Rofo 2015; 187(10): 946-947
DOI: 10.1055/s-0035-1552263
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verpasste Lorbeeren oder der erste Strahlenunfall der Geschichte vor 125 Jahren

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Publication Date:
28 September 2015 (online)

 

Am Abend des 22. Februar 1890 experimentierten der amerikanischen Physiker Arthur Goodspeed (1860-1943) und der Fotograf William. N. Jennings (1860-1946) wieder einmal im physikalischen Labor der Universität von Pennsylvania mit Hochspannungsentladungen. Sie hatten bereits im Herbst 1889 damit begonnen, unterschiedliche Formen von künstlichen elektrischen Entladungen durch verschiedenste Apparate zu erzeugen und mit Jennings früheren Aufnahmen von natürlichen Blitzen zu vergleichen. An diesem Abend sollten Blitz- und Büschentladungen, die mit Funkeninduktoren erzeugt wurden, fotografiert werden. Dabei legten sie auch Münzen und Gewichtsstücke auf unbelichtete Fotoplatten.

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Röntgenaufnahme von Münzen, 22. Februar 1890 (Archiv Deutsches Röntgen-Museum).

Nachdem sie ihre Experimente beendet hatten, lagen auf ihrem Experimentiertisch noch einige unbelichtete fotografische Platten in entsprechenden Fotokassetten. Goodspeed holte aus seiner Sammlung einige der dort vorhandene Crookschen Entladungsröhren, schloss sie an und zeigt Jennings die faszinierenden Leuchterscheinungen in den Röhren. Begeistert und in Gespräche über Kathodenstrahlung vertieft, vergaß man die unbelichteten Fotokassetten, die in der Nähe der Röhre lagen.

Einige Tage später berichtete Jennings, dass ihm beim Entwickeln aller Fotoplatten, auch derer, die nicht direkt belichtet wurden, etwas Merkwürdiges aufgefallen war. Auf einer Platte zeigten sich kreisrunde Strukturen, die von Funkenspuren überlagert wurden. Die Strukturen waren vollkommen anders als die der direkt belichteten Fotoplatten. Weder der Fotograf noch der Physiker konnten sich diesen kuriosen Effekt erklären. Waren es Fabrikationsfehler? Goodspeed legte das Negativ mit anderen merkwürdigen Platten beiseite. Im Laufe der Zeit dachte niemand mehr daran. Sechs Jahre später erfuhr auch Arthur Goodspeed von der Entdeckung neuer, durchdringender Strahlen, die ein deutscher Physiker in Würzburg entdeckt hatte. Goodspeed erinnerte sich an die beiseite gelegte Platte und studierte sie nochmals. Die logische Erklärung konnte nur sein, dass er und Jennings am 22. Februar 1890 unbewusst die 1. Röntgenaufnahme von Münzen angefertigt hatte. Goodspeed wiederholte daraufhin seine Experimente unter den gleichen Bedingungen, mit den gleichen Apparaten und Röhren, und er erhielt vergleichbare Resultate. Beim Treffen der American Philosophical Society am 21. Februar 1896 hielt Goodspeed einen bemerkenswerten Experimentalvortrag über Röntgenstrahlen und erzählte die Begebenheiten dieses 1. „Strahlenunfalls“ in der Geschichte vor fast genau 6 Jahren. Zum Schluß seines Vortrages sagte Goodspeed: “Now, gentlemen, we wish it clearly understood that we claim no credit whatever for what seems to have been a most interesting accident, yet the evidence seems quite convincing that the first Roentgen shadow picture was really produced almost exactly six years ago tonight, in the physical lecture room of the University of Pennsylvania.” In einem Brief an den deutsch-amerikanischen Medizinphysiker und Röntgenbiografen Otto Glasser (1895-1964) vom 15. Februar 1929 bedauerte Goodspeed den Befunden nicht nachgegangen zu sein: „… The accidental roentgen effect which W. N. Jennings and I produced in 1890 was real and authentic. Because of our laxity in not following the matter up we do not claim any credit whatsoever. …”

Wer war Arthur Willis Goodspeed?

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Arthur W. Goodspeed (1860-1943)
(Archiv Deutsches Röntgen-Museum)

Arthur Willis Goodspeed wurde am 8. August 1860 im Sommerhaus der Familie in Hopkinton, New Hampshire, USA geboren. Nach Abschluss der Boston Latin School begann er 1880 ein Studium am Harvard College. Hier zeigte sich seine besondere Begabung für Physik. 1884 graduierte er dort mit summa cum laude und hohen Auszeichnungen in Physik. 1885 erhielt er eine Anstellung als Instructor. Nach seiner Promotion wurde er 1889 zum Assistant Professor für Physik an der Universität von Pennsylvania ernannt. Ein Jahr später trat Goodspeed die Nachfolge als Direktor seines Förderers George F. Barker (1835-1910) am physikalischen Institut der Universität Pennsylvania an. Beeinflusst durch die Arbeiten des britischen Fotografen und Pioniers der Fototechnik und Begründers der Serienfotografier Eadweard Muybridge (1830-1904) zur Bewegung von Tieren, begann Goodspeed sich mehr und mehr auch für die Fotografie zu interessieren. Hieraus resultierte die enge Zusammenarbeit mit William N. Jennings. Nach Bekanntwerden der Entdeckung Röntgens widmete er seine wissenschaftliche Aufmerksamkeit für einige Jahre voll und ganz den medizinischen Anwendungen der Röntgenstrahlen. Hier ging es ihm insbesondere um die Verbesserung der fotografischen Technik zur Aufzeichnung der Knochenstrukturen, Fehlstellungen und Frakturen. Gemeinsam mit John Carbutt (1932-1905), der als erster Zelluloid für den fotografischen Film benutzte, entwickelte Goodspeed spezielle Röntgenplanfilme. Diese für Röntgenstrahlung mehr sensitiven Filme wurden am 11. Februar 1896 erstmals im Maternity Hospital in Philadelphia getestet. Die neuen Filme ermöglichten qualitativ gute Aufnahmen vom Thorax oder Abdomen anzufertigen. Bereits Anfang März führte Goodspeed in Kooperation mit dem fußläufig entfernten University Hospital erste Röntgenuntersuchungen an Patienten durch. Parallel begann er seine Untersuchungen über therapeutische Effekte der Röntgenstrahlen. Auf einer Tagung der American Philosophical Society 1903 fanden seine Studien zur Streustrahlung besondere Aufmerksamkeit. Goodspeed wurden zahlreiche Auszeichnungen zuteil. 1902 wurde er zum Präsidenten der American Roentgen Ray Society ernannt. 1904 wurde ihm die Leitung des Randal Morgan Laboratories of Physics der University of Pennsylvania übertragen. Goodspeed war aktives Mitglied des Franklin Institute of Pennsylvania und hier im Vorstand von 1925 bis 1937. Den Ruhestand verlebte er in seiner Heimatstadt Hopkinton. Hier starb Arthur Willis Goodspeed am 6. Juni 1943.

Dr. Uwe Bosch, Deutsches Röntgenmuseum, Remscheid

Literatur

  1. Arthur W. Goodspeed. Remarks made at the Demonstration of the Rontgen Ray, at Stated Meeting, February 21, 1896. Proc. Amer. Philos. Soc. 1896; 35: 17-36

  2. White W, Goodspeed AW, Leonard CL. Cases Illustrative of the Practical Application of the Rontgen Rays in Surgery. American Journal of the Medical Sciences 1896; 12: 125-147

  3. Richards HC. Arthur Willis Goodspeed: An Obituary. Amer. Philos. Soc Yearbook, 1943 (Philadelphia: 1944): 384

  4. Richards HC. Arthur Willis Goodspeed (1860-1943). Science 1943; 98: 125-126

  5. Glasser O. Arthur Willis Goodspeed. Science 1943; 98: 219

  6. Glasser O. Wilhelm Conrad Röntgen und die Geschichte der Röntgenstrahlen. Berlin, Heidelberg, New York 1931


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Röntgenaufnahme von Münzen, 22. Februar 1890 (Archiv Deutsches Röntgen-Museum).
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Arthur W. Goodspeed (1860-1943)
(Archiv Deutsches Röntgen-Museum)