? Herr Professor Danne, aktuellen Untersuchungen zufolge sorgen sich viele Menschen
mit Diabetes vor Hypoglykämien, vor allem vor Unterzuckerungen in der Nacht. Wie erleben
Sie diese Sorge in der täglichen Praxis?
Danne: Viele Patienten fürchten sich vor Unterzuckerungen. Hypoglykämien stellen oftmals
für Patienten mit Diabetes, aber auch in einem hohen Ausmaß für ihre Angehörigen,
eine große Belastung im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung dar. Menschen mit Diabetes
sind nach einer nächtlichen Unterzuckerung vielfach nicht ausgeruht und entsprechend
in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Leider kann die Sorge vor einer nächtlichen
Hypoglykämie auch dazu führen, dass Patienten sich zu wenig Insulin geben. Sie riskieren
damit eine schlechtere glykämische Einstellung.
? Nächtlichen Hypoglykämien richtig begegnen: Was raten Sie Menschen mit Diabetes
und ihren Angehörigen und welche Anforderungen stellen sich an neue Therapiemöglichkeiten?
Danne: Menschen mit Diabetes und ihre Angehörigen sollten sich schulen lassen, um über Anzeichen
und Risiken Bescheid zu wissen. Zudem sollten Patienten bei Verdacht auf Unterzuckerungen
oder bei hohen Blutzuckerwerten nach dem Aufstehen auch nachts ihren Blutzucker messen,
um eine Hypoglykämie rechtzeitig zu erkennen und gegebenenfalls reagieren zu können.
Gerade aus diesem Grund rate ich meinen Patienten auch, dass sie nicht alleine wohnen
sollten bzw. ihr Umfeld über ihre Erkrankung und die entsprechende Notfallversorgung
informieren sollten. Im Ernstfall ist dann jemand zur Stelle, der weiß was zu tun
ist. Neue Behandlungsoptionen sollten daher ein möglichst geringes Risiko für Hypoglykämien
haben, um dadurch zur Sicherheit des Patienten beizutragen.
? Mit Insulin degludec ist seit Mai 2014 erstmals seit 10 Jahren ein neues Basalinsulin
in Deutschland verfügbar. Auf welcher Datenbasis erfolgte die Zulassung von Insulin
degludec?
Danne: Die Zulassung beruht auf dem Studienprogramm BEGIN®. Insgesamt wurden im Rahmen dieses Studienprogramms 4275 Patienten mit Typ-1- oder
Typ-2-Diabetes mit Insulin degludec behandelt. In den meisten Studien wurde das neue
Basalinsulin Insulin degludec mit Insulin glargin verglichen. Innerhalb des Studienprogramms
zeigte sich in der Studie BB T1 LONG bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, die zuvor mit
einem Basal-Bolus-Konzept behandelt wurden, über 52 Wochen keine Unterlegenheit von
Insulin degludec im Vergleich zu Insulin glargin: Die behandelnden Ärzte konnten ihre
Patienten bei einem Ausgangswert von durchschnittlich 7,7 auf einen durchschnittlichen
HbA1c-Wert von 7,3 einstellen. Unter Insulin degludec zeigte sich außerdem ein um 25 %
verringertes Risiko für bestätigte nächtliche Hypoglykämien. In der weiteren Studie
ONCE LONG über 52 Wochen, in die Menschen mit Typ-2-Diabetes eingeschlossen waren,
die mit den zur Verfügung stehenden oralen Medikamenten ausbehandelt waren, zeigte
sich ein ähnlicher Effekt: Es wurde ein um 36 % geringeres Risiko für das Auftreten
bestätigter nächtlicher Hypoglykämien unter Insulin degludec im Vergleich zu Insulin
glargin beobachtet. Eine prospektiv geplante Metaanalyse aus 7 klinischen Studien,
5 bei Typ-2-Diabetes und 2 bei Typ-1-Diabetes, ergab für Insulin degludec darüber
hinaus bei Patienten mit Typ-2-Diabetes bei vergleichbarer HbA1c-Senkung ein geringeres Risiko für nächtliche Hypoglykämien im Vergleich zu Insulin
glargin. Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes zeigte sich eine solche Überlegenheit in
der Erhaltungsphase ab der 16. Woche.
? Welche Bedeutung hat die neue Flexibilität von Insulin degludec für Menschen mit
Diabetes?
Danne: Vielen Menschen mit Diabetes ist es nicht möglich, ihr Basalinsulin immer zur gleichen
Zeit zu spritzen. Werden die regelmäßigen Abstände zwischen den Injektionen nicht
eingehalten, kann dies das Risiko für Hyper- und Hypoglykämien erhöhen. Die Einführung
von Insulin degludec ermöglicht Menschen mit Diabetes nun jedoch eine neue Flexibilität
im Rahmen ihrer Diabetestherapie. Dies bestätigen die beiden FLEX-Studien, in welchen
flexible Spritzzeiten im Abstand von 8–40 Stunden erzwungen wurden. Das Ergebnis:
Gegenüber der fixen Gabe entstand durch die flexible Wahl der Injektionszeitpunkte
kein Nachteil. Diese bei Bedarf mögliche Flexibilität des Spritzzeitpunkts ist für
Menschen mit Diabetes wirklich etwas Neues. Das ist besonders für junge Erwachsene
z. B. bei spontanen Klassentreffen, Univeranstaltungen oder Ausflügen mit Freunden
wichtig oder auch für Menschen, die im Schichtdienst arbeiten oder viel reisen und
dadurch häufig einen unterschiedlichen Tagesablauf haben. Wichtig ist jedoch, dass
der Abstand zwischen den Injektionen immer mindestens 8 Stunden beträgt.
! Herr Professor Danne, herzlichen Dank für das Gespräch.