Z Orthop Unfall 2015; 153(01): 10-11
DOI: 10.1055/s-0035-1547477
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neuer Assistenzberuf – Neue Assistenten im OP: Akademische Ausbildung nicht zwingend nötig

Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. März 2015 (online)

 
    Zoom Image
    (Bild: Karl Blum)

    Dr. Karl Blum, Jahrgang 1961, leitet den Geschäftsbereich Forschung beim Deutschen Krankenhaus Institut in Düsseldorf. Das DKI wird von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Verband der Krankenhausdirektoren und dem Verband der leitenden Krankenhausärzte getragen. Der Politik- und Gesundheitswissenschaftler hat wiederholt mit seinem Team neue Ausbildungswege im Gesundheitswesen untersucht.

    Karl Blum vom Deutschen Krankenhaus Institut (DKI) plädiert für mehr Standards bei den verschiedenen Weiterbildungs- und Ausbildungswegen zu Assistenzberufen in der Chirurgie. Ein Studium sei dafür aber nicht immer nötig.

    ? Werden sich Arztassistenten überhaupt etablieren oder ist die aktuelle Debatte um diesen neuen Beruf im Gesundheitswesen eher heiße Luft um etwas, von dem in wenigen Jahren kaum noch jemand spricht – mangels Arztassistenten?

    Ich glaube, dass der Beruf sich längerfristig etablieren wird, vor allem aus drei Gründen: Erstens aufgrund des Ärztemangels in den deutschen Krankenhäusern, der heute schon vielfach über Honorarärzte und Ärzte aus dem Ausland kompensiert werden muss.
    Deswegen muss man überlegen, welche ärztlichen Tätigkeiten man aus praktischen Gründen an anderes Personal delegieren kann. Der 2. maßgebliche Grund sind die Kosten.

    ? Der Arztassistent ist für ein Krankenhaus günstiger zu haben als ein Arzt?

    Ja. Und ein 3. Punkt ist, dass es sehr starke Professionalisierungsinteressen seitens der Pflege und anderer Gesundheitsberufe, einschließlich des OP-Personals, gibt. Der Arztassistent eröffnet neue Qualifizierungs- und Karriereoptionen für die Gesundheitsfachberufe.

    ? Was die Nachfrage nach solchen Studiengängen quasi als Weiterbildung für Pflegepersonal erhöht?

    Nicht nur für das Pflegepersonal, sondern auch für technische und therapeutische Gesundheitsberufe. In welcher Form der Physician Assistent kommt, ist für mich allerdings offen. Das Bachelor-Studium ist ja nur eine Variante. Es gibt bislang nur wenige Hochschulen, die das anbieten.

    ? Die zusammen genommen derzeit bestenfalls 50 Absolventen im Jahr in Deutschland haben?

    Hinzu kommen weitere Ausbildungsstätten, die diese Qualifikation als nicht-akademische Aus- oder Weiterbildung anbieten. Die Anzahl der Absolventen ist derzeit generell noch überschaubar. Und es dauert in Deutschland erfahrungsgemäß relativ lange, bis sich ein neues Berufsbild etabliert hat, beziehungsweise bis hinreichend Absolventen da sind, damit am Ende auch eine Anerkennung durch staatliche Gesetze stattfindet.

    ? Sie sagen, der Ärztemangel wird dazu zwingen, dass man Tätigkeiten delegiert. Dagegen steht die Möglichkeit, mehr Ärzte auszubilden. Die KBV etwa wehrt sich gegen einen „Arzt light“, der hier durch neue Studiengänge entstehen könnte.

    Ja, das Thema ist in der Ärzteschaft nicht unumstritten, aber viele Fachgesellschaften sind da relativ aufgeschlossen.

    ? Die Unfallchirurgen, die DGU, heute die DGOU, waren zum Thema schon seit 2007 aktiv, haben einen Katalog an Tätigkeiten aufgestellt, die ein Physician Assistant übernehmen kann.

    Ja, und genau das ist eine Voraussetzung für die Gestaltung der Ausbildung oder Weiterbildung in diesem Bereich. Dass man das Anforderungsprofil definiert, dementsprechend Leistungen definiert und begrenzt, die ein Assistent durchführen kann und darf.

    ? Kann jede Hochschule oder jede Weiterbildungsstätte, oft auch in privater Trägerschaft, hierzulande sagen, ich überlege mir jetzt ein neues Berufsbild und leg einen Ausbildungsgang, ein Studium auf? Sonst regelt doch der Staat per Gesetz gerade im Gesundheitswesen die Berufe?

    Neue Berufsbilder entwickeln kann im Prinzip jeder. Berufsbilder entstehen ja vielfach an der Basis. Denken Sie an den EDV-Bereich, wo es jede Menge neue Berufe gibt, die es vor 20 Jahren noch nicht gab. Diese Berufsbilder sind nicht von oben herab festgelegt worden. Unter Umständen werden daher neue Berufe und ihre Ausbildungswege erst später in eine staatliche Anerkennung mit entsprechendem Curriculum überführt.

    ? Wird das hier auch so laufen? Der Physician Assistant ist bislang ein ungeschützter Titel?

    Ja, mit Ausnahme Baden-Württembergs, wo es einen staatlichen Abschluss gibt. Eine bundeseinheitliche Regelung dazu wird sicher noch länger auf sich warten lassen. Denkbar ist auch zunächst mal eine Zertifizierung durch Fachgesellschaften oder Krankenhausgesellschaften. Denken Sie an den Operationstechnischen Assistenten, den OTA, der von der Deutschen Krankenhausgesellschaft entwickelt worden ist.

    ? Zu dem es bis heute auch kein Gesetz gibt (Anm. Red. siehe auch die Einleitung).

    Ja, aber es gibt da eben die Anerkennung über die Deutsche Krankenhausgesellschaft, und damit ist das Berufsbild etabliert. Die Absolventen werden händeringend gesucht. Es gibt beim Bundesgesundheitsministerium eine Gruppe, die daran arbeitet, eine staatliche Anerkennung von OTA und anderen neuen Berufen zu entwickeln.

    ? Wird der Physician Assistant, der Arztassistent da auch drunter fallen?

    Nein. Er ist nicht Gegenstand dieser Arbeitsgruppe beim BMG.

    ? Zumal die Ausbildung zum Physician Assistant ja in den Händen von Hochschulen liegt, zumindest definieren das manche Protagonisten so.

    Daneben gibt es auch nicht-akademische Aus- oder Weiterbildungen zum Arztassistenten. Das sind zum Teil Weiterbildungen zum Chirurgieassistenten oder Chirurgisch Technischen Assistenten. Aber im Grunde genommen sind es die gleichen Inhalte nur in Form einer Weiterbildung, beschränkt auf den chirurgischen Bereich.

    ? Die Physician Assistants mit Bachelor-Abschluss grenzen sich davon ab, pochen auf ihren akademischen Status und darauf, dass sie eine weitergehende Qualifikation haben (Anm. Red. siehe das Interview Seelisch).

    Das kann man nachvollziehen, wenn sich eine Berufsgruppe neu etablieren will. Aber ich sehe da am Ende keine klar definierten Grenzen. Asklepios bietet zum Beispiel in Wiesbaden eine 2-jährige Weiterbildung zum Chirurgischen Operationsassistenten (COA) an. Die Weiterbildung umfasst einen theoretischen und einen praktischen Teil. Diese Weiterbildung umfasst auch den Einsatz auf der Station und in einer Ambulanz. Die Abschlüsse sind andere, aber die Inhalte sind in vieler Hinsicht vergleichbar.
    Derzeit ist offen, ob der Bedarf an Arztassistenten, Physician Assistants, über Bachelorstudiengänge hinreichend gedeckt werden kann. Für etliche Einsatzfelder im OP, etwa für die 1. und 2. Arztassistenz, reichen gegebenenfalls auch entsprechende Weiterbildungen aus. Ich bin überzeugt, dass man nicht das ganze Berufsbild durchgängig akademisieren muss.

    ? Aber wenn Sie die ganze Gruppe zusammenfassen, Chirurgieassistenz als Weiterbildung oder Arztassistenz durch einen Bachelor werden alle Beteiligten doch für Standards sicher erst recht klären müssen, welche Ausbildung anerkannt wird. Machen wir das als grundständige Ausbildung, als Weiterbildung oder machen wir es als Studium?

    Nein, nicht unbedingt. Es kann durchaus sein, dass es verschiedene Qualifizierungswege gibt mit unterschiedlicher Ausrichtung und Schwerpunktsetzung. Dass alles einheitlich entweder über Weiterbildung oder Studium erfolgen muss, sehe ich nicht. Wenn man mehr in Richtung der ausländischen Vorbilder mit Bachelorabschlüssen gehen will, müsste man dafür eine bildungspolitische Grundsatzentscheidung fällen, und dieses Studium dann auch flächendeckend an den staatlichen Fachhochschulen anbieten.

    ? Auch Sie schreiben in einigen Gutachten aber, es gelte Wildwuchs bei den Ausbildungswegen zu vermeiden.

    Mit Wildwuchs meine ich, dass es gerade in so einem sensiblen Bereich – es geht um Patienten, es geht um invasive Eingriffe – wichtig ist, Qualitätsstandards zu setzen, sei es staatlich oder sei es über Fachgesellschaften. Es ist also gut, wenn Fachgesellschaften oder die Deutsche Krankenhausgesellschaft Richtlinien vorgeben.

    ? In einem Gutachten von 2013 schreiben Sie, es gebe das Problem, dass heute schon Mitarbeiter, etwa aus der Pflege, manche Dinge im OP übernehmen, für die sie streng genommen keine Ausbildung haben. Läuft hier der Versuch, eine Ausbildung zu schaffen für Tätigkeiten, die in der Praxis längst von Personal übernommen werden, das „on the job“ geschult wird?

    In der Krankenhauspraxis werden die 1. und 2. Assistenz vielerorts und zumindest gelegentlich, auch von nicht-ärztlichem OP-Personal übernommen. Allerdings werden die spezifischen Tätigkeiten im Rahmen von Aus- oder Weiterbildungslehrgängen bislang kaum vermittelt. Ein Ausbau einschlägiger Aus- und Weiterbildungen zur Chirurgieassistenz würde dazu führen, dass Tätigkeiten, die bislang den Aufgabenbereich des OP-Personals eventuell überschreiten, rechtlich in einen sicheren Rahmen gebettet wären. Für das Krankenhaus erhöht sich die Rechtssicherheit im OP und reduzieren sich die Haftungsrisiken, falls man auf einschlägige Fachqualifikationen und damit auf bestimmte Qualitätsstandards verweisen kann.

    ? Sie haben 2013 im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft 116 Chirurgie- und Arztassistenten gefragt, welche Erfahrungen sie im Beruf sammeln.

    Ja, wir haben knapp 200 Absolventen von 5 Einrichtungen im Bundesgebiet angefragt, die 2011 eine entsprechende Weiterbildung oder Bachelorstudium abgeschlossen hatten. 116 haben geantwortet, eine Rücklaufquote von 60 %.
    Die Resonanz war sehr positiv. Die meisten werden adäquat eingesetzt, können die Dinge, für die sie qualifiziert wurden, auch in einem erheblichen Maße anwenden. Nur wenige haben de facto das Gleiche gemacht wie vor ihrer Ausbildung. Allerdings haben wir damals nur die Selbsteinschätzungen der Absolventen erfragt. Wir werden jetzt für die DHBW in Karlsruhe den Studiengang Physician Assistant evaluieren. Dabei werden wir auch die Partnerkrankenhäuser befragen, also die Arbeitgeber der Absolventen, wie zufrieden sie mit den Arztassistenten sind. Die Daten werden aber erst Ende 2015 vorliegen.

    ? In Ihrer Umfrage von 2013 hatten Sie da Hinweise, dass neue Chirurgie- und Arztassistenten den Ärzten zur Weiterbildung irgendwelche Dinge wegnehmen?

    Nein, bei der derzeitigen Anzahl ist das allein schon statistisch ausgeschlossen, dafür sind das noch viel zu wenige.
    Zudem soll mit den neuen Qualifikationen die ärztliche Weiterbildung verbessert werden, etwa weil eine zeitraubende Bindung im OP ohne Bezug zur Facharztweitebildung vermieden wird.

    ? In 10 Jahren haben wir in Deutschland 1 000 Physician Assistants und das Berufsbild ist fest etabliert?

    Es ist meine Überzeugung, dass sich das Berufsbild etablieren wird und dass auch Ärzte und Fachgesellschaften es zusehends akzeptieren werden

    Das Interview führte BE


    #

    Zoom Image
    (Bild: Karl Blum)