? Mittlerweile gibt es einige erste Arztassistenten, alias Physician Assistants, in Deutschland. Was ist das Ihrer Definition nach für ein Beruf?
Diese Arztassistenten führen qualifizierte Aufgaben unter der Supervision eines Arztes durch. Das ist im Wesentlichen eine Tätigkeit in einer Klinik oder einer operativ tätigen Praxis.
? Sie empfinden diesen neuen Beruf als Bereicherung?
Wir haben uns seitens der DGOU ja sowohl bei der Steinbeis-Hochschule in Berlin, neuerdings auch mit der DHBW in Karlsruhe zu den Ausbildungsinhalten engagiert. Ja, wir sind der Meinung, dass die Ausbildung von Physician Assistants an vielen Stellen sinnvoll ist. Die Zahl der am Patienten tätigen Ärzte nimmt im Saldo zukünftig eher ab, da brauchen wir neue Assistenzberufe, die uns unterstützen. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund vieler patientenferner Tätigkeiten, die Ärzten in den letzten Jahren auferlegt wurden. Etwa überbordende Dokumentationspflichten. Hier benötigen wir eine „Rückdelegation“ beziehungsweise qualifizierte Unterstützung.
Wir verspüren allerdings mit Sorge einen gewissen Druck aus der Politik heraus, dass Ärzte manche rein ärztlichen Tätigkeiten vielleicht ganz abgeben sollen, dass sie ersetzt, alias substituiert werden. Das kann weder im Interesse unserer Patienten noch der Ärzteschaft sein. Einer der Hauptgründe, dass wir uns zum Thema Physician Assistants so engagieren, ist daher auch, dass wir in diesem politischen Prozess mit gestalten und mitgehört werden wollen.
? Jenseits dieses pragmatischen Arguments – was spricht aus Ihrer Sicht für den neuen Beruf eines Arztassistenten? Haben Sie positive Erfahrungen?
Wir haben bei uns in der Klinik 2 Kollegen, die das machen. Das sind aus meiner Sicht in jeder Hinsicht sehr wertvolle Mitarbeiter.
? Welche ärztlichen Tätigkeiten sind delegiert, übernehmen die Mitarbeiter?
Das fängt an bei administrativen Arbeiten, etwa, dass jemand im Vorfeld einer Visite und Besprechung die Befunde zusammen sucht. Diese Assistenten können darüber hinaus einfachere, vorbereitende Aufnahmegespräche und standardisierte Untersuchungen übernehmen. Das eigentliche Arztgespräch und die ärztliche Untersuchung werden nicht ersetzt sondern gründlich vorbereitet und effizienter gemacht. Im OP assistieren diese Mitarbeitern, in unserem Setup vorwiegend als 2. Assistenz – im Einklang mit den Vorstellungen der Fachgesellschaft.
? Es gibt noch mehr, Sie sind einer der Autoren eines 2008 aufgelegten DGU-Katalogs delegierbarer Tätigkeiten (DGU Mitteilungen und Nachrichten 57/2008, Seite 47ff). Da steht zum Beispiel, das Wundmanagement sei delegierbar. Wirklich? Das ist im Einzelfall eine sehr komplexe Behandlung…
Da steht Wundverband und Lagerungsschienen. Und ja, da steht auch das Wundmanagement, aber mit der Einschränkung, dass ein Assistent es nur bei Vorliegen eines Wundleitfadens und einer entsprechenden Ausbildung übernehmen soll. Das ist ein wichtiger Zusatz. Dazu muss man sagen, diesen so genannten Wundmanager gibt es heute schon, allerdings aus dem Pflegebereich und diesem zugeordnet. Im Wesentlichen geht es hierbei um die Pflege und das Management chronischer Wunden, zum Beispiel den Dekubitus. Natürlich ist es wichtig, dass hier jetzt nicht auf einmal postoperative Wunden am Arzt vorbei gemanagt werden. Genau das wollen wir nicht. Die Beurteilung postoperativer Wunden im Verlauf ist ärztliche Aufgabe, die viel Erfahrung braucht, und nicht delegierbar.
? Und gerade beim Dekubitus kann man so viel falsch machen …
So ist es, und da können auch Ärzte einiges falsch machen, das hat mit dem, wer sich da alles kümmert, zunächst mal weniger zu tun. Vielmehr geht es vorrangig darum: Wenn in einer Klinik keine klaren Konzepte festgelegt sind oder Behandlungsalgorithmen, dann erzählt und sagt schnell jeder irgendwas anderes. Heute kommt der eine Doktor, morgen der andere, der eine macht dies, der andere das …
? Und die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Die Behandlung chronischer Wunden ist etwas, was Sie in den Händen eines Arztassistenten durchaus gut aufgehoben sehen?
Ja, unter den eben genannten Bedingungen. Steuerung der Prozesse in erster Linie auf den Stationen anhand von Standards und Richtlinien. Auch und gerade zur Entlastung der Stationsärzte. Dann stehen die bereits genannten Punkte für mich unter dem Begriff delegierbare Tätigkeiten. Will sagen: Unter ärztlicher Überwachung.
? Das heißt konkret, der Stationsarzt muss auch selber vorbei schauen und sich persönlich von der Qualität der Behandlung überzeugen?
Absolut. Delegierbare Tätigkeiten stehen immer unter Letztverantwortung der Ärzte. Sonst wäre es ja Substitution. Die lehnen wir ab, da liegen wir auf einer Linie mit der KBV.
? Wenn ein Physician Assistant die Assistenz bei einer OP übernimmt, muss der Patient vorher darüber aufgeklärt werden?
Ich würde immer dazu raten, dass die Patienten im Aufnahmegespräch grundsätzlich auch erfahren, dass sie auch von Physician Assistants mit betreut werden. Es reicht ja zu sagen, wir haben hier ein interdisziplinäres Team, auch Arztassistenten, die uns helfen.
? Wenn der Arztassistent bei der OP einen Fehler macht, wer haftet?
Bei der OP hat letzten Endes immer der durchführende Operateur die Verantwortung. Schon heute wird ja ein Wundverschluss oft vom Assistenzarzt gemacht, oder vom PJler. Am Ende des Tages muss aber immer der Operateur dafür Sorge tragen, dass die Dinge vernünftig gemacht worden sind.
? Welche Vorteile hat der Einsatz von Arztassistenten noch?
Einen großen Vorteil sehe ich darin, dass sie eine neue Kontinuität in die Stationsabläufe bringen können. Der ärztliche Bereich in den Kliniken ist heute personell oft so geschrumpft, die Kollegen, die früher als Stationsarzt tagsüber fast immer präsent waren, sind jetzt häufiger nicht da, weil sie sich von einer Nachtschicht erholen müssen. Die Patienten brauchen aber eine gewisse Kontinuität, einen Ansprechpartner, den sie kennen. Ein Arztassistent kann hier in die Bresche springen, weil er tagsüber regelmäßig anwesend ist.
? Ihre beiden Mitarbeiter nehmen auch den Assistenzärzten keine Eingriffe weg, die sie womöglich für ihren Weiterbildungskatalog brauchen?
Ich kann Ihnen sagen, unsere Assistenzärzte hier in der Klinik waren am Anfang extrem skeptisch, wie das laufen würde. Inzwischen sind die 2 Kollegen voll akzeptiert und integriert in das ärztliche Behandlungsteam. Und ihre Präsenz hat an vielen Stellen zu einer deutlichen Stabilisierung von Prozessabläufen geführt. Im Übrigen gibt es das ja nicht nur bei uns, wenn Sie mit den Kollegen in Holland sprechen, wundern die sich, dass wir das hier überhaupt diskutieren. Die sagen, wir können uns das ohne Arztassistenten gar nicht mehr vorstellen.
Die Arztassistenten nehmen den Kollegen auch keine Eingriffe weg, da sie selber nur zu Assistenzen eingesetzt werden – und das, wenn es aus personellen Gründen erforderlich ist.
? Wie hoch sehen Sie den Bedarf an Physician Assistants in Deutschland?
Wir machen gerade eine Bedarfsanalyse mit der DGOU und der Universität Dresden, aber heute kann ich dazu noch nichts sagen. Unterm Strich glaube ich, dass wir auf jeden Fall mehr Arztassistentinnen und –assistenten brauchen. Denn die ärztliche Ressource ist a) teurer und b) auch nur begrenzt verfügbar. Wir müssen daher noch mehr darauf achten, was wir im administrativen und vor allem in den nachgeordneten ärztlichen Arbeiten aus dem ärztlichen Dienst delegieren und guten Gewissens in die Hände solcher neuen Assistenten geben können.
? Kritiker sagen, man solle einfach mehr Ärzte ausbilden. Vor allem die KBV hat sich in den letzten Monaten mehrfach gegen einen Physician Assistant ausgesprochen, man wolle keinen „Arzt light“, dass hier neben dem Arztberuf ein 2. akademischer Berufstitel entsteht… der dann am Ende womöglich gar bei Behandlungsplänen mitmischt oder kleinere Eingriffe eigenständig durchführt …
Grundsätzlich sind wir der Meinung, und da liegen wir sicherlich mit der KBV überhaupt nicht auseinander, dass es Dinge gibt, die ganz klar unter Arztvorbehalt sind. Uns liegt nichts ferner als einen „Arzt light“ auszubilden. Wir wollen einen qualifizieren Berufsgang Arztassistent unterstützen, der auch ohne uns bereits läuft und politisch grundsätzlich gewollt ist. Wir wollen das mit gestalten und dafür sorgen, dass es aus ärztlicher Sicht eben nicht „aus dem Ruder läuft“ und in Substitution mündet.
? Was wäre für Sie ein „aus dem Ruder laufen“?
Wir wollen zum Beispiel keinen Arztassistenten, der auf dem Land selbstständig arbeitet, in Gebieten, wo Arztmangel herrscht, wo man keinen Hausarzt mehr hinkriegt, … dass man dann sagt, na gut, dann schicken wir einen Arztassistenten, der macht eigenständig zumindest die wichtigsten Dinge, die nötig sind. Ich sehe da eine Gefahr, dass das ein bisschen der Hintergedanke bei manchen in der Politik ist.
Oder, wenn der Physician Assistant in einer Klinik anfangen würde, selbstverantwortlich körperliche Untersuchungen zu machen, Diagnostik anzuordnen, selbständig Therapiepläne aufsetzt oder kleinere Eingriffe komplett macht – dann ist definitiv eine Grenze überschritten. Dass man, mal angenommen, bei knapper Arztdecke sagt, „naja, morgen bei dieser einen OP, da geht es ja nur um eine Plattenentfernung am Außenknöchel, eine kleine Platte, das soll doch der Arztassistent schnell alleine machen“. So etwas geht gar nicht. Auch wir als Fachgesellschaft lehnen solch einen „Arzt light“ nachdrücklich ab. Gerade um das zu verhindern sind wir der Meinung, müssen wir uns engagieren und Einfluss auf Curricula und Berufsbilder nehmen.
? Aber die Frage ist am Ende, wer solch eine Substitution ärztlicher Leistungen in Deutschland wirklich will?
Es ist die Angst vor einem Dammbruch, wenn erst mal Dinge weg brechen, die unter Arztvorbehalt stehen. Damit gefährden Sie das Berufsbild und weichen es auf. Unserem Eindruck nach wird in den letzten Jahren gegen uns Ärzte so agitiert wie noch nie, von Politik und Medien. Wir haben daher gelegentlich den Eindruck, dass man den Arztberuf gerne etwas, sagen wir mal, aufweichen möchte. Das Zweite ist eine Frage der Kosten, mancher träumt wohl immer noch davon, dass man Kosten reduzieren kann, indem Ärzte durch vermeintlich günstigere Arztassistenten ersetzt werden. Auch wenn kluge kaufmännische Geschäftsführer wissen, dass das ein Trugschluss ist. Sie brauchen immer vernünftiges Geld, wenn Sie vernünftige Arbeit leisten wollen.
? Offenbar ist am Ende in allen Gesetzen nicht so richtig geklärt, was genau der Arztvorbehalt ist, was nur Ärzte machen und verantworten dürfen. Ist das ein Problem?
Ich bin kein Jurist und glaube andererseits, dass sich diese Frage am Ende auch mit gesundem Menschenverstand beantworten lässt. Um das ganz praktisch anzugehen, haben wir ja 2007 diesen Katalog geschrieben und definiert, was auch aus unserer Sicht ganz klar unter Arztvorbehalt steht.
? Stichwort Qualität der Ausbildung. Bislang bieten einige wenige staatliche wie private Hochschulen den Studiengang zum Arztassistenten an. Die Ausbildungsinhalte gestalten sie weitgehend frei, mit Ausnahme von Baden-Württemberg, wo es bereits eine Verordnung dazu gibt (Siehe dazu auch die Einleitung). Auch Sie bemühen gelegentlich das Stichwort vom „Wildwuchs“ bei den Ausbildungswegen. Muss ein Gesetz her, das Ausbildungscurricula von Staats wegen definiert und regelt?
Ob man immer alles gesetzlich regeln muss, ist die Frage. Zunächst mal müsste das Berufsbild Arztassistent richtig etabliert werden. Natürlich kann man sagen, wir entwickeln einen neuen Beruf Top Down und machen erst mal ein Gesetz. Oder man lässt das von unten her wachsen, wie es momentan läuft. Was wiederum den Nachteil hat, dass sich ein gewisser Wildwuchs entwickeln kann.
Je mehr Dinge wir arbeitsteilig im Gesundheitswesen delegieren, desto sinnvoller fände ich allerdings dann auch eine gesetzliche Regelung und ein klar definiertes Berufsbild. Wobei man zunächst neu klären sollte, wie will man denn überhaupt die Berufsbilder im Gesundheitswesen in Zukunft insgesamt aufbauen.
? Es gibt schon erste Ideen für einen Mastertitel für Physician Assistants …
Es stellt sich die Frage, was diese Absolventen mit Mastertitel alles können und dürfen. Mit einem Master sehe ich ein bisschen die Gefahr, dass sich das Ganze dann doch in Richtung „Arzt light“ entwickeln könnte Den aber, siehe oben, wollen wir eben nicht – im Interesse unserer Patienten! Wir bleiben beim Facharztstandard – ambulant und stationär – und freuen uns über Unterstützung.
Das Interview führte BE