Journal Club Schmerzmedizin 2014; 3(4): 186-187
DOI: 10.1055/s-0034-1544134
Journal Club
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Periphere neuropathische Schmerzen: THC / CBD-Spray wirksam

Serpell M, Ratcliffe S, Hovorka J, Schofield M, Taylor L, Lauder H, Ehler E.
A double-blind, randomized, placebo-controlled, parallel group study of THC/CBD spray in peripheral neuropathic pain treatment.

Eur J Pain 2014;
18: 999-1012
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. Januar 2015 (online)

 

    Die Therapie des peripheren neuropathischen Schmerzes ist auch heutzutage eine schmerztherapeutische Herausforderung. Das Ziel, eine optimale medikamentöse Wirkung-Nebenwirkung-Relation zu erzielen, ist Grundvoraussetzung für die erwünschte Patientencompliance. Der Einsatz von Cannabis ist dabei eine oft diskutierte Medikamentenoption.


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    Ein tschechisch-englisches Forscherteam konnte THC / CBD-Spray in Form einer neu entwickelten innovativen Zusammensetzung als wirkungsvolle Substanz zur Behandlung therapierefraktärer neuropathischer Schmerzen detektieren. Dieses Resultat publizierten die Forscher nach Auswertung ihrer randomisierten, doppelblinden, plazebo-kontrollierten Studie. Dazu inkludierten die Autoren 303 Patienten mit peripheren neuropathischen Schmerzen, die mit einer Allodynie-Symptomatik einherging.

    • 128 Probanden erhielten dabei Tetrahydrocannabinol / Cannabidiol (THC / CBD) als oromukosales Spray und

    • weitere 118 Probanden Plazebo-Spray zusätzlich zu ihrer laufenden Schmerztherapie.

    Die Patienten konnten in das Studiendesign inkludiert werden, wenn sie > 6 Monate über neuropathische Schmerzen klagten und mind. eine Schmerzstärke von 4 auf der numerischen Rating-Skala bestand (NRS 0 = kein Schmerz; NRS = 10 stärkster vorstellbarer Schmerz). Karzinogene Schmerzentitäten sowie der CRPS-Typ I und diabetesbedingter Schmerz galten als Ausschluss-kriterien. Die Studienteilnehmer durften zuvor THC in keiner Form konsumiert haben und keinerlei neue Schmerzmedikamente verordnet bekommen. Zudem durften weibliche Probanden nicht schwanger sein oder stillen.

    Die Autoren analysierten neben der Schmerzstärke zusätzlich etwaige Nebenwirkungen, Vitalzeichen, die Schlafqualität (NRS 0–10) sowie Intoxikationszeichen (NRS 0–10). Zudem dokumentierten sie, ob die Patienten zusätzlich bedarfsadaptiert Rescue-Medikamente einnahmen. Weitere wichtige Kriterien waren das Einnahmeverhalten der bestehenden regulären Schmerzmedikation und etwaige Veränderungen in der Co-Medikation. Zusätzlich analysierten die Wissenschaftler Blut- und Urinproben, wobei v. a. die Hämatologie und Medikamentenscreenings im Vordergrund standen. Die Schmerzstärke dokumentierten die Probanden täglich in ein Schmerztagebuch. Den NPS-Wert (neuropathic pain scale) dokumentierten sie wiederum wöchentlich.

    Jeder Spray-Hub enthielt 100 μl mit 2,7 mg THC und 2,5 mg CBD. Sowohl Verum als auch Plazebo hatte einen pfefferminzartigen Geschmack und Geruch. Die Dosierung konnten die Teilnehmer bis zu einer optimalen Dosis selbst anpassen, wobei nicht mehr als 8 Hübe innerhalb von 3 h erlaubt waren. Anfangs sollten die Probanden innerhalb von 4 h nur 1 Hub anwenden und im weiteren Verlauf die Dosis bis zur subjektiven Schmerzreduktion anpassen. Die Erhöhung limitierten die Ärzte jedoch auf die Hälfte der Höchstdosis des Vortags. Als Rescue-Medikation stand den Patienten Paracetamol mit einer täglichen Höchstdosis von 4 g zur Verfügung.

    Als Studienendpunkte definierten die Autoren eine 30 %-ige Verbesserung der Schmerzstärke von der Baseline bezogen auf die 10-stufige Schmerzskala.

    Insgesamt 173 Probanden beendeten die Studie erfolgreich anhand der festgelegten Kriterien. Die durchschnittliche Schmerzdauer ähnelte sich in beiden Gruppen (THC/CBD: 0,6–38,1 Jahre; Plazebo: 0,4–39,2 Jahre).

    Die durchschnittliche Anwendung

    • in der Verum-Gruppe lag bei 8,9 Hüben und

    • für die Plazebo-Patienten bei 14,2 Hüben pro Tag.

    Die Dauer der Behandlung lag

    • bei 78,2 Tagen in der THC / CBD-Gruppe und

    • bei 86,4 Tagen in der Plazebo-Gruppe.

    Betrachtet man nun die 30 %-Responder-Analyse als primären Endpunkt bei der PNP-NRS, so konnten

    • 34 Patienten (28 %) in der THC / CBD-Spray-Gruppe als Responder detektiert werden,

    • bei der Vergleichsgruppe jedoch nur 19 Patienten (16 %) (p = 0,034; 95 % CI: 1,05–3,70).

    Unterstützt wurden diese Daten durch die PP-Analyse.

    • Dabei erreichten 36 % (n = 27) der Patienten der Verumgruppe eine 30 %-ige Verbesserung der Schmerzstärke (NRS),

    • verglichen mit 18 (20 %) in der Plazebo-Gruppe (OR 2,27; p = 0,021; 95 % CI: l,12–4,57)

    Auch bei den sekundären Endpunkten der Studie demonstrierten die Autoren eine Überlegenheit in der Gruppe mit THC / CBD-Spray. So verbesserte sich sowohl die Schlafqualität bei diesen Patienten, gemessen anhand der NRS (p = 0,0072), als auch das subjektive Gefühl einer relevanten Veränderung (p = 0,023), verglichen mit den Patienten ohne Wirkstoffapplikation.

    Als Nebenwirkungen gaben Patienten der Verum-Gruppe überwiegend nervöse und psychiatrische Nebenwirkungen 23 % (n = 30) an, wobei dies nur in 3 % der Fälle (n = 4) ohne Wirkstoffapplikation auftrat.

    Fazit THC / CBD-Spray könnte als eine wirkungsvolle Alternative bei Patienten mit therapieresistenten peripheren neuropathischen Schmerzen Eingang in das Behandlungsrepertoire finden. Bei gleichzeitiger Verbesserung der Schlafqualität und dem subjektiven Lebensgefühl sowie einer guten Verträglichkeit und Medikamentensicherheit könnte das Präparat nach weiterführenden Studien eine zunehmende Verbreitung bei therapierefraktären neuropathischen Schmerzen gewinnen.

    Dr. med. Holger Baust, Petersberg

    Kommentar

    Prof. Dr. med. Matthias Karst


    Interdisziplinäre Schmerzambulanz, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Hochschule Hannover

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    Dies ist die 3. vollständig publizierte Studie, die die Effektivität der sublingualen THC / CBD-Kombination (Sativex®) auf neuropathische Schmerzen peripheren Ursprungs belegt. Eine 4. vollständig publizierte Studie zeigte bei 30 Patienten mit symmetrischer diabetischer Polyneuropathie keine Überlegenheit gegenüber Placebo, war aber mit max. 4 Dosierungen pro Tag à 2,7 mg THC / CBD wahrscheinlich unterdosiert [1]. Die durchschnittlichen effektiven Tagesdosen in den anderen vorangegangenen Studien lagen bei ca. 20 mg [2] bzw. 30 mg [3]. Im Unterschied zur Nurmikko-Studie [3] zeigte sich in der aktuellen Arbeit kein Beleg dafür, dass die THC / CBD-Kombination Allodynie reduziert. Neu ist, dass die klinisch bedeutsame Verbesserung auch über einen Zeitraum von im Median 19 Wochen nachweisbar bleibt. Die bereits andernorts [4] diskutierte schmale therapeutische Breite von Cannabinoiden wird auch in der aktuellen Studie deutlich: Bei durchschnittlich 24 mg THC / CBD-Kombination pro Tag kam es bei je ca. 40 % der mit Verum behandelten Patienten zu Schwindel und gastrointestinalen Beschwerden und bei ca. 20 % zu psychiatrischen Störungen, ca. 20 % brachen die Studie wegen Nebenwirkungen vorzeitig ab. Aus diesen Zahlen kann abgeleitet werden, dass es wichtig ist, diejenigen Personen zu identifizieren, bei denen die Interaktion zwischen exogen zugeführten Cannabinoiden und dem Endocannabinoidsystem mit einer guten Nutzen-Risiko-Balance verbunden ist. Die THC / CBD-Kombination wurde zusätzlich zu einer bestehenden Medikation aus Trizyklika, Gabapentinoiden und / oder Opioiden gegeben, die von ca. 20–30 % der Patienten eingenommen worden ist. Leider wurden die diesbezüglichen Daten nicht genauer erfasst oder ausgewertet bzw. publiziert. Da präklinische Daten in der gleichzeitigen Stimulation von Cannabinoidrezeptoren mit Opioidrezeptoren zum Teil positive Interaktionen zeigten, wäre eine diesbezügliche Analyse von klinisch bedeutsamem Nutzen. In diesem Zusammenhang ist es auch unklar geblieben, inwieweit die eingeschlossenen Patienten tatsächlich „behandlungsresistent“ sind, zumal bei den bislang verwendeten Behandlungen weder periphere Mechanismen (z. B. Capsaicin, Lidocain) noch nicht-medikamentöse Strategien (z. B. multimodale Therapie, Neurostimulaion) genannt worden sind.


    1 Selvarajah D, Gandhi R, Emery CJ, Tesfaye S. Randomized placebo-controlled double-blind clinical trial of cannabis-based medicinal product (Sativex) in painful diabetic neuropathy. Diabetes care 2010; 33: 128–130


    2 Berman JS, Symonds C, Birch R. Efficacy of two cannabis based medicinal extracts for relief on central neuropathic pain from brachial plexus avulsion: results of a randomized controlled trial. Pain 2004; 112: 299–306


    3 Nurmikko TJ, Serpell MG, Hoggart B, Toomey PJ, Morlion BJ, Haines D. Sativex successfully treats neuropathic pain characterised by allodynia: a randomised, double-blind, placebo-controlled clinical trial. Pain 2007; 133: 210–220


    4 Karst M, Wippermann S, Ahrens J. Role of cannabinoids in the treatment of pain and (painful) spasticity. Drugs 2010; 70: 2409–2438


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