ergopraxis 2015; 8(04): 12-13
DOI: 10.1055/s-0035-1550070
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Praxisbezogene Forscherin – Brigitte Gantschnig

Florence Kranz

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Publication Date:
10 April 2015 (online)

 

Bisher gibt es für Ergotherapeuten nur wenige betätigungsorientierte Assessments, die auf den deutschsprachigen Raum angepasst sind. Das wollte Brigitte Gantschnig ändern. Sie untersuchte, ob Ergotherapeuten das Assessment of Motor and Process Skills (AMPS) im mitteleuropäischen Raum valide und praktikabel einsetzen können.


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Abb. B. Gantschnig
Brigitte Gantschnig…

… hat als erste Ergotherapeutin, die in der Schweiz lebt und arbeitet, im Fach Ergotherapie promoviert. Wie viele Kollegen startete sie ihren beruflichen Weg mit einer Ausbildung, die sie 1998 an der Medizinisch-Technischen Akademie für den Ergotherapeutischen Dienst in Klagenfurt, Österreich, abschloss. Anschließend sammelte sie mehrere Jahre Berufserfahrung, vor allem in der Pädiatrie und neurologischen Rehabilitation. Ihr Interesse an ergotherapeutischer Forschung trieb sie 2005 ins Masterstudium, 2007 erwarb sie den European Master of Science in Occupational Therapy. 2009 bis 2014 folgte die Promotion an der Umeä University in Schweden, unter Supervision von Anne G. Fisher, Ingeborg Nilsson und Julie Page. Heute arbeitet Brigitte Gantschnig als Forscherin und Dozentin an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur und macht ihr Post-Doktorat an der Universitätsklinik Bern. In ihren Forschungsprojekten kooperiert sie eng mit praktisch tätigen Ergotherapeuten. Für die nächsten Jahre hat sie sich vorgenommen, aussagekräftige Interventionsstudien durchzuführen und der Ergotherapie auf diese Weise zu einer besseren Evidenz zu verhelfen.

Validierungsstudie des Assessment of Motor and Process Skills (AMPS)

Die Doktorarbeit

Obwohl Verordnungen Vorlagen, weigerten sich die Schweizer Krankenkassen bei einigen Klienten von Brigitte Gantschnig, Ergotherapie für Kinder mit ADHS, UEMF oder anderen Einschränkungen zu finanzieren. Das Argument: Mangel an Wirksamkeitsnachweisen. Um die Wirkung von Ergotherapie zu belegen, suchte die Therapeutin nach betätigungsorientierten Assessments. Dabei stellte sie fest, dass internationale Verfahren oft nur unzureichend auf den deutschsprachigen Raum angepasst sind. So entstand die Idee, eine Validierungsstudie für das Assessment of Motor and Process Skills (AMPS) durchzuführen. Gemeinsam mit Ergotherapeuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sammelte sie umfangreiches Datenmaterial. Dieses verwertete sie in drei Studien. In ihrer ersten Studie verglich sie die Daten von 1.346 Klienten aus Mitteleuropa mit 144.143 aus den restlichen Teilen der Welt. Die Teilnehmer waren zwischen 3 und 103 Jahre alt und hatten unterschiedliche Diagnosen. In der zweiten Studie analysierte sie die Daten von 11.189 normal entwickelten Kindern aus Mitteleuropa und den restlichen Teilen der Welt. Die dritte Studie basierte auf den Daten von 10.998 Kindern zwischen 4 und 15 Jahren. Sie hatten entweder die Diagnosen ADHS, UEMF und/oder andere Lernbehinderungen oder sie waren altersgemäß entwickelt. Außerdem untersuchte sie in einer Schweizer Machbarkeitsstudie mit 17 Kindern, ob sich in der ergotherapeutischen Praxis eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) umsetzen lässt. In diesem Zusammenhang überprüfte sie auch die Praktikabilität des AMPS.


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Ergebnisse

In ihrer Dissertation fand Brigitte Gantschnig wissenschaftliche Belege dafür, dass Ergotherapeuten das AMPS interkulturell einsetzen können. Die erste Studie zeigt: Das Assessment lässt sich in Mitteleuropa anwenden, ohne dass kulturelle Verzerrungen auftreten. Studie zwei zeigt, dass sich die durchschnittliche Qualität der ADL-Performanz bei Kindern über verschiedene Weltregionen hinweg kaum unterscheidet. Die internationalen Normwerte sind also vorläufig auch für mitteleuropäische Kinder gültig. In der dritten Studie kommt die Forscherin zu dem Ergebnis, dass sich die durchschnittliche Qualität der ADL-Performanz von Kindern mit ADHS, UEMF und/oder anderen Lernbehinderungen statistisch signifikant und klinisch bedeutungsvoll von altersgemäß entwickelten Kindern unterscheidet. Und laut der Machbarkeitsstudie können Schweizer Ergotherapeuten das AMPS praktikabel nutzen, um bei Kindern Einschränkungen in der Durchführung alltagsbezogener Tätigkeiten zu identifizieren. Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass das AMPS sensitiv genug ist, um erzielte Veränderungen in der Qualität der ADL-Performanz abzubilden.


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Fazit

Mit ihrer Doktorarbeit möchte Brigitte Gantschnig Ergotherapeuten aus dem deutschsprachigen Raum dazu ermutigen, die Wirkung ihrer Therapien anhand von betätigungsorientierten Assessments zu belegen:

  • → Ihnen steht mit dem AMPS ein valides und betätigungsorientiertes Assessment zur Verfügung, um im rehabilitativen Setting bei Klienten mit unterschiedlichen Diagnosen objektive Informationen über die Qualität der ADL-Performanz zu ermitteln.

  • → Ergotherapeuten können das Assessment auch bei Kindern ab vier Jahren einsetzen, bei denen eine ADHS, UEMF und/oder eine andere Lernbehinderung diagnostiziert wurde bzw. ein erhöhtes Risiko hierfür besteht.

  • → Die internationalen Normwerte unterstützen Ergotherapeuten darin, die Qualität der ADL-Performanz von Kindern aus dem mitteleuropäischen Raum einzuschätzen. Mit diesen Vergleichswerten können sie leichter entscheiden, ob Kinder ergotherapeutische Interventionen benötigen.

  • → Außerdem können Ergotherapeuten das AMPS nutzen, um in der Therapie erzielte Veränderungen abzubilden.

→ Gantschnig BE. Occupation-Based and Occupation-Focused Evaluation and Intervention with Children. Dissertation an der Umeä- Universität in Schweden; 2014


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Abb. B. Gantschnig