Abb.: itsmejust/shutterstock.com
Aus der Perspektive der Gesundheitsberufe sind die meisten Patienten Laien, wenn es um die Behandlung von Krankheiten oder die Förderung von Gesundheit geht. Sie selbst nehmen die Rolle des Experten ein. Oft machen sie dabei die Erfahrung, dass die Patienten sich nicht so verhalten, wie es aus ihrer Expertensicht wünschenswert wäre. Denn Menschen nehmen professionelle Ratschläge vor allem dann an, wenn diese mit ihren eigenen Vorstellungen übereinstimmen [1]. Diese Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit werden geprägt durch unser Wissen über die Welt und die eigene Person. Sie beeinflussen, ob wir Versorgungsleistungen in Anspruch nehmen, wie wir Krankheiten bewältigen und wie wir uns in einer Behandlung verhalten [2]. Sind wir uns also dieser Vorstellungen bewusst, kann dies wesentlich zum Erfolg einer Behandlung beitragen.
Von der Vorstellung zur Theorie
Als subjektive Krankheitsvorstellungen bezeichnen Forscher überzeugungen, überlegungen und Ideen zu einer bestimmten Krankheit, zum Beispiel Krebs [3]. Sie bilden den Oberbegriff für subjektive Krankheitskonzepte und Krankheitstheorien (Abb.).
Abb.: K. Baum
Krankheitskonzepte umfassen Vorstellungen dieser Krankheit und damit assoziierte Begriffe, zum Beispiel Chemotherapie. Krankheitstheorien gehen weiter. Sie sind komplexe gedankliche Konstruktionen etwa über die Entstehung, den Verlauf, die Behandlungsmöglichkeiten und die Folgen der Krankheit [4]. Hat ein Mensch diese Krankheit einmal selbst erlebt oder im näheren sozialen Umfeld beobachtet, kann das dazu führen, dass sich die Vorstellung differenziert – aus einem Krankheitskonzept wird eine subjektive Krankheitstheorie [2].
Subjektive Krankheitstheorien haben eine wichtige Funktion bei der Krankheitsbewältigung. Vor allem eine chronische Erkrankung, wie Krebs, ist ein einschneidendes Lebensereignis. Ärzte und Therapeuten versuchen dem Patienten in solchen Situationen das Krankheitsgeschehen möglichst objektiv und wertfrei zu beschreiben. Der Patient stellt sich aber unweigerlich auch Fragen nach dem Sinn der Krankheit und einer moralischen „Schuld“ [2]. Die subjektiven Krankheitstheorien ermöglichen es dem Patienten, seine Situation zu begreifen. Sie liefern nachträgliche Erklärungen und ermöglichen eine Rechtfertigung [4, 5]. Ist der Patient beispielsweise an Lungenkrebs erkrankt, könnte er sein jahrelanges Rauchen durch zu viel Stress am Arbeitsplatz vor sich selbst rechtfertigen.
Nach einer Diagnose kommt unweigerlich die Frage nach dem Sinn der Krankheit.
Bemerken Patienten, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmt, gehen ihnen hunderte Gedanken durch den Kopf. Diese Gedankengänge haben Wissenschaftler untersucht und herausgefunden, dass sie oftmals die folgenden fünf Aspekte umfassen [6]:
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> Sie verbinden gedanklich ihre Symptome mit einem Krankheitsbild.
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> Sie spekulieren über die Krankheitsursachen.
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> Sie entwickeln Erwartungen an die Dauer und den zeitlichen Verlauf der Erkrankung.
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> Sie entwickeln Erwartungen an die unmittelbaren und langfristigen Folgen die Erkrankung.
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> Sie spekulieren über die Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung.
Zunächst nimmt der Patient krankheitsverdächtige Symptome bei sich wahr und macht sich Gedanken über deren Gründe, beispielsweise ein geschwächtes Immunsystem oder schwierige soziale Beziehungen. Er sucht nach einer entsprechenden Bezeichnung für die Symptomatik. Treten dabei Unsicherheiten auf, wird er dazu tendieren, einen Expertenrat einzuholen beziehungsweise Versorgungsleistungen, wie eine ärztliche Behandlung, in Anspruch zu nehmen. Als Ansprechpartner kommen dabei nicht nur Ärzte oder Therapeuten in Frage, sondern auch andere Personen, die als kompetent wahrgenommen werden, etwa Freunde oder Angehörige. Wichtig ist für den Patient auch die Frage nach der Dauer, dem Verlaufstyp und der Perspektive ihrer Symptomatik. Abhängig von der vermuteten Krankheitsschwere entscheidet der Patient dann, ob er die Symptome selbst beeinflussen kann, zum Beispiel durch Selbstmedikation und Bettruhe, oder ob die Krankheit nur durch eine spezielle Therapie kontrollierbar ist [2].
Studienlage bisher einseitig
Wissenschaftler erfassen subjektive Krankheitstheorien in ihren Studien sowohl mit qualitativen Forschungsmethoden, wie Interviews, als auch mit quantitativen Methoden, beispielsweise speziellen Fragebögen. Genauere Untersuchungen auf diesem Gebiet befassten sich vorwiegend mit einem der fünf Aspekte, nämlich damit, wie Patienten über die Ursachen ihrer Erkrankung spekulieren. Im Vordergrund standen dabei schwere Erkrankungen, wie Krebs oder Herzinfarkt. Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit diesen Erkrankungen vorwiegend externale Faktoren, also Einwirkungen der Umwelt oder den Einfluss des Schicksals als Ursachen für ihre Erkrankung ansehen [4]. Dies liegt daran, dass eine Krankheit oftmals das Selbstwertgefühl belastet. In ein solchen Situation externale Gründe in den Vordergrund zu stellen, kann entlastend und relativierend wirken [7].
Theorien verändern sich mit dem Alter
Subjektive Krankheitstheorien stehen immer in einem lebensweltlich-sozialen (familiäre oder berufliche Situation) und biografischen Kontext [4]. Entsprechend der kognitiven Entwicklung im Altersverlauf werden die Theorien abstrakter und komplexer [2]. Im Kindesalter entstehen Kranheiten noch am häufigsten durch „Ansteckung“ mit Viren oder Ähnlichem. Später können auch Faktoren wie Lebensstil, Umwelteinflüsse, Fehlfunktionen von Organen oder psychische Komponenten eine Krankheit auslösen [8]. Durch im Kindesalter erlebte Krankheiten übernehmen wir teilweise die subjektiven Theorien unserer Eltern [2]. Besonders deutlich wird das zum Beispiel bei Erkältungen – die Erklärungsmuster und Behandlungsansätze der Eltern, wie Salbeitee trinken oder Wadenwickel, bleiben für viele Menschen unvergessen. Kulturelle Einflüsse auf Krankheitstheorien sind ebenfalls bekannt [9].
Im Gespräch mit dem Patienten über seine Krankheitsvorstellungen kann es darum gehen, Selbstvorwürfe zu entkräften, realistische Ziele zu vereinbaren und Fortschritte sichtbar zu machen. So können Therapeuten den Patienten dabei unterstützen, seine Krankheit besser zu bewältigen [2].