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DOI: 10.1055/s-0034-1544087
Hodentorsion – Orchidopexie bei perinataler Monorchie?
Publication History
Publication Date:
12 February 2015 (online)
Eine perinatale Monorchie ist üblicherweise Folge einer testikulären Atrophie bzw. Regression nach einem ischämischen Ereignis, z. B. einer Hodentorsion. Unabhängig davon, wann genau diese Ischämie sich ereignet, handelt es sich dabei doch in den allermeisten Fällen um eine Torsion außerhalb der Tunica vaginalis. Dagegen ist die akute Hodentorsion des späteren Lebensalters ein intravaginales Ereignis, nach dem gemäß allgemeinen Empfehlungen eine kontralaterale Orchidopexie indiziert ist. Ob das auch bei der perinatalen Monorchie sinnvoll ist, haben zwei Kinderurologen aus Washington untersucht.
J Urol 2014; 191: 1573–1577
mit Kommentar
Bei einer im Neugeborenenalter auftretenden Monorchie ist eine Bell-Clapper-Anomalie ein seltener Befund, sodass eine prophylaktische Orchidopexie des Einzelhodens nicht notwendig erscheint. Zu diesem Schluss kommen Aaron Martin und Gil Rushton, die zwischen 2006 und 2012 insgesamt 50 konsekutiv zur Operation anstehende Kleinkinder mit Monorchie und zusätzlichen intraskrotal tastbaren knotigen Geweberesten nach perinataler Hodentorsion daraufhin untersucht haben. Als Kontrollgruppe dienten 27 Jungen mit akuter Hodentorsion in den Jahren zwischen 2008 und 2013.
Bei der sog. Bell-Clapper-Anomalie handelt es sich um eine anatomische Variante mit extrem beweglichen Hoden, die innerhalb der Tunica vaginalis quasi frei schwingen – ähnlich dem Klöppel einer Glocke – und dementsprechend einem erhöhten Risiko für eine Torsion unterliegen.
Keine kontralaterale Bell-Clapper-Anomalie bei perinataler Torsion
Die Kinder mit perinataler Torsion waren zum Zeitpunkt der Operation etwas älter als 1 Jahr. Bei ihnen wurden die Gewebeknoten entfernt, in allen Fällen ergab die pathohistologische Aufarbeitung torquierte Überbleibsel von Hodengewebe, einschließlich atrophierter Wolff-Gänge, Samenstrangresten, fibrotischer Knötchen, Kalzifizierungen und / oder Hämosiderinablagerungen. Keiner der gesunden Hoden, bei denen in allen Fällen eine Orchidopexie durchgeführt wurde, zeigte eine vollständige Bell-Clapper-Anomalie, bei einem Jungen lag eine partielle Anomalie vor.
Die Jungen der Kontrollgruppe mit akuter Torsion waren bei dem Eingriff mit knapp 13 Jahren deutlich älter, und bei allen fand sich ein Bell-Clapper-Befund des betroffenen, intravaginal torquierten Hodens. Darüber hinaus waren davon auch 21 der 27 kontralateralen Testes betroffen. Hinweise auf eine perinatale Torsion fanden sich in dieser Gruppe nicht.
Bei älteren Jungen mit akuter Hodentorsion findet sich häufig eine kontralaterale Bell-Clapper-Anomalie, sodass die prophylaktische Orchidopexie hier berechtigt erscheint, meinen die Autoren. Bei Kleinkindern mit perinataler Torsion dagegen sieht die Situation anders aus – hier ist die Prävalenz dieses Befunds extrem gering. Damit ist in dieser Gruppe vermutlich kein erhöhtes Risiko für eine Hodentorsion gegeben, folgern Martin und Rushton, und die Indikation für die routinemäßige Fixierung des Einzelhodens sollte hier überdacht werden.
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Besondere Handlungsrelevanz
Die Bell-Clapper-Anomalie
Die Hodenhüllen umgeben mit einem serösen viszeralen Blatt den Hoden und Nebenhoden (Epiorchium) und gehen seitlich in das parietale Blatt (Periochium) über. Viszerales und parietales Blatt umschließen damit eine seröse Hodensackhülle, in der der Hoden durch seröse Flüssigkeit beweglich ist. Die adäquate Ausbildung dieser serösen Hodensackhülle ist für eine stabile Verankerung des Hodens und Nebenhodens mit dem Funiculus spermaticus von Bedeutung. Wie die Skizze (‣ Abb. [ 1 ]) zeigt, liegen beide Blätter normalerweise am Nebenhoden fixiert vollständig aufeinander. Bei der sog. Bell-Clapper-Anomalie liegen parietales und viszerales Blatt vollständig separiert voneinander vor und gehen erst am Funiculus spermaticus ineinander über, sodass Hoden wie Nebenhoden keine Fixation in der Hodenhülle haben.
Ursache für Hodentorsion
Muschat konnte bereits 1932 eine Assoziation der Bell-Clapper-Anomalie mit dem Auftreten von Hodentorsionen nachweisen und zeigte, dass bei einer normalen Entwicklung der Hodenhüllen, bei der der Nebenhoden an der Hodenhülle befestigt ist (‣ Abb. [ 1 ]), keine signifikante Rotation des Hodens um seine Gefäßachse möglich ist [ 1 ]. Bei Vorliegen einer Bell-Clapper-Anomalie fehlt diese Fixation, sodass Nebenhoden, distale Anteile des Funiculus spermaticus und der Hoden intravaginal in den Hodenhüllen frei aufgehängt sind und dadurch die Möglichkeit einer Drehung um die eigene Achse im Sinne einer Torsion gegeben ist.
Skorer und Farrington belegten 1991, dass die Bell-Clapper-Anomalie häufig beidseits bei Patienten nachzuweisen ist, die eine Hodentorsion entwickeln (bilaterale Inzidenz bei Hodentorsion einer Seite: 80 %) [ 2 ].
Favorito und Mitarbeiter fanden eine kontralaterale Bell-Clapper-Anomalie bei 19 von 25 Knaben (76 %), die mit einer Hodentorsion operiert wurden und bestätigten damit ebenfalls, dass diese Fixations-Anomalie des Hodens häufig bilateral gegeben ist [ 3 ].
Während die intravaginale Torsion (‣ Abb. [ 2 ]) den Torsionsmechanismus darstellt, der in der Regel nach Ablauf der Neugeborenenperiode anzutreffen ist, kommt die extravaginale Torsion vor allem bei Neugeborenen und bei Patienten mit nicht deszendierten Hoden vor.
Kommt es antenatal im Verlauf des Hodendeszensus zu einer Hodentorsion, kann dies postnatal die Ursache eines kryptorchen Hodens sein. Die operative Exploration zeigt in diesen Fällen häufig ein blind endendes Vas deferens oder einen verkümmerten testikulären Rest, das sog. Hodenrudiment (Nubbin).
Die Autoren Martin und Rushton sind nun der Frage nachgegangen, wie oft eine kontralaterale Bell-Clapper-Anomalie in den Fällen nachgewiesen werden kann, in denen bei kryptorchem Hoden auf der operativ explorierten Seite intraoperativ ein Hodenrudiment als Residualzustand nach stattgehabter präpartaler Torsion gefunden wird.
Studie ist von hoher Relevanz für die Praxis
Hierzu wurden 50 konsekutive Fälle mit Nachweis eines Hodenrudiments auch auf der Gegenseite freigelegt. Als Kontrollgruppe dienten 27 konsekutive Fälle, die mit einem akuten Skrotum bei akuter testikulärer Torsion operiert wurden. Auch hier wurde die Anatomie der kontralateralen Seite exploriert.
Erwartungsgemäß differierte das mittlere Alter beider Gruppen, und lag bei den Patienten, die aufgrund eines einseitigen Kryptorchismus mit dem Ergebnis eines intraoperativ detektierten Hodenrudiments operiert wurden, im Mittel bei 15 Lebensmonaten, während das mittlere Alter der Patienten, die aufgrund eines akuten Skrotums operativ exploriert wurden, im Mittel 12,7 Jahre betrug.
Die von den Autoren bearbeitete Fragestellung ist sehr interessant, denn sie impliziert für das kinderurologische operative Vorgehen besondere Handlungsrelevanz. Findet man im Rahmen der Hodensuche bei einseitigem Kryptorchismus ein Hodenrudiment als Folge einer stattgehabten präpartalen Torsion, ist die Frage der Indikation einer kontralateralen Pexie des häufig kompensatorisch hypertrophierten Einzelhodens [ 4 ] der Gegenseite zu stellen.
Die Autoren konnten mit ihrer Untersuchung nun nachweisen, dass die Prävalenz, also die Anzahl an Individuen, die zum Untersuchungszeitpunkt eine Bell-Clapper-Anomalie der kontralateralen Seite aufwiesen, in der Gruppe, die ein Hodenrudiment, also ein präpartales Torsionsereignis, aufwiesen, nur 2 % (1 Kind mit einer intermediären Form) betrug. Im Gegensatz dazu wiesen in der Gruppe, die aufgrund einer akuten Hodentorsion operiert wurden, nur 22 % eine normale Hodenhüllen-Anatomie der Gegenseite auf.
In 78 % der Fälle fand sich auf der akut nicht betroffenen Gegenseite auch eine Bell-Clapper-Anomalie, also eine nicht adäquate Fixation des Hodens und Nebenhodens in seiner Hodenhülle.
Wichtiges Fazit für die Praxis
Der präpartalen / intrapartalen Torsion mit dem Residualzustand eines Hodenrudiments (Nubbin) liegt ein im Vergleich zum akuten Hodentorsionsereignis differenter Pathomechanismus zugrunde. Eine Fehlentwicklung der Hodenhüllen mit mangelhafter Fixation des häufig kompensatorisch hypertrophierten Hodens der Gegenseite ist nicht anzunehmen, sodass eine prophylaktische Pexie in diesen Fällen nicht erforderlich ist.
Anders verhält es sich bei jungen Patienten, die mit einer akuten Hodentorsion jenseits des Neugeborenalters vorstellig werden. Hier kann für die akut nicht betroffene Gegenseite mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Bell-Clapper-Anomalie angenommen werden, sodass die Pexie der Gegenseite prophylaktisch indiziert ist und in jedem Fall durchgeführt werden sollte.
Dr. Iris Rübben, Essen
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Literatur
- 1 Muschat M. The pathological anatomy of testicular torsion: explanation of its mechanism. Surg Gynecol Ostet. 1932;
- 2 Scorer CG, Farrington GH. Congenital Deformaties of the Testis and Epididymis. London: Butterworth; 1971
- 3 Favorito LA, Cavalcante AG, Costa WS. Anatomic aspects of epididymis and tunica vaginalis in patients with testicular torsion. Int. Braz J Urol 2004;
- 4 Braga LH, Kim S, Farrokhyar F et al. Is there an optimal contralateral testicular cut-off size that predicts monorchism in boys with nonpalpable testicles?. J Ped Urol 2004;
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Literatur
- 1 Muschat M. The pathological anatomy of testicular torsion: explanation of its mechanism. Surg Gynecol Ostet. 1932;
- 2 Scorer CG, Farrington GH. Congenital Deformaties of the Testis and Epididymis. London: Butterworth; 1971
- 3 Favorito LA, Cavalcante AG, Costa WS. Anatomic aspects of epididymis and tunica vaginalis in patients with testicular torsion. Int. Braz J Urol 2004;
- 4 Braga LH, Kim S, Farrokhyar F et al. Is there an optimal contralateral testicular cut-off size that predicts monorchism in boys with nonpalpable testicles?. J Ped Urol 2004;