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DOI: 10.1055/s-0034-1397819
Brustödem mit chronisch superinfizierter Fistel – Wunddehiszenz bei stark sezernierender, radiogen veränderter Mamma – Erfahrungen mit der Unterdruck-Wundtherapie
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Publication History
Publication Date:
10 July 2015 (online)
Einleitung
Wundheilungsstörungen gehören zu den häufigen postoperativen Komplikationen und können besonders gravierend sein, wenn mehrere Risikofaktoren bei einer Patientin zusammenkommen [1]. Wir stellen eine Patientin mit Mammakarzinom vor, bei der nach Exstirpation einer Strahlenfistel eine gravierende Wunddehiszenz mit Superinfektion und chronischer Serombildung auftrat. Der Heilungsprozess gestaltete sich äußerst langwierig und kompliziert, da die unten genannte Multimorbidität kaum beeinflusst werden konnte.
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Anamnese und Zusammenfassung des Verlaufs
Die 60-jährige Patientin wurde aus der Screeningeinheit mit einem 12 mm durchmessenden, gut differenzierten Mammakarzinom links vorgestellt. Bei der adipösen Patientin (BMI 38) waren eine chronische Hepatitis C mit Leberzirrhose Grad II, Hepatosplenomegalie, Hypoalbuminämie und Thrombozytopenie (72/nl) bekannt. Bei sonst unauffälliger Gerinnung wurde die brusterhaltende Therapie und Sentinelbiopsie durchgeführt. Histologisch wurde ein gut differenziertes Hormonrezeptor-positives Adenokarzinom weit im Gesunden entfernt, die Lymphknoten waren tumorfrei.
Empfehlung der Tumorkonferenz: Bestrahlung der Brust, antihormonelle Therapie mit Letrozol (Tamoxifen bei Leberfunktionsstörungen relativ kontraindiziert).
Wegen eines postoperativen, superinfizierten Hämatoms wurde die Bestrahlung erst nach 2,5 Monaten begonnen. Die Strahlentherapie bewirkte die Ausbildung eines Mammaödems Grad II, kombiniert mit einem Radioderm Grad II bis III. Die Behandlung erfolgte mit Polyurethanschaumverband (Mepilex®) und Sulfadiazin-Silber (Flammazine® Creme). Im weiteren Verlauf ergab sich eine Fistelung mit Superinfektion im Narbenbereich inframammär, die mit lokalen Spülungen und peroraler Antibiose (Clindamycin) behandelt wurde.
Drei Monate nach der Bestrahlung war die Fistel persistierend und superinfiziert. Die Patientin musste mehrfach stationär mit septischem Infektionsverlauf behandelt werden. Nach Nachweis einer Panzytopenie erfolgte eine Knochenmarksanalyse, mit der eine myelodysplastische oder -neoplastische Ursache ausgeschlossen werden konnte. Die Panzytopenie war auf die vorbestehende Leberzirrhose mit Hepatosplenomegalie zurückzuführen.
Der superinfizierte Fistelbereich wurde mittels weiter Tumorexzision (wide excision) exstirpiert. Der postoperative Verlauf war unter antibiotischer Abdeckung und Substitution von Thrombozyten sowie Tranexamsäure zunächst unauffällig. Zehn Tage nach ihrer Entlassung musste die Patientin mit erheblicher Wunddehiszenz, starker Sekretion bei ausgeprägtem Mammaödem und Superinfektion erneut aufgenommen werden. Unter täglichen Spülungen, systemischer Antibiose und täglich mehrfachen Verbandswechseln besserte sich die Wundsituation, sodass eine Entlassung mit Organisation einer spezialisierten ambulanten Wundversorgung möglich wurde.
Nach weiteren 3 Wochen wurde die Patientin erneut aufgenommen: Trotz der intensivierten täglichen Wundversorgung war die Wundsituation deutlich schlechter geworden. Der Wundgrund erschien schmierig belegt und sezernierte reichlich trübes Sekret, die Größe der Wundtasche hatte sich nahezu verdoppelt ([ Abb. 1]). Im mikrobiologischen Abstrich wurden MRSA, E. coli und E. faecalis nachgewiesen.
Nach chirurgischer Wundreinigung wurde ein Saug-Spül-Unterdruck-Wundverband (V.A.C.®; Vacuum Assisted Closure® Therapy) angelegt ([ Abb. 2]). Gleichzeitig wurde eine Antibiose nach Antibiogramm begonnen. Wegen der schlechten Blutwerte erhielt die Patientin zudem Transfusionen und i.V. Aminosäuren sowie Vitamin C. Nach 6 Wochen wurde die Saug-Spül-Unterdruck-Wundtherapie bei sauberen Wundverhältnissen und noch unzureichender Granulation auf die reine Unterdruck-Wundtherapie mit 125 mmHg beschränkt. Der Wechsel des Unterdruck-Wundtherapiesystems erfolgte alle 3–4 Tage.
Die Therapie musste wegen Hautmazerationen immer wieder bis zur Regeneration der Hautoberfläche unterbrochen werden. Nach 2 Monaten stationärer Therapie wurde die Unterdruck-Wundtherapie ambulant fortgesetzt und konnte nach weiteren 3 Monaten schließlich erfolgreich beendet werden ([ Abb. 3–6]).
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Diskussion
Im hier geschilderten Fall hatte sich nach der Bestrahlung ein ausgeprägtes Brustödem mit einer chronisch superinfizierten Fistel gebildet. Brustödeme sind nach der Bestrahlung relativ häufig (30–50 % innerhalb der ersten 3 Monate), während Fistelbildungen eine Rarität darstellen [2]. Ursächlich für die Ausbildung einer superinfizierten Fistel dürfte bei dieser Patientin zum einen das ausgeprägte postoperative Hämatom und zum anderen die allgemeine Abwehrschwäche gewesen sein. Angesichts des beschriebenen Risikoprofils stellt sich retrospektiv die Frage, ob die Bestrahlung indiziert war. Bei dem vorliegenden gut differenzierten Mammakarzinom liegt laut Daten der BASO-II-Studie das lokale Rezidivrisiko unter alleiniger antihormoneller Therapie bei nur 0,8 % jährlich, unter kombinierter Tamoxifen / Bestrahlungstherapie ist es mit 0,2 % geringfügig besser [3]. Wegen des Alters der Patientin hatte man sich damals nach ausführlicher Diskussion für die Bestrahlung entschieden.
Nach Auftreten der chronisch superinfizierten Fistel war die Exstirpation kontrovers diskutiert worden. Wegen der rezidivierenden septischen Superinfektionen und der auf Basis der Grunderkrankung nicht beeinflussbaren Panzytopenie war die Fistelexstirpation beschlossen worden.. Trotz der sehr großzügigen Entfernung des radiogen veränderten Gewebes unter antibiotischer Abdeckung und Substitution von Blutprodukten kam es aus folgenden Gründen zu einer schwer beeinflussbaren Wundheilungsstörung mit kompletter Wunddehiszenz:
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Bei Hypoproteinämie und radiogen verändertem Brustgewebe persistierte ein ausgeprägtes Brustödem mit konsekutiv ausgeprägter Wundsekretion.
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Die Lokalisation der Wundhöhle war integumental gelegen.
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Persistenz der Panzytopenie mit erheblicher Infektneigung.
Die übliche Wundversorgung mit täglichen Spülungen, Wundversorgung mit Alginat bzw. Hydrofaserverbänden und Wundabdeckung mit wattierten Kompressen verschlechterte die lokale Situation und führte zu einer Superinfektion mit E. faecalis und MRSA. In der Vergangenheit konnte in verschiedenen Arbeiten nachgewiesen werden, dass durch Unterdruck die Fibroblastenmigration in das Wundgebiet verbessert – und die Granulation gefördert wird [5],[6],[7],[8]. Das Unterdruck-Wundtherapiesystem ist bereits in der Therapie des Platzbauches, des chronischen Ulcus cruris und auch beim diabetischen Fuß etabliert [9],[10]. Zur Behandlung von hochkomplexen Heilungsstörungen im Bereich der Brust sind uns keine Veröffentlichungen bekannt. In einem Fall wurden erfolgreiche Behandlungen bei ausgedehnten Thoraxwandrezidiven beschrieben [11]. Da mithilfe des Vakuums das interstitielle Ödem reduziert werden kann, zudem die Durchblutung angeregt und die Sauerstoffversorgung im Wundgebiet verbessert wird, entschieden wir uns in diesem speziellen Fall für die Anlage des Saug-Spül-Verbandsystems. Für diese Entscheidung sprach auch die Möglichkeit, weitere Superinfektionen durch Verschluss des Wundbereiches zu vermeiden.
Mit Hilfe des Systems konnte zudem der Wundbereich innerhalb des geschlossenen Systems regelmäßig gespült werden.
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Die Unterdruck-Wundtherapie musste über Monate fortgesetzt werden, um letztlich einen Wundverschluss zu erreichen. Daraus resultierten verschiedene Probleme: Lokal führten die Folien wiederholt zu Irritationen und Soorsuperinfektionen im Bereich der Haut. Mehrfach wurde die Therapie daher bis zur Abheilung für einige Tage unterbrochen.
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Allgemein musste die Patientin wegen der MRSA-Infektion während des langwierigen stationären Aufenthaltes weitgehend isoliert werden, wodurch sich eine ausgeprägte depressive Reaktion entwickelte.
Interdisziplinär wurde in dieser Situation auch die Möglichkeit der plastisch-chirurgischen Intervention diskutiert. Wegen des schlecht durchbluteten, radiogen veränderten Gewebes einerseits und der persistierenden systemischen Risiken andererseits wurde davon Abstand genommen.
Die letztlich ambulante Fortsetzung der Therapie verbesserte die Mobilisation und vor allem die psychische Situation der Patientin ganz erheblich, was sich auch auf die Heilungstendenz auswirkte. Bei den regelmäßigen Visiten ließ sich über die folgenden Wochen eine kontinuierliche Abnahme der Wundsekretion und Verkleinerung der Wundhöhle feststellen, sodass die Unterdruck-Wundtherapie nach weiteren 3 Monaten beendet werden konnte. Die zum Schluss oberflächliche Wunde wurde abschließend mit Polyurethanschaum, dann mit Hydrokolloidverbänden versorgt, bis der Wundverschluss nach weiteren 3 Wochen erreicht war.
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Fazit
Bei sehr ausgedehnten, stark sezernierenden Wundhöhlen im Bereich der Mamma ist der Unterdruck-Wundverband selbst bei gravierenden systemischen Störfaktoren geeignet, eine erfolgreiche Wundheilung zum Abschluss zu bringen. Die Therapie kann allerdings sehr langwierig sein. Die ambulante Fortsetzung der Behandlung sollte nach unserer Erfahrung angestrebt werden, sobald dies die Wundsituation und das Allgemeinbefinden der Patientin zulässt. Die ambulante Therapie trägt zur Mobilisation und psychischen Konsolidierung bei, reduziert die Gefahr von Superinfektionen mit multiresistenten Krankenhauskeimen und ist deutlich kostengünstiger, als eine prolongierte stationäre Therapie über Monate.
Unter der Unterdruck-Wundtherapie versteht man ein nicht-invasives, geschlossenes Verbandsystem, mit dessen Hilfe ein lokaler, kontrollierter negativer Druck im Bereich der Wunde aufgebaut werden kann. Nach chirurgischer Wundreinigung wird ein steriler Schaumstoff entsprechend der Wundgröße angepasst und in die Wundhöhle gelegt. Es folgte die Abdeckung des gesamten Wundbereiches mit steriler Schutzfolie, wodurch schließlich mithilfe des zugehörigen Gerätes ein kontrollierter Sog aufgebaut werden kann. Das System entspricht damit einem Unterdruckverband mit integrierter Spülfunktion.
Im beschriebenen Fall wurde bei Therapiebeginn nach Anlegen des Unterdruckverbandes jeweils für 2,5 Stunden ein Unterdruck von 100 mmHg aufgebaut. Es folgte eine Installation von 38 ml Polyhexanid mit einer Einwirkzeit von 15 min. Dieses Prozedere wurde jeweils über das angelegte Gerät automatisch wiederholt. Nach den ersten Verbandswechseln wurde die Einstellung verändert, da das Gewebe durch die radiogenen Veränderungen weiterhin schlecht durchblutet war und keinerlei Granulationen aufwies. Die Unterdruckphase wurde auf 3,5 Stunden verlängert, die Einwirkzeit von Polyhexanid wurde nicht verändert. Im weiteren Verlauf besserte sich die Wundsituation, die Granulation blieb jedoch spärlich, weshalb nach Säuberung des Wundgrundes die Therapie auf die reine Unterdrucktherapie (kontinuierlich 125 mmHg) umgestellt wurde.
Die Publikation „Wunddehiszenz bei stark sezernierender, radiogen veränderter Mamma – Erfahrungen mit der Unterdruck-Wundtherapie“ von Nikola Bangemann, Jekaterina Vasiljeva, Klaus-Jürgen Winzer (Senologie 2015; 12: 71–73) wurde versehentlich veröffentlicht, ohne die Korrekturen der Autoren zu berücksichtigen. Aufgrund dessen finden Sie hier den kompletten „Interessanten Fall“ in korrigierter Form.
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Literatur
- 1 Blank I. Postoperative Wundheilungsstörungen und Komplikationen. Hartmann WundForum 1997; 4: 10-16
- 2 Schoppe M. Prospektive Beurteilung der Inzidenz radiogener Allterationen nach brusterhaltender Therapie. 2003 Dissertation Universität Düsseldorf
- 3 Blamey RW, Bates T, Chetty K et al. Radiotherapy or tamoxifen after conserving surgery for breast cancers of excellent prognosis. British Association of surgical oncology (BASO) II trial. Eur J Cancer 2013; 49: 2294-2302
- 4 Karrer S. Chronische Wunden richtig versorgen: Eine Übersicht zur modernen Wundbehandlung. CME 2007; 5: 58-67
- 5 Moues CM, Vos MC, van den Bemd GJ et al. Bacterial load in relation to vacuum assisted closure wound therapy: a prospective randomized trial. Wound Repair Regen 2004; 12: 11-17
- 6 Moues CM, van den Bemd GJ, Heule F et al. Comparing conventional gauze therapy to vacuum-assisted closure wound therapy: a prospective randomized trial. J. Plast Reconstr Aesthet Surg 2007; 60: 672-681
- 7 Argenta LC, Morykwas MJ. Vacuum-assisted closure: a new method for wound control and treatment: clinical experience. Ann Plast Surg 1997; 38: 563-576
- 8 Morykwas MJ, Argenta LC, Shelton-Brown E et al. Vaccum assisted closure: a new method for wound control and treatment: animal studies and basic foundation. Ann Plast Surg 1997; 38: 553-562
- 9 Flack S, Apdqvist J, Keith M et al. An economic evaluation of V.A.C therapy compared with wound dressings in the treatment of diabetic foot ulcers. J Wound Care 2008; 17: 71-78
- 10 Vuerstaek JD, Vainas T, Wuite J et al. State of the art treatment of chroic leg ulcers: a randomized controlled trial comparing vacuum assisted closure with modern wound dressings. J Vasc Surg 2006; 44: 1029-1037
- 11 Dian D, Bodungen V, Hims I et al. Worldwide first experiences with vacuum-assisted closure as alternative treatment method to repair defects of an extended thoracic wall recurrence of breast cancer. Arch Gynecol Obstet 2010; 281: 927-932
Korrespondenzadresse
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Literatur
- 1 Blank I. Postoperative Wundheilungsstörungen und Komplikationen. Hartmann WundForum 1997; 4: 10-16
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