Aktuelle Urol 2014; 45(05): 350-352
DOI: 10.1055/s-0034-1393915
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hodenkarzinom – Organerhaltende OP ohne Ischämie ist vielversprechend

Contributor(s):
Antonie Post

Urology 2014;
83: 1107-1111
Further Information

Publication History

Publication Date:
02 October 2014 (online)

 

Die Orchiektomie mit Durchtrennung des Samenstrangs am inneren Leistenring ist die Standardtechnik bei der Operation testikulärer Neoplasien, die jedoch, insbesondere bei bilateralen Tumoren oder Einzelhoden, zur Androgendeprivation und Minderung oder Verlust der Fertilität führt. Eine österreichische Studie hat nun mit einer organerhaltenden Technik ohne Abklemmen des Samenstrangs wirksame und sichere Ergebnisse bei Hodenkrebspatienten erzielt.
Urology 2014; 83: 1107–1111

mit Kommentar

Nicolai Leonhartsberger, Medizinische Universität Innsbruck / Österreich, et al. schlossen 65 Patienten mit 68 Hodentumoren zwischen Januar 2003 und Oktober 2010 in ihre Studie ein. Die Patienten hatten Tumoren in einem Einzelhoden (markerpositiv oder -negativ), markernegative Stadium-I-Tumoren mit einer Größe ≤ 30 mm (einschließlich maligner, metachroner, kontralateraler Keimzelltumoren) oder bilaterale synchrone Hodentumoren. Den Cut-off-Wert von 30 mm legten die Autoren fest, um genügend testikuläres Parenchym erhalten zu können. Das Tumorvolumen sollte weniger als 30 % des Hodenvolumens betragen. Ausschlusskriterien waren vergrößerte Hoden, erhöhte Tumormarker mit einem normalen kontralateralen Hoden oder Tumordurchmesser > 30 mm.

Vor der Operation untersuchten die Ärzte alle Patienten umfassend, dazu gehörte

  • klinische Untersuchung,

  • skrotale Hochfrequenz-Sonografie (Linearschallkopf, 8–13 MHz)

  • Computertomografie des Beckens, Abdomens und der Lungen.

Außerdem bestimmten sie die Tumormarker

  • Alpha-1-Fetoprotein (AFP),

  • humanes Choriongonadotropin (β-hCG) und

  • Laktatdehydrogenase (LDH).

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Enukleationsresektion testikulärer Keimzelltumoren. Nachdem die für die Eukleation geeigneten kleinen Hodentumoren in aller Regel von einer Pseudokapsel umgeben sind, kann das den Tumor umgebende Hodenparenchym mit der Rückseite des Skalpells vom Tumor abgeschoben werden. (Bild: Heidenreich A, Albers P. Ablatio testis und Enukleationsresektion. In: Albers P, Heidenreich A, Hrsg. Standardoperationen in der Urologie. Stuttgart: Thieme, 2006)

Keine Rezidive nach über 50 Monaten Follow-up

Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 38,9 Jahre (Range: 20–69 Jahre). Die Tumorlokalisation war links bei 34 und rechts bei 28 Patienten. Drei Patienten hatten bilaterale Tumoren. Die Tumorgröße lag zwischen 2 und 30 mm (Durschnitt: 14,8 mm). Alle Eingriffe erfolgten durch einen inguinalen Zugang, der Samenstrang wurde weder isoliert noch abgeklemmt. Während der Operation ließen die Autoren Gefrierschnittuntersuchungen der Tumoren durchführen. Lag ein maligner Keimzelltumor vor, führten sie bei einem normalen kontralateralen Hoden und unauffälligen Tumormarkern eine radikale Orchiektomie des tumortragenden Hodens durch (n = 35, durchschnittliche Tumorgröße: 14 mm). Bei 30 Patienten konnten die Autoren 33 organerhaltende Eingriffe komplikationslos durchführen. Die durchschnittliche Tumorgröße lag bei 9 mm (Range: 2–20 mm). Keiner der Patienten erfuhr ein lokales oder systemisches Rezidiv. Die Serumtestosteronspiegel aller Patienten blieben im Normalbereich mit 2 Ausnahmen, deren Spiegel leicht gesunken waren. Alle Patienten gelten derzeit als geheilt bei einem medianen Follow-up von 52,5 Monaten (Range: 3–107 Monate).

Fazit

Nach Aussage der Autoren ist die in ihrer aktuellen Studie mit einer kleinen Kohorte eingesetzte organerhaltende Operationstechnik ohne Abklemmen der Samenstränge sicher und zuverlässig bei ausgewählten Patienten mit kleinen Hodentumoren. Die Technik ohne Ischämie böte eine gute Krebskontrolle ohne die Gefahr einer Überbehandlung.


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Kommentar

Eine Technik, die zu selten eingesetzt wird

Die organerhaltende Tumorenukleationsresektion vor allem bei solitärem Hoden oder bei histologisch und biochemisch negativen unklaren kleinen Raumforderungen auch bei kontralateral gesundem Hoden ist bis heute eine Technik, die vermutlich zu selten eingesetzt wird, obwohl sie seit langem Eingang in internationale Leitlinien gefunden hat [ 1 ]. Die Arbeit von Leonhartsberger bestätigt zum einen die Sinnhaftigkeit des operativen Vorgehens, zum anderen weist sie erstmals konsequent nach, dass es keiner Ischämie bedarf, um den Tumor sicher aus dem Hodenparenchym herauszupräparieren.

Hypothetisch spricht gegen eine Operation ohne Ischämie nur das möglicherweise erhöhte Metastasierungsrisiko während der Operation an einem malignen Befund unter unbeeinträchtigtem venösem Abstrom [ 2 ]. Hierzu gibt es jedoch keine experimentellen oder klinischen Hinweise. Vielmehr scheint das Metastasierungspotenzial maligner Keimzelltumoren eher von der genetischen und epigenetischen Veränderung abzuhängen. Ohne z. B. metastasierungsassoziierte Genveränderungen (z. B. „self-renewal“ von testikulären Stammzellen über die Persistenz von Stammzellgenen wie NANOG, SOX oder Entwicklungsgenen wie cKIT) scheint keine Metastasierung stattfinden zu können. So ist es sehr unwahrscheinlich, dass die potenzielle mechanische Aussaat von Tumorzellen bei der ischämiefreien Operationstechnik eine höhere Rate an Metastasen bewirkt.

Nach einem Nachsorgezeitraum von 50 Monaten konnten die Autoren der Arbeit ohne adjuvante Therapie keine systemische Metastasierung finden. Vielmehr ist aber die Integrität der Sertoli- und vielleicht auch Leydigzellen durch eine Ischämie bedroht. Sicher vor allem dann, wenn die Ischämie über 30 min andauert. Dies haben die Autoren im Artikel gut ausgeführt. Insofern hat die publizierte Arbeit praktische Relevanz und sollte zu einer großzügigeren Indikationsstellung für ein primär organerhaltendes Vorgehen bei kleinen Raumforderungen des Hodens auch bei kontralateral gesundem Hoden führen.

Prof. Dr. Peter Albers, Düsseldorf


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Prof. Dr. Peter Albers


ist Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf

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  • Literatur

  • 1 Albers P, Albrecht W, Algaba F et al. EAU guidelines on testicular cancer: 2011 update. Eur Urol 2011; 60: 304-319
  • 2 Giannarini G, Dieckmann KP, Albers P et al. Organ-sparing surgery for adult testicular tumours: a systematic review of the literature. Eur Urol 2010; 57: 780-790

  • Literatur

  • 1 Albers P, Albrecht W, Algaba F et al. EAU guidelines on testicular cancer: 2011 update. Eur Urol 2011; 60: 304-319
  • 2 Giannarini G, Dieckmann KP, Albers P et al. Organ-sparing surgery for adult testicular tumours: a systematic review of the literature. Eur Urol 2010; 57: 780-790

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Enukleationsresektion testikulärer Keimzelltumoren. Nachdem die für die Eukleation geeigneten kleinen Hodentumoren in aller Regel von einer Pseudokapsel umgeben sind, kann das den Tumor umgebende Hodenparenchym mit der Rückseite des Skalpells vom Tumor abgeschoben werden. (Bild: Heidenreich A, Albers P. Ablatio testis und Enukleationsresektion. In: Albers P, Heidenreich A, Hrsg. Standardoperationen in der Urologie. Stuttgart: Thieme, 2006)