Der Klinikarzt 2014; 43(11): 544-545
DOI: 10.1055/s-0034-1395917
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erweiterte Indikation für Tinzaparin – Niedermolekulares Heparin jetzt für die Langzeitbehandlung und Rezidivprophylaxe von VTE bei Tumorpatienten zugelassen

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Publikationsdatum:
15. Dezember 2014 (online)

 
 

Tinzaparin reduziert die Rezidivrate venöser Thromboembolien (VTE) bei Tumorpatienten signifikant effektiver als Vitamin-K-Antagonisten (VKA) – ohne das Blutungsrisiko zu steigern. Das zeigte die Main-LITE-Cancer-Studie [ 1 ], deren Ergebnisse bei einer Veranstaltung von LEO Pharma im Rahmen der 43. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA) im September in Hamburg vorgestellt wurden. Die positiven Daten bildeten die Basis für die Zulassungserweiterung des niedermolekularen Heparins (NMH): Tinzaparin (innohep®) ist seit Juni 2014 auch zur Langzeitbehandlung symptomatischer VTE und zur Rezidivprophylaxe bei Patienten mit aktiver Tumorerkrankung indiziert.

VTE sind die häufigste Todesursache in Europa

Die Inzidenz tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien in Europa wird für 2004 auf 470 000 und 300 000 Fälle geschätzt, bezogen auf eine Population von 310 Millionen Einwohnern [ 2 ]. „Mit über 540 000 Todesfällen sind VTE die häufigste Todesursache in Europa und die dritthäufigste kardiovaskuläre Erkrankung“, erklärte Prof. Ulrich Hoffmann, Klinikum Universität München. Die Rate werde in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Ein relevanter Risikofaktor für die Entstehung von Thrombosen sind Tumorerkrankungen: Krebspatienten haben ein 4–7-fach erhöhtes Risiko, eine VTE zu entwickeln [ 3 ]. Im ersten Monat nach Diagnosestellung ist das Risiko am höchsten. 15 % der Tumorpatienten erleiden eine VTE-Episode; 20 % der Patienten mit VTE haben eine aktive Tumorerkrankung – die häufig noch nicht diagnostiziert ist. Bei Krebspatienten treten VTE häufiger bilateral und an unüblichen Lokalisationen auf [ 3 ]. Komplikationen im Rahmen der Antikoagulation kommen häufiger vor, wie eine retrospektive Analyse von Hutten und Mitarbeitern zeigt [ 4 ]: Patienten mit Tumorerkrankungen erlitten dreimal häufiger ein VTE-Rezidiv pro Jahr als Patienten ohne Tumor (27,1 % versus 9 %), die Rate schwerer Blutungen war etwa 6-fach erhöht (13,3 % versus 2,1 %). „Das macht die antikoagulative Therapie bei diesen Patienten so schwierig“, so Hoffmann.


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VTE und Tumor:
Mortalität mehr als verdoppelt

Als „unheilige Allianz“ bezeichnete Prof. Helmut Ostermann, Klinikum Universität München, die Assoziation von Tumorerkrankung und Thrombose – nicht nur wegen des erhöhten Thromboserisikos, sondern auch wegen der Problematik hinsichtlich der Thrombosetherapie. Einer Studie zufolge ist das Mortalitätsrisiko bei Patienten mit VTE und Tumor ein halbes Jahr nach initialer Hospitalisierung mehr als verdoppelt gegenüber Patienten, die lediglich eine maligne Erkrankung haben [ 5 ]. „Auch langfristig ist die Prognose von Krebspatienten mit VTE signifikant schlechter, verglichen mit Krebspatienten ohne VTE“, legte Ostermann anhand einer weiteren Studie dar [ 6 ]. Die Standardtherapie der Thrombose – NMH über etwa 7 Tage gefolgt von oraler Antikoagulation mit VKA – sei bei Tumorpatienten nicht optimal. Als Gründe nannte Ostermann das erhöhte Blutungsrisiko, die Thrombozytopenie, Medikamenteninteraktionen, Leberfunktionsstörungen oder Mangelernährung und Erbrechen, die bei diesen Patienten häufig seien. Die Datenlage zu den direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) bei Tumorpatienten ist Ostermann zufolge noch nicht klar, DOAKs sollten daher bei diesen Patienten nicht eingesetzt werden.


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Standardtherapie bei Tumorpatienten weniger effektiv

Auch Prof. Rupert Bauersachs, Klinikum Darmstadt, betonte, dass die VTE-Prophylaxe und -Therapie bei Tumorpatienten „deutlich schlechter funktioniere und wesentlich komplikationsträchtiger“ sei. Zudem seien neue Antitumortherapien – insbesondere antiangiogenetische Substanzen – thrombogener. Unter VKA entwickelt nach einem Jahr jeder fünfte Tumorpatient ein VTE-Rezidiv und das Risiko für schwere Blutungen steigert sich von 4,9 % (Nicht-Tumorpatienten) auf 12,4 % (Tumorpatienten) [ 7 ]. „Die Therapie ist bei Krebspatienten also nicht so effektiv und sicher wie bei Patienten ohne Tumorerkrankung“, so Bauersachs. Angesichts dieses Dilemmas untersuchten verschiedene Studien andere Ansätze der Antikoagulation. Eine dieser Untersuchungen ist die Main-LITE-Cancer-Studie, deren Ergebnisse Bauersachs präsentierte [ 1 ].

Verglichen wurde die Wirksamkeit und Sicherheit einer längerfristigen Therapie mit dem NMH Tinzaparin gegen eine Standardtherapie bei initial hospitalisierten Patienten mit VTE. Eingeschlossen in die multizentrische Open-Label-Studie waren 200 Tumorpatienten, die in 2 Gruppen randomisiert wurden: 100 Patienten erhielten Tinzaparin über 84 Tage subkutan ohne Dosisreduktion (175 Anti-Xa I.E./kg). Im Vergleichsarm erhielten 100 Patienten initial unfraktioniertes Heparin (UFH) intravenös über maximal 6 Tage und wurden nachfolgend längerfristig mit dem VKA Warfarin weiterbehandelt. Patienten mit Niereninsuffizienz waren erst bei Dialysepflicht ihrer Erkrankung von der Studie ausgeschlossen.


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Rezidivrate unter Tinzaparin mehr als halbiert

„Das relative Risiko für ein VTE-Rezidiv konnte mit dem NMH mehr als halbiert werden“, berichtete Bauersachs. Nach 12 Monaten erlitten im Tinzaparin-Arm 7 von 100 Tumorpatienten ein Rezidiv gegenüber 16 von 100 Patienten im Kontrollarm (p = 0,044; RR = 0,44; absolute Differenz: -9 %; 95 % KI -21,7 % bis -0,7 %) (Abb. [ 1 ]). „Das Blutungsrisiko war trotz höherer Wirksamkeit nicht erhöht“, so Bauersachs weiter. Die Inzidenz von Blutungen war mit 27 % unter Tinzaparin und 24 % unter UFH/Warfarin in beiden Gruppen vergleichbar (absolute Differenz: -3 %; 95 % KI -9,1 % bis +15,1 %). Die Ergebnisse der Studie waren maßgeblich für die Zulassungserweiterung von Tinzaparin: Im Juni 2014 erweiterte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Zulassung auf die Langzeitbehandlung von VTE und die Rezidivprophylaxe bei Patienten mit aktiver Tumorerkrankung. „Die erweiterte Zulassung ist ein Gewinn für Ärzte und Patienten, weil Tinzaparin wirksam und sicher ist“, kommentierte Bauersachs. Die tägliche Einmalgabe sei in der Langzeitanwendung zudem ein relevanter Compliancefaktor.

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Abb. 1 Main-LITE-Cancer-Studie: Subgruppe Tumorpatienten. Tinzaparin vs. Warfarin bei Tumorpatienten mit VTE [ 1 ].
Tinzaparin

Tinzaparin (innohep®) ist das niedermolekulare Heparin mit dem größten durchschnittlichen Molekulargewicht und ist daher weniger von der renalen Elimination abhängig. Eine signifikante Wirkstoffkumulation wird in der Folge auch bei Niereninsuffizienz nicht beobachtet. Bis zu einer Kreatininclearance von 20 ml/min muss die Dosis nicht reduziert werden. Zugelassen ist Tinzaparin in Deutschland zur Therapie von thromboembolischen Ereignissen, einschließlich tiefer Venenthrombose (TVT) und Lungenembolie, zur postoperativen Primärprophylaxe von TVT bei Patienten mit niedrigem und mittlerem thromboembolischen Risiko sowie zur Gerinnungshemmung während der Hämodialyse. Seit Juni 2014 ist die Zulassung erweitert auf die Langzeitbehandlung symptomatischer venöser Thromboembolien und zur Rezidivprophylaxe bei Patienten mit aktiver Tumorerkrankung. Tinzaparin muss bei therapeutischer Anwendung nur einmal täglich subkutan injiziert werden [ 12 ].


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Leitlinien empfehlen niedermolekulares Heparin

Auch ein Cochrane-Review zeigt, dass die Langzeitgabe von NMH im Vergleich zu VKA die VTE-Rezidivrate bei Tumorpatienten mehr als halbiert und das Blutungsrisiko sich trotz höherer Effektivität nicht unterscheidet [ 8 ]. „Diese Evidenz fand Eingang in die aktuellen Leitlinien“ berichtete Bauersachs. So empfiehlt die Leitlinie zur VTE-Prophylaxe und -Therapie bei Krebspatienten der American Society for Clinical Oncology (ASCO) die Gabe von NMH für die Initialbehandlung bis Tag 10 und für die frühe Erhaltungstherapie über 3–6 Monate [ 9 ]. Auch die International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) bevorzugt NMH gegenüber UFH beziehungsweise gegenüber VKA in der Initialbehandlung beziehungsweise frühen Erhaltungstherapie [ 10 ]. Nach 3–6 Monaten sollte die Beendigung oder Fortführung der Antikoagulation – mit NMH oder VKA – sich an der individuellen Bewertung von Risiko und Nutzen, Verträglichkeit, am Patientenwunsch und der Tumoraktivität orientieren.

Für Dr. Robert Klamroth, Vivantes Klinikum Berlin, sind „NMH die Antikoagulanzien der Wahl bei Patienten mit einer tumorassoziierten venösen Thrombose“, wie er an Patientenbeispielen darstellte. Sie erlaubten aufgrund der langjährigen Erfahrung eine individualisierte Therapie auch bei Risikopatienten oder in Risikosituationen, etwa in der Schwangerschaft, bei Niereninsuffizienz oder Thrombozytopenie. „Eine Thrombozytenzahl von 50 000/µl ist die Grenze“, so Klamroth. Bei Werten darüber sei die volltherapeutische Dosis, darunter die halbe NMH-Dosis angezeigt. Bei weniger als 30 000 Thrombozyten/µl sei die Antikoagulation mit NMH zu unterbrechen [ 11 ]. Höhermolekulare Heparine wie Tinzaparin sind weniger abhängig von der renalen Elimination. Dies verhindert eine signifikante Wirkstoffkumulation auch bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Tinzaparin hat unter den NMH das höchste durchschnittliche Molekulargewicht. Daher ist auch bei Niereninsuffizienz bis zu einer Kreatininclearance von 20 ml/min keine Dosisreduktion erforderlich [ 12 ].

CATCH-Studie: Ergebnisse für Ende 2014 erwartet

Mit Spannung erwartet werden die Ergebnisse der CATCH-Studie [ 13 ]. Angesichts der älteren Studiendaten, die noch mit Antitumortherapien ermittelt wurden, die nicht mehr den heutigen Therapiestandards entsprechen, untersucht die Studie derzeit unter aktuellen Bedingungen die Langzeitgabe von Tinzaparin versus VKA. Eingeschlossen in die multinationale, multizentrische, randomisierte Open-Label-Studie sind 900 Tumorpatienten, die initial Tinzaparin (175 Anti-Xa I.E./kg über 5-10 Tage) und nachfolgend einen VKA über 6 Monate erhalten oder von Anfang an und durchgehend mit dem NMH behandelt werden. Beide Arme werden über weitere 30 Tage nachbeobachtet. Die Daten der Studie, an der Bauersachs beteiligt ist, sollen Ende 2014 vorliegen [ 13 ].

Michael Koczorek, Bremen

Quelle: Pressekonferenz „Tinzaparin bei tumorassoziierten Thrombosen – Von Main-LITE zur erweiterten Zulassung“, im Rahmen der 43. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA) am 4. September 2014 in Hamburg. Veranstalter: Leo Pharma GmbH.
Der Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Leo Pharma GmbH.
Der Autor ist freier Journalist.


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Abb. 1 Main-LITE-Cancer-Studie: Subgruppe Tumorpatienten. Tinzaparin vs. Warfarin bei Tumorpatienten mit VTE [ 1 ].