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DOI: 10.1055/s-0034-1399809
Internationale Studienergebnisse
Subject Editor:
Publication History
Publication Date:
09 January 2015 (online)
- Koxarthrose – Physiotherapie hat gleichen Effekt wie Placebobehandlung
- Ellenbogen-Tendinopathie – Exzentrik toppt Konzentrik
- Autismus – Gehirne zu gut verschaltet
- ISG-Beschwerden – MT deutlich wirksamer als Übungsprogramm
Koxarthrose – Physiotherapie hat gleichen Effekt wie Placebobehandlung
Physiotherapeuten behandeln Patienten mit Koxarthrose, um Schmerzen zu lindern und die Funktion zu verbessern. Aber hat die Therapie auch den erwünschten Effekt? Womöglich nicht, wie Prof. Kim Bennell, Physiotherapeutin aus Melbourne, herausfand, nachdem sie die „echte“ Physiotherapie mit einer Placebobehandlung verglichen hatte.
Bennell und ihre Kollegen rekrutierten 102 Probanden mit einer radiologisch gesicherten Koxarthrose, die folgende Parameter erfüllten:
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> älter als 50 Jahre
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> länger als drei Monate Leisten- oder Hüftschmerzen
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> durchschnittliche Schmerzintensität von ≥ 40/100 (VAS) in der letzten Woche
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> zumindest moderate Einschränkung im Alltag
Die Wissenschaftler randomisierten die Teilnehmer in zwei Gruppen. Eine erhielt eine Placebotherapie, die andere „echte“ Physiotherapie. Die Probanden waren zwar darüber informiert, dass die Forscher Physiotherapie mit einer Scheinbehandlung vergleichen würden, wussten aber nicht, welcher Behandlungsgruppe sie zugeteilt waren.
Über 12 Wochen erhielten die Probanden zehn Behandlungen. Die ersten zwei Termine dauerten jeweils 45–60 Minuten, die restlichen 30 Minuten. Die Teilnehmer der Physiotherapie-Gruppe bekamen ein Standardprogramm bestehend aus Techniken der manuellen Therapie (Manipulation, Mobilisation, Weichteiltechniken, Dehnungen), vier bis sechs Heimübungen (Kräftigung der Hüft-gelenkabduktoren und des Quadrizeps, Dehnungen und Beweglichkeitstraining, funktionelle Gleichgewichts- und Gangübungen) sowie Aufklärung und Beratung. Daneben hatten die Behandler die Möglichkeit, zusätzliche individuelle befundorientierte Maßnahmen einzusetzen. Im Anschluss an die Therapie sollten die Patienten ihr Heimprogramm sechs Monate lang dreimal wöchentlich weiter absolvieren.
Die Teilnehmer der Placebogruppe erhielten Schein-Ultraschall durch einen Physiotherapeuten. Außerdem applizierte der Therapeut ein Gel ohne medizinischen Wirkstoff (eine Handcreme) auf die Hüftgelenkregion. Dieses Gel trugen die Studienteilnehmer auch nach dem Interventionszeitraum für weitere sechs Monate dreimal wöchentlich auf die betroffene Hüftgelenkregion auf.
Zu Beginn der Untersuchung und nach 13 Wochen untersuchte ein verblindeter Therapeut alle Patienten. Anhand diverser Fragebögen und Tests beurteilte er unter anderem die durchschnittliche Schmerzstärke, die allgemeine Funktion der Hüfte, die Beweglichkeit des Hüftgelenks, die Kraft der hüftumgebenden Muskulatur, die Gehgeschwindigkeit, das Gleichgewicht und die Lebensqualität. Nach 36 Wochen füllten die Probanden die Fragebögen nochmals aus.
Schmerz und Funktion verbesserten sich in einem klinisch relevanten Ausmaß in beiden Gruppen gleichermaßen. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen nach 13 und 36 Wochen war allerdings – bis auf einen Balancetest – nicht signifikant. Da die Expertise der involvierten Therapeuten sowie die Adhärenz der Patienten als „hoch“ eingestuft wurden, stellt diese methodisch gute Studie die spezifische Wirkung von Physiotherapie bei Patienten mit Koxarthrose in Frage.
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Prof. Kim Bennell ist selbst Physiotherapeutin. Dementsprechend enttäuscht zeigte sie sich in Interviews über das Ergebnis ihrer Studie. Die Hypothese zu Beginn der Studie war, dass die Physiotherapie in Bezug auf Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung bei Koxarthrose überlegen sei. Dies hat sich allerdings nicht bewahrheitet.
Warum das so war, ist Spekulation. War das Therapieprogramm nicht lange, intensiv oder spezifisch genug? Hatten die Therapeuten während der Placebobehandlung mehr Zeit zuzuhören und die Patienten positiv zu stimmen? Wie auch immer – Fakt ist, dass der Kontakt zum Therapeuten wichtiger sein könnte als die eigentliche Therapie.
Dr. Norman Swan von ABC (einem Radiosender Australiens) und Jim Michalski vom JAMA (Journal of the American Medical Association) fühlten Prof. Bennell auf den Zahn bezüglich der Aussagekraft und der Konsequenzen der Studie. Sie betonte in den Interviews, dass sich beide Gruppen signifikant verbesserten. Aus früheren Studien sei zudem bekannt, dass Patienten mit Koxarthrose, die über einen vergleichbaren Zeitraum keine Therapie bekamen, keine Verbesserungen zeigten. Somit sei „abwarten und Tee trinken“ bei Koxarthrose keine Option. Diese Patienten würden eindeutig von Physiotherapie profitieren. Es zeige sich jedoch, dass die Vorteile der Therapie nicht unbedingt auf den Effekt einer spezifischen Technik zurückzuführen sind, sondern auf eher unspezifische, indirekte Wirkungen, die durch den bloßen Kontakt zu einem Therapeuten entstehen. Die Therapeuten hätten sich Zeit genommen, die Patienten berührt und mit ihnen geredet. Besonders bei komplexen Outcomes wie Schmerz würden die Erwartungen der Betroffenen eine große Rolle spielen. Da die Probanden in der Studie nicht gewusst hätten, ob ihre Therapie die „echte“ war, seien in beiden Gruppen Erwartung und Vertrauen hoch gewesen.
Eine provokante Frage von Dr. Swan brachte Dr. Bennell in Erklärungsnot: „Muss die Behandlung unbedingt ein gut ausgebildeter Therapeut ausführen? Kann nicht auch ein empathischer Mensch den Job übernehmen?“ Überzeugend entkräften konnte sie diese Frage meiner Meinung nach nicht. Sie betonte die Notwendigkeit einer guten Ausbildung für Befund, Therapie und Kontrolle der Übungen. Sie halte zudem nichts davon, aus der Studie zu schließen, dass Therapeuten überflüssig sind. Trotzdem bleibt auch nach Dr. Bennells Ausführung ein gewisser Nachgeschmack, dem sich die Therapeuten stellen müssen.
Im Gespräch mit Jim Michalski kam zum Schluss die Frage auf: „Wie geht es weiter?“ Dr. Bennell betonte, dass eine Forschung in Richtung Subgruppenbildung in Zukunft hilfreich sei, um aus der bisher scheinbar homogenen Gruppe „Hüftarthrose“ diverse Untergruppen zu bilden. So könnte man herausfinden, welche Strategie fürweiche Sub-gruppedie beste sei. Manche würden eventuell besser auf ein eher körperlich, andere eher auf ein psychologisch ausgerichtetes Programm reagieren.
Wir können also gespannt sein, welche Ergebnisse in Zukunft aus Melbourne kommen, und bis dahin unsere „Hands-on“- und „-off“-Techniken sowie unsere Kommunikationsfähigkeiten möglichst optimal mischen.
Stephanie Moers
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Ellenbogen-Tendinopathie – Exzentrik toppt Konzentrik
Die Frage, ob exzentrische oder konzentrische Übungen in der Behandlung eines „Tennisellenbogens“ vorzuziehen sind, verursacht unter Therapeuten immer wieder Diskussionen. Forscher aus Schweden wollten nun heraus finden, welche der beiden Methoden tatsächlich wirksamer ist.
Dafür rekrutierten sie 120 Probanden zwischen 20 und 75 Jahren, die seit mehr als drei Monaten Symptome einer Ellenbogen-Tendinopathie zeigten und diese auch durch einen Arzt diagnostiziert bekommen hatten. Patienten, die zusätzlich ein Supinatorsyndrom, eine Rhizarthrose oder eine Fibromyalgie hatten, schlossen die Forscher aus der Studie aus. Die Probanden teilten sie per Zufall in zwei Gruppen: eine Konzentrik- und eine Exzentrikgruppe.
Alle Teilnehmer sollten über drei Monate hinweg eine Übung machen. Dazu saßen sie auf einem Stuhl, legten den Arm auf die Armlehne und hielten auf der betroffenen Seite eine Wasserflasche. Die Konzentrikgruppe hatte nun den Auftrag, die Flasche über eine aktive Dorsalextension im Handgelenk anzuheben. Der Rückweg in die Ausgangsposition geschah passiv mit Unterstützung durch den anderen Arm. Bei der Exzentrikgruppe war es umgekehrt: Sie senkte – ebenfalls nur aus dem Handgelenk heraus – die Flasche aus Dorsalextensionsposition ab und unterstützte den Rückweg in Dorsalextension mit dem gesunden Arm. Beide Gruppen absolvierten täglich drei Serien à 15 Wiederholungen. Die männlichen Probanden begannen mit zwei Kilo Gewicht, die weiblichen mit einem. Über die Behandlungszeit steigerte sich bei beiden die Menge um 100 Gramm pro Woche.
Als Out-come-Parameter definierten die Autoren die Schmerzstärke, die Kraft der Unterarmextensoren, die generelle Armfunktion und die Lebensqualität. Die Schmerzstärke bestimmten sie, indem sie die Probanden ihre Unterarmflexoren sowohl maximal kontrahieren als auch maximal dehnen ließen. Die Muskelkraft testeten die Forscher mit einem Handdynamometer. Zur Bestimmung von Armfunktion und Lebensqualität dienten der Disability of Arm, Shoulder and Hand Questionnaire und der Gothenburg Quality of Life instrument Questionnaire. Diese Parameter bestimmten die Wissenschaftler vor der ersten Intervention sowie einen, zwei, drei, sechs und zwölf Monate nach der Untersuchung.
Die Messungen ergaben, dass sich bei beiden Gruppen die Schmerzen gebessert hatten; auch in Bezug auf die Kraft der Extensoren ergaben sich höhere Kraftwerte. Bei der Exzentrikgruppe waren diese Verbesserungen jedoch deutlich größer und früher spürbar (innerhalb von zwei Monaten) als bei der Konzentrikgruppe, bei der sich erst nach dem dritten Monat erste Verbesserungen zeigten.
Tendenziell lassen sich bei einer Ellenbogen-Tendinopathie wohl beide Methoden einfach und schnell anwenden. Um jedoch eine schnelle Schmerzlinderung und Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit zu erlangen, ist das exzentrische Training vorzuziehen.
Aktuelle Studienergebnisse
Auf unserer Thieme-Website für Physiotherapeuten finden Sie Kurzzusammenfassungen aktueller Studienergebnisse – jeden Monat upgedatet! Einfach reinklicken unter www.thieme.de/physiotherapie> „Studienergebnisse“.
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Clin Rehabil 2014; 28: 862–872
Welche Assessments und Messinstrumente verwenden Sie am Patienten? Welche Probleme treten damit in der Therapie auf? Was könnte den Einsatz von Assessments erleichtern?
Das wollen Studierende der Hochschule für Gesundheit (hsg) in Bochum in ihrer Online-Umfrage wissen. Daran teilnehmen können Physiotherapeuten aus ganz Deutschland. Der Fragebogen untersucht, welche Assessments Therapeuten am häufigsten verwenden, was einer Anwendung möglicherweise im Weg steht, wo sie unsicher sind und Handlungsbedarf sehen.
Studierende der Physiotherapie aus dem siebten Semester der hsg starteten die Umfrage unter der Leitung von Professor Dr. Christian Grüneberg. Ihr Ziel ist es, anhand der Ergebnisse ein anwendungsorientiertes Schulungskonzept für Physiotherapeuten in Praxen und Kliniken zu entwickeln.
Das Ausfüllen des Fragebogens dauert etwa 10 bis 15 Minuten. Er wird anonym ausgewertet und dient ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken. Auch regionale Unterschiede sollen bei der Analyse eine Rolle spielen. An der Befragung können Sie noch bis zum 20. Februar 2015 teilnehmen, und zwar unter www.physio-assessment.de. Über den Barcode gelangen Sie direkt zur Online-Umfrage:
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Autismus – Gehirne zu gut verschaltet
Autisten fällt es schwer, Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen. Zudem sind sie in ihrer Kommunikation, ihrer Wahrnehmung und ihrem Verhalten oft stark beeinträchtigt. Forscher fanden jetzt den Grund dafür: Autisten haben mehr Schnittstellen im Gehirn als gesunde Menschen.
Im Säuglings- und Kindesalter bildet das Gehirn im Lernprozess besonders viele Synapsen aus. In den ersten Monaten verbinden sich die Hirnregionen beinahe wahllos. Je älter das Kind wird und je mehr es lernt, desto mehr überflüssige Verknüpfungen werden vom Gehirn erkannt und abgebaut. Dieser Schritt bleibt bei Menschen mit Autismus häufig aus, stellten Dr. David Sulzer und sein Team aus Columbia fest.
Sie untersuchten 26 Gehirne verstorbener Kinder mit Autismus, die zwischen zwei und 20 Jahre alt waren, und verglichen sie mit denen verstorbener gleichaltriger Kinder ohne Autismus. Sie entdeckten, dass bei der Hälfte der gesunden Kinder die Zahl der Synapsen stark abgenommen hatte, bei den autistischen Kindern war das nur bei 16 Prozent der Fall. So halten diese Kinder vermehrt an kindlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen fest.
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ISG-Beschwerden – MT deutlich wirksamer als Übungsprogramm
Die Variationen der Rückenleiden sind so vielschichtig wie deren Behandlungsmöglichkeiten. Forscher fanden jetzt heraus, dass bei ISG-Beschwerden die manuelle Therapie das wirksamste Verfahren ist. Für ihre Studie hatten sie 51 Patienten mit Beschwerden in der ISG-Region rekrutiert, die zudem folgende Einschlusskriterien erfüllten:
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> mindestens drei von vier ISG-Provokationstests (Caenslen’s Test, Kompressionstest, Thigh Trust, Yeoman’s Test) an zwei ver schiedenen Messzeitpunkten positiv
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> Schmerzen in der Iliosakralgegend, die unterhalb des Gesäßes ausstrahlen und seit mindestens vier Wochen und höchstens einem Jahr bestehen
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> keine entzündlichen Prozesse im ISG (Ausschluss mittels Blutuntersuchung)
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> keine anderen Schmerzursachen wie Nervenwurzelkompressionen (Ausschluss mittels MRT)
Die Patienten wurden in drei Gruppen randomisiert: 15 bekamen Physiotherapie, 18 manuelle Therapie und 18 intraartikuläre Injektionen. Die Physiotherapien beinhaltete ein standardisiertes Übungsprogramm zur Mobilisation des ISG und zur Stärkung der Rücken- und Beckenbodenmuskulatur. Über sechs Wochen übten die Teilnehmer dieses Programm einmal pro Woche mit einem Therapeuten, die restlichen Tage sollten sie die Übungen selbst durchführen. Die Probanden der zweiten Gruppe bekamen zwei Mal manuelle Therapie mit manipulativen Techniken zur Mobilisation des ISG. Die dritte Gruppe erhielt ein oder zwei Injektionen mit Lidocain und Triamcinolon.
Vor Beginn der Intervention sowie nach sechs und zwölf Wochen befragten die Autoren die Probanden zu ihrer Schmerzstärke.
Bei rund der Hälfte aller Teilnehmer hatten sich die Schmerzen gegenüber dem Ausgangswert verbessert. Die drei Interventionen unterschieden sich hinsichtlich ihrer Effektivität jedoch deutlich: In der Manualtherapie-Gruppe hatten sich die Schmerzen um 72 Prozentverringert, in der Übungsgruppe waren es dagegen nur 20 Prozent, bei der Injektionsgruppe immerhin 50 Prozent.
Somit schnitt die Behandlung mit Mobilisationen und Manipulationen in dieser Studie mit Abstand am besten ab.
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Eur Spine J 2013; 22: 2310–2317 doi: 10.1038/mp.2014.114
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