Z Orthop Unfall 2014; 152(06): 535-539
DOI: 10.1055/s-0034-1398441
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

DKOU 2014 – Langfristige Lebensqualität als neue Versorgungsaufgabe

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Publication Date:
22 December 2014 (online)

 

Traumnetzwerk, Endocert, Qualitätssicherung mit Routine daten – die Frage, wie Kliniken, Ärzte und Fachgesellschaften die Qualität der Versorgung aus eigenen Stücken weiter verbessern können, war Schwerpunkt des diesjährigen DKOU.

Berlin, 28. bis 31. Oktober, Messegelände, Eingang Süd. 11 419 Teilnehmer zählten die Veranstalter. Der DKOU 2014 – Motto Wissen schafft Vertrauen – war etwas weniger opulent mit Gastrednern besetzt als sonst, lieferte aber klar zu seinem Thema: Auf vielen Gebieten schieben gerade die Fachgesellschaften Konzepte für bessere Qualität der Medizin an. Mit Erfolg – wie manch harte Zahlen belegen.

Dabei waren die Experten auf der Mammuttagung nicht immer unter sich. David Behre etwa, war auch da (s. S. 544, mittleres Bild). Am Donnerstagmittag machte der Sprinter auf einer Pressekonferenz seinen Ärzten einige besondere Komplimente.

Seine „Katastrophe“ liegt sieben Jahre zurück. An die 3 Stunden lag Behre am 07. September 2007 bewusstlos im Gebüsch neben einem Bahnübergang im niederrheinischen Moers. Eine Schranke hatte nicht geschlossen, Behre, damals 21 und bereits Leistungssportler, querte mit dem Rad und wurde von einem Zug erfasst.

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Die drei Kongresspräsidenten eröffnen den DKOU 2014 (Prof. Dr. Bertil Bouillon (DGU), Dr. Johannes Flechetenbacher (BVOU), Prof. Dr. Henning Windhagen (DGOU und DGOOC). (Quelle: Starface / Ingo Schwarz)

Beide Füße waren ab, für Stunden dämmerte Behre unentdeckt vor sich hin – dann robbt er hoch Richtung Straße. Passanten rufen den Rettungshubschrauber. Behre hat registriert, dass seine Füße fehlen – „ein Leben ohne Beine kam für mich nicht in Frage“, erklärt er, „ich sagte der Frau noch, dass sie den linken Fuß einige Meter weiter weg suchen muss“.

Im Schockraum des Klinikums Köln-Merheim manifestiert sich die Erkenntnis, dass eine Retransplantation der Füße nicht mehr gelingen wird. Aber Behre hat die Fähigkeit, sich rasch auf neue Situationen einzulassen, selbst bei Katastrophen. „Ich habe gesagt, jetzt fängt ein neues Leben an.“ Und er ist voll des Lobes über seine Helfer: „Das Krankenhaus hat mir geholfen – die geballte Kompetenz, die ich dort erfahren habe.“ Sein Appell an Patienten: „Vertrauen Sie den Ärzten.“

Mit eisernem Willen schafft der Prothesenträger in den kommenden Jahren mehrfach Medaillenränge bei internationalen Wettbewerben. Und – ist Motivationstrainer. Noch heute sieht man ihn ab und an im Krankenhaus Köln-Merheim, wo er Unfallopfer motiviert, ihr Leben aktiv weiter zu leben. Seine Beine will er nach eigenen Aussagen nicht mehr zurück.

Bessere Nachsorge als neues Arbeitsfeld

Es waren die die neuesten Zahlen zum Traumanetzwerk der DGU, die in Berlin vorgestellt wurden. Knapp 30 000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland eine schwere Verletzung. Heute sterben 8 % vor dem Eintreffen in einer Klinik, vor 10 Jahren waren es noch 17 %. „Organisation statt Chaos“ war entscheidend für solche Erfolge, bilanzierte DGU-Generalsekretär Professor Reinhard Hoffmann.

2006 veröffentlichte die DGU das Weißbuch Schwerverletztenversorgung, es war der Startschuss des Projekts Traumanetzwerk. Die Experten plagte die Sorge, dass sich immer mehr Akutkliniken aus der teuren Versorgung der Unfallopfer verabschiedeten, wie Kongresspräsident Professor Bertil Bouillon vom Klinikum Köln-Merheim betonte. Bouillon: „Da wollten wir etwas gegen setzen.“

Aktuell sind 625 Kliniken in 47 regionalen Netzwerken organisiert, die 95 % der Fläche der Republik als Traumanetzwerk abdecken. Maximal 30 Minuten soll es überall dauern, bis ein Patient von einer Unfallstelle in einem Schockraum ist. Jede Klinik speist Daten ihrer Patientenversorgung in das Traumaregister der DGU ein, muss sich regelmäßig neu rezertifizieren lassen. Seit 2011 gibt es auch eine S3-Leitlinie mit Standards. Das alles wurde von der Fachgesellschaft angeschoben, von unten nach oben entwickelt, wie etliche Referenten in Berlin betonten.

Noch scheinen Qualitätsreserven im System. Die Sterblichkeit unter den Unfallopfern könne womöglich bis auf 5 Prozent weiter gesenkt werden, gab sich Professor Steffen Ruchholtz vom Universitätsklinikum Giessen / Marburg zuversichtlich.

Und angesichts der Erfolge in der Akutversorgung tüfteln die Protagonisten bereits an neuen Aufgabenfeldern für das Netzwerk. Wie Bouillon erklärte, will die DGU die Registerdaten mehr und mehr dafür nützen, die langfristige Lebensqualität der Betroffenen zu messen, und damit wiederum die Behandlungen zu verbessern. Bislang hätte man das Netzwerk definiert vom Unfallort bis in die Rehabilitation, so Bouillon: „Jetzt kommt die Nachsorge dabei. Das ist Programm für die nächsten 10 Jahre.“ Es müsse Schluss sein mit dem Motto – eine tolle OP und dann aber raus mit dem Patienten. Menschen, die dann womöglich ohne Job erst recht frustriert Chips daheim vor dem Fernseher futtern. Bouillon: „Wir wollen die individuelle Situation eines jeden kennen und darauf auch seine Behandlung individualisieren."

Allerdings fordern die Fachgesellschaften einen finanziellen Obulus von der „Politik“ für ihre aufwändigen Systeme. Die Umsetzung des Traumanetzwerks sei bislang völlig aus Eigenmitteln in den teilnehmenden Kliniken und der Fachgesellschaft gestemmt worden, betonte Reinhard Hoffmann. Ein großes Zentrum müsse heute zum Beispiel rund um die Uhr in der Lage sein, sofort zwei Schwerverletzte aufzunehmen. Die Kosten seien aber nicht mehr en passant zu stemmen. Hoffmann: „Die Politik muss finanzielle Zuschläge geben.“


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Volkskrankheit Arthrose

Wissen schafft Vertrauen – zum Beispiel auch beim Thema Arthrose. Fast jeder Dritte zwischen 45 und 67 Jahren, jeder zweite ab 65 hierzulande hat eine Arthrose. Macht derzeit jährlich über sieben Milliarden Euro direkte Kosten für die Behandlung, und mehr als 10 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage, Tendenz nach Ansicht der Fachgesellschaften steigend.

Patentrezepte gibt es nicht, und von manch früheren Therapieversprechen, gerne als IGEL beworben, verabschiedet sich die Szene mittlerweile wohltuend sachlich:

  • Operativer Ersatz eines verletzten Kreuzbands? Kann eine Arthrose nicht sicher verhindern.

  • Arthroskopie zur Glättung von Knorpeloberflächen? Nein, keine Indikation für den Eingriff – eher noch, wenn ein Gelenk durch einen instabilen Meniskus blockiert ist.

  • Nahrungsergänzungsmittel à la Chondroitin oder Muschelektrakten? Nee, so gut wie wirkungslos.

Wichtig bleiben Schmerzmittel, Physiotherapie und: Runter mit Übergewicht. Jeder zweite Deutsche hat einen BMI von über 25, bei den Herren sind es 62 %, meldete unlängst das Statistische Bundesamt.

Orthopäden und Unfallchirurgen müssten angesichts solcher Zahlen das Thema Prävention von Arthrose neu entdecken, meinte Dr. Johannes Flechtenmacher, niedergelassener Orthopäde in Karlsruhe und Kongresspräsident für den BVOU. Flechtenmacher: „Noch verstehen wir uns zu oft nur als Behandler – die Kardiologen haben das Thema Übergewicht längst für sich entdeckt.“ Er skizzierte obendrein praktische Probleme. In den Praxen seien die Liegen für Gewichte bis 130 kg ausgelegt. Was aber, wenn ein Patient satte 160 kg wiegt? Manche Patienten passten schlicht auch nicht mehr in ein herkömmliches CT hinein, monierte Flechtenmacher.


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Suche nach der „richtigen Versorgung“ mit Endoprothesen

Berlin brachte auch den Versuch, der Endoprothetik wieder zu dem Ruf zu verhelfen, den sie nach Meinung der Orthopäden verdient – als eine der großen medizinischen Errungenschaften schlechthin. Womöglich schon bald wieder aufflammenden Debatten über eine Überversorgung hierzulande und „unnötige Operationen“ will die DGOOC mit einer Gegenfrage kontern: Welcher Versorgungsgrad ist denn nun überhaupt medizinisch angemessen?

Verlässliche Zahlen dazu gibt es nicht, bedauerte Professor Henning Windhagen, als Vertreter von DGOU und DGOOC der 3. Kongresspräsident. Seine Daumenregel: „Allen, die mobil bleiben wollen, sollten wir die endoprothetische Versorgung auch erlauben.“ In Berlin beobachte er kaum hinkende Menschen, in New York hingegen sehr viele. Windhagen ließ keinen Zweifel daran, was ihm lieber war und war optimistisch, dass es gelingen werde, auch mit objektiven Parametern besser zu definieren, welcher Versorgungsgrad nötig ist.


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Endocert mit zu knappen Vorgaben für OP-Zeiten

Weiter voran kommt die DGOOC mit ihrem Qualitätsprojekt Endocert für Kliniken, die Endoprothesen implantieren. Die Zahl der zertifizierten Kliniken liegt mittlerweile bei 180, insgesamt wollen an die 450 Kliniken das Siegel erwerben. Wer das Gütesiegel hat, muss sich jährlichen Audits unterziehen, die Prüfer, alias Fachexperten, checken vor allem Anforderungen an die Prozess- und Strukturqualität in den Häusern. Ein Endoprothikzentrum (EPZ) muss mindestens 100 Implantationen im Jahr schaffen, und zwei Hauptoperateure aufweisen, die jährlich jeder mindestens 50 Implantationen bei Knie und / oder Hüfte leisten. So genannte Zentren der Maximalversorgung (EPZmax) brauchen 200 Eingriffe im Jahr, zusätzlich Senior-Hauptoperateure mit 100 solcher Eingriffe jährlich.

Es gibt offenkundig Bedarf an Nachjustierungen bei manchen Anforderungen. Stress machen offenbar in etlichen Häusern die derzeitigen Regeln zu den OP-Zeiten. Weniger als fünf Prozent der Operationen zur Erstimplantation einer Hüft-Endoprothese dürfen danach länger als 90 Minuten dauern. Beim Knie sind 100 Minuten die Maximalgrenze. Das, so bekannten mehrere Redner in Berlin, schaffen selbst Zentren oft bei weitem nicht.

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(© Starface / Ingo Schwarz)

Die Operationszeiten sind zu niedrig angesetzt, monierte Professor Karl-Dieter Heller von der MHH. Bei jeder fünften Implantation liege man über den angesetzten Werten. Heller: „Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir die Zahlen nicht schaffen.“ Die Diskussion über eine Anpassung der Anforderungen läuft allerdings bereits.

Die DGOOC will mittelfristig mehrere Qualitätssicherungssysteme verzahnen. Während Endocert der Verbesserung der Struktur- und Prozessqualität in den Häusern dient, bleibt das Erfassen der Ergebnisqualität langfristig Aufgabe des Endoprothesenregisters, EPRD, wie Dr. Holger Haas von der Zertifizierungskommission Endocert der DGOOC betonte. Häuser, die das Endocert-Zertifikat haben wollen, müssen daher auf jeden Fall auch beim EPRD mitmachen.

Noch ist ein zweites geplantes GKV-Versorgungsstrukturgesetz (VstG) der Bundesregierung Referententwurf. Danach aber soll der G-BA einmal neue Medizinprodukte aus höheren Risikoklassen vor breiter Markteinführung erst in einer Erprobungsphase bewerten lassen. Womöglich auch Endoprothesen. Manch einer von Endocert sieht da eine Chance. „Endocert hat das Potenzial, solche Einführungen zu begleiten“, meinte vorsichtig Haas.


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Umbruch bei Finanzierung

Wie werden wir in Zukunft bezahlt? So lautete auch dieses Jahr das Thema eines eigenen Symposiums. Bei den Finanzen stehen Veränderungen an.

Da wäre einmal die Gebührenordnung der Ärzte, GOÄ, für die derzeit Bundesärztekammer (BÄK) und Private Krankenversicherer an einem gemeinsamen Rahmenentwurf feilen. Man sei „guten Mutes“, den bereits 2015 vorlegen zu können, meinte Dr. Frank Schulze Ehring vom Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV), konkrete Daten dazu gab es nicht. PKV wie BÄK wollen aber offenkundig eine grundlegende Reform, die das ihrer Ansicht nach gegebene Chaos bei etlichen bisherigen Abrechnungsziffern neu ordnet.

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, skizzierte ähnliche Ziele einer umfassenden Überarbeitung für den neuen Einheitlichen Bewertungsmaßstab, EBM, die Abrechnungsgrundlage in der GKV. Fertig sein soll er am 01. Januar 2016.

Dr. Andreas Köhler, im März 2014 aus gesundheitlichen Gründen vom KBV-Vorsitz zurückgetreten, war diesmal als Ehrenpräsident des SPiFA (Spitzenverband Fachärzte Deutschlands) geladen. Köhler nutzte den „neu gewonnen Luxus, jetzt keinem Herrn mehr dienen zu müssen“, um einige Vorschläge für die zukünftige Verteilung des Geldes in der GKV zu machen.

Die Nachfrage nach ambulanten Leistungen werde die kommende Zeit massiv steigen, bis 2020 um 8–10 %. Dennoch werden seiner Ansicht nach die niedergelassenen Orthopäden nur ein kleines Stück davon abbekommen. Die Gründe hält Köhler zum Teil für hausgemacht. Die Orthopäden hätten es nicht geschafft, Kernthemen ihrer Zunft, etwa das Thema Rückenleiden auch klar im System zu verankern. Köhler: „Sie haben keinen DMP für Rückenschmerz.“ Dabei sei er es längst leid, immer nur davon zu lesen, dass es den Hausärzten finanziell schlecht ginge. Denn eine besonders schlecht gestellte Gruppe seien eben die konservativ tätigen Orthopäden.

Köhler möchte darüber hinaus ganz generell mehr Geld aus dem System für die Niedergelassenen, forderte in Berlin eine Neujustierung des Trennungsfaktors, nach dem in der GKV die Finanztöpfe zwischen stationär und niedergelassen verteilt werden. Köhler: „Der liegt bei 50 zu 50 %, dabei werden an die 70 % aller ärztlichen Leistungen von den Niedergelassenen erbracht.“ Umschichten vom Angestellten zum Freiberufler? Köhler: „Den Mut müssen wir haben, dieses Thema anzugehen.“ Eine gewisse, zu wenig genutzte Chance, Mittel aus dem stationären in den ambulanten Bereich umzuschichten, sah er in der Ambulanten Spezialärztlichen Versorgung (ASV).

Eine Neuordnung der Finanzierung steht auch in den Kliniken der Gesetzlichen Unfallversicherung, früher BG-Kliniken an. Bislang zahlten die Versicherer hier vorrangig nach speziellen Pflegesätzen. Ende des Jahres kommt ein System, das Investitions- und Betriebskosten unterscheidet, und in dem zum Teil nach DRG-Sätzen bezahlt wird. Was genau kommt, sei noch nicht klar, meinte Reinhard Hoffmann von der BG Unfallklinik Frankfurt. Nach wie vor hätten Häuser wie seines den großen Vorteil nach SGB VII und eben nicht nach SGB V finanziert zu werden: Grundsätzlich sei das System der Unfallversicherung damit eben nicht gedeckelt: „Wir können immer noch Dinge anbieten, die sonst im Krankenhaus nicht mehr möglich sind.“ Hoffmann gab sich allerdings skeptisch angesichts der Neuerungen. Modellerprobungen hätten gezeigt, dass manche Kliniken damit tief in die roten Zahlen rutschen könnten: „Die Träger werden gegensteuern müssen, sonst werden sie rasch Insolvenzen sehen.“

Baustelle bleibt auch das Thema Zielvereinbarungen für Chefärzte, ein Thema einer Sitzung der Leitenden Unfallchirurgen und Orthopäden.

Das Einkommen der Chefs variiert offenbar erheblich. Chefärzte in O und U verdienten nach Zahlen der Unternehmensberatung Kienbaum im Jahr 2012 hierzulande zwischen 162 000 und 437 000 Euro. Maximal 20–30 % des Gesamteinkommens könnten im Rahmen von Zielvereinbarungen gestaltet werden, meinte Professor Markus Rickert aus Giessen. Aktuell sind es nach Kienbaum-Zahlen an die 44 %. Zu viel, denn damit steige die Gefahr, dass Ärzte bei Eingriffen tatsächlich von wirtschaftlichen Erwägungen geleitet werden.

Die Verträge dürfen, mahnte Rickert, keinesfalls mehr ein reines Erreichen von Fallzahlen, etwa bei Endoprothesen vergüten. Das schließen die Empfehlungen von BÄK und Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) aus. Rickert: „Diese Dinger gehen heute nicht mehr durch.“ Akzeptabel seien hingegen Zielvereinbarungen aus dem Bereich Qualitätsverbesserung. Der Verband Leitender Krankenhausärzte prüft Vertragsentwürfe (1).


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Behandlungsfehler – Blick in Patientenakten mitunter „gruselig“

Nach wie vor tauchen O und U mit Spitzenplätzen in den Tabellen zu Behandlungsfehlern auf. Etwa in der des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands Bund der Kassen (MDS), die für 2013 14 585 Vorwürfe von PatientInnen ausweist (2). 4231 davon – das ist Platz 1 – kamen aus dem Bereich O und U. Etwa jede 4. Patientenbeschwerde wird von den Prüfern der Kassen am Ende als echter Behandlungsfehler bewertet, wie PD Dr. Max Skorning vom MDS erläuterte. Ähnliche Größenordnungen haben auch die Ärztlichen Schlichtungsstellen, wie Professor Hans-Jörg Oestern aus Celle anhand der Zahlen der Norddeutschen Schlichtungsstelle berichtete. Sollten die Patienten trotz Schlichtung hinterher doch den Klageweg beschreiten, hätten die Bewertungen der Schlichtungsstellen zu 90 % vor den Gerichten Bestand.

Entscheidend sei, da waren sich alle Redner einig, aus den Fehlern zu lernen und das Gelernte zwingend umzusetzen. Indiskutabel, so Skorning, sei heute allerdings eine Seitenverwechslung. Links statt rechts bei einer Meniskusoperation – das sei absolut vermeidbar. Durch Abarbeiten von Checklisten vor und im OP, wie sie jetzt durch den neu geregelten §137 SGBV und Vorschriften des G-BA gefordert seien.

Ein Arzt haftet bei einem Schaden bekanntlich dann, wenn er bei Diagnose oder Behandlung gegen medizinische Standards verstoßen hat oder wenn er einen Patienten nicht über Behandlungsrisiken und – alternativen aufgeklärt hat.

Was ist jetzt bitte der medizinische Standard? Die Berliner Anwältin Dr. Britta Konradt gab Beispiele. Angenommen, ein Arzt hat zwei Patienten, beide klagen über Schulterschmerzen, der eine ist 35, der andere 65 Jahre alt. Beide schickt der Doktor mit Diclofenac wieder nach Hause und in beiden Fällen stellt sich erst später heraus, dass sie einen Infarkt erlitten hatten. „Einen Fehler haben Sie dann bei dem 65-Jährigen gemacht“, erläuterte Konradt. Denn beim älteren Patienten müsse die Möglichkeit einer kardiologischen Problematik in Betracht gezogen werden.

Konradt empfahl Ärzten, alle Schritte möglichst gut zu dokumentieren. Beim Studium von Akten frage sie sich immer wieder, warum Operateure offenkundige Risiken so wenig dokumentierten und nicht kontrollierten: Infektionen, Blutungen, Nervenverletzungen. Konradt: „Was Sie dazu in den Behandlungsunterlagen finden, ist zum Teil wirklich gruselig.“ Verbesserungswürdig seien auch die DIOMED-Aufklärungsbögen.

Wenn es passiert ist – was tun? Soll man nun bei einem Schaden als Arzt mit dem Patienten reden oder nicht? Die Unsicherheit zu dieser Frage, zieht sich durch die DKOUs der letzten Jahre – auch wenn die große Mehrzahl der Experten eine klare Ansicht dazu hat. „Das Gespräch mit dem Patienten ist das Entscheidende“, meinte Oestern. Und §105 Versicherungsvertragsgesetz sage ganz klar, dass der Arzt seinen Versicherungsschutz nicht verliert, wenn er einen Fehler einräumt. Im Publikum blieben trotzdem zweifelnde Stimmen.

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Das Get together bot ausreichend Raum, Zeit und Atmospähre zum Austausch zwischen den Teilnehmern. (Quelle: Starface / Ingo Schwarz)

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Weiterentwicklung von QSR sinnvoll – unter Beteiligung von Fachgesellschaften

Mit dem 2002 von ihr federführend mitinitiiertem Projekt Qualitätssicherung mit Routinedaten, QSR, treibt die AOK die Qualitätsdebatte in Krankenhäusern weiter mächtig an. Inzwischen veröffentlicht der Krankenhausnavigator der AOK auch Noten für die Krankenhäuser bei der Hüft- und Kniegelenksendoprothetik. Ein Bäumchen steht da für unterdurchschnittlich, ergo relativ viele Problemfälle, 3 Bäumchen stehen für Topp. Kliniken erhalten auf Wunsch ihren eigenen Qualitätsbericht. Zur Qualitätsbewertung dient die Zahl an Komplikationen während oder unmittelbar nach der OP, die Revisionsraten binnen eines Jahres, aber auch die Sterblichkeit im Krankenhaus.

Eine kontrovers geführte Diskussion in Berlin zeigte einmal mehr, dass der Stellenwert des ganzen Verfahrens umstritten bleibt. Er sei ja überzeugt, dass der AOK-Navigator eine Form von Qualität misst, meinte Professor Christian Lüring aus Aachen. Aber eben nicht die Qualität.

Zu viele Dinge fielen unter den Tisch. Lüring: „Der Navigator misst nicht die Bewegungsfähigkeit und die Stabilität des Gelenkes nach einer OP, er kann keine Aussage darüber treffen, ob eine Prothese lange hält.“ Und womöglich gebe es auch schlecht versorgte Patienten, die nicht zur Revisionsoperation gehen, mithin bei QSR gar nicht auftauchen. Lürings Fazit: „Die QSR-Indikatoren reichen nicht aus, um Ergebnisqualität zu beurteilen.“

Es sei ja vielleicht wünschenswert, wenn der Enkel ins Internet geht und anhand der Bäumchen der Oma sagt, geh doch dahin, meinte Professor Holger Bäthis aus Köln. Aber die mediale Aufbereitung störe ihn gewaltig. Manch Klinik wurde mit den Daten schon an den Pranger gestellt. Bäthis: „Das will ich gar nicht.“

Zumal Kliniken die Datenbasis bei QSR nicht überprüfen könnten. Wie andere Klinikvertreter monierte Bäthis vor allem die unzureichende Risikoadjustierung, die unterschiedliche Ausgangslagen bei den vielen Patienten vergleichbar machen soll: „Für uns ist nicht klar, wie stark da einzelne Faktoren im Gesamtergebnis gewichtet werden.“

Das blieb nicht unbeantwortet. Hinter den QSR-Daten steckt eine Risikoadjustierung, die Statistiker auf Kassenseite nützen dafür als Basis einen Score, der von einer Gruppe um Anne Elixhauser bereits 1998 für US-Kliniken entwickelt wurde. Dabei gehen Alter und Geschlecht, aber auch eine Adipositas, Diabetes, neurologische Erkrankungen, mit ein, wie Dr. Elke Jeschke vom wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen, wido, berichtete. Aktuell adjustiert QSR nach 31 Begleiterkrankungen. Jeschke: „Das ist alles öffentlich nachlesbar.“

Bei QSR werde in der Tat längst nicht alles, was man über Qualität wissen möchte, abgebildet, kommentierte auch Professor Josef Zacher vom Helios-Klinikum Berlin-Buch. Aber andererseits sei es eben auch Messung von Qualität, die Revisionsoperationen zu erfahren. Zacher relativierte auch die Kritik an der Risikoadjustierung bei QSR: „Wenn sie den Elixhauser-Score vergleichen mit einer Adjustierung, die nur Alter und Geschlecht verwendet, dann sind Sie enttäuscht, wie wenig Änderungen sich ergeben. Das ist um die 1 %.“ Sein Rat an die Krankenhäuser: „Nützen Sie die Daten und schauen Sie nach, wo Ihre Probleme sind.“

Am Ende ist es ein Dissens, der in einem anderen Gremium offenbar längst konstruktiv ausgetragen wird. Fachleute der DGOOC sitzen als Expertenpanel Orthopädie beim QSR-Projekt mit dabei.

Manch Indikator sei dort geschärft worden, wie Zacher berichtete. Seit Mitte Oktober 2014 kommen neue, verbesserte Indikatoren beim AOK-Navigator zum Einsatz.

Für Professor Fritz Niethard aus Aachen steht außer Frage, dass eine Weiterentwicklung der Qualitätssicherung mit Routinedaten unter Beteiligung der Fachgesellschaften sinnvoll ist. Niethard verwies in Berlin allerdings auch auf Widersprüche.

Einerseits befürworten Kasse wie Fachgesellschaften Mindestmengen als Instrument der Qualitätssicherung, mithin einen Trend zur Konzentration und Zentrenbildung. Andererseits weise der AOK-Navigator bei QSR in manchen Fällen just großen Häusern schlechte Wertungen als kleineren zu. Ein Haus, das 1400 Endoprothesen im Jahr mache, könne man aber am Ende eben nicht mit einem vergleichen, das gerade mal 100 solcher Eingriffe hat, meinte Niethard.

Mag die Datenbasis von QSR für die Qualitätsbewertung von Krankenhäusern in Details nach wie vor umstritten sein, andere Gebiete sind deutlich schlechter evaluiert. Nach wie vor hat die Reha-Forschung Mühe, Evidenzen zu belegen.


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Arbeit – Gesundheit – Rehabilitation

Dies war Thema eines weiteren Symposiums. Dr. Sigrid Linck-Eleftheriadis aus Alzey stellte eine Erhebung an Reha-PatientenInnen nach Hüft- oder Knieprothesenimplantation vor. Datengrundlage ist die Befragung von 5315 Patient in Rheinland-Pfalz, davon 58 % Frauen, die alle 2012 nach einer mittleren Reha-Dauer von gut 20 Tagen entlassen wurden. Das Durchschnittsalter lag bei 72,4 Jahren. Fazit: Während der Reha gingen die Schmerzen bei vielen Betroffenen deutlich zurück. Am Rehaende waren 47,8 % der Hüft- und 28,6 % der Kniepatienten nach eigenen Angaben schmerzfrei. Das sei ein Erfolg der komplexen Leistungen der Reha und nicht von Medikamenten, lautete das Fazit der Studie. Das bleibt angesichts fehlender Vergleichsdaten eine Vermutung.

Manch Versorgungslücke machten die auf diesem Symposium vorgestellten Daten aber dingfest. Die Langzeitfolgen eines Becken- oder Acetabulumbruchs sind kaum erforscht, wie Professor Gert Krischak aus Bad Buchau betonte. Seine Gruppe wertete Routinedaten der Deutschen Rentenversicherung in Baden-Württemberg zu Rehabilitationen solcher Patienten zwischen 2004 und 2011 aus. Ein Fazit: Höheres Alter und Arbeitslosigkeit schon vor dem Unfall sind die entscheidenden Risikofaktoren dafür, auch später nicht mehr am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Wesentlich für ein Fallmangement ist es, diese älteren Patienten, die schon vorher keine Arbeit mehr hatten, in Zukunft gezielter zu fördern“, meinte Krischak.

Ulrike Michaelis aus Hamburg präsentierte Statements aus Interviews mit Menschen, denen ein Bein amputiert worden war. Keine Frage: Vielen fehlt einfach ein Ansprechpartner mit Lotsenfunktion für die Neuorientierung im Leben danach. Zitat: „Wenn man sich die Infos nicht mühsam zusammenklaubt, bleibt man einfach in der Wohnung hocken.“

Oder: „Bein ab und dann sieh zu, dass es heilt und dann, dass du nach Hause gehst, das ist so das Prinzip.“

Da war es wieder, das Thema Begleitung und Nachsorge für langfristig mehr Lebensqualität der Patient. Bouillon hatte es kurz vorher an anderer Stelle ganz praktisch formuliert. Wenn alles nicht mehr geht für und mit den Patient oder auch unter Ihresgleichen, dann sollten Orthopäden und Unfallchirurgen doch bitte zum Äußersten schreiten: „Gehen wir zu Ihnen und reden wir mit Ihnen.“

Was gab es noch?
  • An die zwei Dutzend Preise und Reisestipendien wurden vergeben.

  • Viele Schilder über Mitgliedschaften brachten auch dieses Jahr eine schon vertraute Parallelität von DGOOC, DGU, DGOU. Nein, zumindest bei den Titeln ist die Fusion von O und U nicht vollzogen.

  • 10 Spree-Eichen für Berlin spendeten BVOU und DGOU auch dieses Jahr der Stadt Berlin. Aufwuchs und Pflege der Bäumchen sollen für Vorbeugung, Früherkennung und Therapie von Haltungsschäden bei Kindern stehen.

  • Die DGOU begrüßte Ende Oktober das 10 000 Mitglied – eine Assistenzärztin. 1500 Frauen sind heute Mitglied der DGOU.

  • Fritz Niethard legt sein Amt als Generalsekretär der DGOOC nieder. Man verliere einen „Leader seines Fachs“ bedauerte Bertil Bouillon und war dennoch zuversichtlich, dass Niethard auch so weiter mitarbeiten werde.

Der nächste DKOU ist vom 20. bis 23. Oktober 2015, Messe Berlin, Eingang Süd.

Bernhard Epping

Weitere Informationen

http://dkouimweb.dkou.org/dkou/2014

www.dgu-online.de

www.dgooc.de

www.dgou.de


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Die drei Kongresspräsidenten eröffnen den DKOU 2014 (Prof. Dr. Bertil Bouillon (DGU), Dr. Johannes Flechetenbacher (BVOU), Prof. Dr. Henning Windhagen (DGOU und DGOOC). (Quelle: Starface / Ingo Schwarz)
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(© Starface / Ingo Schwarz)
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Das Get together bot ausreichend Raum, Zeit und Atmospähre zum Austausch zwischen den Teilnehmern. (Quelle: Starface / Ingo Schwarz)