h liegen [16 ]. Dies erklärt auch, warum die kleinen (< 2 mm) und damit leichter zu übersehenden Nymphen für einen Großteil der Übertragungen auf den Menschen verantwortlich sind.
Pathogenese und klinische Bilder
Pathogenese und klinische Bilder
In die Haut eindringende Borrelien werden über Pattern Recognition Receptors (PRRs), allen voran Toll-like-Rezeptoren, erkannt und mittels Phagozytose, durch Makrophagen und dendritische Zellen, und Komplement mediierter Lyse eliminiert [17 ]. Wahrscheinlich gelingt bei einem Großteil der Infektionen beim Menschen frühzeitig eine vollständige Beseitigung der Keime, sodass die Erkrankung asymptomatisch verläuft. B. burgdorferi verfügt allerdings über geschickte Mechanismen, um sich der zellulären und humoralen Immunabwehr zu entziehen [18 ]. Dies geschieht zum Teil erneut über die Regulation von Oberflächenproteinen. Das nicht mehr benötigte hoch antigene Osp C wird downreguliert, während nun exprimierte Adherenzproteine eine Bindung an Wirtszellen oder Proteinen der extrazellulären Matrix ermöglichen. Solche Bindungen ermöglichen auch eine rasche Dissemination der Keime im Gewebe und über die Blutbahn [19 ]. In bestimmten Geweben, wie in den Gelenken oder im Nervensystem, kann B. burgdorferi persistieren. Dies erklärt den klinisch typischen stadienhaften Verlauf der Lyme-Borreliose. Zwischen den einzelnen Stadien können bis zu jahrelange asymptomatische Phasen liegen. Der klinische und zeitliche Verlauf der Infektionskrankheit ist äußerst variabel und hängt von zahlreichen wirts- und keimspezifischen Faktoren ab. Da B. burgdorferi keine Toxine produziert, ist die klinische Symptomatik nur teilweise direkte Folge der bakteriellen Infektion, sondern resultiert zu großen Teilen aus den aktivierten immunologischen Abwehrmechanismen [20 ].
Zum besseren didaktischen Verständnis werden drei klinische Stadien der Infektionskrankheit unterschieden. Jedes Stadium kann isoliert auftreten.
Lokalisierte Frühinfektion
Lokalisierte Frühinfektion
Die klinischen Zeichen einer Frühinfektion spiegeln die lokale Proliferation und Dissemination von B. burgdorferi mit der begleitenden Immunreaktion wider. Bei 75 – 90 % der objektivierbaren Infektionen zeigt sich innerhalb von ein bis drei Wochen nach Ansteckung im Bereich der Einstichstelle ein randbetontes Erythem (s. [Abb. 2 ]) [21 ]. Das Erythema migrans breitet sich über die folgenden Tage zentrifugal auf Hautniveau aus. Mit zunehmendem Durchmesser stellt sich eine zentrale Abblassung ein. Die Einstichstelle kann sichtbar bleiben. Ab einem Durchmesser von üblicherweise 10 – 20 cm (bis zu max. 70 cm) verschwindet das Erythem auch ohne Behandlung spontan. Im Verlauf kann das Erythema migrans von Juckreiz, mildem Brennen oder lokaler Überwärmung begleitet werden. Die typischen Lokalisationen entsprechen den von Zecken bevorzugten Körperregionen, wie den Axillen, dem Inguinalbereich, den Kniebeugen und der Gürtelregion [22 ]. Im Kindesalter tritt das Erythema migrans gehäuft im Kopf-Hals-Bereich auf [23 ].
Abb. 2 Erythema migrans im Glutealbereich.
Die primäre Hautinfektion präsentiert sich nicht immer in der klassischen Form eines Erythema migrans. B. burgdorferi konnte auch in nicht wandernden und homogenen Erythemen, erysipeloiden Erythemen und Erythemen mit Blasenbildung nachgewiesen werden.
Im Frühstadium der Infektion können infolge der durch Borrelien motivierten Immunreaktion gemischtzellige Borrelien-Lymphozytome (vielfach in der Literatur unscharf als „Pseudolymphome“ bezeichnet) entstehen. Diese insgesamt selten auftretenden Borrelien-Lymphozytome (Lymphadenosis cutis benigna) werden nicht zwingend von einem Erythema migrans begleitet. So entsprechen auch mehr als ein Drittel der ehemals als lymphozytische Infiltrationen der Haut (Jessner Kanof) bezeichneten Pathologien Borrelien-Lymphozytomen („Pseudolymphomen“), der Rest einem tumiden Lupus erythematodes. Klassische Borrelien-Lymphozytome treten bevorzugt als scharf umschriebene, indolente, rötlich-livide Papeln oder Knoten in Erscheinung. Typisch ist ein Auftreten an kühleren Körperstellen, wie am Skrotum, der Ohrhelix, den Ohrläppchen sowie den Mamillen (s. [Abb. 3 – 5 ]) [24 ], in der Jessner-Kanof-Variante bevorzugt im Gesicht, am Rumpf und an den Oberarmen [25 ]
[26 ].
Abb. 3 Simultanes Auftreten eines Eryhema migrans und eines Borrelien-Lymphozytoms mit Vergrößerung der Mamille.
Abb. 4 Borrelien-Lymphozytom am Skrotum.
Abb. 5 Borrelien-Lymphozytom an der Nasenspitze. Vollständige Abheilung unter Ceftriaxon 2 g/Tag über 21 Tage nach frustraner Therapie mit Doxycyclin.
Frühe Disseminierung
Bereits einige Tage bis wenige Wochen nach Infektion treten bei einigen Patienten unspezifische grippeähnliche Beschwerden auf. Eine frühe hämatogene Aussaat von Borrelia burgdorferi wird hierbei von systemischen Krankheitssymptomen wie Fieber, Kopfschmerzen, Meningismus, Myalgien, Fatigue, Arthralgien oder Nausea begleitet.
Eine Disseminierung der Infektion kann mit charakteristischen Hauterscheinungen wie multiplen Erythemata migrantia einhergehen. Sie treten als multiple, disseminiert verteilte, ovaläre, scharf begrenzte Erytheme in Erscheinung. Verschiedene morphologische Varianten sind beschrieben. Allen Varianten gemeinsam ist die Möglichkeit aus den Hautläsionen B. burgdorferi nachweisen zu können [27 ].
Bei negativer Zeckenstich-Anamnese oder fehlendem oder atypischem Erythema migrans ist die Gefahr groß, dass die Infektion zunächst unerkannt bleibt und fortschreiten kann. Einige Wochen bis Monate nach dem Zeckenstich können schließlich neurologische, kardiale oder artikuläre Symptome die ersten klinischen Zeichen einer Lyme-Borreliose sein (siehe [Tab. 1 ]).
Tab. 1
Stadieneinteilung der Lyme-Borreliose.
Krankheitsbild
systemische Symptomatik
Lokalisierte Frühinfektion
Erythema migrans und Varianten
+/– begleitende Lymphadenopathie, grippale Allgemeinsymptome
Borrelien-Lymphozytom
(Lymphadenosis cutis benigna)
Frühe Disseminierung
multiple Erythemata migrantia
+/– grippale Allgemeinsymptome
frühe Neuroborreliose
lymphozytäre Meningitis
Hirnnervenparesen (häufig uni- oder bilaterale Fazialisparese)
Meningoradikuloneuritis Bannwarth
selten: Enzephalitis, Myelitis
akute Lyme-Karditis
(selten)
AV-Block I – III , Rhythmusstörungen, selten milde Kardiomyopathie
okuläre Beteiligung
(selten)
Konjunktivitis, Uveitis, Papillitis, Episkleritis, Keratitis
intermittierende Lyme-Athritis
intermittierende Mono- oder Oligoarthritis (häufig Kniegelenk)
Spätinfektion
Acrodermatitis chronica atrophicans
+/– periphere Nerven- und Gelenksschädigung
chronische Neuroborreliose
chronische axonale Polyneuropathie, chronische Enzephalomyelitis
chronische Lyme-Arthritis
persistierende Mono- oder Oligoarthritis
grippale Allgemeinsymptome: Fieber, Kopfschmerzen, milde Nackensteifigkeit, Myalgien, Fatigue oder Arthralgien
Spätinfektion
Späte Manifestationen der Lyme-Borreliose können einige Monate bis Jahre nach einem Zeckenstich in Erscheinung treten. Die Lyme-Arthritis ist insbesondere in den USA die häufigste Manifestationsform einer chronischen Spätinfektion. Sie zeigt sich typischerweise als akut intermittierende Mono- oder Oligoarthritis mit ausgeprägter Schmerzsymptomatik und Gelenksschwellungen. Eine chronische Neuroborreliose ist deutlich seltener. Die damit einhergehenden neurologischen und psychiatrischen Beschwerden sind vielseitig und unspezifisch [28 ].
Eine chronische atrophisierende Infektion der Haut und Unterhaut kann sich auch mehrere Jahre nach einer Primärinfektion erstmalig präsentieren (s. [Abb. 6 ]). Bleibt die Infektion unbehandelt, resultiert sie zwangsweise im Vollbild der Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA). Das Krankheitsbild beruht meist auf Infektionen durch B. afzelii und ist dementsprechend fast ausschließlich in Europa anzutreffen. Insbesondere im Bereich der Streckseiten der distalen Extremitäten treten zunächst rötlich-livide retikuläre Erytheme auf, welche sich zunehmend zu scharf umschriebenen infiltrierten Plaques auf ödematöser Haut ausdehnen. Unter zunehmendem Verlust der Haarfollikel entwickelt sich im Verlauf mehrerer Wochen bis Monate aus dem ödematös-infiltrativen Stadium das atrophisierende Stadium. Schließlich kommt es zu einer zigarettenpapierartigen Atrophie der Haut und einem vollständigen Verlust der Hautanhangsgebilde und des Unterhautfettgewebes. Hyperpigmentierungen, Teleangiektasien und ein Durchscheinen der oberflächlichen Venen sind charakteristische Zeichen einer fortgeschrittenen ACA. Selbst geringfügige Verletzungen können zu schwer heilenden Ulzerationen führen. Bei einigen ACA-Patienten (10 – 20 %) finden sich, als Ausdruck einer lokal gesteigerten Kollagenproduktion, fibrinoide Knoten an den Streckseiten von Gelenken oder lineare Rötungen und Stränge an den Streckseiten der Unterarme oder Unterschenkel (s. [Abb. 7 ]). Die häufigste extrakutane Komplikation der ACA ist die periphere Neuropathie. Sie zeigt sich mit Dysästhesien, Schmerzen, Muskelschwäche und Muskelkrämpfen in den betroffenen Bereichen. ACA betrifft bevorzugt Frauen ab der 5. Lebensdekade, jedoch wird das Krankheitsbild in seltenen Fällen auch bei Kindern beschrieben [8 ]
[29 ]
Abb. 6 Atrophes Stadium einer Acrodermatitis chronica atrophicans am Oberschenkel.
Abb. 7 Juxtaartikulär fibroider Knoten am Kniegelenk.
Borrelien und atypische dermatologische Manifestationen
Borrelien und atypische dermatologische Manifestationen
B. burgdorferi sl ist wahrscheinlich nicht nur für die klassischen Dermatosen der Lyme-Borreliose verantwortlich. Bei mehreren dermatologischen Krankheitsbildern gibt es vermehrt Hinweise für einen kausalen Zusammenhang mit Borrelieninfektionen (s. [Tab. 2 ]) [30 ].
Tab. 2
Typische und atypische Hautmanifestationen von Borrelia burgdorferi
[8 ].
typische Hautmanifestationen
teilweise Assoziation
(mehrere unabhängige Fallserien oder Einzelberichte)
mögliche Assoziation in Einzelfällen
(Einzelberichte)
Erythema migrans
Morphea/zirkumskripte Sklerodermie
Necrobiosis lipoidica
Borrelien-Lymphozytom (Lymphadenosis cutis benigna)
Lichen sclerosus et atrophicus
nekrobiotisches Xanthogranulom
Acrodermatitis chronica atrophicans
eosinophile Fasziitis
Erythema anulare centrifugum
juxtaartikuläre fibroide Knoten
kutane Sarkoidose
kutanes T-Zell-Lymphom (Mykosis fungoides)
Granuloma anulare/interstitielle granulomatöse Dermatitis
Subgruppe primär kutaner B-Zell-Lymphome
Die Beobachtung eines gehäuft gemeinsamen Auftretens von Morphea mit verschiedenen Formen kutaner und systemischer Borreliose hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Vielzahl an Untersuchungen motiviert. Die Ergebnisse sind widersprüchlich und aufgrund unterschiedlich sensibler Nachweismethoden (PCR, Serologie, Immunhistochemie, Kultur, focus-floating-microscopy (FFM) schwer zu vergleichen [31 ]
[32 ]
[33 ]. Ähnlich widersprechende Resultate erbrachten auch Studien zur Rolle von B. burgdorferi in der Pathogenese des Lichen sclerosus et atrophicus [34 ]
[35 ]. Die chronisch entzündliche, sklerosierende und atrophisierende Bindegewebserkrankung betrifft vorwiegend den äußeren weiblichen Genitalbereich. Borrelien könnten infolge einer frühen hämatogenen Disseminierung über die Nieren und die ableitenden Harnwege in den Genitalbereich gelangen und dort über Mikrotraumen eine Reinfektion induzieren [36 ]. In einigen Fällen wurde nach Gabe von β-Laktam-Antibiotika bei LS und Morphea ein klinisches Ansprechen beobachtet [36 ]. Auch bei einzelnen Fällen von primär kutanen B-Zell-Lymphomen (CBCL) wurde eine Assoziation mit B. burgdorferi nachgewiesen. Hierbei könnte eine chronische Lymphozytenstimulation schließlich zur Pathogenese von CBCL beitragen [38 ]
[39 ].
Die Beteiligung von B. burgdorferi in der Pathogenese wenigstens einiger Fälle von Morphea, LS oder CBCL ist wahrscheinlich.
Diagnostik und Histopathologie
Diagnostik und Histopathologie
Verschiedene direkte und indirekte Nachweisverfahren können in der Diagnostik der Lyme-Erkrankung unterstützend eingesetzt werden. Die Auswahl der Methode und spätere Bewertung der Befunde wird sorgfältig auf Anamnese und Symptomatik abgestimmt. Der serologische Nachweis von Borrelienantikörpern spielt in der Frühphase der Infektion keine Rolle. Die Diagnose des Erythema migrans beruht auf klinischen Kriterien. Erst ein bis sechs Wochen (1 – 2 Wochen IgM, 2 – 6 Wochen IgG) nach der Primärinfektion steigen die Antikörpertiter infolge der adaptiven Immunantwort an. Eine Seropositivität (IgM und IgG) liegt bei 20 – 40 % der Erwachsenen bei Auftreten der Symptome einer disseminierten Frühinfektion vor [40 ]. Bleibt die Serologie negativ, empfiehlt sich, bei gut begründetem klinischen Verdacht einer Frühinfektion, eine Wiederholung des Tests nach 2 Wochen. Eine Spätinfektion geht in fast allen Fällen mit hohen IgG-sTitern einher. Eine negative Serologie oder isolierte Positivität von IgM-Antikörpern macht somit eine Spätinfektion unwahrscheinlich [41 ]
[42 ].
Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) eignet sich um B. burgdorferi gezielt in verschiedenen Geweben, wie in der Haut, im Liquor, im Serum oder in Synovialflüssigkeit, nachweisen zu können. Bei korrekter Durchführung ist die PCR hoch spezifisch. Gerade bei atypischen Verläufen einer Frühinfektion kann die PCR wertvolle Ergebnisse liefern. Die Methode ist allerdings nicht standardisiert und die Sensitivität ist niedrig und mit jener der Kultur vergleichbar [43 ]. Die Anzucht von Borrelia burgdorferi in einer Kultur ist möglich, wenn auch mit einigen Nachteilen behaftet. Die Notwendigkeit spezieller Medien und das langsame Wachstum der Keime beschränken den praktischen Einsatz der Kultur auf wenige Spezialindikationen [44 ].
Ein direkter histopathologischer Nachweis von Borrelien ist nach Färbung der Spirochäten mit Silberfärbung (Warthin-Starry) eingeschränkt möglich. Mithilfe einer neueren Methode, welche eine immunhistochemische Markierung der Spirochäten mit der Technik der focus-floating-microscopy kombiniert, könnte die Sensibilität des Direktnachweises im histopathologischen Präparat deutlich verbessert werden [45 ].
Die histopathologischen Bilder der kutanen Borreliose sind eine Konsequenz des kontinuierlichen Antigenstimulus der im Gewebe persistierenden Borrelien. B. burgdorferi bewirkt in der Haut unspezifische histomorphologische Veränderungen, die über alle Hautmanifestationen hinweg in ähnlicher Weise beobachtet werden können. Solche Merkmale sind eine Umgestaltung der Kollagenstruktur und ein häufiges Auffinden von B-Zellen und Plasmazellen. Das EM zeigt histopathologisch ein perivaskuläres lymphozytenreiches Infiltrat mit gelegentlich einigen Plasmazellen, eosinophilen Granulozyten und Makrophagen. Leichte Veränderungen der Kollagenstruktur können beobachtet werden. Das histomorphologische Bild der ACA variiert in Abhängigkeit von der Erkrankungsdauer. Beobachtet wird eine mehr oder weniger starke Atrophie der Epidermis, Dermis und Subkutis mit ektatischen Kapillaren im oberen Korium. Es findet sich ein perivaskuläres oder auch bandförmiges Entzündungsinfiltrat mit Plasmazellen und ein Verlust der elastischen Fasern mit Fibrose und Sklerose in der retikulären und papillären Dermis. Einigermaßen spezifische Veränderungen finden sich beim Borrelien-Lymphozytom. Bei unauffälliger Epidermis zeigt sich in der Dermis ein zelldichtes, scharf begrenztes, lymphozytäres Infiltrat. Am Rande des Infiltrats können vereinzelt Plasmazellen, eosinophile Granulozyten oder mehrkernige Riesenzellen beobachtet werden [30 ].
Therapie
Jede Erstdiagnose einer Borreliose erfordert eine Antibiotikatherapie. Ziel der Therapie ist nicht nur die Beseitigung der Beschwerden, sondern insbesondere ein Fortschreiten der Infektion zu verhindern. Die Wahl des Antibiotikums und die Dauer der Therapie richten sich nach den klinischen Stadien (s. [Tab. 3 ]). Während die Therapie einer Frühinfektion unkompliziert und erfolgversprechend ist, kann die Behandlung neurologischer oder rheumatologischer Beschwerden einer Spätinfektion deutlich komplexer ausfallen.
Tab. 3
Richtlinien zur stadiengerechten Antibiotikatherapie.
Stadium
Diagnose
Therapiedauer
Antibiotikum
Frühinfektion
Erythema migrans
Borrelien-Lymphozytom
14 Tage
Amoxicillin 500 mg 3 ×/Tag p. o.
Cefuroximaxetil 500 mg 2 ×/Tag p. o.
Alternative:
Azithromycin 500 mg /Tag 7 – 10 Tage p. o.
frühe Disseminierung
21(– 28) Tage
isolierte Fazialisparese
14(– 28) Tage
Doxycyclin 100 mg 2 ×/Tag p. o.
akute Neuroborreliose
chronische Neuroborreliose
14 Tage
21 Tage
Ceftriaxion 2 g/Tag i. v.
Penicillin G 5 Mio IE 4 ×/Tag i. v.
Doxycyclin 100 mg 2 – 3 ×/Tag p. o.
Lyme-Karditis (mild)
14 – 21 Tage
Doxycyclin 100 mg 2 ×/Tag p. o.
Amoxicillin 500 mg 3 ×/Tag p. o.
Lyme-Arthritis
28 Tage
Lyme-Karditis (schwer), rezidivierende Arthritis, Arthritis mit neurolog. Beteiligung
14 – 28 Tage
Ceftriaxion 2 g/Tag i. v.
Spätinfektion
Acrodermatitis chronica atrophicans
21 Tage
Doxycyclin 100 mg 2 ×/Tag p. o.
Amoxicillin 500 mg 3 ×/Tag p. o.
Cefuroximaxetil 500 mg 2 ×/Tag p. o.
Cave: Doxycyclin bei Kindern erst ab dem 9. Lebensjahr, KI: Schwangerschaft und Stillzeit
Zur Behandlung der Frühinfektion weisen Doxycyclin, Amoxicillin und Cefuroximaxetil vergleichbare Effizienzraten auf. Doxycyclin ist auch gegen eventuelle Koinfektionen wirksam und zeichnet sich außerdem durch eine gute Penetration ins Zentralnervensystem aus. Es ist daher gerade in Endemiegebieten häufig Mittel der ersten Wahl. Azithromycin hat im Vergleich zu den Erstlinientherapeutika eine geringere Wirksamkeit. Es kann allerdings im Falle von Kontraindikationen gegenüber anderen Antibiotika eingesetzt werden.
Studien mit Doxycyclin haben gezeigt, dass 10 – 14 Tage Therapie für EM ausreichend sein können. Liegen allerdings Symptome einer frühen Disseminierung vor, empfiehlt sich eine Therapiedauer von 21 – 28 Tagen. Doxycyclin ist kontraindiziert bei Kindern unter 8 Jahren, bei Schwangeren und in der Stillzeit [21 ].
Eine systemische Infektion mit neurologischer Beteiligung kann parenteral mit Ceftriaxon, Cefotaxim oder Penicillin G über 14 Tage therapiert werden. Eine orale Gabe von Doxycyclin über 21 Tage hat eine vergleichbare Wirksamkeit. Doxycyclin ist bei einer isolierten Fazialisparese Mittel der Wahl [46 ]
[47 ].
Systemische Spätinfektionen werden im Falle kardialer Beteiligung oder einer Lyme-Arthritis mit Doxycyclin oder Amoxicillin über vier bzw. drei Wochen oral therapiert. Patienten mit kardialen Manifestationen sollten stationär monitorisiert werden. Neurologische Spätstadien (z. B. Enzephalomyelitis, periphere Neuropathie) werden nach den Schemata einer frühen Neuroborreliose behandelt. ACA wird nach den Richtlinien einer lokalisierten Frühinfektion (EM) behandelt. Die Therapiedauer verlängert sich lediglich auf 21 Tage [48 ].
Zu Beginn der Antibiotikatherapie kann infolge einer vermehrten Antigenfreisetzung durch den Zerfall der Bakterien eine klinische Verschlechterung der Symptome eintreten (Jarisch-Herxheimer-Reaktion).
Post-Lyme-Disease-Syndrom
Post-Lyme-Disease-Syndrom
Die Prognose der Lyme-Borreliose ist bei korrekt durchgeführter und frühzeitiger Therapie ausgesprochen gut. Die Antibiotikatherapie beschleunigt in den Frühstadien das Abklingen der Beschwerden und kann das Auftreten von Spätstadien in den meisten Fällen verhindern. Bei einigen wenigen Patienten können auch nach lege artis durchgeführter Therapie unspezifische und subjektive Beschwerden, wie Myalgien, Müdigkeit oder neurokognitive Störungen, persistieren. Bleiben die Symptome über mehr als 6 Monate erhalten, spricht man von einem postinfektiösen Syndrom oder Post-Lyme-Disease-Syndrom. Die Ätiologie ist unbekannt und die Therapie oft frustran. Als Ursache werden unter anderem persistierende postinfektiöse Entzündungsreaktionen, Autoimmunreaktionen oder irreversible gewebsstrukturelle Veränderungen in der Haut, dem Nervengewebe oder der Synovia vermutet. Auch eine Persistenz der Erreger wird diskutiert [28 ]
[49 ].
Prophylaxe
Die beste Prophylaxe liegt in der Prävention eines Zeckenstiches. Wer sich in Endemiegebieten im Lebensraum der Zecken bewegt, sollte sich durch bedeckende Kleidung und Insektenrepellents schützen. Nach dem Aufenthalt sollte in jedem Fall die gesamte Haut, inklusive der Kopfhaut, gründlich nach Zecken abgesucht werden. Prophylaktische Therapien mit Doxycyclin nach einem Zeckenstich können eine frühe Borreliose zwar wirksam verhindern, deren Routineeinsatz kann allerdings aufgrund der niedrigen Infektionsraten nach Zeckenstich nicht generell empfohlen werden [50 ].