FVC Methodik
Die Spirometrie bezeichnet ein Messverfahren, welches die mobilisierbaren Lungenvolumina quantitativ erfasst. Das maximale ausatembare Volumen, gemessen aus maximaler Inspiration in einem forcierten Ausatemmanöver, bezeichnet man als forcierte Vitalkapazität (FVC). Die technischen Voraussetzungen und Durchführungsbestimmungen für diese Messung sind international standardisiert, sodass diese Methodik besonders robuste und reproduzierbare Ergebnisse liefert [1]. Die Genauigkeit der Methode beträgt dabei ± 50 ml, bezogen auf ein maximales Messvolumen von 10 Litern; die Testvariabilität zwischen den Messungen beträgt maximal ± 3,5 % oder ± 100 ml [1]. Für die Beurteilung des Verlaufs von Lungenerkrankungen werden serielle Lungenfunktionsmessungen, speziell der FVC, zur Objektivierung des klinischen Eindrucks in der Pneumologie routinemäßig eingesetzt.
FVC und idiopathische Lungenfibrose
Die idiopathische Lungenfibrose (IPF) ist eine schwerwiegende, progredient verlaufende Erkrankung. Sie ist mit einer schlechten Prognose belastet [2]; das mediane Überleben ab Diagnose wird auf 2 – 4 Jahre geschätzt. Bei der IPF kommt es zu einer fortschreitenden Vernarbung der Lunge, gekennzeichnet durch die Vermehrung von Fibroblasten, die Ablagerung von extrazellulärer Matrix (u. a. Kollagenfasern), dem bindegewebigen Umbau der Lungenbläschen (Alveolen) und Zerstörung der Lungenarchitektur. Dies führt bei einem IPF-Patienten zu einer progredienten und irreversiblen Abnahme der Lungenfunktion, bis der Patient final im respiratorischen Versagen verstirbt. Dieser progrediente Fibrosierungsprozess führt zu einer Zerstörung der physiologischen Lungenarchitektur mit fortschreitender Vernarbung und Schrumpfung der Lunge, die sich unmittelbar in einer Abnahme der FVC manifestiert. Der individuelle Verlauf der Erkrankung kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen [3]. Die fortschreitende Vernarbung und Schrumpfung der Lunge führt im Krankheitsverlauf der IPF fortschreitend und unumkehrbar zu einer Abnahme der FVC. Die jährliche FVC-Abnahme liegt bei IPF-Patienten im Durchschnitt bei ca. 150 – 250 ml, verglichen mit ca. 30 – 65 ml/Jahr bei Gesunden [3]
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[7]. Im Fall der IPF ist der Abfall der FVC daher unmittelbarer Ausdruck des Krankheitsgeschehens und spiegelt die Krankheitsprogression mit großer Präzision wider. Der Abfall der FVC ist daher bei der IPF ein Ausdruck der Erkrankung, welcher anderen unspezifischen klinischen Folgeerscheinungen der IPF (z. B. Dyspnoe, Leistungsminderung etc.) mindestens gleichwertig, unter Berücksichtigung der hohen Messgenauigkeit sogar überlegen ist.
Über die letzten zwei Dekaden wurden zahlreiche klinische Studien durchgeführt, um wirksame Behandlungsoptionen zu finden, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können [8]. Die Wahl geeigneter Studienendpunkte war in den vergangenen Jahren Gegenstand intensiver und kontroverser wissenschaftlicher Diskussionen. Als primärer Studienendpunkt wäre der Nachweis einer Senkung der Gesamtmortalität sicherlich der unbestreitbarste Wirksamkeitsnachweis. Aufgrund der hohen erforderlichen Patientenzahlen, der nötigen Studiendauer und der sich daraus ergebenden ethischen Bedenken wird ein solcher Ansatz als nicht praktikabel angesehen [9]
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[12]. Als sekundärer Endpunkt wird Mortalität in klinischen Studien zwar erfasst, jedoch sind diese Studien nicht ausreichend gepowert, um einen signifikanten Unterschied zeigen zu können. In dieser Situation bietet sich die Erfassung des Abfalls der FVC im Zeitverlauf als direktes Maß für Krankheitsprogression als Studienendpunkt an; dies umso mehr, als sich sowohl in retrospektiven als auch in prospektiven Studien eine klare Beziehung zwischen Abfall der FVC und Mortalität nachweisen ließ. Infolgedessen hat sich die serielle Messung der FVC zur Erfassung der Krankheitsprogression als primärer Endpunkt in klinischen Studien etabliert und ist auch weltweit von den Zulassungsbehörden als primärer Endpunkt in Studien akzeptiert.
FVC und Mortalität
Ein ganz grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Lungenfunktion und Mortalität wurde in zahlreichen großen Studien belegt [4]
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[16]. Speziell für Patienten mit IPF konnten mehrere Studien zeigen, dass eine Abnahme der FVC mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist [11]
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[21]. In einer prospektiv erfassten Population von 1156 IPF-Patienten wurde das Mortalitätsrisiko von Patienten mit einer definierten FVC-Abnahme gegenüber stabilen Patienten ermittelt [21]. Patienten, die eine FVC-Abnahme von > 10 % des Sollwerts innerhalb von 24 Wochen aufwiesen, hatten ein mehr als vierfach erhöhtes Mortalitätsrisiko, bezogen auf die folgenden 12 Monate, verglichen mit Patienten, deren FVC-Abnahme < 5 % des Sollwerts in 24 Wochen betrug (HR 4,78; 95 % KI 3,12 – 7,33; p < 0,001). Darüber hinaus wurde auch gezeigt, dass bereits eine geringere Abnahme von 5 – 10 % des Sollwerts mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert ist (HR 2,14; 95 % KI 1,43 – 3,20; p < 0,001). Eine kategorische Abnahme der FVC von 5 oder 10 % des Sollwerts eignet sich daher, um ein erhöhtes Mortalitätsrisiko zu beschreiben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die Beurteilung eines kategorischen FVC-Abfalls von 5 – 10 % versus > 10 % nicht allein der Unterschied in der Amplitude der Änderung relevant ist. Vielmehr ist, bedingt durch die intraindividuell bei seriellen FVC-Messungen zu erzielende Messgenauigkeit, die Irrtumswahrscheinlichkeit bei einem 5 – 10 %igen FVC Abfall ca. 10 – 20 %, während sie bei einem über 10 %igen FVC-Abfall kleiner als 5 % ist. Dementsprechend ist in einer IPF-Population die Assoziation zwischen einem > 10 %igen FVC-Abfall und dem Mortalitätsrisiko auch deshalb deutlich größer als für einen 5 – 10 %iger FVC-Abfall, weil die Zahl der fälschlich als progredient klassifizierten Patienten in letzterem Fall höher ist.
Für die Indikation IPF ist daher festzuhalten, dass der Nachweis einer Krankheitsprogression in Form eines Abfalls der FVC regelmäßig mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden ist.
Allerdings war bislang nicht geklärt, ob eine Intervention, welche die FVC-Abnahme verlangsamt, auch einen positiven Effekt auf die Mortalität zeigen würde. In Abwesenheit wirksamer Medikamente war ein solcher Beweis auch nicht zu führen.
Seit 2011 sind Pirfenidon und seit 2015 Nintedanib in der Europäischen Union zur Behandlung der IPF zugelassen.
Die Mitarbeiter der FDA veröffentlichten kürzlich eine Analyse, bei der die FVC-Abnahmen und die Gesamtmortalität in den Pirfenidon- und Nintedanib-Studien untersucht wurden [22]. In Studien, bei denen Nintedanib oder Pirfenidon die FVC-Abnahme signifikant reduzierte, wurde immer auch ein numerischer Trend zugunsten einer verringerten Mortalität festgestellt (Hazard Ratio < 1, vgl. [Tab. 1]). Bei der Beurteilung der Gesamtmortalität in den beiden Nintedanib-Studien in [Tab. 1] (Nintedanib study 2 und Nintedanib study 3) sind die %-Angaben und Hazard Ratios relevant, während die Absolutzahlen wegen der 3 : 2-Randomisierung irreführend sind. In einer Studie, bei der Pirfenidon keinen signifikanten Effekt auf die FVC-Abnahme zeigte („Pirfenidone study 3“, vgl. [Tab. 1]), konnte entsprechend auch kein solcher Trend bezüglich der Mortalität gefunden werden.
Tab. 1
Analyse des Zusammenhangs zwischen der forcierten Vitalkapazität und der Gesamtmortalität [22].[1]
Studie
|
forcierte Vitalkapazität
|
Gesamtmortalität
|
|
Änderung vom Ausgangswert (ml)
|
Unterschied zwischen den Therapiearmen (95 % Cl)
|
Anzahl Todesfälle (%)
|
Hazard Ratio für die Zeit bis zum Tod (95 % Cl)
|
|
Studienmedikament
|
Placebo
|
|
Studienmedikament
|
Placebo
|
|
Pirfenidone study 2 (November 2008)
|
−318
|
−475
|
157 (3 to 311)
|
14 (8,0)
|
20 (11,5)
|
0,65 (0,33 to 1,29)
|
Pirfenidone study 3 (November 2008)
|
−379
|
−373
|
−6 (−178 to 167)
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18 (10,5)
|
17 (9,8)
|
1,07 (0,55 to 2,08)
|
Pirfenidone study 1 (resubmitted; February 2014)
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−235
|
−428
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193 (96 to 289)
|
12 (4,3)
|
21 (7,6)
|
0,57 (0,28 to 1,16)
|
Nintedanib study 1 (June 2010)
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−60
|
−191
|
131 (27 to 235)
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7 (8,1)
|
9 (10,3)
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0,73 (0,27 to 1,98)
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Nintedanib study 2 (October 2013)
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−115
|
−240
|
125 (78 to 173)
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13 (4,2)
|
13 (6,4)
|
0,63 (0,29 to 1,36)
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Nintedanib study 3 (October 2013)
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−114
|
−207
|
94 (45 to 143)
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22 (6,7)
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20 (9,1)
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0,74 (0,40 to 1,35)
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1 Legende: Die Studien wurden chronologisch aufgelistet. Die Studiennummer entspricht der im Label verwendeten Bezeichnung, zusätzlich ist der Monat angegeben, in dem die Rekrutierung abgeschlossen war.
Die für die FVC angegebenen Daten entsprechen dem absoluten Unterschied zwischen Ausgangswert und Woche 52 für die Pirfenidon-Studie 1, zwischen Ausgangswert und Woche 72 für die Pirfenidon-Studien 2 und 3 und zwischen Ausgangswert und Woche 52 für die Nintedanib-Studien. In den Pirfenidon-Studien wurde deskriptive Statistik verwendet, in den Nintedanib-Studien erfolgte eine Regressionsanalyse. Für die Gesamtmortalität wurde der Vitalstatus von der Randomisation bis zum Todeszeitpunkt analysiert, wobei alle Todesfälle berücksichtigt wurden, unabhängig von der Todesursache und auch unabhängig davon, ob der Patient noch das Medikament eingenommen hat oder nicht. Hazard ratios für die Zeit bis zum Tod basieren auf der Cox proportionalen-hazards Regressionsanalyse. CI steht für „Confidenz Intervall“.
Bislang konnten alle Studien, in denen Interventionen einen Effekt auf die FVC-Abnahme hatten, auch einen gleichgerichteten positiven Trend bezüglich der Mortalität zeigten. Damit ist eine zentrale Bedingung erfüllt, sodass die FVC als Surrogatparameter für Mortalität anerkannt werden kann.
Die FVC-Abnahme hat sich als primärer Endpunkt in klinischen Studien bewährt. FVC-Messungen sind einfach durchzuführen und darüber hinaus sehr gut reproduzierbar. Es wurde gezeigt, dass die FVC-Abnahme Ausdruck der Krankheitsprogression und mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist. Darüber hinaus konnte in allen Studien, bei denen eine Intervention die FVC-Abnahme verlangsamte, auch ein gleichgerichteter positiver Trend auf die Abnahme der Mortalität festgestellt werden. Dies zeigt eindeutig, dass die FVC-Abnahme ein valider Studienendpunkt eigenständiger klinischer Relevanz und mit klarem Bezug zur Gesamtmortalität ist und als solcher bei der Bewertung des patientenrelevanten Nutzens einer Therapie berücksichtigt werden sollte.