Mit dem zunehmenden Alter der Bevölkerung in Europa steigt auch der Anteil der Reisenden mit Vorerkrankungen. Ein signifikanter Anteil der reisemedizinischen Beratungen berührt mittlerweile das Thema Immunsuppression. Die Ursachen für diese Immundefekte sind vielfältig. In den überwiegenden Fällen können immunsuppressive Therapien, HIV und Zustand nach Chemotherapie bösartiger Erkrankungen dafür verantwortlich gemacht werden. Diese Population ist besonders gefährdet durch Komplikationen reiseassoziierter Infektionskrankheiten wie Hepatitis A. Lebendimpfungen können in dieser Gruppe potenziell riskant sein und sind daher oft kontraindiziert. Ist eine Totimpfung verfügbar, ist jedoch die Indikation weit zu stellen.
Insbesondere bei der medikamentösen Immunsuppression kommt eine Vielzahl verschiedener Medikamente in variabler Dosierung zum Einsatz. Häufig ist der Effekt der Medikation auf die Immunantwort nach Totimpfung nicht untersucht. Daher kann bei der Beratung zur erwartenden protektiven Immunität keine eindeutige Aussage gemacht werden. Durch die Empfehlungen zur Impfung bei Immunsuppression zieht sich der Konsens, dass es besser ist zu impfen als nicht zu impfen [
1
]. Wenn auch sicher grundsätzlich richtig, ist dieser Standpunkt jedoch durch wenig wissenschaftliche Daten untermauert.
Daher ist jede Studie zu begrüßen, die den Impfeffekt unter Immunsuppressiva untersucht. Da solche Untersuchungen in der Regel ohne externe Finanzierung durchgeführt werden müssen, sind die Patientenzahlen oft klein und die Untersuchungszeiträume kurz. Im Jahr 2013 veröffentlichte eine holländische Arbeitsgruppe Ergebnisse einer kleinen Studie an Patienten unter immunsuppressiver Medikation, die gegen Hepatitis A geimpft wurden [
2
]. Innerhalb von 4 Wochen nach der Impfung wurden bei 50 % der gesamten Gruppe protektive Antikörpertiter nachgewiesen. Danach stieg der Anteil auf 64 %. Je nach Medikation fanden sich deutliche Unterschiede im Ansprechen auf die Impfung. Den stärksten immunsuppressiven Effekt hatte anti-TNF. Schlussfolgerung aus dieser Studie war vor allem, dass bei medikamentöser Immunsuppression möglichst langfristig vor einer Reise geimpft werden sollte, um die Chance einer effektiven Seroprotektion zu erhöhen.
In der jetzt vorliegen Untersuchung aus Schweden zeigt sich, dass auch bei Behandlung mit anti-TNF eine gute Protektionsrate erzielt werden kann. Jedoch ist die Verabreichung beider Impfungen gegen Hepatitis im Abstand von mindestens 6 Monaten notwendig, um neben der kompletten Immunisierung auch eine entsprechende Protektion versprechen zu können. Bei aller Vorsicht, die man bei der Extrapolation dieser Ergebnisse auf andere Totimpfstoffe walten lassen sollte, hat diese Studie doch das Potenzial, die Beratung von Patienten unter immunsuppressiver Therapie grundsätzlich zu ändern. Für die Reisemedizin relevante Totimpfstoffe sollten offensichtlich nicht kurzfristig vor einer anstehenden Reise gegeben werden, da dann der Schutz in vielen Fällen nicht ausreichend sein wird. Vielmehr sollte bei anstehender oder bereits durchgeführter Therapie langfristig über eine mögliche Immunisierung mit potenziell sinnvollen Totimpfstoffen nachgedacht werden. Nur so kann dann bei anstehender Exposition durch eine Reise auch von einem Schutz ausgegangen werden.
Tomas Jelinek, Berlin
Deutsche Fachgesellschaft für Reisemedizin