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DOI: 10.1055/s-0035-1546390
Heutige und zukünftige Folgen von Ebola in Westafrika – Existenzielle Katastrophe für mehrere Länder
Publication History
Publication Date:
16 February 2015 (online)
Auch wenn sie mittlerweile aus den Medien so gut wie verschwunden ist – die Ebolaepidemie in Westafrika dauert auch im neuen Jahr immer noch an. Seit der letzten Ausgabe der FTR hat die Zahl der registrierten Verdachtsfälle noch einmal um 6200 zugenommen, insgesamt sind somit der offiziellen Statistik zufolge bisher etwa 22 100 Menschen erkrankt (Stand 28. Januar). Etwa 8800 von ihnen überlebten die Infektion nicht. Die Dunkelziffer ist nach wie vor vermutlich groß.
Positive Entwicklungen
Der positive Trend, der sich bereits im Dezember angedeutet hatte, verstärkte sich jedoch in den vergangenen Wochen: Die Ausbrüche in Nigeria, Mali und im Senegal konnten nach nur wenigen Fällen wieder beendet werden. In Liberia sinken die Fallzahlen bereits seit Mitte November kontinuierlich, Ende Januar wurden hier innerhalb einer Woche „nur“ noch 4 bestätigte und 3 wahrscheinliche Fälle gemeldet. Und auch in Sierra Leone und Guinea gibt es seit dem Jahreswechsel eine drastische Verbesserung. Am deutlichsten ist diese Entwicklung in Sierra Leone, wo die Zahl der wöchentlich bestätigten Neuinfektionen bis Ende Januar auf 65 gesunken ist (nach etwa 500 wöchentlichen Neuinfektionen noch im November). In Guinea, wo die Fallzahlen von September bis Dezember ohne erkennbaren Trend zwischen 60 und 160 geschwankt hatten, wurden zuletzt 30 bestätigte Fälle pro Woche registriert.
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Nicht überschaubar:
Anzahl bisheriger Todesfälle
Angesichts dieser Zahlen und des Fehlens größerer Ausbrüche in Europa ist gelegentlich zu hören, die Ebolaepidemie sei überbewertet worden. Die Zahl von 8800 Toten sei zwar traurig, aber doch nichts im Vergleich zu den jährlich ohne viel Aufsehen vermeldeten Hunderttausenden von Toten durch Krebs, Malaria oder auch nosokomiale Infektionen.
Auf der einen Seite mag dies richtig sein. Auf der anderen Seite wird eindeutig verkannt, dass der Ausbruch nicht nur anhand der reinen Fallzahlen bewertet werden darf. Zu allererst: Das Virus hat nicht nur direkt die gemeldeten und nicht gemeldeten Ebolatoten, sondern auch indirekt viele weitere Todesfälle verursacht, deren Anzahl nicht überschaubar ist: Monatelang war ein Großteil der wenigen in der Region überhaupt vorhandenen Kliniken geschlossen. Auch die mit internationaler Hilfe betriebenen neuen Krankenstationen sind so verteilt, dass es in einigen Regionen nach wie vor im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern nicht ein funktionierendes Krankenhaus gibt. In geöffneten Kliniken wurden und werden beispielsweise Malaria- oder Durchfallkranke abgewiesen, weil das Klinikpersonal Ebolainfektionen vermutet und aufgrund fehlender Schutzausrüstungen und Isoliermöglichkeiten das eigene Leben (und das der anderen Patienten) nicht aufs Spiel setzen will. Ebenso erhielten Tausende werdender Mütter nicht die benötigte Hilfe, weil die Ansteckungsgefahr während der Geburt bei Ebola durch die austretenden Körperflüssigkeiten besonders groß ist.
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Hunger und Armut nehmen zu
Außerdem hat die fehlende Versorgung der bereits Kranken nicht nur bis jetzt zahlreiche Todesfälle verursacht. Wahrscheinlich werden die Einbrüche in der Gesundheitsvorsorge noch jahrelang Folgen haben. In Sierra Leone werden laut eines Regierungssprechers derzeit 80 % der Staatsausgaben in den Kampf gegen Ebola umgeleitet. In allen 3 betroffenen Staaten bleiben unter anderem Impfprogramme und Maßnahmen zur Malariabekämpfung auf der Strecke. Und das, obwohl Liberia mit mehr als 1,48 Mio. Malariafällen jährlich (Stand 2013) bei einer Gesamtbevölkerung von nicht einmal 4,3 Mio. Menschen eines der Länder ist, das weltweit am meisten unter der Malaria leidet. 2013 verstarben hier 1191 Menschen an der Malaria. In Sierra Leone (6 Mio. Einwohner) waren es mehr als 4300. Die WHO befürchtet nun in ihrem jüngsten World Malaria Report, dass der Ebolaausbruch die Erfolge der letzten Jahre bei der Malariabekämpfung zunichtemachen könnte.
Hinzu kommt der Hunger. Der Großteil der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten lebte bereits vor dem Ausbruch in Armut. Viele Menschen geben das am Tag verdiente Geld abends für die am nächsten Tag benötigten Nahrungsmittel aus. Ersparnisse gibt es kaum. Kann an einem Tag nicht gearbeitet werden, weil durch Quarantänemaßnahmen das eigene Dorf, der Markt oder der Weg zu den Feldern abgeriegelt ist, so ist am nächsten Tag auch kein Essen da. Hinzu kommt, dass die Preise um teilweise 30–50 % gestiegen sind, weil Felder nicht mehr bewirtschaftet werden können. Früchte oder Fische vergammeln, weil sie aufgrund von Quarantänemaßnahmen nicht rechtzeitig in die Städte transportiert werden können.
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Soziale und wirtschaftliche Folgen
Die Arbeitslosigkeit ist seit Beginn des Ausbruchs dramatisch gestiegen. Schiffe meiden die Häfen und der Flugverkehr ist lahm gelegt. Die Wirtschaft der gesamten Region wird zurückgeworfen. Sierra Leone und Liberia waren Ende der 90er Jahre und teilweise noch Anfang des neuen Jahrtausends Schauplatz heftiger Bürgerkriege. In den letzten Jahren begann ein stetiger Wiederaufbau, insbesondere Liberia erreichte ein deutliches Wirtschaftswachstum. Vergangenes Jahr fiel das Bruttoinlandsprodukt hier erstmals wieder negativ aus. Alle 3 betroffenen Länder gehören laut dem vom Legatum Institute ermittelten Wohlstandsindex 2014 somit wieder zu den 12 ärmsten Ländern der Welt.
Weiterhin sind fast alle Schulen in der Region seit dem Sommer geschlossen (Liberia plant jedoch eine Wiedereröffnung im Februar). Kinder werden stattdessen – wenn möglich – arbeiten geschickt. Die Gefahr ist groß, dass sie später nicht wieder in die Schule zurückkehren werden. Besonders Mädchen, die erst seit ein paar Jahren überhaupt regelmäßig die Schule besuchen, sind davon betroffen. In Ländern, die weltweit mit die höchsten Analphabetenraten haben, hat dies verheerende Folgen für die Zukunft.
Und schließlich darf auch die soziale/psychologische Komponente nicht vergessen werden. Natürlich sterben auch viele Menschen an Krebs oder der Malaria, aber inmitten einer hoch ansteckenden, zumindest in Westafrika in den meisten Fällen tödlich verlaufenden Seuche zu leben, ist etwas anderes. Die Angst begleitet die Menschen dort überall hin. Der Kontakt zu anderen wird gemieden und das öffentliche Leben bricht zusammen. Wenn Familienmitglieder oder Freunde erste Symptome wie Fieber entwickeln, treten Fragen auf, die man eigentlich nicht richtig beantworten kann – den geliebten Menschen so gut wie möglich pflegen (zumindest auf teilweise stundenlangen Wegen in die Ebolazentren) oder den Kontakt meiden, um sich selbst und den Rest der Familie zu schützen?
Auch wenn es also weltweit das ein oder andere drängendere Problem geben mag, so verursacht diese Epidemie doch nicht einfach nur eine im globalen Maßstab relativ unbedeutende Anzahl an Todesfällen, sondern ist tatsächlich eine existenzielle Katastrophe für die Bevölkerung mehrerer Länder, die nicht klein geredet werden oder in Vergessenheit geraten sollte.
Dr. Raymund Lösch und Dipl. Biol. Unn Klare, Bad Doberan
Quellen: promed, CDC, WHO
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