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DOI: 10.1055/s-0035-1546398
Große, aktuelle Studie: Wie viel wiegen Seefahrer? – Keine Hinweise auf berufsbedingtes Übergewicht bei türkischen Seeleuten
Publication History
Publication Date:
16 February 2015 (online)
Nas S, Fışkın R. A research on obesity among Turkish seafarers. Int Marit Health 2014; 65: 187–191
Thema: In vielen Ländern der Welt belastet ein zunehmendes Übergewicht der Bevölkerung aufgrund der damit verbundenen Erkrankungen das Gesundheitssystem und die Volkswirtschaft insgesamt. An Bord von Schiffen kann Übergewicht eines Seefahrers über die individuellen Risikofaktoren hinaus auch zu einem Sicherheitsproblem werden. Dies gilt insbesondere bei Notfällen, in denen Übergewicht angesichts der oftmals engen räumlichen Verhältnisse an Bord die Eigen- und Fremdrettung erschweren kann. Aber auch im Alltag erfordert der sich ständig bewegende Lebensraum Schiff ein erhöhtes Maß an körperlicher Beweglichkeit, um Unfälle zu vermeiden. Dieser Sachverhalt hat die Autoren veranlasst, eine Bestandsaufnahme des Körpergewichts im Kollektiv türkischer Seeleute vorzunehmen.
Projekt: Datengrundlage waren die Untersuchungsbögen der Seediensttauglichkeitsuntersuchungen, die in der Türkei in 2-jährigem Abstand verpflichtend sind. Aus diesen wurde Geschlecht, Alter, Größe und Gewicht ermittelt und der Body-Mass-Index (BMI) errechnet. Grundlage der Analyse waren 143 341 Datensätze von Seediensttauglichkeitsuntersuchungen im Zeitraum 2009 bis 2012. Der Vergleich mit der Normalbevölkerung erfolgte mit gleichartigen Parametern aus dem Gesundheitsbericht 2013 des Türkischen Statistischen Instituts (TSI).
Ergebnis: Das durchschnittliche Alter weiblicher Seefahrer lag bei 26,79 Jahren, das der männlichen bei 33,31 Jahren. Das Durchschnittsgewicht der Frauen lag bei 61,01 kg bei einer Durchschnittsgröße von 165,6 cm. Die Männer wogen im Durchschnitt 77,48 kg und waren 174,4 cm groß. Daraus ergab sich ein durchschnittlicher BMI von 22,16 bei Frauen und 25,34 bei Männern.
Für weitere Ergebnisse wurden nur männliche Seefahrer betrachtet, da der Frauenanteil bei 3 % lag und damit nicht aussagefähig auswertbar war.
Die Gewichtsentwicklung war deutlich mit dem Alter korreliert. Die mit einem BMI von 25 als Grenze des Übergewichts definierte Schwelle wird in der Korrelationsanalyse durchschnittlich im Alter von 28 Jahren überschritten und mit 50 Jahren wird der maximale Durchschnittswert von 27,8 erreicht.
Betrachtet man die zeitliche Entwicklung im Gesamtkollektiv, so ergibt sich ein signifikanter Anstieg des durchschnittlichen BMI von 25,269 der Untersuchten im Jahr 2009 auf 25,418 im Jahr 2012.
Das Verhältnis im Vergleich Seeleute mit Normalbevölkerung ist:
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BMI < 25: 47,9 zu 47,3 %,
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BMI 25–30: 39,6 zu 39,0 %,
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BMI > 30: 12,5 zu 13,7 %.
Der Gesamtanteil Übergewichtiger mit einem BMI über 25 ist damit bei männlichen türkischen Seefahrern geringer als in der männlichen türkischen Gesamtbevölkerung.
Fazit: Etwas über die Hälfte der türkischen Seefahrer sind übergewichtig, wobei sich das Übergewicht vorwiegend im moderaten Bereich bewegt. Ein negativer berufsbedingter Einfluss auf das Körpergewicht ist im Vergleich zur türkischen Bevölkerung nicht erkennbar.
Im Bereich der global hoch standardisierten zivilen Luftfahrt mit ihren, bedingt durch eine vergleichsweise geringe Anzahl unterschiedlicher Luftfahrzeuge sehr gleichartigen Umgebungsbedingungen, sind Untersuchungen zur beruflichen Belastung relativ leicht international übertragbar. Demgegenüber steht die maritime Medizin hier vor schier unüberwindlichen Herausforderungen, weil die „Freiheit der Meere“ und die Seefahrt als solche in erheblichem Ausmaß multifaktorielle, individuelle und damit schwer übertragbare Bedingungen schaffen. Gerade im Hinblick auf die Bewertung beruflicher Risikofaktoren ist die fehlende scharfe Trennung von Lebens- und Arbeitsraum an Bord mit besonderen Herausforderungen verbunden.
Der besondere Wert der vorliegenden Studie liegt, trotz einfacher epidemiologischer Methodik und geringer Parameterzahl, in der schieren Größe des Kollektivs. Studien mit vergleichbar großer Datenbasis sind mir zu diesem Thema nicht bekannt. Die Ergebnisse können somit einschließlich des Vergleichs mit der Normalbevölkerung als sehr robust angesehen werden.
Die naheliegende Annahme, dass der eingeschränkte Bewegungsraum an Bord und die Monotonie des Seedienstes die Entstehung von Übergewicht begünstigen, ist zumindest für türkische Seefahrer offensichtlich nicht zutreffend. Vielmehr ist das Risiko für Erkrankungen, die durch Übergewicht bedingt sind, eher auf den individuell, kulturell geprägten Lebensstil als auf die Bedingungen an Bord zurückzuführen. Auch wenn die Übertragbarkeit dieses Ergebnisses auf Kollektive anderer Nationen diskutabel ist, so ist der Nachweis des Phänomens an sich doch bedenkenswert.
Nachteilig ist, wie die Autoren selbst feststellen, dass Angaben zu Rang, Tätigkeitsbereich und insbesondere Dauer der beruflichen Tätigkeit an Bord nicht in die Studie miteinbezogen wurden. Es ist zu hoffen, dass dies in einer Folgestudie möglich sein wird.
Dr. Stefan Neidhardt, Kronshagen
Deutsche Gesellschaft für Maritime Medizin
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